Foto: Nick Fewings / Unsplash.com

Wir alle brauchen Zuwendung – wiederverheiratet Geschiedene

Warum wiederverheiratet Geschiedene selbstverständlich zur Gemeinschaft der Gläubigen gehören und welche Perspektiven es im Umgang mit ihnen gibt. Ein Diskussionsbeitrag von Bischof Stefan Oster vom 4. September 2014.

Liebe Gläubige,
kurz vorweg: Es ist ein langer Text geworden, aber ich möchte Sie bitten, sich die Zeit und die Geduld zu nehmen, den Text bis zum Ende zu lesen, wenn Sie das Thema wirklich interessiert.

Mir liegt es sehr am Herzen und es ist zu wichtig, um es undifferenziert zu behandeln. Deswegen geht es in den folgenden Seiten um die Frage, wie wir uns als Verantwortliche und als Gläubige in der katholischen Kirche unseren Mitchristen gegenüber verhalten, die geschieden und wiederverheiratet sind und die selbstverständlich auch zu dieser Kirche gehören und in ihr leben wollen. Eine Frage, die uns theologisch und pastoral sehr stark unter den Nägeln brennt.

Wiederverheiratet Geschiedene – meine Perspektiven

Sie dürfen mir glauben, dass mich das Problem nicht nur theoretisch, sondern auch persönlich beschäftigt wie so viele andere von uns auch; einfach weil auch ich in dieser Zeit und Gesellschaft lebe und Freunde, Verwandte und Bekannte in unmittelbarer Umgebung habe, die Betroffene sind. Und auch, weil ich in den letzten 18 Jahren ebenfalls als Seelsorger gewirkt habe, und da bleibt die Sorge um Menschen nicht aus, die von dieser Frage betroffen sind. Es ist schon sehr viel geschrieben und gesagt worden zu diesem Thema.

Ich habe – auch bewegt durch manche Fragen und Kommentare auf meiner Facebook-Seite – versucht, meinen Standpunkt zu erläutern, einschließlich einiger Punkte, die in der allgemeinen Diskussion um das Thema aus meiner Sicht viel zu kurz kommen. Natürlich ist auch das nicht umfassend, auch wenn der Text lang ist. Aber ich hoffe, es kann wenigstens Verständnishilfe sein. Ich hatte in Interviews gesagt, man dürfe sich in dem Punkt „Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene“ von der kommenden Bischofssynode im Oktober 2014 nicht allzu viel erwarten. Im Folgenden erkläre ich auch, warum ich so denke und welche Perspektiven ich dennoch sehe.

1. Die Pflicht für alle: Barmherzige Zuwendung

Ich denke, im Grundanliegen einer glaubwürdigen Zuwendung zu den Menschen, auch und gerade in ihrem Scheitern, stimmen die allermeisten von uns weitgehend überein. Die Pflicht zum respekt- und liebevollen Umgang mit jedem Menschen, egal welche Erfahrung des Scheiterns oder welche Schuldgeschichte er hat, gehört gewissermaßen zum eigentlichen Kennzeichen jedes Christen, jeder Christin.

Vergebende Liebe verschenken

Alle Menschen, egal wer oder was sie sind, haben von Christus her sogar ein Recht, in der Begegnung mit uns zu erfahren, dass wir von der Liebe Christi berührt sind und diese Liebe selbst verschenken wollen und hoffentlich auch können. Und diese Liebe ist im Blick auf uns alle vergebende Liebe! Jesus, unser Herr, ist ein Diener der Menschen, der uns im Auftrag des Vaters vergibt. Und unser Auftrag als Christen ist es daher, aus der Annahme seiner Vergebung, ihm auch in unserer Vergebungsbereitschaft zu folgen.

Er ist der Arzt für die Kranken (Mt 9,12) und derjenige, der gekommen ist, die Sünder zu berufen (Mk 2,17). Auch das ist Maßstab für uns, die wir übrigens alle (!) miteinander selbst dieses Arztes und der Heilung bedürfen. Alle heißt einschließlich Papst, Bischöfe, Priester, Diakone, Ordensleute, Hauptamtliche, Ehrenamtliche, alle Getauften, letztlich alle Menschen!

Sie gehören dazu!

Wenn also die Menschen, die ihre Ehe als gescheitert betrachten, und die dann mit einem neuen Partner leben, zugleich auch als Christen in einer christlichen Gemeinde leben wollen, dann ist es zunächst ein sehr zentrales Anliegen, ihnen deutlich zu machen, dass sie auch dazu gehören. Auch sie sollen eine ihnen ehrlich zugewandte Gemeinschaft der Gläubigen erleben, und sollen erfahren, dass sie nicht einfach hinaus gestoßen werden. Das ist gar keine Frage.

Kein wiederverheiratet Geschiedener ist übrigens exkommuniziert. Das ist sehr wichtig zu wissen. Sie gehören dazu! Nichtzulassung zur Kommunion ist in der katholischen Kirche nicht gleichbedeutend mit Exkommunikation, bedeutet also auch nicht Ausschluss aus der Gemeinschaft!

2. Kommunionzulassung als einziges Kriterium?

Unangemessen ist es nun aber aus meiner Sicht, die Zulassung (zur Beichte und) zur Kommunion zum einzigen oder wesentlichen Kriterium einer solchen barmherzigen Zuwendung zu machen. Das wäre aus meiner Sicht gerade eine Engführung, die beides verdunkeln würde: erstens das, was Unauflöslichkeit der Ehe bedeutet. Und zweitens, dass Wahrheit und Barmherzigkeit gerade auch im Blick auf die Sakramente und eine ganzheitliche Sorge um den Menschen zusammen gehören.

