Foto: Pressestelle Bistum Passau

Heilige Nacht im Passauer Stephansdom

Der tiefere Sinn der Heiligen Nacht: Die Predigt von Bischof Stefan Oster zu Heilig Abend am 24. Dezember 2014 im Passauer Stephansdom.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
vor ein paar Tagen habe ich eine wiederkehrende Rubrik in einer großen Tageszeitung gelesen, die heißt „das erste Mal“. Zur Wort kommen darin Menschen, die irgendetwas für sie Bedeutsames zum ersten Mal tun sollen oder dürfen. Und diesmal, eben kurz vor Weihnachten, wurden katholische und evangelische Geistliche interviewt, die vor ihrer allerersten Weihnachtspredigt standen.

Und sie sprachen davon, dass das besonders schwierig sei, weil an so einem Tag so besonders viele verschiedene Menschen im Gottesdienst seien. An einem normalen Sonntag hat man zwar auch schon viele verschiedene, aber immerhin sind die meisten dann wenigstens darin geeint, dass sie auch an einem normalen Sonntag kommen. An Weihnachten dagegen kommen irgendwie alle, nämlich die regelmäßigen Kirchgeher oder auch diejenigen, die fest glauben, was die Kirche lehrt.

Auf der Spur des Zaubers dieser Nacht

Es kommen die Gelegenheitskirchgeher, die immer mal wieder da sind, aber vielleicht nicht ganz so fest darin verankert sind; es kommen Zweifler, treue und weniger treue und es kommen solche, die im Grunde nie kommen, außer in der Heiligen Nacht; außer eben dann, wenn sich so ein wundersamer Zauber über eine Nacht legt, die auf der ganzen Welt gefeiert wird und von der doch etwas Besonderes oder Tiefes auszugehen scheint – ob einer den gläubigen Inhalt teilt oder nicht. Es kommen auch noch viele andere, die ich in meiner Aufzählung noch nicht erfasst habe. Und das Schwere ist: alle diejenigen sollen nun in der Predigt angesprochen werden. Alle hofft man zu berühren, alle hofft man, auch durch den Gottesdienst zu beschenken. Wie geht das denn? Beim ersten Mal?

Liebe Schwestern und Brüder, zunächst einmal herzlich willkommen, alle die Sie hier sind; und schön, dass Sie hier sind. Es ist natürlich nicht meine erste Weihnachtspredigt, aber immerhin die erste in diesem großartigen Dom, in dieser wundersamen Nacht. Und natürlich habe auch ich den Wunsch, die Sehnsucht, dass Sie alle etwas mitnehmen von hier, egal von wo Sie kommen und wie nah dran oder vermeintlich weit weg Sie sind. Ich wünsche Ihnen, dass Sie auch mehr von hier mitnehmen als nur Erläuterungen des Glaubens oder Begriffe der Theologie, mehr auch als eine gediegen formulierte Botschaft, mehr auch als ein wenig gute Stimmung.

Neu berührt – Weihnachten in Dir

Ich wünsche mir und Ihnen vielmehr, dass wir neu berührt werden, dass uns eine Erfahrung ins Herz trifft, dass Gottes Geist Sie von innen her neu bewegt. Ich wünsche Ihnen eine Öffnung für Erfahrungen, die vielleicht von Gefühlen begleitet wird, aber doch zugleich mehr ist als nur Gefühl. Und ich wünsche jedem und jeder von Ihnen eine Berührung in der Tiefe, von der Sie spüren: Wenn ich dem folge, dann kann das etwas wirklich Nährendes werden, etwas Tragendes, etwas, was mich zutiefst beschenkt, ohne dass ich es mir gemacht oder verdient hätte. Kurzum, liebe Schwestern und Brüder, ich wünsche Ihnen sehr, dass in Ihnen Weihnachten werde, dass sich in Ihnen zumindest Spuren, Anfänge, Vertiefungen von diesem Großen ereignen mögen, was wir hier und heute feiern.

