Fasten, auch im Verborgenen: Über die Spannung zwischen Außenwirkung und innerem Antrieb. Die Ansprache von Bischof Stefan Oster zum Aschermittwoch der Künstler auf Spectrum Kirche 2015.
Liebe Künstlerinnen und Künstler, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
das Evangelium, das wir eben gehört haben, stellt uns drei klassische, fromme Vollzüge vor Augen. Zur Trias eines Lebens mit Gott gehören seit alters her das Fasten, das Beten, das Geben von Almosen. Aber wir alle wissen, dass fromme Vollzüge nicht schon Ausdruck von echter Frömmigkeit sind. Die Gesprächspartner Jesu, aber auch die Adressaten seiner Kritik, sind ja gerade die scheinbar besonders Frommen seiner Zeit, die Pharisäer. Sie sind die wirklichen Kenner des alttestamentlichen Gesetzes und sie drängen auf buchstäbliche Einhaltung desselben. Diese breite Tradition ließ sie für uns sprichwörtlich werden: pharisäisch ist zu einem Synonym geworden für Begriffe wie verräterisch, heuchlerisch, scheinheilig.
Auch die Pharisäer fasten, beten, geben Almosen. Aber offenbar tun sie es nicht zuerst vor Gott und für Gott, sondern zu Zwecken des eigenen Renommees. Jesus nimmt sich nun diese Vollzüge vor und führt sie radikal in ihre eigentliche Mitte: Warum fastet, warum betet Ihr? Warum gebt Ihr Almosen? Weil Ihr Eure eigene religiöse Leistung abrufen und vor den Menschen präsentieren wollt? Um Euch von außen bestätigt zu sehen und vielleicht sogar um Euch dadurch selbst zu vergewissern, wie fromm Ihr seid? Oder weil es Euch um den geht, der der eigentliche Grund für diese Vollzüge ist, weil es Euch um den Vater geht, der das Verborgene sieht?
Er sieht dein Fasten
Im Grunde, liebe Schwestern und Brüder, zielt diese Anfrage in die Mitte dessen, was wir Glauben nennen. Das Evangelium ist für uns aufgeschrieben und nicht zuerst für die Adressaten Jesu, die haben ihn ja live gehört. Es ist für den Pharisäer in mir aufgeschrieben und stellt mir die Frage: Ist mein Leben und Handeln, besonders mein religiöses Leben getragen vom Vertrauen in die Gegenwart dessen, den Jesus den Vater nennt? Und von dem er uns immer wieder sagt: „Er sieht das Verborgene, er sieht dein Beten, dein Fasten, dein Almosen geben…. Ja, er sieht dein Herz, er sieht, um was oder wen es Dir eigentlich geht.“
Und wie ist das nun, fragen wir uns weiter, wenn es um die Darstellung des Religiösen geht? Wie geht es zum Beispiel Bischöfen, Priestern, Diakonen als berufliche Darsteller des Religiösen? Wir sind ja dazu beauftragt: Wir stellen in unserer Liturgie etwas dar, wir bringen in liturgischen Vollzügen religiöse Bedeutsamkeit zur Darstellung, mehr noch, wir glauben, wir bringen Gott selbst zur Darstellung. Aber wir stellen als Protagonisten dieser Vollzüge selbst etwas dar. Wir bringen durch uns und unser Handeln etwas oder jemanden zur Erscheinung.