Was ich mit „ganzheitlich“ meine, wird unten noch deutlicher werden. Es gibt jedenfalls intensive Formen der Zuwendung – das sage ich auch aus eigener pastoraler Erfahrung – die glaubwürdig sein können, ohne genau dieses Kriterium zum alleinigen Maßstab zu machen und trotzdem beiden Aspekten, nämlich der Wahrheit des Sakraments einerseits und der Pflicht zur ehrlichen und barmherzigen Zuwendung andererseits, gerecht zu werden.

Aber auch hier: Unsere mediale Welt lebt sehr gerne vom Plakativen, und da ist es eben auch einfach, so ein einziges Kriterium zu haben, an dem man dann vermeintlich barmherziges oder eben unbarmherziges Handeln „der Kirche“ (wer ist das in diesem Fall?) ablesen, messen und dann den Daumen heben oder senken kann.

3. Die Hauptschwierigkeit in der Diskussion: Das Verständnis von Unauflöslichkeit der Ehe

Wir sprechen vom Scheitern einer Ehe und denken über die Möglichkeit eines Neuanfangs nach dem Scheitern nach. Auch da muss man sagen: Selbstverständlich gehört die Vergebung nach dem Scheitern zum innersten Kern unser aller Erfahrung von Erlöstsein (Mt 18, 21‐22!).

Christus vergibt immer und immer wieder – jedem, der in Reue um Vergebung bittet. Die Hauptschwierigkeit bei unserer Frage ist nun aber tatsächlich, wie wir die Unauflöslichkeit einer bestehenden Ehe verstehen und wie die Kirche diese Unauflöslichkeit immer verstanden hat.

Unauflösliche, sakramentale Verbindung

Wir glauben also erstens, dass es im Glauben eine unauflösliche, sakramentale Verbindung zwischen zwei Menschen gibt, wir erleben zweitens reales Scheitern von zwei Menschen in einer solchen Ehe, und wir glauben drittens, dass es Vergebung nach dem Scheitern gibt. Alle drei Dinge bringen wir aber nach meiner Einschätzung nur zusammen, wenn die Reue und Vergebung in Richtung Rückkehr zur bestehenden Ehe zielen oder wenigstens zu einem Leben, das nicht in einem Widerspruch zu dieser bestehenden Ehe steht.

Aber sie gehen im Grunde nicht zusammen, wenn wir einen Neuanfang mit einem neuen Partner meinen. Das ist eigentlich der Haken, an dem alles hängt. Und dies wiederum hängt damit zusammen, dass die Ehe bei uns als ein Bund verstanden wird, der analog zum Bund Gottes mit seinem Volk gesehen wird (Eph 5, 31-32). Die Ehe hat von hier aus einen Charakter, der tiefer reicht als nur ein Vertrag oder eine Absprache zwischen Menschen, die irgendwann hinfällig werden könnte.

Dieser „Charakter“ reicht in seiner Gegenseitigkeit tief in die Wurzel unserer Beziehungs- und Liebesfähigkeit hinein. Er kreiert etwas in den Eheleuten, das ihre Beziehungsoffenheit in der Wurzel gewissermaßen konstitutiv auf den jeweiligen anderen Partner als dem einzigen hin ausrichtet – bis der leibliche Tod sie scheidet.

Durch das, was bei uns Sakrament der Ehe heißt, ist nämlich zum rein menschlichen, gegenseitigen Versprechen „bis der Tod uns scheidet“ eine Qualität hinzugekommen, die Gott verbürgt. Und Gott ist auch in Bezug auf jede Ehe der Treue schlechthin (2 Tim 2,13). Mit einer gültig geschlossenen Ehe, getragen von einem anfangs ungebrochenen Willen zur Ehe beider Partner, ist zwischen den Eheleuten durch die Gnade, durch das Mitwirken Gottes etwas entstanden, was dann der Verfügung der Eheleute selbst entzogen wird („…darf der Mensch nicht trennen“ Mk 10,9).

Das „Band“

Wir sprechen im Bild von einem „Band“, das Gott auf der Basis des Willens der Eheleute mitgeknüpft hat; ein Band das unauflösbar ist. Und selbst wenn der Mensch irgendwann meint, er habe dieses Band zerrissen oder zerbrochen, ist es dennoch bleibend da. Der eine verheiratete Mensch ist von daher aus der Sicht Gottes und der geistlichen Welt bleibend und ganzheitlich auf den anderen, mit ihm verheirateten Menschen innerlich hin disponiert: leiblich, seelisch, geistig. Eheleute gehören in gewisser Weise einander. Und zwar nun zuerst getragen durch Gottes Treue, in die das einmal gegebene und von Gott und der Kirche als gültig angenommene Versprechen gleichsam eingewoben ist.

Das heißt also noch einmal: Wenn hier menschliches „Scheitern“ festgestellt wird, dann kann Vergebung, die sich auf dieses Scheitern bezieht, letztlich nur bedeuten: Es gibt eine Chance für einen Neuanfang eben dieser Beziehung, weil sie ja in der geistlichen Wirklichkeit sowieso weiterhin besteht. Wer diese Wirklichkeit aber mit einbezieht, der kann auch nicht mit letzter Sicherheit sagen, dass eine Ehe „endgültig“ gescheitert ist, solange beide Partner noch leben. Und deswegen kennt die Kirche zwar die Möglichkeit einer „Trennung von Tisch und Bett“ unter bestimmten schwierigen Lebensumständen, aber das Eheband bleibt nach ihrer Überzeugung auch dann weiter bestehen.

