Predigt am Fest der Heiligen Familie 2020 im Passauer Dom – zunächst im Text, weiter unten als Video.
Liebe Schwestern und Brüder,
wir begehen den Sonntag der Heiligen Familie. Für die meisten von uns, die wir katholisch sozialisiert sind, klingt diese Bezeichnung sehr selbstverständlich „die Heilige Familie“. Aber wer sich heute nur ein wenig in der Gesellschaft umhört und umsieht, der weiß, dass das in den Ohren von nicht wenigen Menschen anstößig klingt. „Die Heilige Familie“, die noch dazu als Vorbild für die christlichen Familien dargestellt wird – das klingt in den Ohren von vielen Menschen, die heute die politische und mediale Debatte bestimmen, als reaktionär. Maria, Josef und Jesus bieten die Projektionsfläche für ein Bild von einer Familie, die zuerst fromm ist und wie im heutigen Evangelium geschildert, gleich in den Tempel geht, um religiöse Vorschriften zu erfüllen. Und dann ist es eine Familie in der klassischen Zusammensetzung von Mama, Papa, Kind, in dem es scheint, dass der Papa als Zimmermann arbeitet und die Mama brav daheim bleibt und das Kind großzieht. Und das Ganze wird dann also als „heilig“ dargestellt, daher auch als unantastbar.
Ist nur das Normale heute normal – oder noch viel mehr?
Dabei, so das Argument von vielen, zeige doch die Entwicklung unserer Gesellschaft, dass wir das alles längst hinter uns haben. Sehr viele Familien seien erstens längst nicht mehr fromm und zweitens gebe es das klassische Bild von Mama, Papa, Kind oder Kindern immer weniger. Dafür gibt es Patchwork, Kinder als Geschwister verschiedener Elternpaare, die sich in verschiedenen Variationen zusammen finden. Es gibt viele Alleinerziehende, auch viele Singles, es gibt schwule und lesbische Paare, mit und ohne Kinder. Es gibt auch Familien, in denen mehr als zwei Erwachsene die Elternrolle übernehmen. Und all das, so sagt man, stehe doch mindestens gleichberechtigt neben dem klassischen und vor allem noch religiös geprägten Bild von der ach so heiligen Familie. All dieses andere sei inzwischen ebenso normal, deshalb soll nicht ein einziges Modell die Norm sein für alles andere.
Gibt es nur Mann und Frau?
Dazu kommt: Ist es heute überhaupt eindeutig, wer Mann oder Frau ist. Gibt es nicht in der Gesellschaft eine einflussreiche Gender-Bewegung, die uns verstehen lassen will, dass es längst nicht mehr nur Männer und Frauen gibt. Vielmehr gibt es jetzt auch in unserem Land vom Verfassungsgericht bestätigt, die Möglichkeit, sich im Geburtenregister weder als männlich noch als weiblich, sondern als „divers“ eintragen zu lassen. Und auch deswegen so sagt man, sei das überlieferte Bild einer traditionellen Familie heute überholt und deshalb solle man damit auch nicht Druck ausüben auf Menschen, die anders sind und anders leben wollen. Wir sehen, liebe Schwestern und Brüder, wie sehr sich in wenigen Jahren die Welt verändert hat, wie sich unsere Gesellschaft verändert hat – im Blick auf das, was Familie und Zusammenleben heißt. Und viele erfahren, dass sie ins Abseits geraten, wenn sie einfach nur an ihrem katholischen Glauben festhalten wollen – mit dem auch vom Glauben her gewohnten und uns überlieferten Blick auf Familie. Nicht wenige von uns fühlen sich mit diesem Blick inzwischen auch politisch eher heimatlos. Weil sie erleben, wie das, was von ihnen als gewohnt oder normal empfunden wird, inzwischen von solchen politischen Kräften vereinnahmt wird, die andererseits nicht automatisch mit christlicher Menschenfreundlichkeit gegenüber jedem Menschen glänzen. Viele Gläubige fühlen sich dann im Dilemma, weil sie im politischen Diskurs schnell in eine Ecke gestellt werden, in der sie sich selber gar nicht sehen.
Ein drittes Geschlecht?
Wie gehen wir mit dieser Situation um, wenn wir an dem festhalten wollen, was andere dann schnell mit Begriffen belegen wie eben „ewig gestrig“, „reaktionär“, „fundamentalistisch“ oder ähnlich. Vielleicht zunächst ein Wort zu der Sache mit dem Normalen und der Norm. Liebe Schwestern und Brüder, es ist eine ganz einfach einzusehende Tatsache, dass im Grunde jeder lebende Mensch aus der geschlechtlichen Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau hervorgegangen ist. Deshalb ist jeder von uns schon von Grund auf Teil des Normalen, Teil des Konzeptes: Mama, Papa Kind. Und selbst wenn die Erzeugung eines Kindes im Labor war, dann braucht man dazu immer noch zwei Formen von Geschlechtszellen, nämlich Samenzellen, die von einem Mann hervorgebracht werden, und Eizellen, die von einer Frau kommen. Soweit ich informiert bin, gibt es damit biologisch nur diese zwei Geschlechter, Männer und Frauen. Und dort, wo es tatsächlich so genannte Intersexualität gibt, dort hat die Natur die Variante eines Menschen hervorgebracht, dem etwas fehlt, nämlich die klare Zugehörigkeit zu einem der beiden Geschlechter. Und damit fehlt so einem Menschen fast immer auch die Fähigkeit sich fortzupflanzen. All das liegt wohl einfach daran, dass auch unsere Schöpfung nicht vorhersehbar fehlerlos wirkt. Und so wie ausnahmslos jeder Mensch, so ist auch die ganze Schöpfung nicht mehr ganz heil, ist mit dem Menschen auch der Vergänglichkeit unterworfen. Und in ihr ereignen sich Abweichungen von normalen Prozessen, die uns fragend zurücklassen. Und so kommt es vor, dass Menschen geboren werden, die einen Mangel leiden, etwa wenn jemand blind geboren wird oder mit einem Herzfehler, oder mit einer anderen Beeinträchtigung. Und so wie solche Beeinträchtigungen nicht einfach zum gewöhnlichen Verlauf natürlicher Prozesse gehören, die wir kennen und erwarten, so erwarten wir bei einer Geburt auch nicht Menschen, die biologisch keine klare Zuordnung zu einem der beiden Geschlechter haben – auch wenn es das in seltenen Fällen tatsächlich gibt. Solche Menschen sind damit aber aus meiner Sicht nicht ein eigenes drittes Geschlecht. Sondern es sind Menschen, denen schlicht diese Zuordnung zu einem der beiden Geschlechter fehlt. Und selbstverständlich bedeutet das keinerlei Beeinträchtigung ihrer Würde als Menschen und ihrer Personrechte.
