Außerhalb der Kirche kein Heil? Gedanken von Bischof Stefan Oster angeregt durch das Interview von Papst Benedikt XVI. zum Thema: Die „doppelte tiefgreifende Krise“ der Kirche.
Vor einiger Zeit habe ich hier ein wenig nachgedacht über den Unterschied zwischen Heilsuniversalismus und Heilsautomatismus. Zum ersten Begriff: Die Kirche hat immer gewusst, dass Jesus für alle gestorben ist. Sein Heilsangebot ist also universal, katholisch im Sinn von allumfassend, für jeden einzelnen Menschen. Das ist Heilsuniversalismus.
Kein Heil außerhalb der Kirche?
Im letzten Konzil ist auch noch einmal deutlich geworden, dass wir den alten und immer noch gültigen Glaubenssatz „außerhalb der Kirche kein Heil“ neu verstehen lernen müssen. Es heißt für mich: Das Gute der Kirche, das Heil und die Gnade, die durch Christus in der Kirche gegenwärtig ist und die die Kirche verschenken kann, erstreckt sich über ihre sichtbaren, institutionellen Grenzen hinaus. Es reicht weiter.
Wir sind ja als Jünger und Jüngerinnen Jesu gerade hinaus gesandt zu den Verlorenen, zu den Armen, zu den Marginalisierten, bis an die Ränder der Welt. Die Kirche und ihre Gläubigen beten und verschenken sich also immer auch für die, die nicht oder noch nicht zu ihr gehören. Und die Kirche erkennt spätestens mit dem Konzil an, dass es auch in anderen Religionen und Weltanschauungen „Spuren der Wahrheit“ gibt, die ihr selbst aber in einem ganz umfassenden Sinn in Christus geschenkt ist.
Stellvertretung durch die Kirche und ihre Gläubigen
Wie nun aber dieses Heil, das in Christus durch die Kirche für alle Menschen angeboten ist, tatsächlich auch zu denen außerhalb der Kirche gelangen kann, darüber besteht theologisch wenig Klarheit. Wenn wir sagen, es geschieht womöglich ohne das Moment einer persönlichen Entscheidung für Christus, dann negieren wir wesentliche Aspekte des Evangeliums, die stets die Umkehr, das ganz persönliche Bekenntnis und die persönliche Entscheidung des Einzelnen zur Voraussetzung haben.
Andererseits glauben wir sehr selbstverständlich, dass es in der Kirche zu Recht das Moment der Stellvertretung gibt, noch ehe von einem Menschen eine persönliche Entscheidung für den Glauben getroffen wurde, etwa bei der Kindertaufe. Hier geben Eltern stellvertretend für ihr Kind das Versprechen des Glaubens und helfen dem Kind so in die Zugehörigkeit zur Kirche. Das heißt: Es gibt hier also eine Form der Unmündigkeit für den Glauben, die dann aber stellvertretend von Gläubigen der Kirche und so von der Kirche selbst mitgetragen wird – und so wird der Unmündige in die Kirche mit hinein genommen.
Kein Heil für Ungetaufte?
Könnte man von dieser Voraussetzung her nicht Folgendes formulieren: Ein Ungetaufter, welchen Alters auch immer, wird von einem Christen, der wirklich authentisch das Evangelium lebt, mit der Liebe Christi beschenkt, geliebt, berührt. Der Außenstehende lässt sich berühren und nimmt diese Berührung im Herzen an. Kann es sein, dass dieser, auch wenn er noch nicht selbst zur eigenen Glaubensentscheidung gekommen ist, von diesem Christen, von der Kirche insgesamt, mitgetragen und mit hineingenommen wird? Durch das unsichtbare Band der Liebe des Herrn?
Das wäre zumindest ein denkbarer Weg für mich (und wohl nicht der einzige), um zu sagen, der Glaubenssatz, dass es „außerhalb der Kirche“ kein Heil gibt, gilt immer noch. Denn das Heil wird ja auch hier durch die Kirche vermittelt. Aber zugleich eröffnet er Wege des Heils für die, die echt oder nur vermeintlich „draußen“ sind. Die Kirche lebt ja ganz offensichtlich nicht nur für die, die schon ganz in ihr sind. Sondern sie lebt das Geheimnis des Heils, der Versöhnung mit Gott, auch stellvertretend für die vielen, die dem Herrn noch nicht begegnet sind. Ja, sie lebt es für die ganze Welt.