Seelische Wunden und Narben

Im Übrigen wissen vor allem die Betroffenen selbst, dass das erlebte Scheitern einer Ehe in der Regel keine einfache Sache ist, sondern zumeist tiefe seelische Wunden und Narben bei allen Beteiligten hinterlässt. Weniger im Blickfeld des öffentlichen Diskurses sind dabei allerdings die Kinder. Kinder sind der fruchtbare, der buchstäblich menschgewordene Ausdruck der liebenden Verbindung zweier Menschen. Jeder, der nur halbwegs sensibel ist, weiß, welches seelische Drama sich in einem Kind bereits dann abspielt, wenn sich die Eltern nur streiten.

Eine Trennung aber hinterlässt in der Regel traumatische Erfahrungen, an denen Kinder manchmal sogar ein Leben lang zu knabbern haben. Das Eheversprechen darf jedenfalls auch als eine Art institutionalisierter Schutz verstanden werden, um diesen so lebenswichtigen Beziehungsraum für das seelische Wachstum eines Kindes zu bewahren. Und die Schuld, von der wir bei Scheidung im Licht des Evangeliums sprechen, schließt die Schuld an den Kindern nicht aus, sondern ein.

Auch der soziale Kontext wird in der Debatte wenig beachtet: Geschiedene Christen verdunkeln das Zeugnis der Unauflöslichkeit der Ehe auch für die Gesellschaft, in der sie leben. Und nur weil es heute bereits so viele sind, wird das Argument dadurch nicht schwächer, vielmehr wird die „Verdunkelung“ dadurch eher bestätigt, eben weil heute Scheidung zu einer Art gesellschaftlichen Normalität geworden ist.

4. Die Bedingungen für die Gültigkeit der Ehe

Freilich, die Strenge und Ernsthaftigkeit, die in solchen Worten aufleuchtet, lässt auch die Frage aufkommen: Sind die vielen Ehen, die bei uns auch kirchlich geschlossen werden, tatsächlich gültig und sakramental geschlossene Ehen? Sind sich die Eheleute tatsächlich bewusst, was sie da versprechen und vor wem sie es versprechen und welche Konsequenzen es im Glauben, in der geistlichen Wirklichkeit hat?

Wir müssen auch ehrlich sagen: Unsere kirchliche Ehepastoral hinkt in ihrer Qualität und Tiefe häufig deutlich und massiv hinter dem tiefen Verständnis her, das der Glaube der Kirche von der Ehe hat und aufrecht erhält. Ist es zum Beispiel stimmig, dass in der Ehevorbereitung im Grunde die Qualität des gemeinsamen und des gemeinsam geteilten Glaubens der Eheleute in der Regel kaum eine Rolle spielt? Wo doch nachher die Unauflöslichkeit einer Ehe gerade von der Wirklichkeit des Glaubens her so stark begründet wird?

Ist es stimmig, dass es allzu häufig genügt, eine halbe Stunde mit dem Priester zu sprechen und gemeinsam mit ihm ein Protokoll auszufüllen, um damit quasi schon die formale Voraussetzung zur kirchlichen Eheschließung erfüllt zu haben? Wird man nicht womöglich sagen müssen, dass viele der Ehen, die geschlossen wurden und werden, in sakramentaler Hinsicht möglicherweise gar nicht zustande gekommen sind, weil das Bewusstsein für die Tragweite einer solchen Entscheidung im Glauben im Grunde gefehlt hat?

Intensivere Ehevorbereitung

Hier wird man (unter anderem) ansetzen müssen, um zu verantworteten Gewissensentscheidungen und Entscheidungen vor kirchlichen Ehegerichten kommen zu können, was die Gültigkeit einer sakramentalen Ehe ausmacht. Und ich denke auch, dass auch die theologische und kirchenrechtliche Entwicklung hier noch nicht an einem Ende ist.

In jedem Fall besteht aber aus meiner Sicht für uns Verantwortliche in der Kirche die Verpflichtung, auf eine insgesamt verbindlichere und intensivere Ehevorbereitung hinzuwirken. Die romantische Vorstellung von einer schönen Hochzeit in Weiß in einer großartigen Kirche darf jedenfalls nicht das Hauptmotiv für das Eingehen einer Ehe sein, die wir als Sakrament verstehen.

Das gemeinsame Gebet

Ich bin auch überzeugt, dass ein Satz, den Mutter Teresa gesagt hat, richtig ist: „Eheleute, die gemeinsam beten, bleiben zusammen.“ Aber „gemeinsam beten“ heißt hier nicht einfach nur, beispielsweise gemeinsam an der Heiligen Messe teilnehmen. Sondern es heißt auch lernen, miteinander in eine echte, gemeinsame, offene und tiefe Sprachfähigkeit vor Gott hineinzufinden. Es heißt, lernen, sich miteinander und das gemeinsame Leben auf den zu beziehen, an den man gemeinsam glaubt, dem man vertraut, dass er die Ehe trägt und hält und mit seinem Geist durchdringt.

Als Eheleute gemeinsam beten lernen, heißt im Prinzip, die Wirklichkeit des Sakraments ernst zu nehmen und daraus leben zu lernen. Diese Aspekte sollen nur andeuten, wo sich meiner Ansicht nach heute auch der eine oder andere Weg für unsere schwierigen Fragen eröffnet: Die rückwirkende Frage nach der Gültigkeit von manchen Ehen ist einer, die Intensivierung von Ehevorbereitung ein zweiter, noch wichtigerer.

5. Die geistliche Wirklichkeit – und der Ausweg aus einem Dilemma

Und um das nun aber ebenfalls deutlich zu sagen: Das, was ich oben die geistliche Wirklichkeit genannt habe, also die Welt Gottes, sie ist der eigentliche „Lebens- und Atemraum“ der Christen (Auch dazu gäbe es genügend Stellen: Gal 2,20: „nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir“; Eph 1,3: „…durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel“, Kol 3,3: „Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott“ Joh 17, 21: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ uvm.).