Was ist mit Transpersonen?
Und dann gibt es weiterhin Menschen, die biologisch klar als männlich oder weiblich aufwachsen, die sich aber in dieser geschlechtlichen Identität falsch fühlen. Und die deshalb gerne eine Veränderung in der Geschlechtszugehörigkeit wünschen. Sie werden Transpersonen genannt oder nennen sich selbst so. Die Fragen, Entwicklungen, Entscheidungen, die hinter solchen Prozessen stehen, sind sehr komplex, sehr individuell, oft auch leidvoll. Und weil ich nur ganz geringe persönliche Erfahrung mit solchen Menschen habe, kann und will ich hier nicht urteilen. Was ich aber aus der Sicht des Glaubens und der natürlichen Prozesse zu bedenken geben möchte, ist folgendes: Ich habe noch von keinem Fall gehört, dass durch Operation oder Hormontherapien, wirklich eine ganze Umwandlung des Geschlechtes stattgefunden hätte. Also so, dass vormals eine biologisch weibliche Person, die eine Gebärmutter hat und Eizellen produziert hat, nun ein Mann würde, der nun Samenzellen produziert – und umgekehrt. Das heißt, auch eine äußere Angleichung an das neue, gewünschte Geschlecht, etwa durch Operation wird im Grunde immer mit der Schwierigkeit belegt bleiben, dass das nie vollständig gelingen kann. Und dass es daher in einer gewissen Weise auch unvollständig bleiben muss. Was das dann aber für die Ausgangsfrage – Bin ich richtig in meinem Körper? – bleibend bedeutet, das kann ich bestenfalls erahnen.
Was ist mit Homosexuellen?
Und außerdem gibt es drittens Menschen, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen – und die deshalb auch nicht einfach das aus unserer Sicht gewöhnliche Familienmodell leben wollen oder können. Ich durfte in meinem Leben sehr beeindruckende Menschen kennenlernen, die homosexuell empfinden – auch sehr gläubige. Und darunter sind solche, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben – und die zutiefst unter dem leiden, was die Lehre der Kirche zu Homosexualität sagt. Ihre Neigung ist ja in der Regel einfach da. Menschen finden sich in dieser Neigung und haben sie normalerweise nicht gewählt. Und dennoch sagt die Kirche auch, dass nicht die Neigung selbst, aber das Ausleben dieser Neigung im sexuellen Akt nicht richtig ist, dass es Sünde ist. Dass das schwer zu verstehen ist, kann ich ehrlich nachempfinden. Ich kenne aber auch Menschen, die obgleich sie homosexuell empfinden, in sich spüren, dass die Kirche mit ihrer Lehre trotzdem recht hat. Sie spüren, dass bei diesem Akt für sie etwas nicht passt. Und sie bemühen sich deshalb um ein Leben in Enthaltsamkeit – und gleichzeitig um die intensive geistliche Verbindung mit Christus. Auch davor habe ich tiefen Respekt und halte es für richtig. Aber zugleich sehe ich, dass andere Homosexuelle so etwas weder verstehen können, noch wollen; oder sie fühlen sich mit der Forderung der Lehre schlicht überfordert.
Notwendig: Mit jedem Menschen mitgehen….
Liebe Schwestern und Brüder, ich hab das alles so entfaltet, weil ich deutlich machen will, dass ich einerseits der Lehre der Kirche über Familie, über Mann-sein und Frau-sein und Sexualität glaube und vertraue. Ich halte sie für wahr und glaube, dass das was ich oben als das Normale benannt habe, dass sich das auch in unserer Schöpfungsordnung eingezeichnet findet, die normale Familie von Mann, Frau und Kind(ern). Aber ich glaube auch, dass wir die Größe und Komplexität der Fragen und Probleme, denen wir heute in unserer Kultur begegnen, schon lange nicht mehr einfach ganz schnell auf die Seite wischen können. Und schon gar nicht können wir auf die Schnelle sagen: „Sünde, Todsünde – mit dir will ich nichts zu tun haben!“ Das wäre zu schnell, zu einfach, zu verletzend. Ich glaube und halte dafür, dass wir in der Begegnung mit Menschen, die über diese Dinge anders denken und anders leben als der Katechismus oder die Bibel sagen, zunächst einmal Hörende sein müssen, Offene, Mitgehende, Annehmende, Menschen, die verstehen wollen – im besten Fall wirklich Liebende. Ich glaube nämlich zutiefst, dass Gott für jeden Menschen, ob er schwul, lesbisch, trans-, inter- oder einfach heterosexuell ist, für jeden Menschen hat Gott Pläne des Heils und will dessen Heil. Und zugleich ist jeder von uns allen heilsbedürftig, erlösungsbedürftig. Und jeder, der meint, er ist schon im Heil, nur weil er in einer normalen Familie lebt und sonntags zur Kirche geht, der darf auch genauer hinschauen, um zu sehen, dass letztlich in keiner Familie alles immer nur in Ordnung wäre.
