Schlüsselfiguren für die Logik der Liebe

Predigt am Tag der Priester und Diakone in der Missa Chrismatis.

Liebe Mitbrüder im Dienst des Priesters und des Diakons,

wie Sie alle wissen, beschäftigt uns in der Kirche in Deutschland sehr die Frage, wie die Krise des Missbrauchs in unserer Kirche möglich war – und welche Konsequenzen wir daraus ziehen können und müssen. Wird die Erkenntnis dessen, was da passiert ist – und bisweilen immer noch passiert (letzte Sicherheit gibt es nirgendwo) – unsere Kirche verändern? Und wenn ja, wie? Und wenn ja, was bedeutet das für uns als Geistliche, als Amtsträger in dieser Kirche. In jedem Fall bedeutet es für uns alle die Lernerfahrung, dass der Schutz der Institution nie dem Schutz oder der Sorge um die  Betroffenen vorgezogen werden darf.

Welche Konsequenzen?

Aber welche weiteren Konsequenzen wird es geben? Was mich persönlich angeht, möchte ich zunächst folgendes sagen: Sie wissen, dass wir auch innerhalb der Bischofskonferenz besonders intensiv um diese Fragen ringen. Und sicher ist deutlich geworden, dass es verschiedene Ansichten und Vorschläge gibt, wie wir vorgehen. Ein so genannte „synodaler Weg“ wurde angekündigt – ein Weg, bei dem es ein offenes intensives Gespräch geben soll über die Thematiken der Macht in der Kirche, der priesterlichen Lebensform und der Sexualmoral. Einige Mitbrüder im Bischofsamt haben nun bereits öffentlich deutlich gemacht, dass sie für Änderungen plädieren, die durchaus weitreichend wären und auch Fragen der in der Kirche geltenden Lehre betreffen. Etwa im Blick auf die Sexualmoral oder die Frage der Zulassungsbedingungen zu den Weiheämtern, die wir innehaben.

Lehrfragen nicht ohne Weltkirche

Sie wissen auch, dass ich an solche Plädoyers erhebliche Anfragen habe, weil ich der Überzeugung bin, dass wir keine substantiellen Änderungen in diesen Fragen erreichen können, schon gar nicht ohne die Weltkirche oder gar gegen die Weltkirche. Und mehr noch, meine Überzeugung kommt nicht einfach aus dem Wunsch nach gemeinsamer Disziplin oder aus bloßem Gehorsam gegenüber dem Papst. Sie kommt eher aus einer inhaltlich gewachsenen Überzeugung, aus einem philosophischen und theologischen Nachdenken über den Glauben in unserer Kirche. Ich bin überzeugt, dass die Kirche auch in dem, was sie über diese so intensiv angefragten Themen sagt, wirklich Recht hat, wirklich auch Wahrheit sagt, eine Wahrheit, die unabhängig von theologischen Geschmacksfragen oder von weltlich dominanten Strömungen ist.

Hermeneutik des Wohlwollens

Andererseits wissen Sie hoffentlich auch, dass es mir wirklich ernst ist mit einer „Hermeneutik des Wohlwollens“. Ich möchte dem anderen, auch dem Gesprächspartner in der Kirche, der anders denkt als ich, immer zuerst einmal unterstellen, dass auch er etwas Gutes und Richtiges will für die Kirche – und womöglich auch, dass er etwas Richtiges sieht, was ich selbst noch gar nicht sehe. Und beides bringt mich in eine Spannung, die nicht so leicht aufzulösen ist: Widerspreche ich einfach, zur Not auch öffentlich, wenn irgendwo geäußert wird, was jetzt angeblich an Veränderung dran sein sollte? Und mache ich dann öffentlich noch deutlicher, dass die Bischöfe immer noch mehr uneins sind? Oder versuche ich zu verstehen, zu dienen, dem anderen das Gute zu unterstellen und in Ruhe weiterzugehen – freilich auch, indem ich festhalte an dem, was ich selbst glaube?