Sakrament bedeutet ja unter anderem auch genau dies, dass unsere konkrete, materielle Lebenswirklichkeit im Hier und Jetzt durchlässig und durchscheinend wird auf diese Wirklichkeit Gottes hin. Und unsere hiesige, sichtbare Lebenswirklichkeit wird in diese unsichtbare Wirklichkeit, unsere eigentliche Heimat, mit hinein genommen.

Im Widerspruch zur bestehenden Ehe

Nimmt man nun diese Dimension einer bleibenden Hinordnung der Eheleute aufeinander wirklich ernst, bedeutet das in der Folge eben: Eine zweite, neue Verbindung steht im dauerhaften Widerspruch zur bestehenden Ehe – in erster Linie dann, wenn die neuen Partner das zwischen Mann und Frau teilen, was allein den Eheleuten vorbehalten ist.

Ich sehe einfach nicht, wie Wiederverheiratete und Geschiedene (wie schwerwiegend mögliche Gründe für Trennung und Wiederheirat auch immer sein mögen), dem Vorwurf entgehen können, permanent im Ehebruch zu leben – es sei denn, sie enthalten sich. Und zwar nicht, weil sich das „die Kirche“ und womöglich ihre „zölibatären Männer“ grausamerweise so ausgedacht hätten, sondern weil Gott die vor Ihm geschlossene und von Ihm als Sakrament gegründete Ehe heilig hält und weil Scheidung ausdrücklich gegen seinen Willen ist (Vgl. Mal 2,14-16).

Tragisches Dilemma

Aus der Sicht von Menschen, die bereits wiederverheiratet sind, ist das natürlich ein tragisches Dilemma, ohne jede Frage. Und rein menschlich gesprochen, ohne befriedigenden Ausweg. Aber Christen sprechen eben nie nur „rein menschlich“. Sie beziehen im Grunde immer ein, dass sie ihr Leben mit Christus vor Gott leben. Und dass sie ihre eigentliche Kraft aus Ihm beziehen.

Daher meine ich, die betroffenen Menschen kommen aus dem geschilderten Dilemma letztlich nur heraus, wenn sie diese, allein den Eheleuten vorbehaltenen Akte gemeinsamen Lebens eben nicht teilen. Das ist der einzige Weg, den ich sehe. Freilich scheint dieser Weg auf den ersten Blick nicht besonders realistisch.

Christus schenkt das „Können“

Ich glaube dennoch – und spreche auch hier aus mancher Erfahrung der Seelsorge: Wenn sich die persönliche und gemeinsame Beziehung der betroffenen Menschen zu Christus wirklich real vertieft, dann besteht die Möglichkeit, dass sie in eine Erfahrung hinein finden, die ihnen gewissermaßen von innen her zuwächst – und die nicht einfach als moralisches Gesetz von außen auferlegt wird. Und diese Erfahrung hieße dann ausbuchstabiert: „Ich will und kann (!) so leben, dass ich meiner ersten Ehe (oder der ersten Ehe meines jetzigen Partners) wenigstens im Hinblick auf das entspreche, was nur Eheleuten vorbehalten ist.“

Sollten die Menschen in so eine Erfahrung finden, dann ist es auch wieder Christus selbst, der dieses „Können“ schenkt und ermöglicht. Für Menschen, die diesen Weg gehen wollen und in ein solches Können hineinfinden, ist das natürlich dennoch eine bleibende Herausforderung und ein anspruchsvoller Anruf.

Weg des Ringens und Suchens

Und ich bin mir sehr bewusst, dass auch dieser Weg eben ein Weg sein darf und sein wird, ein Weg des Ringens, des Suchens und Fragens; ein Weg, auf dem es ebenfalls Scheitern geben wird, ein Weg voller Anspruch, hinter dem Menschen immer wieder auch zurück bleiben. Wir dürfen aber auch hier vertrauen, dass Jesus schon unser Sehnen und Ringen ernst nimmt, unser Suchen und Fragen – und nicht immer nur das volle Gelingen honoriert.

Wenn wir nur Ihn selbst als Weg und als Ziel nicht aus den Augen verlieren! Und dieses: Ihn eben nicht aus den Augen zu verlieren, mit Ihm in Beziehung leben und bleiben zu wollen, sich von Ihm formen zu lassen, ist die Herausforderung, die das Evangelium hier wirklich ernst nimmt. Weil eine neue Verbindung nach einer gültigen Ehe aus der Sicht des Glaubens und damit vom Willen Gottes her ein fortgesetzter Ehebruch ist, bleibt Menschen, die eine zweite Verbindung wie eine neue Ehe eingehen, die Beichte und der Gang zur Kommunion grundsätzlich vorenthalten.

Warum? In der Beichte müssten sie im Grunde bereuen, dass sie im Widerspruch zur ersten Ehe leben – und eigentlich den Willen bekunden, dorthin zurück zu kehren – oder wenigstens nicht so zu leben, dass das dem bestehenden Eheband widerspricht. Aber ein solcher Wille ist in den meisten Fällen eben – aus menschlich nur zu verständlichen Gründen  – nicht gegeben. Folglich bleiben sie im Zustand des Ehebruches, können nicht beichten und nicht zur Kommunion gehen.