Der Sieg der Wahrheit ist die Liebe
Deshalb, liebe Schwestern und Brüder: Die Wahrheit, der wir glauben, die ist an Weihnachten für uns in eine Familie hineingeboren worden. Und ja, auch um unsere Familien zu heiligen und zu stärken. Damit Familien Orte der heilen Beziehungen werden, in denen Paare die Liebe lernen und Kinder in einer liebevollen Umgebung heranwachsen und leben und glauben lernen. Aber dieser Jesus, der ist zugleich aus seiner heiligen Familie ganz, ganz weit hinaus gegangen. Sein Ort war immer wieder draußen, draußen bei denen am Rand, den Ausgestoßenen, den Zöllnern, den Huren, den Leprakranken – eigentlich bei uns allen, uns Sündern, die wir so oft lieblos sind. Er hat mit Sündern Feste gefeiert, er ist am Ende zwischen zwei Verbrechern gestorben. Sein Platz war bei den Sündern! Warum? Damit sie durch die Begegnung mit Ihm von Gottes Liebe berührt werden und von Gottes Vergebung und Gottes Heil. Er hat sie eingeladen in das Reich des Vaters. Er hat sie hineingeliebt, ist selbst für sie hineingestorben, damit sie durch ihn hindurch gehen können in dieses Reich. Liebe Schwestern und Brüder, daher ist mein Vorschlag für all diese Fragen rund um die heilige Familie: Ich glaube die Wahrheit unserer Lehre, aber ich glaube auch, dass diese Wahrheit nicht zuerst eine Lehre ist, sondern zuerst eine lebendige, göttliche Person ist, die aus Liebe zu allen Menschen Mensch geworden ist, für sie gestorben ist, vor allem für die Sünder, für uns Sünder. Und wer von dieser Liebe berührt wird, so meine Erfahrung, dem kann es möglich werden, nach und nach auch seine Wahrheit von innen her zu sehen – und hoffentlich auch in Freiheit anzunehmen. Einstweilen bleibt uns – so gut es geht allen Menschen Weggefährten zu sein, wenn sie es wollen, was auch immer sie über unsere Lehre denken. Und wenn wir gefragt werden, warum wir leben wie wir leben, dann können wir auf den Herrn verweisen und auf sein Evangelium. Und darauf, dass es die Begegnung mit Jesus ist, die Leben verändern kann – und die dann auch besser sehen lässt, warum die Kirche das Evangelium von der Familie lehrt. Und warum dieses Evangelium zugleich eine Einladung ist in die große Gottesfamilie aller Kinder des einen Vaters. Denn die Wahrheit der Kirche siegt letztlich nur als Liebe. Amen.
Kommentare
Lieber Bischof, wunderbar Ihre Weihnachtsbotschaften Ihrer Predigten, wollte mich bei der Gelegenheit für Ihren Besuch auf der GIG-Konferenz bedanken, welch ein Segen, welch tolle Impulse, ich durfte dort in Bad-Gögging anwesend sein. Unvergesslich, Bleiben Sie bitte und Ihre Angestellten gesund. Herzlichst Georg Ettl, Kirchengemeinde Floss in der Oberpfalz
Besten Dank für diese Nachricht. Viel Segen für Sie und die Ihren. Herzlich SO
Sehr geehrter Hochwürdigster Bischof Dr. Stefan Oster, SDB!
Vielen Dank für Ihre Gedanken zum Fest der Heiligen Familie. Sie haben zu Recht den Finger in eine m. E. klaffende Wunde gelegt. Dennoch möchte ich an Sie noch einige Anfragen stellen, bzw. auch meine Erfahrung einbringen.
Am Anfang Ihrer Predigt sprechen Sie von der Heiligen Familie und ich glaube den Begriff des „Heilige“ muss man hier auch verwenden. „Die Gegenwart des Herrn wohnt in der realen, konkreten Familie mit all ihren Leiden, ihren Kämpfen, ihren Freuden und ihrem täglichen Ringen.“ So schreibt Papst Franziskus in seinem Schreiben Amoris Laetitia in 315. Überall dort wo der Herr zugegen ist, dort ist etwas von Heiligem zu spüren. Die Erfahrung die ich aber im Beratungskontext mache ist, dass es vielen Familien immer schwerer fällt, dieses Heilige wahr zu nehmen und gleichzeitig ein hohes Bedürfnis danach besteht es zu spüren. Die Sehnsucht von Familien nach Heilwerdung, nach Geborgenheit, nach Angenommen sein und letzlich dann auch nach liebevollen Beziehungen ist bei allen da. Und hier kommen wir dann zu den anderen Punkten die sie ansprechen. Dafür bin ich zu wenig Experte mich zu Transpersonen etc. zu äußern. Es geht für mich eher darum, wie bieten wir allen Menschen, egal in welcher Konstellation sie leben einen Raum ihr Heiliges zu entdecken und dadurch ihr Leben neu auszurichten. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Wenn ich einen längeren Erziehungskurs halte, dann habe ich als Teilnehmer Eltern unterschiedlichster Erfahrungen und Lebenssituationen. Trotzdem vereint diese Eltern alle, dass sie Orientierung suchen. Und in den Jahren, wo ich dieses besondere Geschenkt der Elternbegleitung erfahren darf, merke ich immer mehr, wie schwierig es für Eltern und Ehepaare ist den richtigen Weg zu finden. Wenn diesen Eltern aber die Zeit gegeben wird und auch die Begleitung, dann blitzt hier plötzlich auch das Wort Gott und die Frage nach dem wie auf. Und das wird in der Diskussion häufig übersehen. Paare und Eltern sind in einer Welt von heute mit einer Vielzahl von Lebensmodellen und Lebenswirklichkeiten konfrontiert und gezwungen eine Auswahl zu treffen. Dieses auswählen verunsichert und vor allem es überfordert. Das ist der Preis den wir bezahlen, dass wir globaler, diverser