In diesem Tagen, genauer am 5. Dezember 2021, jährt sich zum 45. Mal der Tag der Ermordung des Mariannhiller Missionars, Pater Possenti Weggartner aus Pelkering, Gemeinde Triftern. Aus diesem Anlass ist – auf Anregung von Thomas Weggartner, einem Großneffen – unter Federführung von Prof. Dr. Hannelore Putz ein schönes Buch erschienen.
Das Buch wurde im Rahmen einer Andacht in der Pfarrkirche Triftern präsentiert. Dabei waren Pfarrer Dr. Waldemar Hadulla (BIld 1), der Provinzial der Mariannhiller Missionare, Pater Christoph Eisentraut (Bild 3), Thomas Weggartner (Bild 2), die Bürgermeisterin von Triftern, Edith Lirsch und viele weitere Interessierte und vor allem auch Verwandte des Ermordeten.
Ich konnte zu dem Buch das folgende Geleitwort beisteuern, in dem ich über den Pater aus unserem Bistum nachgedacht habe, der der Missionar sein und heilig werden wollte. Und habe über wesentliche Gedanken daraus auch in der Predigt bei der Andacht gesprochen. Weiter unten findet sich noch der Link zu einem Bericht aus dem Passauer Bistumsblatt und auf der Homepage der Mariannhiller Missionare.
Geleitwort
Ein Missionar, der heilig sein wollte: Pater Possenti Weggartner
In den Aufzeichnungen von Pater Possenti Weggartner, die er ab 1934, bald nach seiner Priesterweihe, für seine Eltern über seine erste Missionsreise ins damalige Rhodesien (heute Simbabwe) anfertigte, fallen der Beginn und der Schluss sofort ins Auge und ins Herz. Am Anfang, wie ein Leitwort über der ganzen Erzählung, steht der sogenannte Missionsbefehl, die letzten Worte des auferstandenen Jesus an seine Jünger im Matthäusevangelium. Pater Possenti zitiert hier die damals gültige Bibelübersetzung: „Gehet hin, lehret alle Völker, taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des hl. Geistes; lehret sie alles halten, was ich Euch geboten habe. Und siehe, ich bin bei Euch alle Tage, bis ans Ende der Welt.“ (Mt 28,19-20)
Diesem Jesus-Wort fühlte sich der junge Mariannhiller Missionar und Neupriester tief verpflichtet. Durch all die Texte, die wir von ihm haben, klingt immer ein dankbares Bewusstsein durch: Ich bin ein Missionar! Am Schluss der ersten, längeren Aufzeichnungen aus dem Jahr 1934 lesen wir: „Durch Gottes ganz unverdiente Gnadenwahl bin ich armer Sünder Missionar geworden. Hoffe durch die Gnade des Dreieinigen Gottes u. die Fürsprache der lb. Gottesmutter u. aller Heiligen, sowie durch Euer Fürbittgebet, dass ich selbst heilig werde u. bleibe u. andere glücklich machen kann.“
Zwei Begriffe klingen hier heraus, die in einem heutigen Kontext – auch in einem katholisch religiösen Kontext – nicht mehr leicht verständlich zu machen sind: Mission und Heiligkeit. Wie kann ein Mensch heute noch mit vollem Bewusstsein den Herzenswunsch äußern, „Missionar“ sein oder werden zu wollen, so wie das bei Pater Possenti bzw. schon bei dem jungen Toni Weggartner aus Pelkering, Gemeinde Triftern, der Fall war. Und wie kann man auch noch mit einigem durchklingenden Stolz verkünden, dass man durch Gottes Gnade ein „Missionar“ werden durfte? Und dass man „heilig werden und bleiben“ wolle? Sind das nicht Kategorien, die in unserer Kirche, so wie sie sich im heutigen öffentlichen Bewusstsein darstellt, mit einem deutlich negativen Beigeschmack versehen sind? Wer wollte denn heute noch „missioniert“ werden? Ist es nicht überhaupt Anmaßung, zu „missionieren“? Und klingt die Verwendung des Wortes „heilig“ nicht vielmehr nach „scheinheilig“, zumal wenn wir sehen, was in der Kirche gerade unter Berufung auf ihre „Heiligkeit“ alles passiert ist?
Ein verlorener Schatz der Kirche?
