Bild: M. Schropp

Zeit der Buße: Aschermittwoch im Passauer Dom

Was ist Buße? Und was können wir in der Fastenzeit tun, über das Fasten hinaus? Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Aschermittwoch 2015 im Passauer Stephansdom.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
die vor uns liegende Zeit heißt österliche Bußzeit oder auch Fastenzeit. Mit dem Wort Buße können wir kaum noch etwas anfangen, denn in der Umgangssprache ist Buße mit dem Wort Strafe verbunden oder es klingt wie eine Drohung: Jemand bekommt eine Geldbuße, er wird für etwas bestraft; oder jemand sagt zu einem ein andere sagt: „das wirst Du mir büßen“ und setzt ihn damit unter Druck.

Im religiösen Sprachgebrauch heißt Buße aber vor allem Umkehr, neue Hinwendung zu Gott, die im gelingenden Fall auch mit einer Veränderung des Lebens einher geht. Und wenn jemand zum Beispiel nach der Beichte eine Buße aufbekommt, dann ist das auch nicht zuerst eine Strafe, sondern Ausdruck des Bewusstseins: „Ich bin mit Gott versöhnt. Ich will mit ihm auch versöhnt leben und ich möchte mit meiner Buße dazu beitragen, dass die Welt wieder ein wenig besser wird; nachdem ich sie zuvor durch meine Sünde verletzt habe.“ Wir sehen: Buße hat mit meinem Bemühen zu tun, dass Gott in meinem Leben von neuem den Platz bekommt, der ihm gebührt; den Platz, der ihm zukommt, der Platz, den er zwar eh schon innehat als absoluter Herr der Welt, aber eben nicht in meinem Herzen.

Buße ist nicht zuerst eine Strafe

Liebe Schwestern und Brüder, aus geistlicher Sicht ist das Menschenherz, Ihres und meines, der am meisten umkämpfte Ort der Welt. Und immer geht es um Liebe. Kein Mensch kann ohne Liebe leben und ohne Geliebt-werden. Aber gleichzeitig wissen, wir, dass aus Liebe oder vermeintlicher Liebe auch die größten Dramen und Verbrechen passieren, dass wir Eifersucht erleben, Verletzungen, zerbrochene Beziehungen, Unglück aus verschmähter Liebe. Liebe ist der Antrieb unseres Lebens aber wir alle spüren vermutlich, dass es reife Liebe gibt und weniger reife.

Und eine weniger reife Liebe neigt immer stärker dazu, sich das oder den Geliebten gleichsam einzuverleiben und an sich zu binden. Wir neigen dazu, etwas oder jemanden deshalb zu lieben, damit ich es habe, damit ich es festhalten kann, damit ich mich sicher fühlen kann. Unreife Liebe ist tendenziell und hintergründig immer ichhaft und besitzergreifend. Und sie macht dann das Geliebte, das sie hat, zum Zentrum ihres Lebens. Sie setzt das Geliebte auf ein inneres Podest um es zu besitzen und anzubeten.

Das innere Podest

Und dieses innere Podest kann so vielfältig sein: dem einen ist es der Genuss von Essen und Trinken, dem anderen das Auto, das Haus oder das eigene Geld, dem Dritten der eigene Sport oder die geliebte Fußballmannschaft, dem wieder Anderen ist es das geliebte Haustier, noch Anderen ist es die eigene Gesundheit, um die sich alles dreht oder die eigene Schönheit. Und bei Vielen ist es sogar etwas Negatives, ein Problem, eine Verletzung oder Verbitterung, die so sehr Teil meines Lebens geworden ist, dass ich sie nicht mehr loslassen mag.