und immer offener werden. Eltern springen oft von einem Lebensentwurf zum anderen, suchen Halt und werden eher unsicherer und mutloser. Alleine wieviel Erziehungsratgeber es gibt die zu ein und dem selben Thema unterschiedlichste Ratschläge geben. Und hier können wir als Kirche eigentlich mit einem Schatz wuchern. Nämlich, dass wir ein Lebensmodell anbieten, das in die Freiheit und in die Liebe führen würde. Und genau das vermisse ich. Sie selbst haben gesagt, dass wir den Menschen Weggefährte sein sollen. Aber was bedeutet das: Wir müssen in Beziehung sein. Und in Beziehung sein heißt, zu verstehen wo der andere steht. Ich glaube es geht zunächst nicht um angefragt sein, was kirchliche Lehre betrifft, sondern dass wir verstehen müssen, dass Familien und Paar heute in Fragen des Glaubens, der Glaubensweitergabe Analphabeten sind. Und hier will ich ein ganz einfaches Bild bemühen. Wenn Kinder in der 1. Klasse das Lesen lernen funktioniert das nur, wenn Eltern mit Ihnen üben, wenn Sie es aushalten, dass Wörter immer wieder mal falsch gelesen werden und dass es viel Geduld und Barmherzigkeit braucht, bis ein Kind verstanden hat wie aus einzelnen Buchstaben Wörter werden. Und dazu gehört auch, dass man sich dann Erfolgen freuen kann, wenn es gelingt. Ich glaube wir brauchen als Kirche ganz andere Wege Zugang zu Paaren und Familie zu finden. „Das Wohl der Familie ist entscheidend für die Zukunft der Welt und der Kirche.“ (AL 31) so bringt es der Papst auf den Punkt. Wir begegnen vielleicht zu oft mit Vorschriften anstatt mit Lebensräumen die wir bieten können. Wir füllen diese Vorgaben in der Moral und Sexuallehre zu wenig mit dem Begriff der Freiheit, sondern sprechen zuviel von Verboten. Ich halte mich gern an etwas, was mir Freiheit und Liebe ermöglicht und nicht was mich einengt. Und davon würde ich mir wünschen, würden wir wegkommen. Hin zu einem gelingenden Leben in der nicht der Begriff der allumfassenden Toleranz im Vordergrund steht (die, so glaube ich gar nicht existiert, denn sonst würde alles in Beliebigkeit abgleiten) sondern ein Lebensmodell das mich als Person und gemeinsam als Familie bereichert. Gemeinsam die Schönheit der christlichen Ehe zu sehen und Hilfen anzubieten das auch leben zu können. Aber dazu braucht es Beziehungsfähigkeit und vor allem auch Zeit. Und mein Eindruck ist, dass wir einzelne Angebote machen, die aber wenig Nachhaltigkeit erzeugen oder wir bieten Dinge an, die im ersten Moment überfordern oder Angst machen. Das Patentrezept habe ich auch nicht, ich versuche Eltern zu begleiten und ein Gegenüber zu sein, wo sie erkennen, dass Glaube und Wirklichkeit sich nicht ausschließen. „Die Pfarreien, die Bewegungen, die Schulen und andere Einrichtungen der Kirche können Hilfestellung leisten, um die Familien zu betreuen und neu zu beleben. (…) (AL 229) Helfen heißt dann auch miteinander aushalten und miteinander weinen und lachen. Und nätürlich werden wir auch erleben, dass Lebenspläne scheitern, aber auch dieses Scheitern in unserem Sinn zu begleiten bedeutet neue Räume der Lebensführung zu eröffnen. Ich denke hier auch besonders an die Familien im Moment, die überfordert sind mit Homeschooling, finanziellen Problemen … aber auch die normalen Alltagsherausforderungen einer Familie und Ehe wie pubertierende Kinder, ein schreiendes Baby, Ärger im Beruf. Ich wünsche mir, dass wir demütig auch vor dem sind, was viele Paare und Familien täglich leisten, die sich jeden Tag redlich mühen. Es ist oft gar nicht so leicht. Ich danke Ihnen noch einmal aufrichtig für ihre wichtigen Worte und auch die Anregungen die sie geben. Kommen Sie gut ins Neue Jahr 2021. Der Heilige Geist begleite Ihr Tun.
Mit herzlichen Grüßen
Stefan Zauner
Besten Dank, Herr Zauner, für Ihre reiche Reflexion. Ich bin im Grunde in vielen Dingen mit Ihnen, ähnlich habe ich es auch formuliert. Und ja, zuerst Annahme immer – dann Schritte gehen, die den Glauben eröffnen – und im gelingenden Fall weitergehen, das „Heilige“, das schon da ist, sehen lassen – und dann nach und nach lernen, aus dem Glauben zu leben. Natürlich: Wer unsere Lehre kennt, hat den Eindruck es geht immer genau andersrum: Erst musst Du „richtig“ sein, dann gehörst Du dazu. Und tatsächlich wird es ja so auch gelebt in vielen Bereichen der Kirche. Sie haben Recht, die Reihenfolge ist die umgekehrte: unbedingte Annahme, dann ggf. Lehre, die dann evtl. angenommen wird und evtl. zur Veränderung eines Lebensstils führt. Und wenn nicht? Trotzdem mitgehen…. Anspruchsvoll, aber christlich.
Das Problem ist freilich: Das eigene intellektuelle und spirituelle Zusammenbringen von Wahrheit und Liebe, von Lehre und eigenem Handeln. Ich erlebe, dass wir uns selbst darin insgesamt sehr hart tun. Und das führt dann nicht selten eher zu Banalisierung der Lehre als zu ihrer Vertiefung. Und ja, wir haben große Herausforderungen und Umbrüche vor uns…. vermutlich die größten seit ein paar hundert Jahren. Trotzdem glauben wir: Der Herr geht mit uns.
Gruß und Segen für Sie und Ihre Lieben im Neuen Jahr.
