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Die Aussicht auf Heimat in leidbringender Welt

Die Aussicht auf Heimat in leidbringender Welt: Die Predigt von Bischof Stefan Oster in Simbach bei der ökumenischen Gedenkfeier anlässlich der Flutkatastrophe 2016.

Liebe Trauernde, liebe Mitbürger, die Sie von der Flutkatastrophe betroffen sind durch leiblichen, seelischen und materiellen Schaden, liebe Helferinnen und Helfer, liebe Schwestern und Brüder alle,
Sie können es sich denken: Es fällt schwer zu reden über das, was passiert ist. Es fällt schwer, angesichts des Unbegreiflichen eben dieses Unbegreifliche dennoch in Worte zu fassen. Worte, die uns helfen sollen, doch irgendetwas zu begreifen.

Aussicht auf Heimat in Leid und Katastrophen

Ich denke an Ihren tapferen Bürgermeister Klaus Schmid, mit dem ich kürzlich telefoniert habe, der mir von dem Schweren berichtet hat hier in der Stadt und davon, dass er am Abend vor unserem Telefonat auch so niedergedrückt war, dass er sich schwer vorstellen konnte, am nächsten Tag wieder aufzustehen, hinauszugehen, die Ärmel hochzukrempeln und weiterzumachen.

Er hat es natürlich dennoch gemacht. Er ist ja ein Steher, und er hat auch betont, dass es dann schon wieder gegangen ist. Und dass es weiter geht. Aber er hat auch gesagt, er ziehe es vor, heute und hier nichts zu sagen, sondern lieber einfach nur da sein, mitzubeten, inne zu halten, mit zu trauern, für die viele Hilfe zu danken, und versuchen, den Kopf zu heben und nach vorne und nach oben zu schauen. Aber ohne viele eigene Worte.

Zerstörungskraft in einer Welt, die nicht nur heil ist

Ich kann ihn gut verstehen, und viele andere auch, die politisch Verantwortlichen, die Mandatsträger, den Bürgermeister, den Landrat natürlich, die zahllosen Haupt- und ehrenamtlichen Helfer, die unser evangelischer Mitbruder eingangs aufgezählt hat. Polizei, Feuerwehr, Katastrophenschützer, Sanitäter und viele andere.

Wir stehen fassungslos vor einem Unglück, einer Katastrophe, wie sie diese Stadt noch nie erlebt hat. Wasserfluten, die sich mit einer solchen Wucht mitten durch die Stadt gewälzt und dabei alles mitgerissen haben, was ihnen im Weg stand – und sich in alles hinein geflutet haben, was nur Wasser und Schlamm aufnehmen kann. Mit einer maßlosen und völlig willkürlichen und für sieben unser Mitbürger tödlichen Zerstörungskraft.

Leid geschieht doch nur woanders?

Liebe Schwestern und Brüder, wir alle wissen, dass diese Welt nicht im Lot ist, dass diese Welt nicht einfach heil ist. Wir alle wissen, dass es Kriege und Katastrophen gibt, und schreckliche Unglücke und Leid und Tod.  Aber die meisten von uns, mich eingeschlossen, hatten bisher immer geglaubt, dass all das im größeren Stil eher woanders geschieht. Und vielleicht hatten wir sogar gedacht, dass bei uns schon noch alles ein wenig heiler ist. Und dann trifft es plötzlich auch viele hier bei uns, brutal und ohne Ankündigung.

Liebe Schwestern und Brüder, der christliche Glaube sagt uns eben dies: Unsere Welt ist zwar gut und großartig erschaffen, aber sie ist zugleich auch quasi kontaminiert von Unheil und Unordnung, oft ausgeliefert einer entfesselten Menschheit oder eben auch einer entfesselten Natur. Und wir alle gehen ja in unserem Leben durch kleinere oder größere Notsituationen. Wir alle auch gehen dem Tod entgegen. Und die Angst in uns empfindet selbstverständlich auch den Tod als Katastrophe, als Sturz ins Nichts.

