Mutter Gottes und Mutter des Glaubens: Wie uns Maria als Herzmitte der Kirche den Erlöser schenkt. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Hochfest Mariä Himmelfahrt in Altötting am 15. August 2014.
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
wir sind hier im Herzen Bayerns, wie wir so schön von unserem Gnadenort hier sagen. Aber wir sind es deshalb, weil wir immer dann, wenn wir bei der Muttergottes sind, zugleich auch im Herzen der Kirche sind. Und unser wundervolles Bayernland ist eben immer noch und Gott sei Dank tief geprägt vom Glauben der Menschen und von unserer Kirche.
Die gewachsenen Mentalitäten, das, was wir innerlich mit den Worten bayerisch verbinden, zum Beispiel etwa bodenständig, oder lebensfroh, vielleicht auch barock, all solche Ausdrücke sind bei uns auch noch unlösbar durchsetzt mit unserem christlichen und hier in Altötting besonders mit unserem katholischen Glauben. Wie schön! Im Herzen Bayerns sind wir also auch deshalb, weil wir hier im Herzen der Kirche sind.
Bei Maria ist die Kirche gegenwärtig
Aber warum sind wir das? Warum kann man sagen, dass bei Maria, in besonderer Weise die Kirche gegenwärtig ist? Nun, dazu gibt uns das Evangelium von heute Auskunft. Wir haben von der Begegnung zwischen Maria und Elisabeth gehört. Und ein sehr, sehr schönes Detail dieser Begegnung ist die Reaktion des Kindes im Bauch der schwangeren Elisabeth. Als das Kind die Stimme Mariens hört, hüpft es vor Freude. Das wird im Text sogar gleich zweimal gesagt.
Wir wissen, dass das Kind der schwangeren Elisabeth später einmal als Johannes der Täufer mächtig in Wort und Tat in der Wüste und am Jordan das Kommen des Erlösers ankündigen und zur Umkehr rufen wird. Und dieser Johannes hüpft nun, als er die Stimme Mariens hört. Er ist gewissermaßen einer der allerersten Marienverehrer. Aber warum hüpft er? Natürlich, weil sie ihm Jesus bringt, weil sie gesegnet ist, mit der Frucht ihres Leibes, wie das Elisabeth ausdrücken wird. Sie ist gesegnet mit dem Erlöser, mit dem Gottmenschen, der in ihr Wohnung genommen hat.
Der Mensch, in dem Jesus wohnt
Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir zu Maria wallfahren, hierher oder an so viele andere Orte in der Welt, dann wallfahren wir nie einfach nur zu ihr, sondern wir wallfahren immer an den Ort oder besser zu dem konkreten Menschen, in dem Jesus wohnt. Wir gehen zu dem Menschen, in dem Gott in besonderer Weise und Tiefe gegenwärtig ist.
So etwas gibt es in und außerhalb des Christentums allenthalben: Menschen gehen zu anderen Menschen, die sie für besonders tief und weise halten, zu einem Guru, beispielsweise, oder zu einem Heiligen. Sie gehen zu solchen Menschen, weil sie spüren oder die Sehnsucht haben: Hier ist einer erfüllt von einem Geist, der über diese Welt hinausreicht oder der tiefer ist als das, was sonst so aus der Welt kommt.
Mutter Maria: Das Herz der Kirche
Und wenn es so etwas auch überall gibt, Schwestern und Brüder, dann sind wir als Christinnen und Christen davon überzeugt, dass es bei uns das Original schlechthin gibt. Wir haben die Mutter des Herrn. Sie ist der Ort, die Person in der Welt schlechthin, die tiefer erfüllt von Gott war als jedes andere Geschöpf, das vor ihr oder nachher gelebt hat. Maria ist die Wohnung Gottes in der Welt. Sie ist gewissermaßen Kirche in Person oder eben das Herz der Kirche. Sie bringt uns in Christus Gott, unseren Erlöser.