Demut und Wahrhaftigkeit

Ich denke, es gibt hier nicht für jede Situation die allgemein gültige Antwort. Sie ist jedes Mal neu von der konkreten Situation und Sachlage abhängig. Aber ich meine auch zu spüren, dass wir in Zeiten hineinkommen, in denen das ausdrückliche Zeugnis immer mehr gefordert ist. Auch mit dem Risiko, öffentlich und innerkirchlich immer noch mehr in die Ecke gestellt zu werden. Freilich hoffe ich, dass ich so ein Zeugnis mit einer Haltung geben kann, die heute aus dem Jesaja Buch vom Gottesknecht erzählt wird: „Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen. Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus.“ So lesen wir da, es geht um eine Haltung der Klarheit, der Demut, der Wahrhaftigkeit, aber ohne Lust an der Provokation oder Sensation.

Verschwenderische Hingabe

Und das Evangelium des heutigen Karmontags macht uns einmal mehr deutlich, dass unser Dienst in Wort und Tat erfolgen muss, um glaubwürdig zu sein. Wir hören, wie Maria von Bethanien dem Herrn die Füße salbt mit einem Pfund kostbarem Nardenöl. Dreihundert Denare ist es wert, sagt Judas, also etwa der Jahreslohn eines antiken Tagelöhners. Ein größeres Vermögen für einfache Leute. Und sie verschwendet es aus Liebe zu Christus, einfach so – in einer anrührenden Geste für ihren Herrn. Liebe Brüder, der verschwenderische Dienst, die Hingabe für Christus und die, die er liebt, ist uns ins innerste Herz unseres Amtes geschrieben, das wir innehaben dürfen. Unser Amt ist großartig und eigentlich unglaublich. Wir sind berufen, gesalbt und gesandt die Liebe des Gekreuzigten in der Welt zu vergegenwärtigen. Und in der Liturgie tun wir es und dürfen es tun ohne Rücksicht darauf, wie unsere persönliche sittliche Verfassung gerade ist. Ob wir wirklich den Herrn lieben, ob wir wirklich Beter und Anbeter sind, ob wir ein heiligmäßiges Leben leben und Diener der Menschen sind – oder aber ob wir gerade in unseren eigenen Schwächen und Sünden versinken, ob wir Gebet vernachlässigen, ob wir unehrlich zu den Menschen sind, ob wir uns lieber feiern lassen als wirklich zu dienen – all das spielt in der Frage, ob eine Liturgie gültig und gut gefeiert wird, zunächst keine Rolle. Messe ist Messe, egal wie ich beieinander bin. Und Beichte ist Beichte, gleich wie ich selbst gerade lebe. Und Taufe ist Taufe – ob ich nun selbst der Taufe entsprechend lebe oder nicht. Was für eine unergründliche Garantie des Herrn und welche Gnade für uns.

 Die Gnade als Herausforderung

Aber die Gnade, liebe Brüder, ist zugleich Herausforderung. Denn die Krise der Kirche ist eine Krise der Glaubwürdigkeit. Und unser emeritierter Papst Benedikt hat kürzlich in einem bemerkenswerten Text hinzugefügt: Die eigentliche Krise ist die Gotteskrise, ist die Abwesenheit Gottes unter uns – und ich möchte hinzufügen: allzu oft auch in mir, in uns. Denn die Schrift und die Kirche haben uns immer gelehrt und verdeutlicht, dass wir den Herrn darstellen in der Liturgie, dass wir in seiner Person handeln. Wenn wir die Wandlungsworte sprechen, spielen wir weder Theater, noch lesen wir einfach einen alten Text, sondern der Herr selbst wirkt in und durch uns seine Gegenwart im Sakrament. Wir stellen Ihn dar – und sind doch alle immer wieder versucht, Selbstdarsteller zu sein, selbst in den Vordergrund zu treten – und eben nicht durchsichtig zu werden auf Ihn hin.