Sehr geehrter Herr Bischof Oster,
das Thema ist die „Hl. Familie“. Und es ist so brisant wie nie zuvor! Derzeit stecken unzählige Familien in Flüchtlingslagern fest, sie harren unter menschenunwürdigen Bedingungen aus, andere Familien zB in Deutschland befinden sich im Lockdown, Kindergärten und Schulen sind geschlossen. Zusätzliche Kontaktbeschränkungen. Viele Familien müssen auf weitreichende Einkünfte verzichten, sei es durch Jobverlust, Kurzarbeit oder Betreuungsmangel der Kinder. Wissen Sie eigentlich wie es ist, zwei kleine Kinder rund um die Uhr zu betreuen? Wissen Sie wie es eine Ehe belastet, wenn man nie eine Pause bekommt? Sie können sich abends ins Bett legen und hoffentlich ruhig schlafen- weit entfernt von den Sorgen die Familien aktuell zermürben. Das soll Ihnen jetzt gar kein Vorwurf sein. Aber die Situation in den Familien brennt! Sie definieren was „Normal“ ist, was „mit Mangel ist“ bzw. „etwas fehlt“. Sie wollen nicht urteilen, sondern annehmen um dann gütig zu bekräftigen, dass allen Menschen das Heil zugesagt wird? Es ist Haarklauberei in der jetzigen Situation. Geht Jesus zu der Prostituierten, die gerade gesteinigt werden soll und fängt an, ihr zu predigen dass sie nicht normal ist? Dass ihre sexuelle Verhaltensweise eine Sünde ist? Hält er ihr einen Vortrag, wenn sie ihr Leben ändert wird sie Heil in Gott finden?
Mein Jesus geht zu ihr hin. Er geht zu ihr hin! Er nimmt an ihrer aktuellen Situation teil! Er begleitet sie! Er richtet sie auf! Er sagt steh auf! Er zeigt ihr seine Liebe. Er zeigt ihr wie Gott ist. Er will dass ihr Leben gelingt. Er sieht ihren einzigartigen unantastbaren Wert von Gott gegeben! Und DADURCH lehrt er sie von Gott! Ich wünsche mir von der katholischen Kirche, dass sie endlich aufhört die Wahrheit zu definieren und anfängt sie zu leben. Die Ärmel hochzukrempeln und ganz unten im stinkenden Stall von Bethlehem anzufangen: wie kann ich eine Familie aufrichten, wie kann ich sie dazu inspirieren von Gott gestärkt diesen Alltag zu meistern. Damit sie die Liebe füreinander bewahren, damit sie die Geduld für ihre Kinder Tag für Tag aufbringen. Wie kann ich sie begleiten und ihnen Mut machen.
Und so leid es mir tut, mich hat Ihre Predigt nicht berührt. Ich weiss den Wert eines Menschen im Herzen. Weil ich ihn spüre, wenn ich in das Gesicht meiner Kinder sehe. Ob sie einmal schwul oder transgender sein werden, weiss ich nicht. Es ändert nichts, aber auch rein gar nichts an meiner Liebe für sie. Und wenn meine Liebe für zwei so kleine Menschen bedingungslos von vornherein als Geschenk gegeben ist, wie rein und unvorstellbar muss die Liebe Gottes für sein Kind sein. DAS ist für mich die Hl. Familie. Unantastbar in seiner Würde und in seinem Wert als Kind im stinkenden Stall von Bethlehem. Es ist unwichtig ob deine Chromosomen richtig geordnet sind oder ob du vielleicht anders bist, als die Norm dich vielleicht gerne hätte. Jeder Mensch hat seine Wurzel in der Hl. Familie, in der heiligen Liebe Gottes unseres Vaters. Ich wünsche mir von einem Bischof, dass er das Beste aus mir zum Vorschein bringen will. Damit ich innerlich leuchten kann und so ein Segen für andere sein kann. Meine Sünde besteht nicht in meiner Definition als Geschlecht oder was ich für eine sexuelle Orientierung habe. Sondern darin, ob ich heute wieder ein Licht für andere war, oder ob ich versagt habe. Ob ich andere durch meine Worte und Taten verletzt habe oder ungerecht war.
Es ist sowas von unrelevant, ob jemand schwul, lesbisch, transgender, bi, divers, weiblich, männlich ist. Der Grund warum die Menschen so oft denken, man müsse eine Aufnahme Prüfung machen, um in der Kath. Kirche mitmachen zu dürfen, hat den Grund, dass man euch sog. Würdenträgern leider nicht glaubt, dass ihr die Menschen liebt.
Und deshalb kommen sie auch nicht zu euch, weil sie in ihrem Leben genügend Alltag haben, der sie niederdrückt.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie niemals aufhören auf das Kind im Stall zu sehen. Gott hat seine Botschaft nicht so schwierig gemacht :ich liebe Dich, Du Mensch.
Maria Foeller
Sehr geehrte Frau Foeller, haben Sie von Herzen Dank für Ihre intensive Antwort, die mir von allen bislang am meisten zu Herzen geht. Und zwar weil ich im Grunde beinahe alles mit großer Zustimmung lese. Und was Sie mir am Ende vorzuwerfen scheinen: Stichwort „Aufnahme Prüfung“ oder „sog. Würdenträgern“ habe ich ehrlich gesagt im letzten Teil meiner Predigt versucht zu formulieren: Mit jedem mitgehen, begleiten, anerkennen, lieben – ob einer den Katechismus gut findet oder nicht. Vielleicht haben Sie es auch nicht mehr gelesen. Das täte mir leid.