Weil sie mir eben ein scheinbares Recht gibt, auf den anderen böse zu sein. Ja, liebe Schwestern und Brüder, auch ein Problem, eine Verletzung oder ein Verlust kann den zentralen Platz in meinem Herzen einnehmen. Und schließlich kann natürlich auch der geliebte Mensch diesen Platz besetzt halten. Verstehen Sie mich nicht falsch, Schwestern und Brüder, die Liebe zu einem Menschen ist natürlich nicht einfach verkehrt, aber wie eben gesagt, gibt es reife und unreife Liebe, es gibt eine Liebe die freigibt und eine, die klammert und festhält. Die Reifung unserer Liebe ist die Lebensaufgabe von uns allen.

Das Herz: Der am meisten umkämpfte Ort der Welt

Und wenn ich sagte, dass das Menschenherz der am meisten umkämpfte Ort der Welt ist, dann genau wegen dieser Frage: Was nimmt nun in Ihrem Herzen den zentralen Platz ein? Was ist Ihnen das Wichtigste in Ihrem Leben. Wenn in der Antwort auf diese Frage nun ein Mensch sitzt, den Sie gerne festhalten für sich, oder eben ein Gegenstand oder eine Leidenschaft für ein Thema, oder gar ein Problem, dann Schwestern und Brüder, dann reservieren wir in unserem Herzen den Platz, der eigentlich nur Gott gebührt, für etwas anderes, für etwas weniger Angemessenes als Ihn.

Aber dagegen sagt uns unsere ganze Tradition, unser Glaube und vor allem Jesus selbst: „Das wichtigste Gebot ist: Du sollst den Herrn Deinen Gott lieben, mit ganzem Herzen, mit ganzer Kraft und mit all Deinen Gedanken.“ Zu dieser Liebe ist das Menschenherz ursprünglich gebaut und dafür, dass es Gott liebt, ist es von ihm selbst geschaffen worden. Und Gott zu lieben, bedeutet nun nicht, dass ich die anderen Dinge und Menschen nicht mehr lieben kann oder darf.

Keine Konkurrenz

Es gibt keine Konkurrenz zwischen Gott und den Geschöpfen. Es ist eher  so, dass ich dann, wenn Gott in meinem Herzen wirklich den wichtigsten Raum einnimmt und immer mehr einnehmen darf, dass ich dann die anderen Geschöpfe oder Dinge anders, ehrlicher, tiefer, wahrhaftiger und weniger besitzergreifend lieben kann, als wenn dieser Platz von etwas oder jemand anderen besetzt ist.

Und genau genommen ist es eine Art von Götzendienst, wenn ich den Platz, der Gott in meinem Inneren gebührt, von etwas anderem besetzen und besitzen lasse. Denn es gehört zur Logik unreifer Liebe, dass ich von dem, was ich unbedingt besitzen will, am Ende selbst besessen bin. Unreife Liebe versklavt letztlich, sie macht mich zu einem Abhängigen. Aber Liebe, die Jesus kennt und von Ihm her gespeist ist, macht frei und kann ihrerseits frei lassen.

Fasten, Beten, Almosen geben

Was ist also der Sinn dessen, was Jesus uns heute in der Bergpredigt über Fasten, Beten und Almosen geben sagt? Zunächst sagt er gleichsam: Ja, das sind alles wichtige Dinge, die zu unserem religiösen Leben gehören. Aber er sagt auch: Es ist nicht so, dass schon alles, was nach Fasten, Beten und Almosen-geben aussieht, auch schon wirklich ein wahrhaftiger Ausdruck unseres Glaubens ist. Er kann pharisäisch sein, wenn wir vor allem deshalb fasten, beten oder Almosen geben weil es wieder nur um uns und unser Ansehen geht: Wir gehen zum Gottesdienst, weil es sich so gehört, wir fasten, weil es gesund ist und weil wir abnehmen wollen, wir spenden Geld, damit wir morgen in der Zeitung stehen oder damit wir unser schlechtes Gewissen beruhigen.

