Tragende Beziehungen zu Familie und Freunden sind ein Bild für das Getragensein durch Jesus. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Abschied von Dompropst Hans Striedl 2014.
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, verehrter lieber Herr Dompropst Striedl, lieber Herr Prälat Hüttner.
In der Lesung aus dem zweiten Korintherbrief haben wir einen Satz des Paulus gehört, der da lautet: die Liebe Christi drängt uns. Warum drängt sie uns? Paulus antwortet: Wir haben verstanden, dass einer für alle gestorben ist. Und alle, die zu Christus gehören, die sind deshalb mit ihm gestorben. Sie sind mit ihm gestorben heißt für Paulus: Sie haben in Christus ein neues Ziel, eine neue Identität, eine neue Ausrichtung ihres Lebens. Paulus sagt, die Neuausrichtung geht dahin, dass die Lebenden nicht mehr für sich selbst leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde.
Ein Christ, der von diesem Geheimnis berührt ist, lebt also zuerst für Christus. Und was sind die Konsequenzen daraus? Paulus erklärt im nächsten Satz: So ein Mensch schätzt von jetzt an niemanden mehr nach menschlichen Maßstäben ein. Warum nicht? Weil er in Christus selbst irgendwie neu geworden ist, eine neue Schöpfung, sagt Paulus. Die Liebe drängt ihn.
Beziehungen: Sich getragen wissen
Liebe Schwestern und Brüder, das klingt alles ein wenig kompliziert und nach hoher Theologie. Ich möchte das Gesagte daher noch mit einem Bild verdeutlichen: Die meisten von uns haben eine Familie und viele von uns haben in ihren Familien Beziehungen, die tragen, die uns halten und Halt geben und die uns auch draußen, im Berufsleben und in unseren anderen Beziehungen stärken. Wer sich von hinten, von seiner Herkunft her, gewissermaßen getragen weiß, kann sich nach vorne auf andere Menschen hin öffnen.
Bricht nun die Familie weg oder bricht ein wichtiges Familienmitglied oder ein Partner oder ein enger Freund aus irgendeinem Grund weg, dann spüren wir als Menschen oft, wir sind quasi von hinten in unserem Seelenleben her, weniger getragen und gestützt. Wenn wir erleben müssen, wie Beziehungen zerbrechen, dann wirkt das häufig sehr massiv auf unser Selbstwertgefühl und damit auch auf unsere Fähigkeit, frei und offen auf andere zuzugehen.
Wir sind dann bisweilen verunsichert im Innersten, wir nehmen uns dann gern zurück, wir neigen dazu, uns zu verkriechen, wir fühlen uns vielleicht haltlos, machtlos. Was ich sagen will: Es gibt einen tiefen Zusammenhang zwischen dem Netz an vertrauensvollen, starken Beziehungen und der Fähigkeit, auch wieder offen für andere zu sein und auf sie zuzugehen.
„Die Liebe Christi drängt mich“
Paulus spricht nun von einer genuin christlichen Erfahrung, die aber dieser Familien-Erfahrung sehr ähnlich ist:, von der ich gesprochen habe: Paulus fühlt sich so sehr zu Christus zugehörig, so sehr von Ihm getragen und gehalten und innerlich befreit und erneuert, dass er regelrecht sagen kann: die Liebe Christi drängt mich. Sie drängt mich nach vorne, hin zu den anderen, denen er diese befreiende, erlösende Erfahrung, die er selbst gemacht hat, ebenfalls eröffnen will.
Paulus ist zutiefst überzeugt: Seit Christus da war und für uns gestorben ist, seitdem muss kein Mensch mehr daran zerbrechen, dass er nicht von anderen Menschen gehalten ist. Seither ist die Liebe Christi in der Welt und der Herr will Platz finden in den Seelen der Menschen und will sie befreien in ein echtes, neues Vertrauen hinein. Seither kann für Paulus äußerlich kommen was will: Todesbedrohung, böse Brüder, Eis und Kälte, Gefängnis, Steinigung, Schiffbruch… Er weiß: Ich bin in Christus und die Liebe Christi hält mich und sie drängt mich.
Ohne tragende Beziehungen: Maria Magdalena
Auch die Heilige des heutigen Tages, die Heilige Maria Magdalena lebt ja aus dieser Erfahrung: Eine bestimmte Tradition identifiziert sie als die Prostituierte, die Jesus einmal die Füße mit ihren Tränen gewaschen und mit ihrem Haar getrocknet hat. Aber als Prostituierte hat man in der Regel fast gar keine echten, tragenden Beziehungen. Man verkauft sich und seinen Körper nur gegen Geld. Man lebt normalerweise haltlos.
Und ausgerechnet sie lernt Christus kennen, verstehen und lieben. Er fängt an, ihr Innerstes zu bewohnen, sie liebt ihn von Herzen und deshalb wird sie gewürdigt, die allererste Zeugin der Auferstehung zu sein; diejenige, die ihn dann am Grab in dem Moment als den Auferstandenen erkennt, als er sie beim Namen ruft. Und jetzt läuft sie los zu den anderen, sie wird die erste Apostelin der Auferstehung, die Liebe Christi drängt sie.