Die persönliche Glaubensentscheidung bleibt wichtig
Damit würde gesagt, das Heil, das die Kirche empfangen hat und verschenken kann, erstreckt sich eben weiter als nur bis zu ihren sichtbaren, institutionellen oder auch sakramental definierten Grenzen. Gleichzeitig bleibt dabei aber betont, dass die persönliche Glaubensentscheidung für Christus wichtig bleibt, wenn ein Mensch dazu von seiner Glaubenserkenntnis her für sie reif ist. Und es bleibt gültig, dass dieser Mensch sein Heil aufs Spiel setzt, wenn er diese Entscheidung dann nicht trifft.
Übrigens auch für die, die vermeintlich sicher schon „drinnen“ sind. Und es bleibt ebenfalls wichtig, dass es in jedem Fall viele Entschiedene geben muss, viele Mit-Stellvertreter, gesegnet mit der Kraft und dem Geist des Herrn, die tragen und mittragen, weil sie sich – in ihrer eigenen Schwäche – vom Herrn selbst getragen wissen. Damit die Kirche ihren Sendungsauftrag wahrnehmen und im Geist des Herrn erfüllen kann.
Statt Stellvertretung weitgehend Heilsautomatismus
Nun sind aber solche Gedanken heute kaum noch vermittelbar. Das Geheimnis der Stellvertretung wird kaum mitvollzogen. Viel lieber, weil auch viel einfacher, ist der Gedanke: „Wenn Gott nicht nur die in der Kirche liebt, sondern auch alle außerhalb, und wenn er will, dass keiner verloren geht, dann werden am Ende ohnehin alle gerettet.“ Diesen Gedanken habe ich „Heilsautomatismus“ genannt.
„Keiner geht verloren. Irgendwie sind automatisch alle dabei, auf alle Fälle die ganz große Mehrheit. Und Gott verzeiht ohnehin jede Sünde. Er ist ja unfassbar barmherzig.“ Im Grunde neigen wir ja heute zum Beispiel bei unseren Beerdigungen schon lange dazu, den Verstorbenen bereits ganz im Himmel zu sehen. Die Rede vom Gericht, von der Rechenschaft für das Leben, die in der Hl. Schrift so deutlich ist, von der notwendigen persönlichen Entscheidung, will im Grunde niemand mehr hören oder in den Mund nehmen, Gott liebe ja alle.
Heilsautomatismus vs. persönliches Wachstum
Wenn es so einfach wäre, würde aber tatsächlich ein geistliches Leben als Entscheidung, als Weg, als Wachstum, als Heiligung, als Vertiefung der Beziehung mit Gott, als Kampf mit den Versuchungen dessen, was die Schrift so oft „Welt“ nennt, als Einübung und Pflege meiner Liebe zu Ihm, als Askese, als ausdauerndes, beständiges Gebet, als Hingabe in der selbstlos liebenden Tat, kurz als Sich-wandeln-lassen hinein ein neues Leben, alles das würde hinfällig, würde überflüssig.
Wir einigen uns viel lieber auf einen einigermaßen humanen Standard und Katalog von „Werten“ und humanistischer Praxis der vermeintlich Anständigen, der sich dem gängigen gesellschaftlichen Niveau anpasst. Alles andere passt dann auf jeden Fall. „Bleib mir vom Leib mit Gericht, mit Hölle, mit Sünde, mit Buße, mit Umkehr, mit alledem! Der Himmel ist die einzige Richtung, die es geben kann, für alle.“
Erste Generation: Wie schön, wie menschenfreundlich
Nach dem Konzil wurde der Gedanke an Gericht und möglichen Verlust des Heils tatsächlich quasi aufgegeben, wie Papst Benedikt in dem Interview sagt – unter sehr oberflächlichem oder verkehrtem Bezug zu den tatsächlichen Texten des Konzils! Und nicht nur, aber womöglich hauptsächlich mit dieser Preisgabe ist in der Folge immer mehr auch die Praxis des religiösen Lebens zurückgegangen.