Glaube bewährt sich in bösen Tagen

Freilich bin ich mir völlig bewusst, dass es dramatische Unterschiede gibt, sowohl im Blick auf die Gründe für Trennungen von Ehen, wie auch im Blick auf die Qualität des jeweiligen neuen Zusammenlebens. Und diese Unterschiede verlangen immer auch unterschiedliche Bewertungen. Dennoch meine ich, dass diese Gründe letztlich nicht den Ausschlag geben und den angezeigten Widerspruch rückwirkend irgendwie aufheben könnten.

Eheleute haben am Altar versprochen: „in guten wie in bösen Tagen“. Sie haben nicht versprochen: „in guten Tagen schon, aber wenn sie besonders böse sind, dann nicht mehr“. Sie haben ihre Ehe ja gerade nicht unter einen solchen Vorbehalt gestellt, weil sie davon ausgehen, dass Gott in guten und bösen Tagen ihre Fähigkeit zur Treue unterstützt und mitträgt. Der Glaube selbst verlangt diese Vorbehaltlosigkeit und er bewährt sich als Glaube ja gerade dann, wenn die Tage böse sind.

Lossprechung?

Nun aber eine vielleicht nicht unwichtige Ergänzung dazu: Nehmen wir an, ein Mensch sieht – angesichts des Gebotes Gottes – seine Unvollkommenheit im Blick auf seine Ehe und auch im Blick auf die neue Beziehung, in der er jetzt lebt. Und nehmen wir auch an, dieser Mensch denkt ernsthaft darüber nach, er will ernsthaft mit Jesus leben und hat auch das Bewusstsein, dass diese, seine Situation vor Gott nicht Seinem Willen entspricht.

Nehmen wir also an, er sieht seine eigene Unvollkommenheit im Blick auf das Gebot der Unauflöslichkeit der Ehe, nehmen wir weiterhin an, er bringt dieses Thema und das Bewusstsein um die eigene Unvollkommenheit in die Beichte. Und nehmen wir nun an, er sieht beispielsweise auch nicht sofort, wie er diese Situation ändern könnte, etwa weil kleine Kinder da sind, oder weil der neue Partner/die Partnerin keinerlei Verständnis für ein Leben in Enthaltsamkeit hätte oder ähnliches.

Unterwegs sein auf Christus hin

Aber nehmen wir an, er hätte das Ziel vor Augen, dem Gebot irgendwann wirklich voll entsprechen zu wollen und er betet um die Kraft darum. Ich würde in so einem Fall vermutlich sagen: Hier ist ein ehrlicher Anfang von Reue gegeben und ich würde ihm die Lossprechung in der Beichte hier nicht verweigern wollen. Und wenn ich ihm die Lossprechung gäbe, könnte er auch folgerichtig zur Kommunion gehen.

Vermutlich würde ich aber raten: „Geh nicht in der eigenen Gemeinde, um kein Ärgernis zu geben.“ Und vermutlich würde ich auch raten: „Geh zunächst nur einmal, bald nach der Beichte. Und dann vielleicht erst wieder, wenn Du auf diesem Weg wieder einen Schritt weiter gekommen bist – und dann vielleicht erneut gebeichtet hast.“ Was ich mit so einem Beispiel sagen will: Unser ganzes Leben ist Unterwegssein auf Christus hin. Und es geht wirklich darum, dass wir ernsthaft mit Ihm unterwegs sein wollen und uns immer wieder darauf hin prüfen.

Sehnsucht nach Ihm

Der beständige Glaube an Ihn, die Sehnsucht nach Ihm, die lassen auch Ihn selbst niemals kalt, da bin ich sicher. Er kommt uns entgegen, auch und gerade dort, wo wir seinem Gebot noch nicht voll entsprechen. Ja, Christus liebt uns, wie wir sind. Aber er will nicht, dass wir bleiben, wie wir sind. Er will, dass wir mit Ihm unterwegs bleiben, damit Er uns wandeln kann – Ihm ähnlich werden.

Aber eben auch jeder mit seinen Möglichkeiten und seinen Voraussetzungen, unter denen er gerade geht, und die bei uns allen unterschiedlich sind. Und es gibt eben nicht wenige Fälle von Menschen, bei denen die persönlichen oder kontextuellen Startbedingungen für eine Ehe sehr unglücklich waren: zu jung, zu blauäugig, psychisch zu instabil oder welche Gründe auch immer dann später zu einem Scheitern führen.

Gott lässt nichts kalt

Gott kennt auch solche Gründe und bleibt dennoch mit auf dem Weg. Wenn wir nur selbst auch mit Ihm auf dem Weg bleiben wollen. Die Kirche hat zum Beispiel immer gewusst, dass die Katechumenen schon zu ihr gehören, diejenigen also, die noch nicht getauft sind, aber sich auf die Taufe vorbereiten.

Sie gehören in die Gemeinschaft Jesu, auch wenn sie das Sakrament der Zugehörigkeit noch nicht empfangen haben. Diese Zugehörigkeit würde etwa dann relevant, wenn ein Katechumene stirbt, ehe er getauft war. Selbstverständlich bekäme er dann ein kirchliches Begräbnis. Die Sehnsucht und der ernsthafte Wille stehen hier im Vordergrund, auch dann wenn beides noch nicht in eine auch äußerlich bestätigte Form gefunden hat.

Unvollkommenheit ist kein Vorwand

Ich denke nun, dass das analog auch für viele andere Lebenssituationen gilt, in denen wir hinter einer vollkommenen Reue, Liebe oder Wahrhaftigkeit auch im Lebensstil zurück bleiben und manchmal eben umständehalber beinahe notwendig, dahinter zurück bleiben müssen.

