Bild: Pressestelle Bistum Passau

Sich von Schönheit berühren lassen

Schönheit im Alltag: Sind wir in der Lage, sie zu erkennen? Und kommen wir dadurch vielleicht auch Gott auf die Spur? Die Predigt von Bischof Stefan Oster auf der BDKJ-Diözesanversammlung 2014.

Liebe junge Leute, ich möchte Euch zunächst eine wahre Geschichte vorlesen:
„An einer U-Bahn-Haltestelle in Washington D.C. steht an einem kalten Januarmorgen 2007 ein Mann mit einer Violine. Er spielt Bach, auch Schubert. Während dieser Zeit kommen im morgendlichen Berufsverkehr Hunderte von Menschen an ihm vorbei. Es dauert ein paar Minuten, bis der erste Passant den Geiger bemerkt. Er verlangsamt seinen Schritt für ein paar Sekunden. Aber er unterbricht seinen Weg nicht.

Kurz darauf wirft eine Frau den ersten Dollar in den Hut des Musikers, aber auch sie bleibt nicht stehen. Ein junger Mann hält kurz inne, um zuzuhören. Aber ein Blick auf seine Uhr treibt ihn an, weiterzugehen. Dann nähert sich ein etwa dreijähriger Junge. Er möchte stehen bleiben, aber seine Mutter zieht ihn an ihrer Hand weiter. Das Kind schaut im Gehen zurück, will der Musik weiter zuhören. Die Mutter treibt es an. Wie dieser Junge verhalten sich einige Kinder, aber ausnahmslos drängen ihre Eltern sie zur Eile.

Schönheit im Alltag: Ein Experiment

Der Geiger spielt, ohne abzusetzen. Insgesamt sechs Menschen bleiben vor ihm stehen und hören ihm für kurze Zeit zu. Vielleicht 20 Vorübergehende werfen ihm eine Münze in den Hut. Nach einer knappen Dreiviertelstunde beendet der Geiger sein Konzert. Es wird still. Aber niemand nimmt davon Notiz, niemand applaudiert, 32 Dollar sind zusammengekommen.

Der Violinist war Joshua Bell, einer der besten Musiker der Welt. Er spielte unter anderem eines der komplexesten und schwierigsten Musikstücke, die jemals geschrieben wurden: die „Chaconne in d-Moll“ von Johann Sebastian Bach. Die Geige, die er dafür verwendete, war 3,5 Millionen Dollar wert. Zwei Tage davor hatte Joshua Bell vor einem ausverkauften Haus in Boston das gleiche Konzert gegeben. Die Karten für dieses Ereignis kosteten durchschnittlich 100 Dollar.

Sein Auftritt in der U-Bahn war ein Experiment. Die Zeitung „Washington Post“ hatte es in Auftrag gegeben. Die Redaktion interessierte die Frage, ob Menschen Schönheit auch in einem ganz alltäglichen Umfeld wahrnehmen.“

Immer neu Christus bekannt machen

Ich habe vorher in der Versammlung gesagt, mein Anliegen und auch meine Pflicht als Bischof ist es, immer neu Christus bekannt zu machen. Wir haben heute einen Lesungstext gehört aus dem Brief an die Gemeinde in Philippi, der einen im Grunde unglaublichen Text über Christus enthält. Es ist ein Hymnus, der vermutlich schon in der Liturgie verwendet wurde, als Paulus ihn hier aufgreift und in seinen Brief einfließen lässt.

Paulus ist übrigens im Gefängnis, da war er öfter, und er schreibt einen Brief an seine Gemeindegründung, die vermutlich seine Lieblingsgemeinde war, er schreibt womöglich um das Jahr 55 nach Christus. Der Brief ist jedenfalls sehr emotional und wir bekommen intensiven Einblick in das Seelenleben des Paulus. Der erwähnte Hymnus ist deshalb so besonders, weil Paulus hier einen sehr tiefen und theologisch schon reifen Einblick weitergibt in das große Geheimnis, das Christus ist.

Christus hielt nicht daran fest, Gott gleich zu sein

Er war wie Gott, heißt es, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein. Christus ist also nach der Erkenntnis dieses Hymnus schon beim Vater gewesen und ihm gleich, aber er wird eben Mensch, er entäußerte sich, heißt es, wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Er war darin dem Vater gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn erhöht über alle und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen.

Damit jedes Geschöpf, im Himmel, auf der Erde, unter der Erde, seine Knie beuge vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus ist der Herr, zur Ehre Gottes des Vaters. Wenn hier steht, Jesus ist der Herr, dann ist es hilfreich zu wissen, dass „Herr“ Kyrios im Alten Testament immer dann verwendet worden ist, wenn da eigentlich Jahwe stand, also eben Gott.

Lied im Gottesdienst

Die Forscher gehen davon aus, dass dieser Hymnus schon einige Zeit in der Liturgie gesungen worden ist. Das heißt: Er ist vermutlich schon sehr bald nach dem Tod Jesu, den wir um das Jahr 33 annehmen, geschrieben worden und als Lied in den Gottesdienst eingegangen. Warum nehmen wir das an?