Und nun feiern wir heute ihre Aufnahme in den Himmel. Was bedeutet das? Nun zunächst einmal sagt uns unser Glaube, dass Menschen, die ganz bei Gott sind, zugleich irgendwie universal geworden sind. Denken Sie an den Heiligen Bruder Konrad, den wir hier auch verehren und der von vielen Menschen auch in ihrer Not angerufen wird. Wir glauben, dass er als Heiliger ganz bei Gott ist – und genau deshalb kann er in dieser Welt an vielen Orten zugleich sein und immer wieder angerufen werden.
Wirksam für viele
Wir brauchen nicht zu denken: Jetzt betet gerade meine Nachbarin zum Bruder Konrad, da muss ich warten, bis er ihre Sachen angehört hat, dann kann er mich hören. Nein, wir denken, weil einer bei Gott ist, deshalb kann er universal und zu allen Zeiten und für viele Menschen wirksam werden. Der erste, der uns diesen Weg gezeigt und eröffnet hat, war natürlich Christus selbst.
Er ist heimgegangen zum Vater aber gerade deshalb ist er jetzt bei allen und für alle gegenwärtig, ganz besonders in der Eucharistie, die wir heute feiern – und die heute ja in tausenden von Kirchen in der ganzen Welt gefeiert wird. Christus ist da, hier bei uns. Und mit Maria ist es im Glauben nun ganz ähnlich so, dass sie auch da ist. Sie ist die Ersterlöste in der Kirche sagen wir, also gewissermaßen die Universalste von allen Geschöpfen, der Anfang der Kirche und zugleich deren innerstes Herz. Das II. Vatikanische Konzil hat das so ausgedrückt, indem es Maria das Urbild der Kirche nennt.
Vom Denken ins Herz
Und warum ist sie eigentlich wichtig für uns und unsere Frömmigkeit? Weil wir in ihrer Nähe tiefer zu Christus kommen – und zwar nicht nur zu einem irgendwie gedachten Christus, auch nicht zu dem, den wir uns wünschen würden oder den wir gerne hätten. Nein, Maria als die Herzmitte der Kirche schenkt uns den Erlöser so wie er real ist.
Sie kennen das ja alle, liebe Schwestern und Brüder, über Christus reden kann man schnell und viel. Über ihn nachdenken auch. Und ihn so und so oder anders sehen auch. Aber wenn wir uns fragen, wie führt denn ein Weg vom bloßen Denken ins Herz des Glaubens, in die Mitte lebendiger Überzeugung, wie geht uns Christus in Fleisch und Blut über, so dass wir wirklich Christen werden und zurecht seinen Namen tragen, dann ist meine Antwort: Bei Maria, in ihrer Nähe, da geschieht das, mitten in der Kirche, deren Herz sie ist. Hier wächst unsere Frömmigkeit, unser Glaube in die Tiefe.
Mutter des Glaubens
Die katholischen Gläubigen zu allen Zeiten haben immer auch gewusst, dass Maria auch für sie die Mutter des Glaubens ist und bleibt. Wirkliche Mutter. Und auch das letzte Konzil hat betont, dass die Mutterschaft Mariens für die Kirche und ihre Glieder nie zu Ende kommt.
Sie hilft uns hinein in diese Beziehung zum Herrn, sie stärkt uns, ihn als ihn selbst anzunehmen. Sie legt uns an Weihnachten gewissermaßen das Kind in der Krippe ans Herz und in die Arme. Und sie legt uns als die Mutter des Gekreuzigten auch den Gekreuzigten, den Toten in die Arme und ans Herz. Sie schenkt uns den Herrn so wie er ist und nicht, wie wir ihn gerne hätten.