Wenn wir diese Unvollkommenheit nur nicht zum Vorwand nehmen, um Sünde einfach zu rechtfertigen denn dann fehlte ja die Ernsthaftigkeit. Wer aber auch im Bewusstsein seiner Unvollkommenheit „mit dem Herzen wirklich glaubt: Jesus ist der Herr. Und wer dann mit dem Mund bekennt, er ist von den Toten auferstanden, der wird Gerechtigkeit und Heil erlangen“, sagt uns Paulus (Röm 10,10), weil das Heil und die Gerechtigkeit ja letztlich von Ihm selbst kommen und nicht aus unserer eigenen Kraft.

6. Ganzheitliche Sorge schließt das Seelenheil ein

Ich möchte auch offen sagen: Ich respektiere selbstverständlich jede Gewissensentscheidung eines Menschen, der hier anders denkt und entscheidet. Aber umgekehrt möchte ich als Bischof, der sich auch für die Gewissensbildung aus dem Glauben mitverantwortlich fühlt, ebenso sagen, was wir heute kaum mehr zu sagen wagen: Wenn wir aus den genannten Gründen einen Menschen nicht zur Beichte und Kommunion zulassen können, dann doch eben deshalb, weil Ehebruch im Evangelium, in der Geschichte des Glaubens und der Kirche immer als schwerwiegende Sünde betrachtet wurde.

Und schwerwiegende Sünde ist aus geistlicher Sicht eine reale und ernsthafte Gefahr für das Heil des Menschen. Und das Heilmittel gegen diese Gefahr besteht im Grunde nur entweder in der Rückkehr in die erste Ehe oder in einem Leben in Enthaltsamkeit – oder Minimum: in einem ehrlichen und ernsthaften Ringen um genau dieses.

Verhältnis von Barmherzigkeit und Wahrheit

In Zeiten, in denen sexuelle Liberalisierung eine Art goldenes Kalb der modernen Gesellschaft ist, ist auch diese Überzeugung und ihre Bekanntgabe politisch erneut völlig unkorrekt; auch wenn sie zutiefst biblisch ist und vom Glauben der Kirche nie preisgegeben wurde. Wenn es also um das Verhaltnis von Barmherzigkeit und Wahrheit geht, dann kann man hier ebenso fragen: Ist es nicht Pflicht einer wahrhaftigen und deshalb (!) barmherzigen Seelsorge, einen Menschen davor zu warnen, dass ein Leben in beständigem Ehebruch eine ernsthafte Gefahr für ihn sein und dass er nach biblischem Zeugnis sogar verloren gehen könnte (vgl. etwa 1 Kor 6, 9)?

Und müsste er, im Angesicht des Verlustes seines Heiles, nicht berechtigterweise zu uns sagen: „Warum hat mir das eigentlich keiner gesagt?“ Und würde diese Frage nicht erst recht deutlich machen, dass ehrliche, „ganzheitliche Sorge“ um den Menschen sein ewiges Heil selbstverständlich mit einschließt und eben nicht einfach unberücksichtigt lässt, nur weil wir vielleicht allzu leichtfertig meinen, dass Gott sowieso jeden rettet, egal, wie er lebt?

Mitwirkung gefordert…

Ein solches Meinen wäre aus biblischer Sicht jedenfalls allzu blauäugig: Schrift und Tradition haben immer betont, dass Gott uns alle retten will, aber nicht ohne uns und unsere Mitwirkung. Er nimmt unseren Willen ernst und auch unsere Bereitschaft, auf sein Heilslangebot zu antworten.

Wenn ich nun aus einem früheren Interview zitiert (und gelegentlich als „zu dogmatisch“ kritisiert) werde, in dem ich sagte, ich würde für diesen Punkt (Kommunion für die Geschiedenen und Wiederverheirateten) im Blick auf die Bischofssynode im Oktober nicht allzu viel Hoffnung hegen, dann doch nicht deshalb, weil ich diesen Menschen irgendetwas nicht gönnen würde.

Gebot des Herrn

Es liegt vielmehr daran, dass ich glaube, die Kirche und das Lehramt haben hier keine Handhabe, keinen Spielraum über das Gebot des Herrn. Die Auslegung der einschlägigen Schriftstellen (etwa Mk 10, 9‐12; Mt 5,32; Mt 19,9; Lk 16,18; 1 Kor 7,10‐11) hat stets beides gesehen: dass das Problem Ehe/Ehescheidung selbstverständlich nicht erst jetzt ein großes Problem in den christlichen Gemeinden ist, sondern von Anfang an eines war.

Und zweitens, dass der Herr selbst hier so deutlich und ausdrücklich das Verbot der Scheidung und mehr noch das Verbot der Wiederheirat betont hat, dass sich die lateinische Kirche immer daran gebunden gefühlt hat. Beispielhaft nur diese Stelle aus dem Markusevangelium (10, 11‐12) in der Jesus sagt: „Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet.“ Wer also meint, „die Kirche“ könne das einfach ändern, der übersieht allzu schnell ihre Gebundenheit an das Herrenwort und an ihren beständig überlieferten Glauben.

7. Reifung durch das Kreuz

Im Grunde geht es letztlich auch darum zu akzeptieren, dass wir einen Gott verehren, der uns sich ähnlich machen will – und das heißt heilig. Und wir haben nicht etwa einen Götzen, an dem wir so lange herumdeuten können, bis wir ihn dann schließlich ganz nach unseren Wünschen geformt haben. Wenn es für unsere oft klägliche und durchschnittliche Existenz tatsächlich einen Weg zur Heiligkeit gibt, dann nur mit Ihm und durch Ihn und vor Ihm.

Und jeder Mensch, der ernsthaft im Glauben unterwegs ist, der weiß, dass menschliches und christliches Reifen im echten Glauben, Hoffen und Lieben in der Regel sich nicht dann ereignen, wenn im Leben alles rund läuft, sondern eher genau dann, wenn wir zu kämpfen, zu tragen und auch zu leiden haben – und lernen uns darin zu bewähren.