Freilich, wenn wir näher hinsehen, wird deutlich, dass uns das Leben und Sterben von Pater Possenti gerade durch die beiden Begriffe „Mission“ und „Heiligkeit“ etwas aufzeigt, was nicht einfach nur durch veränderte kirchliche und gesellschaftliche Wertvorstellungen einen schlechten Beigeschmack bekommen hat. Vielmehr liegt dahinter ein Verstehen von Glauben, von Leben aus dem Glauben und Leben in der Kirche, das uns in seiner Selbstverständlichkeit vielfach abhanden gekommen ist –wie ein Schatz, der verschüttet worden ist. In unserer Zeit leben Gläubige, lebt die Kirche in einer säkularen Gesellschaft, zumal in einer Gesellschaft, die vom Wohlstand, vom Individualismus, vom Materialismus, von der technologischen Revolution, von massiven Veränderungen in der Auffassung, wie Menschen zusammenleben können, geprägt ist – und anderem mehr. Und tatsächlich atmen wir alle jeden Tag diese säkulare Luft ein und werden auch im alltäglichen kirchlichen Leben davon nachhaltig beeinflusst.
Schon der Eintritt in eine Ordensgemeinschaft wird heute, selbst innerkirchlich, zunehmend unverständlich: Warum sollte ein junger Mensch sich in eine Lebens- und Gemeinschaftsform hinein verpflichten, in der er nach den evangelischen Räten arm, ehelos und gehorsam zu leben verspricht? Wo doch das normale menschliche Streben von heute seine Erfüllung in Wohlstand, Beziehungsglück und größtmöglicher Freiheit und Unabhängigkeit sieht? Dagegen wählte Anton Weggartner nicht nur einen Orden mit den klassischen Gelübden, vielmehr wählte er einen, der auch noch ausdrücklich der Mission, insbesondere der Afrika-Mission verpflichtet ist – er wusste also im Moment seines Eintritts in die Kongregation der Mariannhiller Missionare, dass er nach seiner priesterlichen Ausbildung in die Ferne gehen würde. Sein Ziel war es also von Anfang an, im heutigen Simbabwe Menschen, vor allem jungen Menschen, durch Bildung und Erziehung in ein gutes Leben zu verhelfen und er wollte ihnen ebenso sehr und ineins damit hineinhelfen in den christlichen Glauben, der für ihn selbstverständlich zum gelingenden Leben als dessen Basis gehört. Aber dieser Glaube führt nach seiner Überzeugung noch zu mehr, zu viel mehr: Er verheißt Heil, er lässt Menschen teilhaben an einem Leben mit Gott, das nie mehr aufhört, ewig ist.
Bezeichnend ist daher die Formulierung des jungen Paters in den zitierten Aufzeichnungen, dass er selbst, der „arme Sünder“, „durch Gottes ganz unverdiente Gnadenwahl“ Missionar werden durfte. Da ist also zunächst die Selbsterkenntnis, dass er als Mensch immer bedürftig, erlösungsbedürftig sein würde. Er kann sich nicht allein retten, er braucht Gottes Gnade. „Sünde“ bedeutet ja zuerst nicht einfach die böse Tat. Vielmehr bedeutet es zunächst einen inneren und äußeren Zustand: Der natürliche Mensch lebt, als ob es Gott nicht gäbe. Er lebt in der Gottesentfernung. Und die christliche Erfahrung sagt auch, dass der Mensch aus eigener Kraft nicht einfach zurück zu Gott, nicht in die Versöhnung mit Gott finden kann. Dies ist nur möglich durch die Erlösung, die uns Christus schenkt. Christi Tod am Kreuz und seine Auferstehung ist die Tür. Das Vertrauen auf den Erlöser bedeutet das Ernst-nehmen der Liebe Gottes.
Das heißt, wenn wir uns im Vertrauen auf Christus von dem uns umsonst liebenden Vatergott berühren lassen, dann – so glaubt die Christenheit von Anfang an –können wir in unserem Innersten Erneuerung erfahren. Wir spüren dann einen tieferen Sinn , können neue Richtung und Ausrichtung sehen und erkennen. Wir wissen uns dann gerufen und gezogen – und lernen so immer mehr verstehen, wozu wir geschaffen ist.