Denn wenn der bedrohliche Gedanke vom möglichen Verlust des Heils erst einmal ausgeblendet ist, wird in der Folge mit ihm auch die Rede von Erlösung durch das Kreuz, die Rede vom Blut, das für unsere Sünden vergossen wird, von der Notwendigkeit der Umkehr und vieles andere unverständlich. Der Kern des Glaubens verliert notwendig an Kraft, an Substanz.
Wohlfühlveranstaltungen vermitteln kein Heil
Und mir scheint nun, dass die erste Generation, in die diese neue Sicht umfassend eingedrungen ist, zwar häufig noch treu in den Gottesdienst gegangen ist und sich weiter verbunden gefühlt hat. Sie hat sich nun ja ganz befreit gefühlt von alten Zwängen und Drohbotschaften. Der Gottesdienst wurde vielfach zu einer Art kommunikativen Wohlfühlveranstaltung, den man gerne besucht hat.
Und wenn dann auch noch die Kinder ganz viel machen durften im Gottesdienst, war das ganz wunderbar. Die Gemeinde hat vielleicht ein wenig zu viel begonnen, sich primär selbst zu feiern. Sie war aber dankbar, dass es diese schönen, so menschenfreundlichen Möglichkeiten der Kirchennutzung nun endlich auch gab.
Zweite Generation: Kirchenbindung light
Freilich hat dann aber diese zweite, die älter werdende Kindergeneration irgendwann auch verstanden, dass Gottesdienste dieser Art auf Dauer doch nicht so prickelnd sind. Zumal in einer Zeit, in der die Entertainment-Angebote allerorts und auf allen Kanälen so ungleich viel spannender waren. Spirituell tief oder gar herausfordernd waren die Gottesdienste oder die Verkündigung häufig und auf Dauer ohnehin nicht mehr.
Freundliche Verkündigung
Verkündigung sollte jetzt vor allem freundlich sein, keinesfalls Rückkehr zur Drohbotschaft. Am besten so, wie es den meisten passt. Die unangenehmen Themen lässt man zudem beiseite. Und keinesfalls kann man mehr fordernd predigen. Man soll ja die Leute da abholen, wo sie stehen – und sie dann am besten auch gleich stehen lassen, sonst wird es zu unbequem und sie laufen wieder weg.
Sonntags morgens ist eh nicht so die Zeit der jungen Leute. Viel zu anstrengend. Aber vielleicht, weil es doch Reste des Glaubens von den Eltern her und gute Erinnerungen aus den Kindergottesdiensten gibt, geht man manchmal doch noch hin und erinnert sich gern an alte Zeiten. Kirchenbindung light.
Emotionale Fixpunkte
Sentimental wird man vielleicht heute noch mal dann, wenn ein „Jugendgottesdienst“ angekündigt wird. Und der wird dann von der ehemaligen „Jugendband“ gestaltet, die zwar schon etwas in die Jahre gekommen ist und Lieder spielt, die man vor 30 Jahren so toll und jugendlich fand. „Aber es ist doch einfach schön.“ Jugendliche sind zwar fast keine da, aber dafür viele von den Jüngeren unter den Grauhaarigen.
„Freilich, auch das müsste im Grunde nicht sein, denn ein guter Mensch kann man ja auch ohne Kirche sein, wie so viele in meiner Bekanntschaft auch. Ok, Weihnachten und Ostern sind schon noch so emotionale Fixpunkte, da treffen wir uns nochmal in der Kirche. Aber dann muss der Pfarrer schon liefern, damit es sich rentiert, dass ich komme.“
Lebenswenden oder Krisenzeiten
In dieser Generation schon ist bei der Frage nach fortdauernder Praxis des religiösen Lebens, persönlichem Gebet, Sakramenten, Heiligung des Sonntags, Heiligung des eigenen Lebens weitgehende Fehlanzeige. Erst bei den Lebenswenden oder in Krisenzeiten ist man dann doch noch gerne katholisch und nutzt die Gelegenheiten für schöne oder traurige Kirchenfeste.