Was uns unterscheidet: Mir ist die Frage nch der Wahrheit wichtig. Und im Grunde ist es mein Lebensthema: Wie gehen „Wahrheit und Liebe“ zusammen. Eine schnelle Antwort ist natürlich: In Jesus. Er ist in Person die Veranschaulichung des Ineinander von Wahrheit und Liebe. Aber wir neigen in unserer Gebrochenheit, beides voneinander abzuspalten. Wahrheit, gläubig z.B. auch das Dogma, ist etwas, was nur in Sätzen daherkommt und im Zweifelsfall Menschen überfremdet oder überfordert, während es doch eigentlich auf die Barmherzigkeit ankommt. Und dieser Verdacht gegen die Wahrheit – wenn sie nicht auch als Liebe gelebt wird, stimmt ja. Im Grunde ist viel von dem, was Jesus als pharisäisch angklagt, aus so einer Haltung: Wir haben die Wahrheit – und nach dieser Wahrheit des Gesetzes muss er sterben. Das heißt: Ja, natürlich muss die Wahrheit von der Liebe begleitet sein. Sie als Mutter wissen selbst, dass konsequente Erziehung mit Kindern nicht immer nur Spaß macht – weder Ihnen als Gesetzgeberin, noch den Kindern als denen, die sich fügen sollen. Und dennoch wissen Sie, dass „das Gesetz“ aus Liebe gegeben wird (z.B. zu solchen Fragen: Was essen wir? Wann gehen wir schlafen? Was dürfen wir am Computer machen oder ansehen? Wann bekomme ich mein erstes Handy?) – zum wohl des Kindes. Und tatsächlich: Wahrheit ohne Liebe tendiert zur Grausamkeit. Aber jetzt ist für mich auch noch wichtig: Liebe ohne Wahrheit tendiert zur Beliebigkeit. Und wenn ich den letzten Teil Ihrer wirklich bemerkenswerten Einlassung lese, dann lese ich ein wenig von dieser Schlagseite – bilde ich mir zumindest ein. Natürlich liebt Jesus die Prostituierte bedingungslos – aber sie ändert durch die Begegnung ihr Leben (z.B. Maria von Magdala) und zur Ehebrecherin (Joh 8) sagt er nach der Begegnung: Geh und sündige nicht mehr. Die Schrift ist also sehr deutlich darin, dass bestimmte Lebens- und Umgangsformen von Gott entfernen. Zudem habe ich als eine der tiefsten Lebensüberzeugungen gewonnen: Nicht alles, was als Liebe erscheint, ist es auch. Allzu häufig ist es am Ende doch noch gut kaschierter Egoismus. Und das schließt vor allem den ganzen Bereicht der Sexualität (für jeden von uns!) ein und nicht aus. Was also wäre die Wahrheit darin – die wir als Liebe leben sollen? Im Grunde dreht sich unsere Frage darum…. Ich wollte mit diesen Anmerkungen Ihre wirklich tiefe Einrede nicht klein machen, gar nicht. Eher erläutern, worum es mir auch geht. Und wenn Sie sagen: Ich hätte an diesem Tag über andere Themen sprechen können, die die Familie betreffen: Corona, Flüchtlinge etc. Ja, natürlich, haben sicher auch viele gemacht. Aber ich hätte auch über Familienpolitik reden können oder über die Klimakrise und ihre Auswirkungen auf Familie – und noch mehr. Ich hab halt dieses Thema gewählt – aber vor allem geht es mir in alledem tatsächlich um Jesus. Und der bleibt (in der Einheit von Wahrheit und Liebe) aus meiner Sicht der Kern dieser mehr oder weniger gelungenen Version einer Predigt. Nochmals danke, herzlicher Gruß und gesegnetes Neues Jahr SO
Vielen Dank für die mutige Predigt! Weiter so!
zum Kommentar von Frau Foeller und Ihrer Antwort darauf:
Sehr geehrter Herr Bischof (am Fest der Taufe Jesu`),
auch mir und vermutlich vielen anderen Lesern ist der Kommentar von Frau Foeller „zu Herzen“ gegangen, weil er wahrhaftig und ein aufrichtiges, tief bewegendes Glaubenszeugnis ist – ganz konkret aus dem Alltagsleben einer christlichen Mutter.
Doch ich glaube nicht, dass Frau Foeller sich als die „Gesetzgeberin“ ihrer Kinder versteht, „die sich fügen sollen“. Vielmehr vermute ich, dass sie aus der aufmerksamen und liebevollen Beobachtung der jeweiligen Eigenarten ihrer Kinder ihre Schlüsse darauf zieht, welche mütterlichen/elterlichen Anweisungen, Vorgaben und Regeln für ihre Kinder sinnvoll sind.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie z.B. nach dem Grundsatz handelt „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt“, wie es noch in meiner Kindheit – in Maßen entschuldbar durch die Not in der damaligen Zeit – gegolten hat.
Im übertragenen Sinne kleben aber nicht wenige Kleriker an diesem Grundsatz, obwohl im 2. Vatikanischen Konzil der Glaubenssinn der sog. Laien ausdrücklich als eine der Quellen von Glaubenswahrheiten anerkannt wurde. Als Getaufte sind wir vorrangig „Kinder Gottes“ und nicht „Kinder der Kirche“, deren Glauben wir gleichwohl in jeder Eucharistiefeier als die WAHRHEIT unseres Lebens bekennen und auf den zu schauen wir den HERRN bitten.
Dieser Glaube liegt – es mag noch so viele Katechismen geben – nicht fix und fertig und ein für allemal als ewige Wahrheit vor, sondern muss immer wieder in der Kirche, die sich selbst als „semper reformanda“ (als eine immer zu erneuernde) versteht, von ganzem pilgernden Volk Gottes gesucht und gestärkt werden.
Sie, Herr Bischof, haben in Ihrer Predigt bekannt, dass Sie der jetzigen „Lehre der Kirche über Familie, über Mann-sein und Frau-sein und Sexualität glaube(n) und vertraue(n).“ Damit sondern Sie sich vom Pilgerzug der Fragenden und Suchenden ab, weil für Sie ja die „Wahrheit“ hinsichtlich der Geschlechterordnung und Geschlechtlichkeit erklärtermaßen feststeht. Zur Begründung führen Sie an: „Die Schrift ist also sehr deutlich darin, dass bestimmte Lebens- und Umgangsformen von Gott entfernen.“ Bibelexegetisch ist dagegen einzuwenden, dass es “ d i e Schrift“ nicht gibt; und was „bestimmte Lebens- und Umgangsformen“ betrifft, so mögen es die zur Zeit von Jesus sozial üblichen gewesen sein, welche historische Kontextualisierung aber sofort die Frage aufwirft, welche h e u t i g e n Lebens- und Umgangsformen „von Gott entfernen“. Es scheint, als ob Sie inbesonders Formen der Liebe/Sexualität unter Generalverdacht stellen, weil sie in ihnen ein Versteck des Egoismus vermuten und Ihnen dieser Bereich suspekt ist als gelebte Wahrheit („Was also wäre die Wahrheit darin -die wir als Liebe leben sollen?“).