Dompropst Hans Striedl
Lieber, verehrter Herr Dompropst: Leider kennen wir uns erst seit ein paar Wochen, denn nach allem, was ich seither von Ihnen entweder persönlich erfahren oder gehört habe, sind Sie ein echter Seelsorger, also einer, der als Priester in seinem Herrn steht und damit einer den die Liebe Christi drängt.
Nur kurz Ihre Stationen in der Diözese: Sie wurden in Otterskirchen im Jahr 1944 geboren, waren im Knabenseminar St. Max, haben am Passauer Leopoldinum 1964 Abitur gemacht. 1970 sind Sie zum Priester geweiht worden, das heißt Ihre Priesterausbildung fiel in die besonders bewegten Zeiten gleich nach dem Konzil. Ihre Stationen als Priester führten Sie über Hauzenberg, Frauenau, Passau-Grubweg, Vilshofen.
Dort waren Sie unter anderem Kaplan, Pfarrer, Dekanatsjugendseelsorger, Schuldekan, Dekan für Vilshofen, Geistlicher Beirat für den Frauenbund, Mitglied des Priesterrates und anderes mehr. Seit dem Jahr 2003 sind Sie nun der Personalreferent der Diözese und ich muss ehrlich sagen, ich bedauere sehr, dass wir Sie nun in den Ruhestand ziehen lassen müssen. Ich sage „müssen“, weil Sie vor allem aufgrund Ihrer gesundheitlichen Situation darum gebeten hatten. Aber das ist uns allen dann doch nur allzu verständlich und daher sei Ihnen der Ruhestand auch von Herzen gegönnt.
Fruchtbares priesterliches Leben
Ihre Titel und Ehrentitel etwa als Geistlicher Rat, als Monsignore, als Domkapitular und Dompropst machen nur allzu deutlich, was Sie für eine wichtige Priestergestalt für die nachkonziliare Ära unserer Diözese Passau geworden sind. Und wenn ich den einen oder anderen habe sprechen hören, dann sind Sie für viele auch eine prägende Gestalt: in steter Zuwendung zu den Menschen, zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und zu den Mitbrüdern im priesterlichen und diakonalen Dienst.
Ich habe den Eindruck, lieber Domprobst: Wenn in diesen Zeiten kirchlichen Umbruchs für manche die Frage entstanden ist, wie denn heute Priestersein geht, dann haben Sie an Ihrem Beispiel Züge eines gelingenden und fruchtbaren priesterlichen Lebens finden können. Viele, mit denen ich gesprochen habe, haben mir versichert, der Dompropst ist auch als Personalchef immer noch Seelsorger geblieben, mit dem Herz am rechten Fleck und immer einem offenen Ohr für die Fragen und Nöte der Menschen.
Prälat Lorenz Hüttner
Wie sehr Sie auch für andere aufmerksam sind, zeigt dann auch, dass es Ihre Idee war, am diesem heutigen Tag, der eigentlich der dankbaren Feier Ihres eigenen Abschieds bestimmt ist, auch noch einen zweiten Mann mit zu würdigen, weil er einen schönen, runden Geburtstag feiert.
Der ehemalige Generalvikar und Dompropst Prälat Lorenz Hüttner begeht heute seinen 80. Geburtstag; dazu gratulieren wir von Herzen. Auch in Ihnen hat unsere Diözese eine bedeutsame Priestergestalt. Und auch Sie hatten in Ihrem Leben zahlreiche Ämter, Titel, Funktionen und ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Treue in Ihrem Dienst im Weinberg des Herrn. Besonders hervorzuheben ist aus heutiger Sicht, dass Sie immer noch stets bereit sind, vielfach Seelsorgsdienste zu übernehmen. Und besonders auch die Englischen Fräulein sind dafür von Herzen dankbar.
In Beziehungen treten: Jesus erkennen
Verehrter Herr Domprobst Striedl, lieber Herr Prälat Hüttner, wir freuen uns sehr, in Ihnen beiden heute voller Dankbarkeit zwei Männer ehren zu dürfen, die unser Herr einst – wie Maria von Magdala – beim Namen und in seinen Dienst als Priester gerufen hat. Im Evangelium hat Maria den Herrn in dem Augenblick erkannt, als er ihren Namen genannt hat.
Wir beten für Sie dass Sie in Ihrem Herzen immer wieder die Erfahrung machen dürfen, Jesus zu erkennen, weil er Sie immer neu im tiefsten Innern berührt und weil Sie immer neu erfahren: Er meint mich, er ruft mich auch heute noch. Wo eine solche Berührung stattfindet, da wird ein Herz und wird das ganze Leben eines Menschen mit Freude erfüllt, sagt uns Papst Franziskus. Und zwar trotz aller Plagen, die das Älterwerden auch mit sich bringt.
Diese Freude wünschen wir Ihnen von Herzen und sagen noch einmal danke dem Herrn, dass er Sie berufen hat und danke an Sie, dass Sie diesem Ruf so treu und beständig gefolgt sind. Amen.