Deshalb, Schwestern und Brüder, deshalb ist es wichtig, in ein inneres Verhältnis auch zu Maria zu finden. Nicht weil diese Beziehung in irgendeiner Form eine Konkurrenz zur Beziehung zu ihrem Sohn wäre, sondern umgekehrt: Weil unsere Beziehung zu ihr gar keinen anderen Sinn hat, als unsre Liebe und Verehrung für Christus und unsere Freundschaft zu ihm zu fördern und zu vertiefen.
Die Offenbarung des Johannes
In der ersten Lesung, in dieser gewaltigen Vision des Johannes aus dem Buch der Offenbarung, da haben wir auch gehört, Schwestern und Brüder, wie mehrere große Zeichen am Himmel erscheinen. Und gleich das erste ist vielleicht ein wenig untergegangen oder überhört worden.
Da heißt es, dass der Tempel Gottes im Himmel geöffnet wurde und im Tempel wurde die Lade seines Bundes sichtbar. Und gleich darauf erscheint die Frau, mit der Sonne bekleidet, den Mond unter ihren Füßen, ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Und diese Frau ist schwanger, leidet Geburtsschmerzen, ehe sie das Kind gebiert.
Altes Testament und Neuer Bund
Liebe Schwestern und Brüder, zunächst erscheint der Tempel und die Bundeslade in ihm, beides die gewaltigen Zeichen des Alten Testaments, beides in Stein gehauene Zeichen für die Präsenz Gottes in der Welt. Aber gleich danach erscheint das Zeichen des Neuen Bundes: die Frau, die das Kind gebiert. Im Neuen Bund ist Gott selbst da, in diesem lebendigen Zeichen, in der Frau.
Und dieses geheimnisvolle Bild der Bibel von der himmlischen Frau haben die Menschen in der Geschichte unseres Glaubens immer wieder auf beide Gestalten hin gedeutet, auf die ganze Kirche und auf Maria hin, als deren Urbild, beide Geheimnisse gehen tief ineinander. Und dann erscheint der Drache am Himmel und versucht das Kind zu verschlingen, das sie gebiert.
Das Kind ist Gott selbst
Aber das Kind ist ja Gott selbst. Der Drache ist nur sein Geschöpf, er kann gegen das Kind nichts ausrichten, es wird zum Himmel entrückt, heißt es. Und die Frau, die auch ein Geschöpf ist, von der heißt es, sie floh in die Wüste und dort ernährt sie Gott selbst, sie und ihre Kinder, die Zeugen und Zeuginnen Jesu – und gegen beide, die Frau und die Zeugen, führt der Drache dann Krieg, wenn wir den Text weiterlesen.
Aber sie erfahren beide wundersame Hilfe von Gott. Liebe Schwestern und Brüder, ich bin überzeugt, dass das Geheimnis der Himmelfahrt Mariens für uns bedeutet, dass sie da ist, dass sie für uns universale Kirche ist, dass sie uns Jesus zeigt und immer neu schenkt und dass sie gewissermaßen auch der Schutzraum ist vor der Verwirrung unseres Glaubens und Denkens und Handelns.
Bei Maria ist heile Welt
Hier, bei ihr, hier ist heile Welt, sie ist so heil, dass sie ganz und gar durchsichtig wird auf Jesus und uns zu ihm hin verhilft. Wir glauben, Schwestern und Brüder, dass die Frau, das große Zeichen des Himmels nun wahrhaftig hier auf der Erde, und ganz besonders hier in Altötting gegenwärtig ist und unseren Glauben vertieft und bewahrt und segnet.
Und wir beten deshalb voller Hoffnung und Glauben zu ihr: Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, o heilige Gottesgebärerin. Verschmähe nicht unser Gebet in unsern Nöten, sondern befreie uns jederzeit von allen Gefahren, o du glorreiche und gebenedeite Jungfrau. Unsere Frau, unsere Mittlerin, unsere Fürsprecherin. Versöhne uns mit deinem Sohne, empfiehl uns deinem Sohne, stelle uns vor deinem Sohne. Amen.