Gott kommt anders in die Welt, als wir erwarten

Und wir fragen uns angesichts dessen: Was tut Gott, liebe Schwestern und Brüder, wie kommt er in eine Welt hinein, der er nun mal die echte Möglichkeit geschenkt hat, selbstwirksam zu sein, selbst Ursache sein zu können. Er hat eine Welt erschaffen, in der es Selbständigkeit gibt, bis dahin, dass es durch uns Menschen auch echte Freiheit gibt, Unabhängigkeit von Seiner Macht, die alles ordnet und gut macht.

Eine Welt, in der es eben wegen dieser Unabhängigkeit auch Chaos, Unordnung und Unglück geben kann. Was macht er, was macht Gott? Die Christen sagen, er kommt auf eine unglaubliche, ungeahnte Weise. Sein Kommen ist Liebe, sein Kommen ist Hingabe. In Jesu Kommen will Gott nicht zuerst die äußeren Katastrophen erreichen, die passieren und weiterhin passieren werden.

Jesus nahm sein Kreuz auf sich

Jesus kommt anders, er nimmt selbst die Katastrophe des Kreuzes auf sich – und macht mit seiner Auferstehung deutlich: „Wenn Ihr euch daran festmacht innerlich, wenn Ihr auf das Kreuz schaut, wenn Ihr Euch, sagt Jesus, von meinem am Kreuz durchbohrten Herz berühren lasst, wenn Ihr auf mich den Gekreuzigten vertraut, dann wird das Leid nie mehr das letzte Wort haben, dann wird der Tod nie mehr das Schrecklichste sein, was Euch passieren kann.

Dann wird der Verlust von Häusern, Gütern, Menschen nie mehr einfach nur das Ende sein.“ Jesus sagt: „Ich und mein Kreuz öffnen Euch den Weg dorthin, wo ihr eigentlich zu Hause seid, ins Haus des Vaters, schon jetzt – und sogar unabhängig davon, was um euch herum gerade passiert.“

Herzensöffnung statt Herzensverschluss

Meine Lieben, Öffnung ist ein ganz entscheidendes Stichwort, und ich möchte auch für uns alle das Wort Herzensöffnung ins Spiel bringen, in einer Zeit, wo wir besonders gefährdet sind, unter Herzensverschluss zu leiden. Ist es nicht mitten in all dem Schrecklichen ein echtes, ein großartiges Hoffnungszeichen, dass so viele Menschen von außen kommen, sich ein Herz fassen, um zu helfen?

Um Schaufeln und Kübel und Handschuhe und Werkzeug mitzubringen, um Schlamm wegzuschippen, um anzupacken, um abzusichern, um Müll wegzuschaffen und aufzuräumen. Oder um einfach da zu sein und zuzuhöhren, wie unsere Seelsorger, unsere vielen Notfallseelsorger und -seelsorgerinnen und andere mit ihnen?

Aussicht auf Heimat: Hilfe und Hoffnung

Ist es nicht auch ergreifend zu sehen, wie in alledem, so viele Herzen aufgehen, wie sie sich einander helfend, tröstend zuwenden? Oder auch durch viele, viele Spenden helfen? Und wäre es von hier nicht auch möglich oder sogar nötig, dass wir uns alle neu dem Gekreuzigten von Herzen zuwenden? Dem, der unsere Not kennt, weil er sie selbst für uns getragen hat?

Dem, der uns wirklich Hoffnung geben kann, mitten in dieser geschlagenen Welt – über diese Welt hinaus? Liebe Schwestern, liebe Brüder, haben Sie nicht alle auch schon gläubige Menschen kennen gelernt, die gerade in Zeiten der Not besonders stark waren für sich und andere? Und zwar deshalb, weil sie innerlich auch woanders zuhause waren als nur in dieser Welt – nämlich bei ihm?

Gott sehnt sich nach unserem Gebet

Es ist wahr: Gott braucht unser Gebet nicht, aber Gott sehnt sich nach unserem Gebet, unserer Hinwendung zu ihm, damit er unsere Herzen immer neu erreichen, damit er sie mit seinem vereinen kann, damit im Tiefsten unsrer Seele die Hoffnung aufkeimt, dass wir nicht alleine sind. Ist es nicht Zeit, meine Lieben, ist es nicht Zeit, dass unsere Gebete vereint und voller Ernsthaftigkeit werden?

