Bild: K. Hauser

Über die Krise der Kirche – und ein persönliches Zeugnis über die Hoffnung auf Christus

Bei einer Rorate-Messe mit und für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ordinariat habe ich in der Predigt über die Frage nachgedacht, was es trotz aller Krisensymptome bedeutet, zur Kirche zu gehören. Und warum ich so dankbar bin für die Vielen, die der Kirche von Passau ihr Gesicht geben.  Hier zum Nachhören und Downloaden, oder zum Nachlesen.

Über die Krise der Kirche

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebe Geschwister im Glauben, vieles gibt es, was uns in diesen Tagen ängstigen könnte – und was Menschen tatsächlich auch ängstigt. Allen voran die Corona-Pandemie mit ihren oft fatalen Auswirkungen für viele Menschen. Nicht nur für die Kranken, sondern auch für Angehörige, Pflegende oder Wirtschaftsbetriebe, Kulturschaffende und so viele mehr. Die Frage nach der Impfung spaltet die Gesellschaft, die ohnehin schon so viele Themen hat, die ebenfalls das Potenzial haben, zu spalten: Die Migrationskrise, die Klimakrise, manche Folgen der Digitalisierung, die Genderdebatte und die Debatte um Formen des Zusammenlebens. Einige dieser Fragen reichen auch mitten in die Kirche hinein – und entfalten ein ähnlich problematisches Potential der Polarisierung auch unter uns. Und das lässt uns im Umgang miteinander oft nicht besser dastehen als den Rest der Gesellschaft.

Wir spüren auch, dass die Kirchenbindung, aber auch Glaubensüberzeugungen vieler Menschen schwächer werden oder schwinden. Die Gründe dafür sind vielfältig, sind oft gesellschaftlich bedingt. Aber dass wir als katholische Kirche diese Erosionsprozesse auch selber beschleunigen, steht für mich außer Frage. Zu massiv ist die Missbrauchsthematik in unserer Kirche gegenwärtig, zu massiv mancher Finanzskandal oder anderes unglaubwürdiges Gebaren von Kirchenmenschen. Nicht wenige Menschen schämen sich heute, öffentlich zu bekennen, dass sie katholisch sind, insbesondere viele junge Menschen. Zu alledem kommt auch noch Corona: Die fehlende Gelegenheit, wirklich Gemeinschaft zu leben und zu erfahren, beschleunigt manche Auflösungserscheinung und gibt ihr noch den Rest oder gar den Todesstoß. Menschen verlassen die Kirche – und wir werden auch in diesem Jahr – so wie es aussieht in ganz Deutschland und daher auch bei uns – wieder eine Rekordzahl von Austritten haben und damit hohe finanzielle Einbußen. Mancher Beobachter spricht davon, dass Kirche, dass Kirchen und mit ihnen der Glaube implodieren.

Und mitten in dieser Krisenzeit, in dieser Pandemiezeit gehen wir nun als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche von Passau auf Weihnachten zu. Was kann uns Hoffnung machen? Und zwar eine Hoffnung, die sich nicht zuerst auf Strukturen bezieht, denn die Kirche der Zukunft wird sicher eine andere Gestalt haben als heute, auch strukturell, natürlich. Kirche hat sich in ihrer äußeren Erscheinungsform immer verändert durch die Geschichte hindurch. Für mich geht es vielmehr um die Frage: Woraus leben wir wirklich? Was ist unsere Mitte? Und warum ist es deshalb wichtig zu bleiben?