Freilich gilt dann auch hier: Man lebt zwar entfernt, aber jetzt muss der Pfarrer erst recht liefern. „Wenn wir schon mal da sind, soll es auch nach unserem Geschmack laufen. Schließlich zahlen wir ja Kirchensteuer.“
Dritte Generation: „Mit Kirche siehst du scheiße aus“
Die dritte Generation schließlich kann mit alledem in der Regel gar nichts mehr anfangen. Und ehrlich gesagt, ist das aus deren Sicht ziemlich verständlich. „Warum sich langweilige, unverständliche Riten antun, die mit meinem persönlichen Leben gar nichts mehr zu tun haben. Komische Sprache, komisches Gedankengut. Und dann noch wenig glaubwürdig. Man muss ja nur in der Zeitung oder im Internet lesen, was Kirche alles anrichtet. Und die zwei allerletzten Jugendlichen in meiner Klasse oder im Studium, die ich kenne, die noch zur Kirche gehen, die kommen mir auch irgendwie komisch vor.“
Wie sagen Jugendliche gerne: „Mit Kirche siehst du einfach scheiße aus.“ Die Welt hat sich gedreht. Die Anständigen, die Guten, das sind jetzt aus ihrer Sicht gerade die, die mit Kirche nichts zu tun haben. Die engagieren sich bei den Grünen oder bei Amnesty und die sind auch für die Akzeptanz von sexueller Vielfalt, von verschiedenen Lebensformen, und Familienmodellen. Pluralität ist wichtig, Toleranz. „Und Katholiken, die auch noch glauben, was in ihren Büchern steht, sind doch Katholiban, bestimmt irgendwie rechts, in jedem Fall asi.“
Rückkehr zum authentischen Zeugnis?
Diese und ähnliche Erfahrungen mit der dritten Generation machen wir gerade allenthalben. Auch wenn die Schilderung der drei Generationen natürlich holzschnittartig und sehr pauschal ist und keinem einzigen Einzelfall gerecht wird, beschreibt sie etwas von breiten Mentalitäten sich entfremdenden Glaubens.
Zeugen und Zeuginnen voll lebendiger Glaubenserfahrung
Und so wird es aus meiner Sicht weitergehen, und es wird womöglich noch drastischer werden, wenn uns der Heilige Geist nicht hilft, in ein neues, authentisches Jesus-Zeugnis zurückzufinden. In ein Zeugnis, das sich neu und klar an der Schrift orientiert, klar an dem einen überlieferten Glauben der Kirche. Und das von Zeuginnen und Zeugen verkündet wird, die es verinnerlicht haben. Die voll lebendiger Glaubenserfahrung sind, die gelernt haben und gewachsen sind in ihrem alltäglichen Umgang mit dem, den sie wirklich lieben.
Es sind diejenigen, die eine neue Sprache sprechen, weil ihre alltäglichen Erfahrungen durchdrungen sind von Gottes Gegenwart. „Nicht wie einer über göttliche Dinge spricht, zeigt, ob er durch das Feuer der Liebe Gottes gegangen ist, sondern wie einer über irdische Dinge spricht, zeigt ober er durch dieses Feuer gegangen ist“, hat Simone Weil gesagt.
Das sind Jünger
Diese Jünger wissen und glauben, dass Jesus von denen, die zu ihm gehören, fordert, dass sie ihn über alles lieben, mit ganzem Herzen, ganzer Kraft und allem Verstand – als Antwort auf seinen Tod aus absoluter Liebe für sie. Es sind diejenigen, die sich in diese Erfahrung haben hineinnehmen lassen, die wissen oder ahnen von wem sie reden, wenn sie „Heiliger Geist“ sagen. Sie wissen, dass sie selbst Sünder sind, die sich aber tatsächlich vom Gekreuzigten und seiner Liebe befreit und erlöst erfahren. Es sind diejenigen, die vertrauen können und aus der wachsenden Erfahrung leben dürfen, dass der Auferstandene wirklich gegenwärtig ist und unter denen lebt, die ihn suchen und lieben.