Liebesfähiger werden

Jeder weiß, dass er im Grunde in den schwierigeren Zeiten seines Lebens am meisten gereift ist – wenn Reife genau damit zu tun hat, glaubender, hoffender und vor allem wirklich liebesfähiger zu werden. Freilich geht auch dieses Reifen nicht von selbst. Das Leid lässt auch die Moglichkeit zu, zu verbittern.

Aber gerade ein im Glauben durchgetragenes Leid kann uns helfen, dass wir tiefer und ehrlicher zu Christus finden und darin freier und weniger abhängig gegenüber so vielen Dingen der Welt werden. Das ist aus meiner Sicht der innere Grund der Aufforderung Jesu, seine Jünger mögen ihr Kreuz tragen und ihm nachfolgen (Lk 9,23). Dem Herrn nachfolgen heißt eben auch Kreuzesnachfolge – in der gläubigen Gewissheit, dass Er selbst dieses Kreuz für mich trägt und mitträgt.

Leben verlieren

Es heißt letztlich auch, mit ihm sterben lernen, um aus seiner Auferstehung zu leben (Röm 6,3‐8). Es heißt auch, dass wir die Freude in Fülle, die er immer neu schenken will, letztlich vor allem aus der Bereitschaft empfangen können, unser Leben um seinetwillen zu verlieren (Mt 10,39). Die wirkliche Freude im Heiligen Geist und die Bereitschaft, seinen Kelch zu trinken (Mk 10,38), gehören unweigerlich zusammen.

Und schon den ersten Jüngern war klar, dass der Weg zum Heil in der Nachfolge Jesu auch ein Weg der Bewährung ist, der Prüfungen und auch des Leidens: „Sie sagten: Durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes gelangen.“ (Apg 14,22). Und: „Wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden.“ (Röm 8,17) Wer sind schließlich die, die im Himmel vor dem Thron Gottes stehen? Antwort: „Es sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen – sie haben ihre Gewänder im Blut des Lammes weiß gewaschen.“ (Offb 7,14)

Ich kenne Menschen, die aus eben diesem Grund, weil sie den Herrn in seiner Kirche lieben, ihr Kreuz einer äußerlich gescheiterten Ehe tragen. Es sind Menschen, die ihrem Partner (auch dem, der sie z.B. betrogen und verlassen hat) trotzdem treu bleiben, und dann eben alleine weitergehen. Und ich habe tiefsten Respekt vor diesem Glauben und diesem Reifungsweg.

Die Wahrheit schimmert hindurch

Aus der Annahme solchen Scheiterns leuchtet aus meiner Sicht immer noch sehr viel von der Wahrheit der Unauflöslichkeit der Ehe durch; auch die Wahrheit, dass die Ehe in sich auch kein Selbstzweck ist, sondern wie unser ganzes Leben im Glauben hin geordnet ist auf unsere wachsende Befähigung mit Gott zu leben und Ihn in unserem Leben lieben zu lernen mit ganzem Herzen, ganzer Kraft und allen Gedanken – und unseren Nächsten wie uns selbst. Ich habe natürlich auch viel Verständnis, wenn jemand das hier Angedeutete so nicht leben kann oder will, es ist kein leichter Weg, aber es ist der Weg des Herrn.

Und mir wird an solchen Beispielen deutlich, dass die Wahrheit der Unauflöslichkeit der Ehe auch dann noch heilbringend sein kann, wenn ein Scheitern als Kreuz angenommen und in Treue getragen wird. Auch dieser Aspekt kommt übrigens in unserer Diskussion um die Geschiedenen und Wiederverheirateten so gut wie gar nicht mehr vor. Er ist für bloß weltliche Ohren nämlich unerträglich – und gehört dennoch ins Innerste unseres Glaubens. Immerhin mahnt uns Jesus, dass nur der sein Leben gewinnt, wer es um seinetwillen lernt zu verlieren! (Mk 8,35).

8. Zwei PraxisBeispiele: Stellvertretung und geistliche Kommunion

Zwei Praxis‐Beispiele möchte ich noch anführen, die auch für mich einiges verdeutlicht haben: Eine Bekannte, gläubige Frau erzählt mir die Geschichte von einem Fest unter Verwandten, bei dem auch eine Hl. Messe gefeiert wurde. Sie selbst saß beim Gottesdienst neben der zweiten Frau Ihres Vaters in der Kirchenbank.

Als es zur Kommunion kommt, fragt diese Frau meine Bekannte: „Ich habe solche Sehnsucht, darf ich auch gehen?“ Meine Bekannte erzählte mir, dass sie sehr perplex war und zuerst nicht gewusst habe, was zu sagen sei. Sie habe angefangen zu weinen, die zweite Frau ihres Vaters ebenfalls. Sie hätten sich umarmt – und meine Bekannte sagte dann kurzerhand: „Ich gehe für Dich!“

„Ich gehe für dich“

Als ich diese Geschichte zum ersten Mal gehört habe, war ich selbst zutiefst bewegt ob der Wahrheit, die hier zum Vorschein kommt. Will sagen: Jeder und jede von uns, die meint, berechtigten Grund zu haben, zur Kommunion gehen zu dürfen, geht dorthin nie für sich alleine! Sie wird genährt von der Liebe Christi und nimmt innerlich auch die ihm nahen Menschen mit, die aus welchem Grund auch immer nicht gehen können oder dürfen.