Liebe Schwestern und Brüder, Jesus sagt aber, wir sollen fasten, beten und Almosen geben, einfach weil wir Gott lieben, weil wir vertrauen, dass er da ist und weil wir ahnen, dass wir darin seinen Willen tun. Und zwar auch und besonders dann, wenn es gar niemand sieht. „Der Vater im Verborgenen sieht es,“ sagt Jesus. Er soll der Grund sein für unsere religiösen Handlungen, alles andere neigt dazu pharisäisch und damit fruchtlos zu sein. Alles andere neigt dazu, wie wir selbst in Staub und Asche zu zerfallen. Die Fastenzeit ist also auch Einübung in das Bekenntnis: Ja, Herr, ohne Dich bin ich Staub und Asche, und die Dinge, die ich anzubeten neige, die sind es ebenfalls.

Warum Buße tun?

Aber warum denn nun eigentlich fasten? Warum heißt diese Bußzeit auch Fastenzeit? Liebe Schwestern und Brüder, glauben Sie, dass es in Ihrem Herzen das übernatürliche Leben gibt, das Leben, das über die bloß natürlichen Bedürfnisse hinaus geht? Glauben Sie, dass der heilige Geist in Ihnen lebt und immer mehr wirken will? Dass er ihnen die Liebe zu Jesus und zum Vater immer tiefer ins Herz pflanzen will? Wenn wir das glauben und auch glauben wollen, dann ist das Fasten eine Einübung ins Loslassen, ins leerer Werden. Es ist eine Einübung in den bewussten Verzicht auf das Elementare, Materielle, das uns am Leben erhält, nicht einfach um des Verzichtens willen.

Sondern, damit wir freier werden und sensibler für die Gegenwart dessen in uns, der das bloß Materielle übersteigt. Gott will uns immer neu mit seinem Geist und seiner Freude erfüllen, aber wenn wir von uns her ständig damit beschäftigt sind, anderes für wichtiger zu erklären und als wichtiger zu behandeln als ihn, dann kann er nicht in uns wirken. Denn seine Liebesbewegungen in uns sind werbend. Sie sind zärtlich, sie wecken Sehnsucht, aber sie sind nie zwingend.

Sie wecken Vertrauen, schenken Freude – und plötzlich ist der Glaube da, plötzlich wird er fester und wir wissen nicht wie. Der Geist wirkt wie er will und wo er will, aber an uns ist es, ihm zu öffnen, an uns ist es, mit ihm zusammen den inneren Raum frei räumen zu lassen, in dem er wirken kann, die Dinge loszulassen, die wir dort allzu sehr festhalten. An uns ist es, umzukehren und zu bekennen, wo wir etwas zum Götzen in uns haben werden lassen oder wo wir Gott vergessen haben.

Sich intensiver Gott zuwenden

Positiv gesprochen, Schwestern und Brüder, ist die Fastenzeit die Einladung der Kirche, sich neu und intensiver dem zuzuwenden, der der Grund unseres Lebens ist, der allen Lobes würdig ist und der gekommen ist, uns alle immer neu zurückzuholen in die lebendige, intensive Beziehung zu Ihm. Weil wir nur dort, nur in dieser Beziehung, wirkliche Freiheit finden, weil wir nur in Ihm wirklich lieben lernen, Ihn und seine Geschöpfe und weil wir nur als Menschen, die Ihn kennen und lieben, seine Größe ehrlichen Herzens preisen können.

Ich möchte Sie also alle herzlich einladen, erneuern Sie in den kommenden vierzig Tagen wieder einmal Ihre religiöse Praxis. Schenken Sie dem Herrn Zeit im privaten Gebet, das Sie neu pflegen, nur Sie und Er in Ihrer Kammer, wie Jesus sagt. Verzichten Sie zu Zeiten auch bewusst auf Nahrung – einfach um Seinetwillen, weil Sie Ihn lieben und Sehnsucht haben, dass Er Sie erfüllt. Und tun Sie Gutes auch dort, wo es vielleicht niemand sieht. Das ist der Weg der Umkehr, den Jesus uns vorschlägt für diese Zeit, auf dass sie eine Zeit der Gnade für uns werde. Amen.


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