Die sind es, die ihn immer neu auch in Gemeinschaft aufrichtig feiern. Es sind diejenigen, die dem anderen treu sein, die wirklich vergeben können und die immer mehr in der Liebe wachsen – besonders zu denen, die arm sind oder in Not. Oder zu denen, die sie als verloren wahrnehmen, weil sie in der schrecklichen und lebensbedrohlichen geistlichen Armut leben, Jesus noch nicht zu kennen. Und die Jünger spüren diese Not, weil sie ahnen, dass Jesus im anderen schon da ist und endlich erkannt und geglaubt werden will.
Kein Heil? Ohne Christus ist alles nichts
Ja, es gibt die Verlorenheit und ja, an Christus entscheidet sich alles. Er ist gekommen, damit wir in ihm das wirkliche, wahrhaftige, erfüllte Leben haben und nicht nur das, was wir vordergründig für Leben halten. Er selbst ist in uns der Anbruch des ewigen Lebens. Und er selbst ist deshalb der Grund, warum wir eine Hoffnung haben, die durch nichts mehr tot zu kriegen ist.
Und ja, er ist für alle gestorben, für alle Menschen, ausnahmslos. Aber jeder, der ihm wirklich begegnet, wird selbst vor die Entscheidung geführt, ihm zu folgen oder sich abzuwenden. Beides kostet letztlich das Leben. Der Jünger stirbt den Tod des alten Adam und lebt mit Christus schon im neuen Leben. Der, der sich der Nachfolge bewusst verweigert, bleibt im bloß biologischen, todgeweihten Leben – für immer, sagt die Schrift.
Wirksame Stellvertretung
Es sei denn, es gibt untergründige, unsichtbare „Kanäle“ wirksamer Stellvertretung. Mithineinnahme der noch Unentschiedenen durch Liebe, Gebet, Opfer der Kirche. Nur: Hier haben wir keinerlei Sicherheit, wir hoffen. Sicherheit im Sinn von Glaubensgewissheit haben wir aber darin, dass Jesus alles ist und dass ohne ihn alles nichts ist. Er ist der Logos, er ist aller Sinn, alle Bedeutung dieser Welt und darüber hinaus. Und er fordert zu einer Ethik heraus, die tiefer und größer ist als jedes ethische System, das je der Welt gegeben wurde.
Aber ihn auf bloße Ethik, auf bloße Verhaltensregeln zu reduzieren, hieße genau an seinem Leben vorbei leben. Es hieße die Erkenntnis verweigern, dass ich erlösungsbedürftig bin und persönlich einen Erlöser brauche. Niemand kommt zum Vater, außer durch ihn. Und ich selbst schon gar nicht, und erst recht nicht aus eigener Kraft. Was für ein Geschenk ist es, in seiner Kirche leben und an ihn glauben und ihn bezeugen zu dürfen!
Kein Heil außerhalb der Kirche? Das Interview zum Text von Bischof Stefan Oster finden Sie unter folgendem Link: Die „doppelte tiefgreifende Krise“ der Kirche: Der volle Wortlaut von Benedikt XVI.
Comments
Verehrte Exzellenz,
danke sehr für Ihre Betrachtungen im Blick auf das Heil. Das Heil der Menschen, jedes einzelnen wie auch der Menschheit insgesamt, steht in engem Zusammenhang mit Jesu Wirken. Bereits der alte Simeon preist bei der Darstellung im Tempel beim Anblick Jesu diesen mit den Worten : „29 Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden.
30 Denn meine Augen haben das Heil gesehen,
31 das du vor allen Völkern bereitet hast,
32 ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.“ LK, 2,29
Wir beten noch täglich bei der Komplet diese Worte des Simeon im Nunc dimittis im Bewußtsein, daß „der kleine Tod“ (die Nacht und der Schlaf) unter der Schutze des Herrn stehen mögen.
Das Heil hat in unserer Gesellschaft nach meinem Empfinden seine Verbindung zu einer für die Menschen greifbaren Vorstellung verloren. Es ist zu einem irgendwie ins Abstrakte gerückten Wort geworden. Wer spricht heute noch von Jesus Christus als dem Heiland ? Vielleicht noch, wenn die Weihnachtsgeschichte gelesen wird. Aber für wen entspricht das Wort Heil oder noch mehr die Begegnung mit dem Heiland zugleich einem Wunsch und einer Sehnsucht aus dem Herzen ?
