Foto: R. Kickinger

Das Haus Gottes ist mehr als ein Haus

Kirche ist mehr als ein Haus aus Stein: Jesus möchte in unsere Seele einziehen. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum 100. Geburtstag der Kirche St. Laurentius in Denkhof im Landkreis Passau 2014.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
das Ereignis des 100-jährigen Jubiläums Ihrer schönen Kirche St. Laurentius hier in Denkhof fällt mit einem anderen, ebenfalls 100jährigen Jubiläum zusammen: Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges. So weltumspannend hatte sich dieses Ereignis ausgedehnt, dass man zum ersten Mal den Namen Weltkrieg dafür in Anspruch nahm.

Das deutsche Volk war zusammen mit seinen Soldaten anfänglich in einer regelrechten Kriegseuphorie, die sich natürlich nach und nach gewaltig ernüchterte. Am Ende dieser Katastrophe im Jahr 1918 waren den Kriegshandlungen weltweit rund 17 Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Wir gedenken bei uns und an vielen Orten noch regelmäßig der Gefallenen aus diesem und dem nächsten verheerenden Weltkrieg.

Kirche in Zeiten von Krieg

Wie ist das nun, Schwestern und Brüder, mit der Kirche in Zeiten von Kriegen? Müsste man nicht sagen: „Guter Gott, wo bist Du? Warum lässt Du ein solches massenhaftes Töten und Sterben, eine solche massenhafte Qual zu?“ Müsste man nicht fragen, warum wir denn immer noch Kirchen bauen und Kirchenjubiläen feiern, wo wir entdecken, dass die Welt insgesamt vielleicht nicht besser geworden ist, sondern im Blick auf die moralische Qualität der Menschen vielleicht sogar schlechter?

Zu keiner Zeit sonst gab es ja vermutlich so viele menschliche Grausamkeiten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie im 20. Jahrhundert, mit seinen Kriegen, Ideologien, Massenmorden und Konzentrationslagern, in der Zeit also, in der Ihre Kirche in Denkhof bislang existiert hat. Was also hat sich geändert, seit es Kirche gibt, seit es die Kirchen in unseren Städten und Dörfern gibt? Warum feiern wir hier eigentlich und was feiern wir?

Ein Haus aus Stein?

Wenn Sie von diesem Ausgangspunkt die Frage beantworten müssten, was Kirche bei Ihnen eigentlich ist, was würde dann als Antwort kommen? Ein Haus aus Stein, um das wir uns nun 100 Jahre gut gekümmert haben in unserem Dorf. Ein Haus, aus dem wir zum Beispiel im Jahr 2006 die Holzwürmer beseitigt haben und das wir ansonsten auch gut in Schuss gehalten haben?

Wir alle wüssten, Schwestern und Brüder, dass das zu wenig ist, wir wissen, dass Kirche viel, viel mehr ist als ein aufwändig gebautes und erhaltenes Haus aus Stein. Aber was ist es dann? Ein Versammlungsort? Ja, aber das ist auch das Feuerwehrvereinsheim oder das Sportheim oder das Wirtshaus.

Diese Welt ist nicht alles

Wohin gehen wir also, wenn wir in die Kirche gehen? Der erste Versuch einer Antwort ist: Wir kommen zuerst hierher, weil wir glauben, dass diese Welt, die wir sehen und anfassen und messen und kontrollieren können, dass diese Welt nicht alles ist. Wir glauben, dass es eine Welt gibt, die darüber hinaus ist, die größer und tiefer ist als alles, was wir sehen. Und wir glauben, dass wir mit dieser Welt dann in geheimnisvoller Weise in Berührung kommen, wenn wir hierher kommen, in unser Gotteshaus.

Damit ist auch schon der Name jener geheimnisvollen Wirklichkeit bezeichnet, die wir ansprechen, wenn wir hierherkommen. Die größere Wirklichkeit heißt Gott und unser Glaube lehrt uns, dass dieser Gott ein Gegenüber zu uns ist, ein Du. Und Jesus hat uns noch mehr gelehrt. Er hat uns gelehrt, dass dieses Du nicht einfach ein erhabener oder gar abstrakter Geist ist, der sich nicht um uns kümmert, sondern er ist ein allmächtiger, allgütiger, allliebender Vater.

Manchmal ist es schwer an den Vater zu glauben

Liebe Schwestern und Brüder, wir tun uns manchmal schwer damit, wirklich an den Vater zu glauben. Aber wir dürfen uns an einem Tag wie heute neu gegenseitig versichern, dass er wirklich hier wohnen will, hier in diesem Haus. Hier will er verehrt werden, angebetet werden. Er lädt uns auch ein, mit all unseren Sorgen und Nöten zu Ihm zu kommen und sie ihm zu geben.