Mit Verlaub: so zu denken und zu fragen scheint mir die Folge der ehedem getroffenen Entscheidung zur zölibatären Lebensweise zu sein, vor der ich größte Hochachtung habe, die aber nicht maßgeblich für die Mehrheit der christlichen Laien sein kann. Wenn Frau Foeller sich am Ende eines Tages fragt, ob sie „ein Segen für andere“ war, dann bekundet sie mit dieser Frage, dass sie ihre Liebe (zu ihen Nächsten und den ihnen begegnenden Mitmenschen) ganz und gar an dem Anderen ausrichtet, so wie Jesus es vorgelebt hat.
Würde Jesus heute Menschen von sich weisen, die so sehr den Anderen lieben, dass sie bereit wären , „sein Leben für seine Freunde (hinzugeben)“ (Joh 15,13). Die Wahrheit ist: Solche Menschen gibt es – und das nicht nur in christlichen Ehen.
Pax et Bonum
A. Sänger
Sehr geehrter Herr Sänger,
haben Sie herzlichen Dank für Ihre qualifizierten Äußerungen – hier und unter dem anderen Beitrag. Sie werfen gleich mehrere und umfangreiche Fragen auf, zu deren intensiver oder durchdringender Beantwortung mir die Zeit fehlt. Vielleicht ist aber der Hauptpunkt dieser: Sie meinen, ich würde Schöpfungs- und Naturbegriff weitgehend synonym verwenden. Dazu ist zunächst natürlich gar nicht einfach zu sagen, was wir überhaupt meinen, wenn wir „Natur“ sagen. Ich meine, wir können auf diesen schwierigen Begriff nicht verzichten (und damit auch nicht auf das so genannte Naturrecht), aber im Gespräch darüber braucht es immer einen komplementären Begriff, der das dann umreisst und jeweils neu eingrenzt, also z.B. „Natur und Kultur“ oder „Natur und Gnade“ oder „Natur und Person“ oder „natürlich und künstlich“ etc. Dann zeigt sich, was wir jeweils in Abgrenzung durch den anderen Begriff in einem spezifischen Kontext mit Natur meinen.
Wenn Sie dann sagen, ich würde Schöpfung und Natur gleichsetzen, dann stimmt das nur insofern, als wir zwar grundsätzlich von Gottes guter Schöpfung sprechen, aber wir glauben zugleich, dass in dieser Schöpfung buchstäblich und übertragen „der Wurm drin ist“. Sie ist nicht mehr heil. Die Ordnung Gottes ist verwundet – wenn auch nicht zerstört. Und aus meiner Sicht reicht der „tiefste Ort“ dieser Verwundung in die Frage nach unserer Idenität hinein. Wer bin ich? Und da wir alle Beziehungswesen sind, heißt die Frage immer zugleich: Wer bin ich in Bezug auf mich selbst, auf die anderen, auf die Welt, auf Gott. Und alle diese Fragen sind ineinander verwoben: Mein Selbstverhältnis sagt etwas über mein Verhältnis zum Nächsten und zu Gott. Mein Gottesverhältnis sagt etwas über mein Verhältnis zum Nächsten und zu mir selbst. Und so fort… Und das Verhältnis zu mir selbst schließt immer (!) meine ganze Verfassung mit ein: Leiblichkeit, Emotionalität, Vernunft, Willen…. Das tiefste und prägendste Verhältnis in dieser „Dreierkonstellation“) ist dasjenige, aus dem wir ursprünglich mit Gott leben. Von dort her, lernen wir zugleich uns selbst und den Nächsten zu lieben. Daher gibt es auch biblisch den Primat der Gottesliebe („das erste und wichtigste Gebot“). Ist dieses Verhältnis „im Lot“, äußert sich das wie selbstverständlich im Verhältnis zum Anderen und zu mir selbst (das Zweite „ebenso wichtig“).
Und die Sendung Jesu besteht nach meinem Glauben darin, den Menschen heimzuholen – das heißt, durch Ihn im Hl. Geist in das rechte Verhältnis zum Vater zurückzufinden. Mithin in die Gotteskindschaft. Dieses Verhältnis bringt mich „zurecht“, es macht mit neu („neue Schöpfung“, „neue Geburt“) – und es ist in der Lage auch den Drang primärer Lebensbedürfnisse: Essen, Trinken, Schlafen, Wohlleben, Sexualität…. weniger drängend sein zu lassen, eben weil wir nun nicht mehr „vom Brot allein“ leben, sondern aus der Nähe zu Gott („und jedem Wort aus seinem Mund“). In diesem Sinne glaube ich nun, dass Sexualität als eine tiefe Ausdrucksform, Liebe zu einem exklusiven Nächsten zu leben, in den erlösenden Vorgang einbezogen ist. Jeder von uns braucht nur mit offenen Augen in die reale und virtuelle Welt zu sehen, um zu verstehen, dass zusammen mit dem ganzen Menschen gerade Sexualität auch nicht von selbst „Ort“ heiler Beziehungsgestaltung ist und nach dem „Ereignis“, das wir biblisch den „Sündenfall“ nennen auch nie mehr war. Auch davon (von dieser unheilen Beziehungsgestaltung) ist die Bibel voll.
