Foto: Birmingham Museums Trust

Wallfahrt: Das Ziel ist schon gegenwärtig

Die Wallfahrt zeigt: Wir sind auf dem Weg des Lebens – und Gott ist schon mitten unter uns. Die Predigt von Bischof Stefan Oster am Festtag der Heiligen Anna zur Wallfahrt auf den Kreuzberg bei Freyung am 26. Juli 2014.

Liebe Wallfahrer, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
warum gehen wir auf Wallfahrten und was ist das Geheimnis unseres christlichen Wallfahrens? Die Tradition der Wallfahrt ist bereits tief in der biblischen Geschichte verankert. Immer schon sind die Israeliten zu ihren bedeutenden Heiligtümern gepilgert.

Ganz besonders natürlich, nachdem in Jerusalem der Tempel erbaut war, ist das Volk dreimal im Jahr zu den großen jüdischen Festen dorthin gepilgert, nach Jerusalem, zum Tempel auf den Zions-Berg. Dorthin, wo Gott Wohnung genommen hat. Und im Jesaja-Buch lesen wir die große endzeitliche Vision: Die Völker wallfahren zum Zion. Sie realisieren: Hier ist der Ort, von dem der Segen ausgeht und der Frieden für die Menschheit.

Wallfahrt hin zu Jesus

Im Neuen Testament verwandelt sich diese Tradition. Jesus selbst geht zwar immer noch wallfahren nach Jerusalem. Und besonders eindringlich wird uns geschildert, wie er als Zwölfjähriger dann nicht gleich mit den Pilgern und seinen Eltern wieder nach Hause zieht, sondern wie sie ihn nach tagelanger Suche im Tempel wiederfinden, wo er mit den Schriftgelehrten diskutiert. Nach dem Vorwurf seiner Eltern sagt er nur: Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört.

Aber im Neuen Testament und danach beginnt schon so etwas wie eine Wallfahrt hin zu Jesus, oder zu besonderen Jesus-Orten. Die Weisen aus dem Morgenland gehen auf große Wallfahrt und suchen das kleine Kind und seine Mutter in Betlehem auf. Und seit Jesus gestorben und auferstanden ist, liebe Schwestern und Brüder, seitdem gibt es im Grund immer nur Jesus-Wallfahrten.

Jesus ist Gott unter den Menschen

Wir machen uns auf den Weg und suchen den, der schon zu uns gekommen ist. Und wenn wir dann zu Orten gehen wie den Kreuzberg, hierher, wo die Hl. Anna verehrt wird, dann suchen wir mit der Heiligen Anna zugleich ebenfalls das Geheimnis Jesu. Denn er ist das Geheimnis Gottes unter den Menschen.

Anna ist die Großmutter Jesu und die Mutter Mariens. Das heißt: durch Menschen wie Anna und Maria wird uns deutlich, dass Jesus der Gott unter den Menschen ist, dass er auch den allermenschlichsten Weg zu uns gewählt hat: Er ist durch eine Familie zu uns gekommen. Er hat Großeltern und in Maria eine konkrete Mutter aus Fleisch und Blut, die ihm, dem Gottmenschen auch sein eigenes Fleisch und Blut geschenkt hat.

Der Menschensohn

Ein Ehrentitel, den Jesus im Neuen Testament bekommen hat, und den er auch für sich selbst immer wieder in Anspruch nimmt, heißt: der Menschensohn. Er ist nicht nur der Sohn des Vaters, er ist auch der Sohn und der Enkelsohn von Menschen, von der Heiligen Anna und von Maria. Bei ihnen, bei den Heiligen, dort hat er gewohnt und dort wohnt er auch heute noch in besonderer Weise.

Denn wenn wir nun zu Orten wie hier auf den Kreuzberg wallfahren, wo wir besondere Heilige verehren, dann tun wir das, weil wir diese Menschen auch in allernächster Nähe zu Jesus wissen. Unsere Heiligen, allen voran die Mutter Gottes, unsere Heiligen sind Fürsprecher für uns. Wir wissen ja manchmal selber nicht, sagt uns der Apostel Paulus, worum wir in der rechten Weise beten sollen.

Jesus tritt betend für uns ein

Aber das Wunderbare ist: Jesus tritt betend beim Vater für uns ein und sein Geist betet sogar in uns und tritt für uns ein. Und wir glauben, dass die heiligen Männer und Frauen, wie die Hl. Anna, so sehr vom Geheimnis Gottes erfüllt waren, dass auch sie wissen, was uns Not tut. Daher treten auch sie für uns ein.

Und das spüren die Menschen hier oben seit langem: Die Anna-Wallfahrt auf den Kreuzberg hat eine große Tradition, vom ausgehenden Mittelalter an. Hier war bis ins 17. Jahrhundert hinein der große Wallfahrts-Mittelpunkt unseres Bistums – bis dann die Maria-Hilf-Wallfahrt in Passau an Bedeutung zunahm und der Kreuzberg ein wenig an Bedeutung abnahm, wenngleich immer noch viele, viele kommen.