Aber wie könnte sich diese Erfahrung genauerhin einstellen oder was wäre der Inhalt so einer Erfahrung? Nun, wenn wir über Weihnachten nachdenken, kommen wir an diesem Kind in der Krippe einfach nicht vorbei. Und damit auch nicht an der Frage: Wer ist es? Wer ist dieses Kind? Die Kirche hat zu dieser Frage heute im Evangelium die Erzählung aus dem Lukas-Evangelium bereit gestellt: Die Hirten bekommen auf dem Feld die Antworten. Er ist der Retter, der Messias, der Herr. Und morgen, am hohen Festtag von Weihnachten, singt die Kirche das Lied vom Logos aus dem Johannes-Evangelium.

Am Anfang war der Sinn

Wir übersetzen Logos in Deutsch mit ‚Wort’: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott und es ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Man kann das griechische Wort Logos anstatt mit Wort aber auch mit Sinn übersetzen. Am Anfang war der Sinn, der Sinn von allem. Der Sinn, in dem alles geschaffen wurde, der göttliche Sinn. Liebe Schwestern und Brüder, das Unerhörte, Unfassbare unseres Glaubens sagt uns: dieses Kind in der Krippe, vollkommen wehrlos, vollkommen hilflos, völlig ausgeliefert und ohnmächtig, arm, dieses Kind ist der Sinn von allem, der Sinn der Welt.

Kann das sein? Kann es sein, dass uns in Jesus, in dem Kind in der Krippe, jemand begegnet, der der Sinn der Welt ist? In seiner Niedrigkeit, in seiner Hingabe, in seiner Entäußerung, später in seinem Gequält- und Gefoltert-werden? Kann das sein, geht das in unseren Verstand oder wenn nicht ins Denken, dann zumindest ins Herz?

Ich erzähle sehr gerne die Geschichte einer guten Bekannten, die intensiv auf der Suche war, die alle möglichen Sinnerfahrungen ausprobiert hatte, die zwar ursprünglich christlich erzogen, aber im Laufe ihres Jugend- und Erwachsenenlebens eben ganz weit weg gekommen ist. Sie hat gesucht in der Philosophie, in der Esoterik, in verschiedenen Formen des Engagements, der Freundschaft… alles da, alles gut und schön. Aber der letzte, der eigentliche Sinn? Ihr Herz hat einfach nach mehr gedürstet.

Unsere Sehnsucht nach Sinn

Nach tieferem, nach einer Erfahrung, die sich nicht einfach damit zufrieden gibt, dass es nur diese Welt gibt und sonst nichts. Irgendwann, relativ spät, schon mit Mitte Vierzig etwa hat sie die wundersame Idee gehabt, doch mal wieder eines der Evangelien zu lesen, genauer die Bergpredigt und andere Texte mehr aus dem Matthäusevangelium. Und auf einmal war sie bestürzt, intensiv bewegt. Sie kam zu mir und hat gesagt: „Du, ich weiß nicht, ob ich schon gläubig bin, aber wenn einer Recht hat, dann er, dann Jesus.“ Liebe Schwestern und Brüder, ich bin sicher, dass ihr das in diesem Moment der Heilige Geist ins Herz gelegt hat. Er hat ihr die Schrift aufgeschlossen und sie wirklich getroffen. „Wenn einer Recht hat, dann er.“ Ich möchte für heute ergänzen: Wenn in einem der Sinn liegt, der Sinn von allem, dann in ihm!