Und er will all das nicht, weil er egoistisch wäre und allein im Zentrum stehen will. Er will es, weil er das Zentrum ist und weil er weiß, dass wenn wir mit unserem ganzen Herzen hier hineinfinden, dass daraus unser Glück, unsere Liebe, unser Vertrauen, unsere Freiheit von innen her neu zu wachsen beginnen.

Das Haus: Der Ort, wo Gott wohnt

Kirche, meine Lieben, Kirche ist zuerst der Ort, in dem Gott wohnt. Das Haus aus Stein ist der sichtbare Ausdruck dieses Ortes, aber im Grunde – und das ahnen wir alle – im Grunde will er in unseren Herzen wohnen. „Wisst Ihr nicht, sagt der Heilige Paulus im ersten Korintherbrief, dass Ihr selbst ein Tempel des Heiligen Geistes seid?“ (vgl. 1 Kor 3,16)

Wissen Sie also, Schwestern und Brüder, dass Ihre Seele eine Kirche ist? Ein Haus Gottes? Und wissen Sie, dass Kirche überall dort lebendig wird, wo mehrere Menschen diesen Gott in ihre Seele einlassen, weil sie ihn kennen und lieben – und wo aus diesem Gemeinsamen auch echte Gemeinschaft erwächst?

Das wahre Haus – Einzug in die Seele

Ist also auch Ihre schöne Kirche eine Kirche zuerst aus einer vielleicht ein wenig oberflächlich gewordenen Tradition, man geht halt hin, weil man es so gewohnt ist, so müssen wir uns fragen? Oder ist es eine Kirche, in der Menschen miteinander einen Gott anbeten, den sie kennen, der in ihrer Seele schon Einzug gehalten hat, weil sie getauft sind – und weil sie gelernt haben, aus der Taufe zu leben?

Vermutlich ist beides richtig, Schwestern und Brüder, es gibt noch viel Tradition bei uns, die auch gut ist, aber die vielleicht manchmal nicht allzu tief reicht. Und es gibt daneben auch bei uns und in uns echte Sehnsucht, echten Glauben, echte Liebe zu Gott, zu Christus. Aber vermutlich ahnen wir alle, dass wir in dieser Hinsicht noch wachsen können – einschließlich der Bischof!

Wofür man Kirche braucht

Denn wenn ich Sie weiterhin fragen würde, was Ihre schöne, hundertjährige Kirche samt ihrer Gemeinde anziehend macht, dann würden wir vielleicht sagen: Es gibt eine gute Gemeinschaft, der Pfarrer kümmert sich zusammen mit den anderen Priestern und Mitarbeitern und sie halten sicher auch gute Predigten, die Pfarrei ist aktiv bei vielen Festen oder bei Projekten für die Dritte Welt, die Kinder werden zu Taufe, Kommunion und Firmung geführt.

Man braucht die Kirche außerdem für Hochzeiten und Beerdigungen. Alles wundervolle Dinge und ich bin froh, dass es das alles gibt und ich danke auch wirklich von Herzen für alles Engagement.

Aber wissen Sie, wonach ich mich darüber hinaus noch sehne? Ich sehne mich nach Orten und Gemeinschaften, von der andere Menschen angezogen werden, weil es bei uns Gläubige gibt, die Christus wirklich kennen, die in einer tiefen, persönlichen Beziehung zu ihm leben, die ihn in Gemeinschaft feiern, die ihn lieben und anbeten.

Den Herrn kennen und lieben lernen

Ich sehne mich nach einer Kirche, in der Menschen anderen Menschen helfen, wirklich den Herrn kennen und lieben zu lernen, weil er allein ihren Durst nach Wahrheit und Liebe erfüllen kann. Und ich sehne mich nach Menschen, die in ihrer Zuwendung zu anderen gar nicht anders können, als zu lieben, weil sie zu Christus gehören.

Ich habe einen Mitbruder in der Ordensgemeinschaft, der kam einmal von einer Gottesdienstaushilfe zurück in einer offenbar sehr lebendigen Gemeinschaft. Und er sagte ein wenig witzig, aber auch bewegt: „Stellt Euch vor, heute habe ich in einer Gemeinde Gottesdienst gefeiert, bei der die Menschen so gebetet haben, als ob es Gott wirklich gäbe.“

Eine Ermutigung, in die Tiefe zu gehen

Liebe Denkhofer und liebe Gläubige aus den umliegenden Orten, ich bitte Sie aber auch, mich nicht falsch zu verstehen. Ich will keineswegs Ihre Pfarrei tadeln, gar nicht. Ich freue mich vielmehr über jeden und jede, die hier ist, über jeden, der Sehnsucht hat, der sich engagiert. Aber ich will Sie alle ermutigen, mehr in die Tiefe zu gehen, Christus neu zu entdecken. Ich will Sie ermutigen, Formen von Gemeinschaft zu bilden, in denen Sie sich neu aufmachen, zum Beispiel sein Wort, die Heilige Schrift zu beten zu meditieren.