Der Pharisäer will gesehen und gelobt werden
Wie tut es der Pharisäer in uns? Er will von den Leuten gesehen und gelobt werden, der innere Grund seines Handelns ist das Ankommen bei den Menschen. Und wer von uns, liebe Schwestern und Brüder, wäre von diesem Wunsch oder auch dieser Versuchung frei? Wer von uns fragt sich nicht auch nach dem Sinn seines Tuns, und wenn dieser Grund dann nicht so leicht von innen erfahrbar wird, dann suchen wir die Bestätigung von außen. Der Pharisäer in uns neigt dazu, sich durch das äußere Ankommen bei den Menschen Gewissheit darüber zu verschaffen, dass da im Inneren doch etwas da sein muss: „Ich bin doch religiös und die anderen sehen es und bestätigen es mir!“
Liebe Schwestern und Brüder, wenn die Rede Jesu über das Beten, Fasten, Almosen geben auch Auskunft gibt über die Qualität unseres religiösen Lebens, dann ist es die Frage an uns: Ist unser Gebet wirklich so, dass es aus dem Vertrauen lebt, dass der Vater das Verborgene sieht? Ist es so, dass wir betend auch alleine vor ihn hintreten wollen und können? Immer wieder, weil wir vertrauen, dass es im Tiefsten um mein Verhältnis zu Ihm geht, um meine persönliche, vertrauensvolle innere Nähe zu Ihm? Wie sehr halten wir es aus, alleine zu beten? Wie sehr zieht es uns dahin, wie sehr zieht es uns in die Kammer hinter die geschlossene Tür, von der Jesus spricht, weil es in mir eine Dimension gibt, in der ich mit meinem Schöpfer ganz alleine bin und aus dieser Dimension leben lerne?
Fasten aus Liebe zu Gott
Oder wenn wir über das Fasten sprechen: Gibt es in unserem Leben noch ein Fasten, schlicht um Gottes willen und eben nicht zuerst um meines Gewichtes oder meiner Gesundheit willen? Gibt es ein Fasten, weil wir ahnen, dass der nur natürliche Mensch in uns allzu sehr dazu neigt, an handfesten, elementaren Sicherheiten festzuhalten; und weil wir wissen, dass wir genau hier ansetzen müssten, um innerlich freier und tiefer zu werden, innerlich ausgeräumter, um für den Herrn und Seine Gegenwart sensibel zu werden. Um es schlicht zu sagen: auch ein richtig voller Bauch tut sich schwer mit dem Beten…. aber eine leibliche Verfassung, die sich in ihrer ganzen Bedürftigkeit erfährt, ahnt dagegen tiefer, wie sehr sie auch als geistiges Wesen darauf angewiesen ist, von Gott gehalten und erfüllt zu werden!
Oder im Blick auf das Almosen geben: „Tu Gutes und rede darüber?“, sagen wir in der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit. Das kann tatsächlich ein legitimer Weg sein, um auf die Not anderer aufmerksam zu machen oder darauf, was die Kirche insgesamt für die Menschen tut. Aber im Blick auf das, was der Herr über das Almosen geben sagt, ist so ein Satz geistlich gesprochen, zutiefst gefährlich: „Der Bischof , der Pfarrer hilft den Armen, toll! Steht doch in der Zeitung“, sagen die Menschen.
Aber, fragt Jesus, „tut der Bischof oder der Pfarrer das, um in der Zeitung zu stehen, oder tut er es, weil der andere ein Geschöpf Gottes ist, das ebenso arm und bedürftig vor ihm ist, wie der Bischof und der Pfarrer selbst?“ Wenn am Ende der erste Beweggrund unseres Helfens vor allem der ist, damit die Öffentlichkeit sieht und gut spricht über uns, dann ist es pharisäisch. Wir sehen, Schwestern und Brüder, das Evangelium ist für uns aufgeschrieben.
Zwischen sichtbar und unsichtbar
Liebe Künstlerinnen und Künstler, Sie alle sind auch Darsteller in der inneren Bewegung zwischen sichtbarer Erscheinung Ihrer Kunst einerseits und der Wirklichkeit, die Sie damit zum Ausdruck bringen wollen. Kunstwerke sind Verweise, sie legen Spuren, sie können Öffnungen sein, Tore zum Hindurchgehen. Kunstwerke sagen immer mehr als die Oberfläche der kunstvollen Erscheinung. Können Kunstwerke pharisäisch sein?
Ich mag diese Frage nicht entscheiden, sie ist zu schwierig und komplex. Aber wenn wir den Blick vom Kunstwerk hin zum Künstler lenken, dann kennen vermutlich Sie als Kunstschaffende alle die Frage: Für wen mache ich das eigentlich? Tu ich es einfach um dem, was in mir ist, äußere Erscheinung zu geben? Um meinem Drang nach schöpferischer Gestaltung Ausdruck zu verleihen? Oder mache ich es zuerst, um von allen gesehen und gelobt zu werden? Vermischen sich die Motive? Oder bin ich auch beseelt von einer inneren Erfahrung von Sinn oder Wahrheit oder Schönheit, auf die ich hinzeigen, der ich dienen will, der ich gehorchen will, der ich mit meiner künstlerischen Fertigkeit so vollendet wie möglich Raum geben will, sich selbst zu zeigen?
