Wir alle leben aus Erinnerungen. Doch was ist Erinnerung? Und was hat unser Glaube damit zu tun? Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Palmsonntag 2016 im Passauer Stephansdom.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
was heißt Erinnerung? Sie alle, wir alle leben aus Erinnerungen, solchen, die sich manchmal tief, manchmal weniger tief in unser Seelenleben einprägen. Vor allem Kindheitserinnerungen sind manchmal sehr langlebig, sehr tiefgreifend. Wir bekommen einen bestimmten Geruch in die Nase, einen bestimmten Geschmack auf die Zunge oder ein bestimmtes Bild vor Augen und schon ruft das eine intensive Erinnerung aus der Kindheit hervor, oft ein ganzes Panorama von intensiven Bildern.
Wir sagen dann: Das und jenes hat uns geprägt, deshalb ist es so tief in mir verankert. Und Sie wissen auch, dass es das sowohl im Positiven wie im Negativen gibt. Es gibt traumatische Erinnerungen unseres Lebens, die so stark bis in die Jetztzeit hineinreichen, dass sie immer noch Einfluss haben, immer noch Auswirkung haben, ja manchmal besetzen sie uns sogar so deutlich, dass sie uns lähmen, Angst machen, Komplexe hervorrufen und ähnliches.
Erinnerungen: Wir alle haben sie
Oder manchmal sind gute Kindheitserinnerungen so intensiv, dass sie uns gewissermaßen eine Art innere Grundausstattung mitgeben, ein Grundvertrauen in die Welt und ihre grundsätzliche Verlässlichkeit und Güte. Erinnerungen sind also nicht gleich Erinnerungen. Manche sind uns so innerlich, dass sie unser Jetzt, unsere Gegenwart mitbestimmen, tragen oder verunsichern können und anderes mehr. Positiv oder negativ.
Liebe Schwestern und Brüder, wissen Sie, dass unser Glaube ein Glaube ist, der aus der Erinnerung lebt? Die tiefste, die dichteste Feier, die wir haben, ist die Eucharistie. Und wir feiern sie, weil Jesus uns aufgetragen hat: Tut dies als Erinnerung an mich. Tut dies zu meinem Gedächtnis. Und er wünscht sich sehnsüchtig, dass diese Erinnerung für uns eine ist, die nicht bloß links rein und rechts wieder hinaus geht; dass sie nicht bloß eine oberflächliche Geschichtenerzählung ist, sondern dass sie uns so innerlich wird, dass sie unser ganzes Leben prägen kann. Dass sie eine Erzählung für unser Leben wird.
Erinnerungen erinnern an Vergangenes
Mehr noch: Von unseren eigenen Erinnerungen aus der Kindheit wissen wir im Grunde, dass sie immer nur an Vergangenes erinnern – auch wenn sie noch Auswirkungen ins Heute haben. Aber sie sind nicht einfach wiederholbar. Sie sind vergangen.
Von der Eucharistie ist es aber anders: Wir erinnern auch Vergangenes, aber weil Jesus unser Gott ist, weil er der ist, der die Zeit selbst geschaffen hat und deshalb auch überzeitlich ist, deshalb ist diese Erinnerung an Jesus immer auch gleichzeitig gegenwärtig. Jesus will, dass seine Gegenwart, seine Hingabe am Kreuz, seine Auferstehung hier und jetzt ist, dass sie von uns geglaubt ist und bejaht ist.
Eucharistie lebt aus Erinnerungen, ist aber zugleich gegenwärtig
Und deshalb lesen wir auch die Passion, erinnern wir uns an das Geschehen von damals: damit wir verstehen, was der Glaube bedeutet, was Eucharistie bedeutet, damit uns das alles immer innerlicher werden kann. So, dass es unser Leben trägt und bestimmt. Und auch so, dass es anderes, was uns negativ bestimmt, was negative Erinnerung war und ist, aufknoten und auflösen kann, dass es befreiend sein kann.
Wir haben heute gehört, wie Jesus unter Jubel nach Jerusalem eingezogen ist und wir haben gehört, wie er verraten, verkauft, gefoltert, gekreuzigt und getötet wurde. Wir haben es gehört, damit wir immer wieder neu verstehen: Er hat es für uns getan. Er ist für uns in den Tod gegangen.
Die tiefste, befreiendste Erinnerung
Er will, dass wir uns an ihn erinnern, immer neu, immer tiefer, damit wir seine Gegenwart in der Eucharistie mit bereitem Herzen feiern können. Sein Sterben, seine Hingabe ist Geschenk für uns, tiefste und befreiendste Erinnerung für unser Leben. So, liebe Schwestern und Brüder, in dieser tragenden Erinnerung, können wir auch durch die guten und die schweren Zeiten unseres eigenen Lebens Ostern entgegen gehen. Amen.
Bild: Pressestelle bistum Passau