Meine Lieben, wir alle haben eine Sehnsucht nach Sinn, nach Wahrheit, nach Liebe in uns, die durch nichts zu stillen ist, was wir nur von dieser Welt her kennen. Wir suchen und sehnen uns nach Mehr, nach Größerem und Echterem. Wir können daran verzweifeln, dass wir das nicht finden, wir können uns betäuben durch Ablenkungen oder Süchte aller Art. Aber die Erfahrung der Christinnen und Christen aller Zeiten ist: Komm in die Kirche, hier findest Du den Sinn, den letzten, den tiefsten Sinn, den die Welt zu geben hat – der aber eben nicht nur aus dieser Welt ist. Und wenn ich nun Kirche sage, liebe Schwestern und Brüder, dann lassen Sie bitte nicht zuerst die Bilder oder Diskussionen in sich hochsteigen aus den Medien-Debatten um Zölibat und Kirchensteuer und sonstige Reizthemen. Das ist auch alles wert, diskutiert zu werden. Aber es ist nicht das, was Kirche im Innersten ausmacht.

Heilige Nacht: Bei Maria und Josef an der Krippe

Lassen wir uns deshalb bitte nicht immer neu von außen das als Hauptthemen von Kirche vorgeben, was gar nicht unsere Hauptthemen sind. Vielmehr will ich Sie einladen: Kommen Sie, kommen wir alle erst einmal hinein, stellen wir uns erst einmal einfach zu Maria und Josef an die Krippe und staunen über dieses Wunder; stellen wir uns später auch mitgehend und mitleidend mit Maria am Karfreitag unter das Kreuz und jubeln wir noch später am Ostersonntag mit Maria und den Jüngern über die Auferstehung. Dann sind wir im Herzen von Kirche und von hier schaut die Welt, die ganze Welt, plötzlich neu und anders aus und voller neuem Sinn. Und von hier schauen übrigens auch alle diese Reizthemen neu und anders aus als nur medial von außen betrachtet.

Aber, liebe Schwestern und Brüder, wenn wir selbst gewissermaßen nur draußen bleiben, wenn wir im Bild gesprochen nur auf dem Christkindlmarkt bleiben, um zu essen und zu trinken und Geschenke einzukaufen und ein wenig Weihnachtsfeeling zu bekommen, wenn wir nur dort bleiben und von dort nicht hier hinein in den Dom, oder besser ins Geheimnis der Kirche hineinfinden, auch innerlich nicht, dann kann in uns kein Weihnachten werden. Wenn wir im Vorfeld der selbstgemachten Lichter nicht glauben wollen oder können, dass uns da in der Kirche ein unfassbares Sinnlicht entgegenkommt, dann kann in uns kein Weihnachten werden, egal um wie viel Romantik wir uns auch bemühen. Es bleibt dann eine Sinnerfahrung, die nur von dieser Welt kommt und nicht vom Himmel.

Diese Begegnung hat mein Leben verändert

Ich kann Ihnen am Ende dieser Predigt nicht mehr als mein eigenes Zeugnis geben: Die Begegnung mit dem Kind in der Krippe hat mein Leben verändert! Seit mich der Sinn von Weihnachten getroffen hat, fühle ich mich beschenkt von einem Vertrauen, das sich nicht mehr auf Dinge dieser Welt gründet, von einer Freude, die nicht mehr weggeht, von einer Hoffnung, die schon zu ahnen beginnt, wie sich der Himmel anfühlt. Freilich, ich gehe dennoch noch durch diese Welt, als normaler Mensch, auch mit Kämpfen und Versuchungen. Das bleibt. Aber die Freude bleibt auch und sie wird tiefer und irgendwie unverlierbarer.

Und wenn ich Ihnen nun frohe und gesegnete Weihnachten wünsche, dann hat das genau diesen Inhalt. Es ist nicht einfach nur ein frommer Spruch. Es ist der aufrichtige Wunsch, dass Gottes Geist über Sie alle ausgegossen werden möge. Und dass Er Ihnen allen die Herzenserkenntnis schenken möge, dass das Kind auch für Sie zur Welt gekommen ist. Und dass es auch in Ihnen und durch Sie zur Welt kommen will. Auf dass der Friede in uns wachse und die Freude und dass sich in allem zeigen möge, dass der Sieg der Wahrheit die Liebe ist. Amen.


Warum Weihnachten mehr ist als eine Nacht wie jede andere: Hier können Sie die Weihnachtsbotschaft 2014 ansehen.