Nun, ist es nicht Zeit, dass wir Christus wirklich anflehen und unser ganzes Herz da hinein legen? Ist es nicht Zeit, uns wieder neu Gott zuzuwenden? Ich sage das auch zeugnishaft für mein eigenes Leben, liebe Schwestern und Brüder, und für das vieler anderer, die wir kennen. Wenn wir zurück denken an eigene Lebenswege, dann ahnen wir: Wirklich gewachsen als Mensch, wirklich reifer geworden, sind wir im Grunde viel eher in Zeiten, in denen es schwer war, in denen wir zu kämpfen hatten.

Aussicht auf Heimat: Gott ist da

Aber eben in diesen Zeiten konnten wir lernen neu zu vertrauen, dass Gott da ist – und zwar trotz allem und zuerst in uns. Wir durften lernen, uns zu überlassen, wir durften allmählich lernen, uns getragen zu fühlen. Liebe Schwestern, liebe Brüder. Ich bin auch schon Menschen begegnet, die inmitten von Unheil erleben durften, dass sie wieder Zugang gefunden haben zur Quelle des Lebens, zu Christus.

Und die erleben durften, dass sie mitten im Unheil tatsächlich im Frieden waren bei ihm. Und wenn es so etwas tatsächlich gibt, wovon ich überzeugt bin, dann würde es bedeuten: Mit die wichtigste Erfahrung im Leben wurde diesen Menschen gerade in der Zeit geschenkt, in der die äußeren Bedingungen katastrophal waren.

Ein Vorschlag und viel Hoffnung und Dank

Liebe Schwestern und Brüder, ich will Ihnen das Folgende keinesfalls aufdrängen, eher dazu einladen oder es vorschlagen: Vielleicht finden sich einige von Ihnen, die ein Herz dafür haben, zum Beispiel ein Gebetsversprechen zu geben für sich und Ihren Ort, oder eine Wallfahrt oder ein Fasten zu initiieren, oder etwas anderes zu beginnen, das immer wieder neu deutlich machen kann.

„Gott wir wollen Dich nicht vergessen, wir wollen mit Dir verbunden bleiben. Wir glauben, dass Du das Leben bist. Schenk uns deshalb die Zuversicht, dass wir bei Dir schon daheim sind, egal, was im Leben kommt.“ Ich bin sicher, wenn so etwas aus dem Herzen kommt, liegt Segen darüber für Sie und andere.

Wir haben eine Aussicht auf Heimat

Liebe Schwestern, liebe Brüder, wir haben eine Hoffnung. Für Sie alle, für Simbach, für unsere anderen betroffenen Ortschaften. Wir haben die Hoffnung, dass aus der Herzenskraft von Ihnen allen hier wieder neu eine blühende Stadt ersteht, dass unsere überschwemmten Ortschaften wieder im neuen Glanz erstrahlen werden. Wir haben auch das Vertrauen, dass es Viele gibt, die gerade in solchen Zeiten, die Zeuginnen und Zeugen neuer Hoffnung sind und werden; Menschen, die in ihrem Herzen vom Gekreuzigten und Auferstandenen berührt worden sind.

Auch wollen wir in uns den Dank wachsen lassen dafür, dass wir Glauben dafür haben, dass uns Gott nicht alleine lässt, nie. Und zwar trotz allem. Wir sind voller Dankbarkeit für alle, die helfen – oft bis zur Erschöpfung. Wir sind voll Dank für alle, die heute hier sind, als Zeichen ihrer Solidarität und Gemeinschaft. Und wir wollen weiterhin füreinander eintreten, in fortgesetzter Hilfe, aber auch im Gebet und im Flehen zu Gott, auch für unsere Toten und alle Trauernden.

Und ich bin voller Zuversicht, dass sich dann nach und nach zeigen kann, was da an Neuem erwächst, äußerlich sichtbar in unserem Ort und seinen Straßen und Häusern. Aber auch in uns an neuem Gottvertrauen und neuer Zuversicht. Und auch dafür sind wir heute hier, um das gemeinsam zu erbitten. Amen.