Als Adjektiv wird „heil“ täglich verwendet. Wenn eine Sache kaputt gegangen ist, soll sie wieder heil gemacht werden. Auch wenn eine Beziehung unter Konflikten leidet, wünscht man sich, daß diese wieder „heil“ werde. In der Medizin sprechen wir von Heilung, Heilungsverlauf, Heilungsfortschritt. Der Krankheit steht der Prozess der Heilung gegenüber, um wieder den Zustand der Gesundheit nach Möglichkeit zu erreichen.
Aber „das Heil“ als Zielvorstellung ? „Das Heil“ als etwas Allumfassendes, nach welchem man streben sollte ?
Die Kirche soll durch Vorbilder, Stellvertreter, Hirten den Gläubigen und allen Menschen den Weg zum Heil weisen und sie auf diesem begleiten. Aber wer schließt sich dieser „Reisegruppe“ an, wenn er keine Vorstellung von und keine Sehnsucht nach dem verspüren kann, wovon gesprochen wird ?
Obgleich gerade uns Katholiken in der Wahrnehmung unseres Glaubens und unserer Beziehung zu Gott zu Grunde liegt, daß wir die gegenwärtige Begegnung mit dem Herrn in jeder Eucharistiefeier feiern und in den Sakramenten der Herr selbst im Geist seinen Beitrag zum Heil des Menschen leistet, so scheint es mir, daß das Bewußtsein des einzelnen, in diesem Moment einen Schritt auf dem Weg zum Heil zu gehen, sich nicht wirklich meldet.
Sie stellen sehr treffend Heilsuniversalismus und Heilsautomatismus gegenüber. Schaue ich nach den oben aufgeführten Aspekten zum Heil auf die beiden Ergänzungen Universalismus und Automatismus so wird daran wiederum offenbar, worin der gravierende Unterschied im Blick auf die Wahrnehmung von Gottes Nähe und seinem Wirken bereits in diese Welt und Zeit hinein besteht :
Das Wort universal beschreibt etwas allumfassend, gesamtheitlich, also auch in gewissem Maße auf weltliche Ausdrucksweise, dasselbe was auch katholisch (von griechisch καθολικός katholikós ‚allumfassend‘) bedeutet. Wobei eben das Katholische hierbei den Blick erweitert um Gott, Ewigkeit, Gegenwärtigkeit, Zeitlosigkeit …
Das Wort automatisch beschreibt bei WIkipedia der Autor wie folgt : Automat ist ein Lehnwort aus dem lat. automatus „freiwillig, aus eigenem Antrieb handelnd“, von gr. αὐτόματος automatos „von selbst geschehend“, zu autos „selbst“ und der Wurzel men- „denken, wollen“. Somit hat der von Ihnen genannte Automatismus etwas von einer vom Menschen her selbst erdachten Kausalkette.
Sie beschreiben, daß Verkündigung der Botschaft des Heils keine Drohbotschaft ist. Verkündigung ist den Menschen darauf aufmerksam zu machen, daß der Weg zum Heil bereits hier und jetzt begonnen hat und man diesen in der Gemeinschaft der Kirche gehen kann. Das setzt aber voraus, daß in der Vorstellung über das Heil wie in Römer 10,10 „Wer mit dem Herzen glaubt und mit dem Mund bekennt, wird Gerechtigkeit und Heil erlangen.
11 Denn die Schrift sagt: Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.“, daß der Zusammenhang zwischen dem Leben in dieser Welt und dem ewigen Leben greifbar wird.
Leider denkt unsere aufgeklärte Gesellschaft oftmals viel zu sehr linear oder in Kausalketten. Linear in der zeitlichen Wahrnehmung unseres eigenen Platzes im Weltgeschehen und kausal in Bezug auf ergebnisorientiertes Denken und Handeln. So wie das irdische Wirken Jesu vor 2000 Jahren für viele so zeitlich fern erscheinen mag und damit sein Wirken hier und jetzt ins Abstrakte oder die Gefühlswelt verschoben scheint, so scheint auch die Sehnsucht und die Möglichkeit des Heils auf ein difuses Später an den Rand des Todes oder danach verlagert, das man nicht beschreiben noch planen oder mit einer Kausalkette „wenn ich das denke oder tue, dann kommt das oder das dabei heraus“ bestimmen kann.