Mission bedeutet: Empfangene Geschenke verschenken
Pater Possenti glaubte tief, dass sich in ihm durch seine Taufe, seine Firmung, seine Priesterweihe und sein gläubiges Leben eine innere Wandlung vollzog, die ihn, den „armen Sünder“, zum Boten werden ließ, der zur Gottes- und Menschenliebe gerufen ist: „Ich liebe sie, die Schwarzen“ – schrieb er in einem frühen Bericht und erzählte gleich darauf die Begegnung mit einem Buben, der die Sehnsucht verspürte, Gott kennenzulernen. Gläubiges, christliches Leben lebt davon, dass Leben – und mehr noch Leben voller Sinn – immer Geschenk, immer Gabe ist. Solches Leben entfaltet sich in dem Maß, in dem es wieder verschenkt wird. Der Sinn dieses Lebens ist nicht einer, der sich in der immer neuen Anreicherung des selbstgesteckten Ziels durch Besitz, Anerkennung, Leistung immer neu bestätigen muss, sondern er erfüllt sich in der geschenkten Fähigkeit, sich selbst wegzuschenken. Wenn wir „Mission“ von diesem Sinn her verstehen wollen, dann erschließt sich dieser Begriff zuerst und vor allem im Kontext von Gabe und Geschenk: Ein neu empfangenes Leben, ein empfangener Lebenssinn, der sich nur verwirklicht, wenn sich dieses Leben selbst verschenkt.
Freilich: Wir würden heute das Verhältnis von Missionaren und denen, zu denen sich einer gesandt weiß, auch theologisch anders akzentuieren, anders betonen, als dies Pater Possenti in seiner Zeit getan hat. Zu deutlich ist in den früheren Jahrzehnten ein Verhältnis von Über- und Unterordnung, von Lehrern und Schülern, von Sprechenden und Hörenden, schließlich von der scheinbar in allem überlegenen christlich-europäischen Zivilisation gezeichnet. So, als würden die Missionare schon alles wissen – und bräuchten den Unwissenden nur zu lehren. Sehr viel deutlicher ist heute, dass auch der so genannte Missionar immer zuerst ein Hörender, ein Lernender, ein Empfangender sein muss; einer, der zunächst einmal selbst Kultur, Sprache und Menschen kennenlernt, einer der lernt, das Evangelium so zu sagen und zu leben, dass es verstanden werden kann. Einer, der lernt, den schon im Anderen anwesenden Christus zu hören und dann diese Anwesenheit so im Anderen zu berühren, dass sie vom Anderen selbst erkannt werden kann. Deutlich wird das auch an der oben zitierten Übersetzung aus dem Matthäus-Evangelium. Wo hier früher noch stand „lehret alle Völker“, wird heute richtiger übersetzt: „macht alle Menschen zu meinen Jüngern“. Jünger-sein umfasst den ganzen Menschen, nicht nur den Kopf. Und um andere in die Jüngerschaft zu führen, muss man selbst einer sein. Ein missionarischer Jünger Jesu sein bedeutet in dieser Perspektive nicht einfach einer, der nur „lehrt“, der also womöglich abstraktes Kopfwissen „von oben nach unten“ vermittelt, sondern einer, der Leben teilt, der Leben mit und von anderen lernt, der Gemeinschaft lebt, der Gott und die Menschen liebt – und der so mit seinem ganzen Leben seine eigene Liebesgeschichte mit Gott erzählt – und diese mit anderen teilen will. Ein Jünger ist ein an Gott, an Jesus und die Menschen Hingegebener. Ein solches tieferes Verstehen haben wir durch Krisenerfahrungen der Kirchengeschichte hindurch erst lernen müssen; durch Krisen, in denen uns allen nicht zuletzt strukturelle Sünden schmerzhaft bewusst werden: Eurozentrismus, Kolonialismus und latenter Rassismus. Bei Pater Possenti freilich scheint eine neue Haltung schon gegenwärtig zu sein, so selbstverständlich begreift er sich als ein Diener, der unter großer persönlicher Entsagung und in demütiger Einfachheit über Jahrzehnte treu seinen Dienst bei und mit den Einheimischen in Simbabwe tut.
Heiligkeit und die Logik der Gnade
Der innere Zusammenhang zu seinem Wunsch nach Heiligkeit wird dabei deutlich. Im populären (Miss-)Verständnis sind Heilige große Tugendsame, die immer das Richtige tun, fortwährend in strenger Askese an sich arbeiten, um immer vollkommener zu werden. „In jedem Fall nichts für mich“, denkt vor so einem Hintergrund ein volkskirchlich geprägter Normalchrist. Wir beten zwar häufig im Vater Unser die Zeile „Dein Wille geschehe“, aber wenn Gott tatsächlich unsere Heiligung will, wie die Schrift sagt (vgl. 1 Thess 4,3), dann nehmen wir es mit dieser Vater Unser-Bitte am Ende doch nicht so genau. Dabei schließt sich der Wunsch Pater Possentis, ein Heiliger zu werden und zu bleiben, direkt an seine aus seinem Gottvertrauen gefundene Identität als Missionar an. Er hat aus der Gottesliebe Vergebung und Gotteskindschaft empfangen – und will das Empfangene an andere weiter verschenken. Damit liegt dieser Wunsch in der „Logik der Gnade“: Heiligkeit wird geschenkt, Heiligkeit ist Liebesfähigkeit, die ein Mensch nicht aus sich selbst hat. Heiligkeit ist die Anwesenheit von Gottes Gnade im eigenen Leben, die nur möglich ist, wenn ihr wenig egozentrischer Widerstand entgegengesetzt wird. Und sie vermehrt sich in wundersamer Weise so sehr, wie wir sie weiterschenken. Die Gaben Gottes werden durch Verschenken mehr und nicht weniger. Dieser „Kreislauf der Gnade“ ist eine Art spirituelles Grundgesetz, das freilich unseren natürlichen Empfindungen entgegenläuft. Wer will nicht vielmehr zuerst sein eigenes Leben absichern, ehe er es verschenkt? Wer denkt nicht zuerst an sich und seinen Selbsterhalt, ehe er an die anderen denkt?