Das Tun folgt dem Sein

Für mich ist immer wichtiger geworden, dass diese Darstellung des Herrn etwas ist, was viel tiefer und zuerst aus meinem Sein kommt als aus meinem Tun. Das Tun folgt dem Sein, sagt die alte Philosophie – aber die Logik der Welt und bisweilen auch die Logik des alten Menschen in mir sagt: Ich muss erst das und jenes leisten, ich muss mir erst diese und jene Anerkennung verdienen, diesen Erfolg oder jene Position, diesen Besitz und jenen Abschluss haben, erst dann bin ich wer, erst dann darf ich sein. Auch diese Logik steckt uns in den Knochen, liebe Brüder, und sie kann dann dazu führen, dass unter uns Misstrauen ausbricht und Missgunst und Neid und Getratsche und eine Hermeneutik des Verdachts und ein vergiftetes Klima – und Frustration und Entmutigung bei Misserfolgen.

 Die umgekehrte Logik

Jesu Verheißung an uns dreht aber diese Logik um: Wenn wir uns von Ihm lieben lassen, im treuen, stillen Gebet, in der Feier der Messe, im regelmäßigen Empfang der Beichte, im Betrachten seines Wortes; wenn wir Ihn lieben in all diesen Vollzügen und besonders auch in den Menschen, die uns anvertraut sind, dann wächst uns aus der Tiefe eine zweite Natur zu, ein beständiges Sein mit Ihm, ein Sein bei Ihm, eine Echtheit und Demut und Kraft und Tiefe, die nicht aus uns selbst kommt. Eine Fähigkeit zum Dienst, der die Selbstüberhöhung fremd ist. Liebe Brüder, das Evangelium dieses Tages und unsere Messe, in der die heiligen Öle geweiht werden, ist uns Anlass zu Erinnerung und Dank an das, was wir sein dürfen und sind. Brüder und Diener des Herrn, gesandt Ihn darzustellen, Zeugen zu sein für seine Wahrheit und Liebe in der Welt – für mich die schönste Berufung, die ich mir vorstellen kann.

 Wir sind Schlüsselfiguren

Aber sie lädt uns auch neu ein, dafür zu sorgen, dass die Gottesabwesenheit, von der Benedikt spricht, durch uns durchbrochen und verwandelt wird – dass er durch unseren Dienst, vor allem durch unser Sein als anwesend erfahren wird. Ja, wird man fragen: Ist denn Gott nicht ohnehin anwesend? Ja, ist er. Er ist der Ich-bin-da. Immer. Das ist sein Namen. Aber er ist für uns zugleich der Gott der Liebe, des Vertrauens, der Kommunikation, der Salbung und Heilung. Und als Liebe kann er nicht zwingen, kann sich nicht einfach gewaltsam durchsetzen, um seine Anwesenheit deutlich zu machen. Er kommt auf dem Weg des Vertrauens. Und eben dort, wo einzelne oder immer mehr Menschen Ihm wirklich vertrauen, Ihn wirklich lieben, Ihn wirklich hören wollen, dort wird seine vermeintliche Abwesenheit in die Erfahrung seiner Gegenwart verwandelt. Und wir liebe Brüder, im Amt des Diakons und Priesters, wir sind die Schlüsselfiguren dafür. Uns benutzt er am ausdrücklichsten, durch uns sperrt er immer neu die Tür auf für die Wahrnehmung seiner Gegenwart. Und ganz ehrlich gesagt: Ich glaube schon, dass das in unserem schönen Bistum auch auf vielfache Weise immer wieder spürbar ist. Schon oft – auch jetzt wieder bei unseren Visitationen – erlebe ich Menschen, die sich für die Priester und Diakone bei mir bedanken. Und die darum bitten, dass sie ihnen nicht genommen werden. Sie sind dankbar, dass sie Männer Gottes bei sich haben – und mit Euch und durch Euch auch im Glauben gestärkt werden. Auch ich möchte von Herzen für Euren Dienst danken und dass Ihr Euch habt rufen lassen. Und ich danke dem Herrn, dass Er Euch gerufen hat. Amen.

 


Zum Synodalen Weg

Bischof Stefan hat sich bereits in der Vergangenheit mehrmals zum Synodalen Weg geäußert. Eine Stellungnahme zu den einzelnen Bereichen finden Sie hier.