Sie nimmt diese Menschen in die Wahrheit und Liebe Christi mit hinein und bleibt offen auf sie hin. Die Umarmung der beiden Frauen, bei gleichzeitiger Zurückhaltung der zweiten Frau von der Kommunion, macht genau dies deutlich: „Du gehörst dazu, aber es gibt einen gerechten Grund, warum du nicht gehen kannst. Ich nehme dich dahin mit, in der Hoffnung, dass du bald wieder selbst gehen kannst.“

Mittler der Liebe Christi

Wir alle sind für einander auch Mittler für die Liebe Christi und Stellvertreter in ihr. Wir leben aber leider in einer auf das Individuum fixierten Gesellschaft und bisweilen auch Glaubensgemeinschaft, die diesen Aspekt der Stellvertretung nicht mehr sieht oder sehen kann. Die Folge ist: Die jeweils individualistischen Haltungen von „Ich darf gehen“ einerseits und von „Ich darf nicht gehen“ andererseits leben dann als gegenseitiger Ausschluss nebeneinander her.

Eine zweite Geschichte: Ich kenne eine Person, die in einer Zeit, als sie selbst noch kaum gläubig war, eine andere, einmal geschiedene Person geheiratet hat. Sie hat mit dieser Person inzwischen ein Kind. Sie wird im Laufe dieser Verbindung krank, kommt zu einer intensiven Glaubenserfahrung, erfährt Nähe zu Christus und Maria und spürt nach und nach von innen her: „Die Person, mit der ich jetzt lebe und ein Kind habe, ist im Grunde nicht mein Ehepartner, sie ist vielmehr Ehepartner in ihrer ersten Ehe.“ Gleichwohl spürt sie, dass es wenig realistisch ist, in der jetzigen Situation mit dem Ehepartner nicht das Bett zu teilen.

„Selig, die zum Hochzeitsmahl des Lammes geladen sind“

Sie ringt innerlich sehr darum, geht häufig in die Hl. Messe, sehnt sich nach der Kommunion. Aber sie erkennt – wieder von innen her – dass sie sich selbst gerade nicht berechtigt fühlt, hinzuzutreten. Sie enthält sich aus Respekt vor dem Mysterium und seiner Wahrheit vom Hinzutritt und kommuniziert geistlich, in innerer Verbundenheit. Sie tut es in der Hoffnung, dass nach und nach ein Einverständnis mit dem Partner wächst und sie irgendwann wieder in die Möglichkeit hineinfindet, im vollen Sinn zu kommunizieren.

Ich muss einfach sagen: Das Ringen dieser Person ringt auch mir tiefsten Respekt ab. Sie liebt die Eucharistie und ihr Verhalten ist zutiefst geprägt von dieser Liebe. Ich habe einmal zu ihr gesagt: „Der Priester hält vor dem Kommunionempfang die konsekrierte Hostie hoch und sagt manchmal den Satz: ‚Selig, die zum Hochzeitsmahl des Lammes geladen sind’. Ich glaube, Du wirst bei diesem Hochzeitsmahl eher dabei sein als viele von uns, die so oft gedankenlos hingehen und das Sakrament weniger ernst nehmen als Du.“

9. Der Sieg der Wahrheit ist die Liebe

Die beiden angeführten Beispiele zeigen aus meiner Sicht, dass beides richtig und wichtig ist: die ehrliche, einfühlsame begleitende Sorge der Mitchristen von Menschen, die sich hier betroffen, verletzt, ausgeschlossen fühlen. Wir haben alle Mitverantwortung dafür, dass dieses „Gefühl“ nicht zu weiteren Verhärtungen oder gar einem realen Ausscheiden der Betroffenen aus der Kirche führt.

Wir brauchen alle Demut und Geduld, auch mit uns selbst. Und wir sind alle auf dem Weg, und zwar auf einem Weg, auf dem noch keiner vollkommen ist. Diejenigen, die sich berechtigt fühlen, zur Kommunion zu gehen, haben auch Verantwortung für die in unserer Nähe, die nicht hingehen können oder durfen. Diese gehören auch zum Leib Christi, in dem wir alle als Geschwister miteinander verbunden sind. Wir haben Verantwortung füreinander.

Mitverantwortung

Wir haben aber auch Mitverantwortung dafür, dass das, was die Schrift und der Glaube über Ehe und Eucharistie lehren, nicht verdunkelt wird. Und wir haben schließlich alle auch Verantwortung dafür, dass wir alle in der Sorge füreinander bleiben, im Zugehen auf das Heil, das Gott uns in Christus verheißen hat.

Und das Erlangen dieses Heils ist kein Automatismus. Es geht weder um ein Üben von Barmherzigkeit, das die Wahrheit einfach hinter sich ließe. Noch geht es um ein Sagen der Wahrheit, das sich dann aber nicht zugleich barmherzig um die Menschen sorgt, denen man diese Wahrheit sagt.

Der Weg ist Christus in Person

Barmherzigkeit ohne Wahrheit wäre eine Karikatur von dem, was wir glauben. Und Wahrheit ohne Barmherzigkeit neigt zur Grausamkeit. Es ist tatsächlich die Wahrheit, die siegt, aber sie siegt nur in der Liebe und als Liebe. Und diese Wahrheit und Liebe, der sich uns zugleich als der Weg anbietet, ist Christus in Person.

Dass wir dabei manche Spannung zwischen den hohen Herausforderungen Jesu und des Evangeliums und unserer praktischen Lebenswirklichkeit aushalten müssen, keine Frage. Aber wo unser Leben innerlich ernsthaft auf Ihn hin geordnet bleibt, gehen wir dem Heil entgegen – wie auch immer die Umstände sein mögen.


„Nur du!“ – Über das Sakrament der Ehe hat Bischof Stefan Oster auch in diesem Vortrag gesprochen.