Bin ich als Künstler auch und vor allem ein Diener oder nur ein Macher, ein Hersteller? Bin ich selbst aus auf Originalität oder ist das, was ich zeige unabhängig von mir schon ursprünglich, also in sich originell? Verkaufe ich mich an die Auftraggeber und den Zeitgeist, oder unterstützen mich der Sicherheit gebende finanzielle Auftrag und die Stimmung der Zeit darin, mich noch besser einzulassen, auf das, was durch mich heute zur Erscheinung kommen will.
„Der Vater sieht das Verborgene“
Liebe Künstlerinnen und Künstler, Sie spüren an solchen Fragen vermutlich, dass es für uns eine ähnliche Spannung gibt: Im Geistlichen gibt es die Spannung zwischen dem religiösen Darsteller, der der Erscheinung des Heiligen dient, und dem pharisäischen Selbstdarsteller. Und im Bereich der Kunst gibt es eine ähnliche Spannung zwischen dem, der der Wirklichkeit dient, die er zeigen will und dem, der durch das Gezeigte vor allem selbst gesehen werden will.
Ich gehe nun einfach einmal davon aus, dass wir beide, Künstler und Geistliche, jeweils auf unsere eigene Art der Darstellung und Erscheinung eines Geheimnisses dienen wollen, das uns selbst übersteigt. Und wenn es so ist, dann sind wir alle in der Gefahr des Pharisäismus, denke ich. Die Rettung daraus kommt nicht aus eigener Kraft, sie kommt aus dem Vertrauen, dass die Welt nicht von uns gemacht und gehalten wird, sondern vom Vater, der – wie Jesus sagt – auch das Verborgene sieht. Wenn wir in ihm innerlich stehen können, dann werden wir mehr und mehr in die Lage versetzt, das zu tun, was Paulus den Korinthern als Motiv ihres Handelns nahe legt: „Ob ihr also esst oder trinkt oder irgend etwas anderes tut: Tut alles zur Verherrlichung Gottes!“
Kunstwerke des Vaters
Der Aschermittwoch ist der Tag, an dem wir eingeladen werden, uns neu zu besinnen, warum wir etwas tun und was uns innerlich zu diesem Handeln antreibt. Ich danke von Herzen allen Künstlerinnen und Künstlern, die mit dem, was Sie können und schaffen, Menschen berühren und sensibilisieren. Sie helfen mit, die Wahrnehmung wachzuhalten und zu schärfen dafür, dass es mehr gibt als die nur sichtbare Wirklichkeit. Ich wünsche Ihnen als Künstler und uns Religiösen sehr, dass wir dabei immer mehr Diener und immer weniger Selbstdarsteller werden, Diener des großen Geheimnisses nämlich, von dem alles Schöne und Wahre und Gute kommt.
Dieses Geheimnis nennen alle Gott, aber Jesus hat es uns von neuem als den liebenden Vater erschlossen. Dieser will mit jedem von uns in lebendiger Beziehung leben und uns dadurch formen. Gott, der Vater, ist nämlich selbst der große, der großartige Künstler. Im Grunde sind wir selbst als Kinder Gottes jeweils einzigartige, unvertauschbare, unersetzbare Wesen, einzigartige Freiheiten, Kunstwerke des Vaters selbst. Die Schrift sagt uns, dass Gott selbst Sehnsucht danach hat, dass an unserem eigenen Leben, Sprechen und Handeln sichtbar wird, wer unser Künstler, wer der Schöpfer unseres Lebens ist. Und dass das uns allen durch unser Leben und Wirken immer mehr geschenkt werden möge, dazu erbitte ich für Sie alle und für Ihre Kunst den Segen des Vaters. Amen.
Weiterlesen? Die Fastenpredigt von Bischof Stefan Oster zum Aschermittwoch 2015 finden Sie hier.