Nun, stellt Euch einfach vor, wie lange das heute dauert, bis ein geistliches Lied, das Anerkennung und Anwendung findet, von seiner Komposition bis in den regelmäßigen Gottesdienst findet oder zum Beispiel ins neue Gotteslob. Das dauert schon bei uns viele Jahre und das, obwohl wir die besten und schnellsten Kommunikationsmittel haben und die Dinge rasend schnell verbreiten können.

Hymnus über das Geheimnis Christi

Das heißt also: Sehr bald nach Jesus Tod gab es vermutlich diesen Hymnus, der schon eine Art kondensierte Erzählung des Christusgeheimnisses ist, der ihn als Gott beschreibt, der sein Kommen in die Welt erzählt, den dramatischen Abstieg bis zum Tod und seine Erhöhung zum Vater nach der Auferstehung.

Dieses Lied, meine Lieben, ist nur ein Beispiel für das, was Paulus schreibt. Er ist ergriffen von der Schönheit, der Tiefe, vom Geheimnis Jesu. Er ist erfüllt so erfüllt davon, dass er in seinen Briefen von kaum etwas anderes erzählen kann als von dem, was das bedeutet. Paulus lebt mit Christus in jeder Situation seines Lebens. Er kennt ihn und erkennt ihn – auch unter schwierigsten eigenen Bedingungen.

Schönheit und Wahrheit ziehen an

Paulus wurde auf seinen Missionsreisen immer wieder auch in Schwierigkeiten geführt, wie oft haben sie ihn nicht gehört und einfach verjagt, aber mehr noch, sie haben ihn mehrmals ausgepeitscht, ins Gefängnis geworfen, gefoltert, sogar gesteinigt. Aber Paulus war sich sicher: Christus ist bei mir. Er kannte seine Schönheit und Wahrheit und Tiefe und war innerlich zutiefst erfüllt davon. Einmal schreibt er: In Christus sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen.

Warum erzähle ich das? Weil wir von Schönheit und Wahrheit angezogen werden, aber wir werden nur angezogen, wenn wir spüren, sie ist da, wir kennen und erkennen sie.

Schönheit erkennen

Die Menschen, die an dem Geiger vorbei gelaufen sind, die haben die Schönheit des Spiels, die Kostbarkeit der Geige, die Perfektion des Künstlers nicht erkannt. Wie auch, die meisten hatten wohl keinen Sinn für Kunst, schon gar nicht in dieser Situation. Aber auch um Schönheit zu erkennen und zu verstehen, muss man vertraut sein damit.

Wenn Ihr einem wirklichen Experten für Kunst oder Musik begegnet, der hat für sein Metier einen großen Schatz an Wörtern und Begriffen, er erkennt Qualität, er ist geübt, sein Ohr oder sein Auge ist fein geworden für die Schönheit. Und um selbst so ein Experte zu werden, müssen auch wir in die Schule gehen bei einem Kenner, dann lernen auch wir besser sehen oder hören, dann können auch wir Schönheit besser genießen und auch erfüllter davon sprechen.

Christus erkennen – und lieben

Meine Lieben: Von hier meine Frage zu Christus: Kennen wir ihn, erkennen wir ihn, lieben wir ihn, wie Paulus? Können wir von seiner inneren Schönheit und Wahrheit sprechen und damit anderen einen Weg in diese Schönheit eröffnen. Oder gehen wir vielleicht achtlos vorbei, wie die Menschen an der U-Bahn, weil wir keinen Sensus dafür haben oder vielleicht nicht mehr?

Ich möchte Euch alle einladen – und ich sag das übrigens auch zu mir selbst: Gehen wir wieder neu zu Christus, suchen wir Ihn, sprechen wir mit Ihm, lesen wir das Buch, das uns Paulus und andere über Ihn hinterlassen haben, damit wir besser verstehen, wer er ist. Begnügen wir uns nicht mit ein paar netten Geschichten aus dem Evangeliums, die wir alle schon x-mal gehört haben.

Das Geheimnis ist größer

Das Geheimnis ist größer, schöner, tiefer und wahrer. Und es kann und will uns wirklich berühren und verwandeln in Menschen, die – wie Paulus – weit hinausgehen können. Weil sie wissen, der Herr ist mit Ihnen und weil sie auch in den dunklen Situationen ihres Lebens vertrauen, dass er da ist.

Ich wünsche Euch, liebe junge Leute vom BDKJ von ganzem Herzen: Ja, geht hinaus, engagiert euch, bewegt etwas, aber geht als Menschen, die auch immer wieder einkehren, die zu Christus gehen, die ihn kennen lernen und lieben lernen wollen. Dann wird euer Herz immer heller und schöner und die Menschen werden durch Euch berührt werden von seiner Gegenwart. Dazu segne Euch der Herr selbst und sende Euch seinen Geist. Amen.