Also wie soll eine Kirche, als Gemeinschaft von Gläubigen, das Heil vermitteln oder nur in ihr der Weg zum Heil zu finden sein, wenn sie doch scheinbar auf rein zeitlichen Annahmen von Gegenwärtigkeit Gottes und einer eschatologischen Verbundenheit mit dem ewigen Leben zur hiesigen Welt ihre Aussagen und Botschaften aufbaut ?
Sie beschreiben die drei Generationen so wunderbar treffend, die jede auf ihre Weise eines gemeinsam haben : Kirche und das Geschehen in ihr wird als von Menschen gestaltete Zeit und Botschaft wahrgenommen. Obgleich es das Wort ist, das Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat, so wird doch die Verkündigung des Wortes Gottes leider oftmals als menschlich gelesene Wörter zur Reflektion mit dem Verstand oder dem Gefühl aufgenommen, ohne dabei den stückweit repräsentativen Charakter dessen an sich ranzulassen, der verkündet.
Jedem, dem Verkündigung anvertraut ist, sollte diese Authenzität zu eigen sein, von der sie sprechen und zugleich der Zuhörerschaft, wie auch dem Verkünder selbst bewußt sein, daß die Botschaft, die er verkündet, eigentlich vom Geist inspiriert und durch ihn als Mittler verbreitet wird. Die Rückbindung an die göttliche Präsenz – auf welche mystische Art und Weise auch immer – gibt der Rede vom Heil erst ihr Gewicht und verleiht dem Zuhörer eine Sehnsucht danach. Eine Sehnsucht nicht verlagert auf die Zeit „in einem Leben danach“, sondern bereits im hier und jetzt und vor dem Angesicht Gottes mit seiner Hilfe so zu leben, daß man selbst, die Familie, die Freunde, die Mitmenschen, die ganze Welt ein wenig heiler werden können und so schon etwas von der Welt in Fülle, ohne Trauer und ohne Wehklagen anklingen zu lassen.
Abschließend nehme ich nochmals die Sprache auf : das Heil, der Heiland, heil sein oder werden, die Heilung und in Form einer Steigerung heilig, ein Heiligtum, die Heiligen – da besteht ein Zusammenhang !
Gerne schauen wir auf unsere Namenspatrone, Menschen die wir als Heilige bezeichnen, und lesen deren Lebenswege. Was macht Heilige aus und zu Vorbildern ? Ihnen allesamt ist gemein, daß sie an irgendeinem Punkt zu irgendeiner Zeit in ihrem Leben die persönliche Ansprache Gottes, Jesu Christi oder des Geistes verspürt haben und diese Begegnung ein Beziehungsgeschehen in Gang gesetzt hat, das ihr Leben stark beeinflußt bis hin zu radikal verändert hat. Die Ansprache dessen, der von sich sagt „ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ und der dabei aus vorbehaltloser Liebe durch den Tod gegangen ist, läßt in dem oder der Angesprochenen die kleine selbst-gezimmerte Welt und die selbst-gesetzten Ziele aus dem Automatismus eines Schritt-für-Schritt-Lebens plötzlich als so selbst-begrenzt erscheinen. Der Universalismus, das Katholische Gottes, die plötzliche Wahnehmung des bereits in diese Welt hineinreichenden Reich Gottes setzte bei den später von uns als Heiligen benannten Menschen Willenskräfte, Sehnsüchte und Tatendrang in Gang, der uns vielmals vermessen und dennoch vorbildhaft erscheint. Diese Kräfte und Wahrnehmung aber kommt nicht auf „Knopfdruck“ oder kann erlernt werden, sondern sie holt den Menschen ein. Der einzelne kann nur vielleicht insofern es dem Herrn leichter machen, indem er oder sie nicht versucht aus eigener Vorstellung in eine Richtung dem Herrn entgegenzurennen, wo er doch bereits an einem ruhigen Ort auf ihn oder sie wartet.
Noch ein gesegnetes Pfingstfest in Erwartung dessen der da kommt.
Danke, Frau Moehring, für diese intensive Betrachtung und Ergänzung meines Textes. Gesegneten Sonntag