Aber ich glaube nun umgekehrt, dass es in dieser Welt möglich ist – aus der erneuerten Gottesbeziehung so zu leben, dass Sexualität in ihrem ganzheitlichen, von der Schöpfung ihr eingezeichneten Sinn zur Geltung kommt: Als Leben eines exklusiven Ausdrucks von Liebe, die Nähe, Bindung, Fruchtbarkeit, Lust, Transzendenz ineinander vereint. Oder aber, wo dieser ganzheitliche Sinn nicht möglich ist, in Enthaltsamkeit gelebt werden kann und soll. Warum ich meine, von diesem „eingezeichneten Sinn“ sprechen zu können. Zunächst aus der in der Predigt erwähnten Tatsache, dass immer noch jeder lebende Mensch einen biologischen Vater und eine biologische Mutter hat. Und dass es aus meiner Sicht immer noch das Beste für ein Kind ist, wenn die Beziehung der Eltern funktioniert und das Kind dann in einer Beziehung der leiblichen Eltern aufwachsen kann. Dieses Urgeschehen von Zeugung ist und bleibt aus meiner Sicht der Teil der guten Schöpfung. Ich meine sogar sagen zu können, jedes Kind hat eigentlich ein Recht darauf. Es gibt nämlich nie „ein Recht auf ein Kind“ (im Sinn von: dann lass ich mir eben eins von einer Leihmutter austragen, oder ich benutze einen Sexpartner, um mir eines zeugen zu lassen, den ich dann wieder an die Seite stelle…. etc.) aber jedes Kind hat ein Recht auf seine Eltern (in dieser Welt immer eingeschränkt mitgesagt: Wo dies möglich ist!)
Wie gesagt, das Verstehen dieser Position ist aus meiner Sicht überhaupt nur möglich aus dem Glauben (und der Erfahrung!) an eine Christusbeziehung, die innerlich verändert, die die innere Blickrichtung verändert und verändern kann. Eine Beziehung, die mich mich selbst auch als beides wahrnehmen lässt: als geliebtes Kind Gottes, das darin zugleich und in gewisser Weise bis zum Ende dieses Lebens auch erlösungsbedürftig und Sünder bleibt. Ich glaube aber auch, dass es darin einen Reifungsweg gibt, dass nämlich das Gehen und Bleiben in der Nähe Jesu die Dimension der Kindschaft vertieft und die Dimension des „Sünder-seins“ entmachtet. Aber letztere bleibt dennoch: Vor allem weil wir alle bleibend in einem gebrechlichen, letztlich todgeweihten Leib bleiben. In diesem Sinn lese ich auch das abgründige Kapitel in Röm 7, wo Paulus seine innere Not und Kämpfe beschreibt.
Was nun Ihre persönliche Entscheidung betrifft: Ich kann Ihre Gewissenschentscheidung gut annehmen. Ich spüre eine intensive Auseinandersetzung mit der Lehre der Kirche – und auch Ihre Reibung daran. Und lese das im Sinn von Papst Franziskus: „Wir sind berufen, das Gewissen zu bilden, aber nicht zu ersetzen“. Sie haben sich Ihre Gewissensentscheidung „gebildet“ und in gewisser Weise auch von der Lehre der Kirche „bilden lassen“ – und haben sich nun so entschieden, wie Sie es sagen. Davor habe ich auch Respekt, zumal dann, wenn Sie diese Entscheidung mit ihren Konsequenzen verantwortungsvoll leben – wie Sie ebenfalls sagen. Daher meine Aussage in der Predigt: Sofern wir die bestehende Lehre der Kirche für richtig halten, berechtigt uns das keinesfalls zum Ausschluss, sondern lädt vielmehr ein zur Weggemeinschaft, zum Mitgehen, Annehmen, Verstehenlernen ein. Aber vielleicht können Sie nachvollziehen, dass ich mich aus den gegebenen Prämissen, die ich noch kurz weiter erläutere, nicht sagen kann, wir können hier vor dem Hintergrund unserer Lehre auch „segnen“.
Was ich schließlich noch zu sehen meine: Die Liebe, die Jesus lebt bis ans Kreuz – und die er uns als das Innerste der dreifaltigen Liebe Gottes zeigt, ist im tiefsten Sinn „keusche Liebe“ oder „absichtslose Liebe“ oder „lautere Liebe“. Alles Worte dafür, dass sie nicht das Ihrige sucht, sondern das Gut des Anderen – als Anderen. Ohne den heimlichen oder offenen Wunsch nach Besitzergreifung des Anderen. Daher glaube ich auch, dass in jeder Beziehung, in der genitale Sexualität gelebt wird, unabhängig von der Orientierung, diese Dimension der „Lauterkeit“ wachsen wird – sofern sie wirklich in der Gemeinschaft mit Christus gelebt wird. Wenn diese „Absichtslosigkeit“ aber im Herzen von Menschen durchdringt oder zum Durchbruch kommt, dann kann es sein, dass unter solchen Vorzeichen auch der Verzicht auf genitale Sexualität eine echte und einsehbare Option wird.
In diesem Sinn hoffe ich, meine Position ein wenig verständlicher gemacht zu haben, und auch auf das eine oder andere Ihrer Anfragen geantwortet zu haben. Ich hoffe, Sie haben Verständnis, dass ich angesichts der vielen Anfragen (und anderer Aufgaben :-)), nicht noch weiter darauf eingehen kann. Mit den besten Segenswünschen fürs Neue Jahr bin ich Ihr Stefan Oster SDB
Sehr geehrter Herr Bischof,
aufrichtigen Dank für Ihre ausführliche Antwort, in der so viele anregende, aber auch zu befragende Gedanken enthalten sind.
Da diese Kommentare von allen Besuchern/innen Ihrer Website gelesen werden können, wirken die darin mitgeteilten Erfahrungen und angedeuteten theologischen Dispute vielleicht ganz woanders weiter – und ich hoffe zum Guten.
Ihnen, verehrter Herr Bischof, möchte ich ausdrücklich Anerkennung dafür aussprechen, dass Sie als einer der wenigen Bischöfe in der BRD es gewagt haben, sich der virtuellen Welt auszusetzen, um mit den Gläubigen Ihrer Diözese und darüber hinaus zu kommunizieren.
Mögen Sie ein Segen sein!
Herzlichst A. Sänger