Und ich will Sie einladen, das Sakrament der Versöhnung neu zu entdecken, als wunderbare Chance, wirklich meine Seele zu reinigen. Ich will Sie einladen, von neuem zu lernen, was es heißt zu beten, wirklich in eine Beziehung zum Herrn einzutreten. Manchmal ist unsere Seele in uns ja eher eine verräucherte Kneipe als ein lichtdurchfluteter Tempel des Heiligen Geistes. Und eine ehrliche Beichte ist dann eine Art „Fenster auf“ für die Seele, damit Licht und Luft hinein kommen in unser Inneres.

Es geht immer um Christus

Wissen Sie, es geht um Christus, es geht wirklich immer nur um Christus. Dieses Haus ist sein Haus. Er ist der Weg zum Vater. Und es ist das Haus der Mutter Gottes, weil sie der erste und ursprünglichste Ort auf dieser Welt gewesen ist, in der Christus neu Wohnung genommen hat. In Maria kommt er uns in diesem Haus entgegen. In radikaler Erniedrigung, wie wir gehört haben in der zweiten Lesung.

Er kommt uns nahe als Baby, als Gekreuzigter auf Golgotha und als Auferstandener in der Kraft seines Geistes. Und er kommt auch denen entgegen, von denen wir im Evangelium gehört haben. Da gibt es die einen, die der Vater einlädt, in seinem Weinberg zu arbeiten. Und sie sagen ja, aber sie tun es nicht, oder sie tun es eben nicht, mit dem Herzen, sondern aus welchen Gründen auch immer. Zu denen gehören wir auch oft genug, das wissen wir.

Aus Liebe

Und dann gibt es diejenigen, die sagen, sie wollen nicht, aber dann gehen sie in sich, dann erkennen sie den Vater und seine Liebe und dann gehen sie doch. Liebe Schwestern und Brüder, wir gehören zu beiden! Wir sind bisweilen die einen oder die anderen. Aber am liebsten wäre dem Vater, wir wären allmählich und immer mehr Menschen, die das Wort des Vaters mit Freude aufnehmen und dann auch seinen Willen tun, weil sie ihn kennen und lieben und seinen Sohn Jesus, der genau so ist, wie der Vater sich uns Menschen aus Liebe wünscht.

Seit 100 Jahren, liebe Schwestern und Brüder, steht diese wundervolle Kirche in Denkhof. Ich hatte angefangen mit der Frage, ist in den vergangenen 100 Jahren die Welt eigentlich besser geworden? Angesichts all der Kriegs- und sonstiger Katastrophen? Wie handelt Gott in dieser Welt?

Gott handelt durch Menschen

Die Antwort ist immer und immer wieder: Gott handelt vor allem durch Menschen, durch Menschen, die ins Gotteshaus kommen und durch ihre Anbetung, durch ihr Verweilen, durch ihr Feiern, durch das Entstehenlassen von Gemeinschaft neu werden. Er handelt durch Menschen, die in einem Gotteshaus wie diesem immer mehr selbst Kirche werden.

Das Große, das Gott für uns tut, das tut er in der Regel nicht, indem er in der Weltgeschichte mit Macht eingreift und alles verändert. Er tut es in uns, indem er in uns Wohnung nimmt und uns zu Menschen machen will, die Kirche sind. Als solche werden wir dann Menschen, die die Welt mit verändern. In dem Maß, in dem wir Kirche werden, Schwestern und Brüder, egal ob wir 9 oder 90 Jahre alt sind oder 100 wie diese Kirche, in dem Maß werden wir mitten in dieser Welt zu einem Zeugnis dafür, dass der Herr die Welt liebt und mit uns geht.

Dass die Hoffnung lebendig bleibt

Egal was kommt. Dass dieses Zeugnis wächst, dass der Glaube, die Liebe wachsen, das die Anziehungskraft der Pfarrei Denkhof wächst, dass in Ihnen allen selber Glaube, Hoffnung und Liebe wachsen, das wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen. Und ich danke allen und unserem Gott dafür, dass es schon jetzt und auch schon so lange hier in Denkhof Menschen gibt, die sich dafür einsetzen, dass genau diese Hoffnung lebendig bleibt. Amen.