Aber im Evangelium spricht Jesus anders: „Euch aber muss es zuerst um Gottes Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6,33) Oder: „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ (Mt 10,39) Letztlich, so meine Überzeugung, erneuert und vertieft sich unser kirchliches Leben zuerst aus dieser Quelle: Aus der gelebten inneren Nähe zu Christus, dem wir uns anvertrauen, damit er uns Versöhnung schenkt, neue Identität als Kinder des Vaters und innere Heimat. Eine Heimat, die jetzt schon in der Verborgenheit unseres Innenlebens beginnt, die uns neu macht und uns befähigt, wie Pater Possenti weit hinaus zu gehen. Sie befähigt uns, in den Dialog mit allen Menschen zu treten und Diener des Lebens zu werden, eines erneuerten Lebens, das nicht mehr aufhört.
Die ewige Heimat
Pater Possenti Weggartner hatte eigentlich vorgehabt, an Weihnachten 1976 nach vielen Jahren wieder einmal Urlaub in seiner niederbayerischen Heimat Pelkering zu machen, in unserem Bistum Passau. Der Attentäter, der ihn zusammen mit dem emeritierten Bischof Adolph G. Schmitt und der Ordensschwester Maria Francis van den Berg, auf dem Weg zu einem Krankenbesuch erschossen hat, ist der Erfüllung dieses Wunsches zuvor gekommen. Am 5. Dezember 1976 ist Pater Possenti in die Ewige Heimat gegangen, der er sich zeitlebens schon zugehörig gefühlt hat. Wir, die wir ihn in ehrender Erinnerung behalten wollen, dürfen vertrauen, dass er jetzt schon ein Fürsprecher für uns sein kann, wenn wir ihn in unseren Anliegen bitten. Eines der Anliegen darf sicher dieses sein: Für die Heimat und die Kirche in der Heimat zu bitten, aus der er selbst kam. Aus seinen Briefen und Aufzeichnungen geht fortwährend seine Liebe und Verbundenheit zu den Menschen seiner Heimat hervor und sein Interesse an allen Vorgängen daheim. Und zu den würdigsten Anliegen, um die wir um Fürsprache bitten dürfen, gehören ohne Zweifel die beiden von ihm selbst erzählten: Wir dürfen Gott darum bitten, dass wir selbst missionarische Jüngerinnen und Jünger werden, also dort, wo wir stehen, Zeugnis geben durch Sprechen und Handeln von dem, der uns im Glauben trägt. Und wir können darum bitten, Heilige zu werden und zu bleiben, also Menschen, die von Gottes Gnade erfüllt sind – und die so den inneren Sinn erfüllen, den Gott in uns hineingelegt hat. Der französische Schriftsteller Leon Bloy hat in diesem Sinn einmal einen Satz geschrieben, den auch unser Papst Franziskus gerne zitiert. Bloy ist davon überzeugt, dass Heiligkeit bedeutet, als Gottes Kind in die große und tiefe Freiheit dieser Kindschaft zu finden. Wenn dem so ist, dann bleibt nur ein Schluss: „Es gibt nur eine Traurigkeit im Leben: kein Heiliger zu sein.“[1]
[1] La femme pauvre, II, 27, Paris 1897. Zitiert von Papst Franziskus im Apostolischen Schreiben „Gaudete et exsultate“ über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von –heute, Rom 2018, Nr. 34
Hier noch zwei Links zur weiteren Berichterstattung – aus dem Passauer Bistumsblatt und auf der Homepage des Ordens von Pater Possenti:
https://www.passauerbistumsblatt.de/artikel/buchtipp-ein-abenteurer-gottes
https://www.mariannhill.de/home/nachrichten/er-war-einer-von-uns