Warum die Wallfahrt?

Aber noch einmal die Frage: Warum wallfahren wir? Ich denke, eines der wichtigsten Bilder, mit denen wir unser eigenes Leben beschreiben, ist das Bild des Weges. Wir sagen, dass jeder seinen Lebensweg gehen muss. Und wir sagen, dass der Weg unvorhersehbar ist.

Wir sprechen davon, dass Gottes Wege andere sind, als die des Menschen und wenn jemand zum Beispiel umzieht oder den Arbeitsplatz wechselt oder eine wichtige Lebensentscheidung fällt, dann sagen wir, dass er ein neues Stück des Lebensweges unter die Füße nimmt. Jeder Mensch also, geht seinen Lebensweg.

Gott entgegen gehen

Und auf der Wallfahrt verdeutlichen wir noch einmal einen ganz besonderen Aspekt dieses Weges, einen, den wir auf unseren alltäglichen kleinen Wegstrecken zu vergessen drohen. Wir machen uns auf der Wallfahrt neu bewusst, dass wir auf unserem Lebensweg Gott entgegen gehen.

Die Wallfahrt ist also ein tiefes Gleichnis für unser Leben, nur dass hier Wesentliches zum Vorschein kommt und Unwesentliches in den Hintergrund tritt. Alles das, was uns täglich beschäftigt, das lassen wir bleiben, oder wir nehmen es innerlich auf den Weg mit und geben es an Gott ab im Gebet. Wir vertrauen Ihm unsere Sorgen an, wir loben und preisen Ihn im Gebet, wir leben und gehen unser Leben vor Ihm und mit Ihm.

Unter seinem liebenden Blick

Bei der Wallfahrt passiert also etwas ganz ausdrücklich, was sonst zwar auch immer passiert, woran wir aber oft nicht denken. Es gibt ja keinen Augenblick unseres Lebens, liebe Schwestern und Brüder, den wir nicht vor Gott gehen, in dem er nicht bei uns wäre und unser Leben mit einem liebenden Blick begleiten würde. Aber wir leben oft so, als gäbe es ihn nicht oder als sähe er uns nicht. Und da tut so eine Wallfahrt ungeheuer gut.

Sie übt uns ganz neu ein in das Geheimnis unseres Lebensweges und in die wichtigste Beziehung unseres Lebens ein, nämlich die mit dem lebendigen Gott, mit Christus. Eine Wallfahrt wie die heutige darf und kann also dazu beitragen, dass in uns die innere Erfahrung neu lebendig wird, dass Gott mitgeht, dass er uns trägt, dass er uns ins Ziel führt und dass er selbst dieses Ziel ist. Und zwar auch in unserem ganz alltäglichen Leben.

Das Ziel ist schon gegenwärtig

Das Wunderbare an unserem Glauben, Schwestern und Brüder, das Wunderbare ist, dass wir als Christen in der Gewissheit gehen dürfen, dass mitten auf unserem Weg das Ziel selbst schon gegenwärtig ist. Jesus ist da, er ist schon auf dem Weg da, er nennt sich ja selbst den Weg. Er ist der Weg, den wir im Inneren gehen.

Wenn wir ihn suchen und lieben, dann wird unser Lebensweg auch von Ihm getragen, dann verstehen wir sein Wort besser, dann formt sich unser Herz allmählich nach dem seinen. Und wenn wir dann am Ziel sind, dann erfahren wir: Ja, Herr, bei dir wollen wir ankommen, du bist der Ort, wo sich unser Herz ausruhen darf. Wie wunderbar, dass es Dich gibt.

Ziel der Wallfahrt: Gott gibt sich selbst als Speise

Sie kommen hier auf dem Kreuzberg an. Die Wallfahrt ist zu Ende. Sie hat ihr Ziel auf dem Berg und der Berg ist auch immer ein Bild für den Ort der Gottesbegegnung in der Bibel. Der Sinai im Alten Testament beispielsweise oder der Berg der Verklärung im Neuen Testament. Wir sind hier auf dem Berg, sie sind am Ziel der Wallfahrt. Wir feiern Eucharistie: Gott selbst gibt sich als Speise. Und wir feiern die Vereinigung mit ihm.

Freilich sind wir alle trotzdem noch auf dem irdischen Lebensweg. Wir gehen von hier wieder nach Hause, aber daheim geht es weiter – und ich hoffe und bete für Sie, dass die Wallfahrt Ihnen wieder ein wenig mehr Tiefe geschenkt hat und ein wenig mehr in das Vertrauen geholfen hat, dass Jesus immer da ist und dass er auch morgen, wenn der Alltag wieder beginnt, ihr Leben trägt und begleitet. Er ist der Weg und das Ziel, er ist schon da und wir gehen ihm alle entgegen. Gott segne alle Ihre Lebenswege. Amen.