Über das auserwählte Israel und das Exil

In der letzten Zeit lese ich verstärkt im Alten Testament und schaue auf das Volk Israel, auf das auserwählte Volk. Die Bibel erzählt uns die Geschichte dieses Volkes in größter Offenheit und Dramatik. Sie berichtet von den Hoch-Zeiten wie von den Katastrophen – die wahrlich nicht wenig waren. Die größte Katastrophe war die Eroberung Jerusalems durch den babylonischen König Nebukadnezar, der Tempel wurde geplündert und zerstört, die gesamte religiöse und politische Elite entweder umgebracht oder ins Exil verschleppt, zusammen mit vielen Menschen aus der jüdischen Bevölkerung – für rund 70 Jahre lang! Das Ausmaß der Katastrophe war deshalb so dramatisch, weil gerade Jerusalem, die Stadt Davids, für die Juden der von Gott auserwählte Ort seiner Wohnung war. Der Tempel, zu dem ganz Israel dreimal im Jahr gepilgert ist, war der absolute Mittelpunkt des Volkes, sozial, religiös, politisch. Er war tief identitätsstiftend für Israel: Wir sind das Volk, in dessen Mitte Gott wohnt! So die Überzeugung der gläubigen Juden. Fragen wir uns: Was macht eine solche Katastrophe mit dem Glauben Israels, mit den Überlebenden? Was würde es mit uns machen, wären wir an ihrer Stelle? Kann es sein, dass Gott das zulässt? Kann es sein, dass er sein Volk verlassen hat? Sind wir wirklich das Volk Gottes – oder sind wir auch nicht anders und auch nicht besser als alle anderen Völker? Vielleicht sind wir sogar schlechter oder schwächer, weil wir so dumm waren, uns auf Gott zu verlassen? Vielleicht ist alles nur Aberglaube? Müssen wir uns nicht schämen, dass wir diesem Gott geglaubt haben? Und dass wir jetzt im Exil in Babylon sitzen?

Und was die Verheißung für Israel angeht, haben wir wohl auch aufs falsche Pferd gesetzt: Hatten wir nicht in König David den großen Liebling Gottes auf dem Thron – und hatte nicht Gott diesem David verheißen, dass sein Nachfolger der verheißene Messias sein würde? Aber ab jetzt, liebe Schwestern, liebe Brüder, mit dem Exil in Babylon, war die davidische Linie für Jahrhunderte in Israel erloschen? Was muss diese Katastrophe mit Israel und seinem Jahwe-Glauben gemacht haben? Viele in Israel, besonders die Propheten, haben diese Katastrophen auch auf das eigene Versagen des Volkes zurückgeführt, besonders auf die Gottesentfernung und die eigene Untreue Gott gegenüber. Und immer wieder hat es Bewegungen der Umkehr und Erneuerung gegeben. Daher gilt tatsächlich: Israel und seinen Glauben gibt es bis heute, obwohl es im Grunde seit Jahrtausenden und bis heute Versuche gibt und gegeben hat, dieses Volk und seinen Glauben zu vernichten. Ist nicht alleine das schon ein Wunder Gottes, eine Art Gottesbeweis?

Über die Suche nach dem, was die Sehnsucht stillt

Liebe Schwestern und Brüder, auch wir gehen nun in der Zeit der Krise auf Weihnachten zu – und wenn sie die Texte, die unsern Herrn Jesus Christus ankündigen, genau hören, dann werden sie immer wieder hören, dass da in ihnen der „Sohn Davids“ angekündigt wird. Die Heilige Schrift macht deutlich, dass die Verheißung, dass da einer aus der königlichen Linie Davids kommen und sein Volk erlösen würde, diese Verheißung war auch 600 Jahre nach der babylonischen Gefangenschaft noch im Volk lebendig. Und auch wir Christen glauben, dass in Jesus der Sohn Davids, der Erlöser gekommen ist – und dass er immer wieder in unser Leben kommen will, besonders auf Weihnachten hin. Aber wie erlöst er denn? Was bedeutet Erlösung heute? Und was bedeutet sie in einer Gesellschaft wie unserer, die seit 70 Jahren wachsenden Wohlstand und politische Freiheit erlebt – und damit viel weniger als die Menschen damals mit materieller Armut oder politischer Unterdrückung konfrontiert sind? Von was müssen wir denn erlöst werden?

Hier möchte ich zunächst ein persönliches Zeugnis geben: Ich erlebe mich als tief erlöst aus einer Erfahrung von innerer Leere. Ich darf ehrlich sagen: Mich hat als junger Mensch sehr umgetrieben, wie ich das Maximale aus meinem Leben herausholen könnte. Maximalen Erfolg und Anerkennung, Lustmaximierung, auch maximale Erfahrung von qualitätsvoller Beziehung. Ich hatte das Glück von guten und tiefen Freundschaften, aber auch von akademischem und beruflichem Erfolg, von viel Anerkennung. Und doch: Da blieb dennoch die Erfahrung: Du hast das alles – und bist in der Seele dennoch nicht wirklich glücklich. Ich blieb ein Getriebener, ein Suchender nach den großen Fragen des Lebens. Auch mit hoher Risikobereitschaft. Bis ich dem begegnet bin, der begonnen hat, meine Sehnsucht zu stillen, meine innere Leere zu füllen. Es ist nicht so, dass das schon zu Ende wäre. Nicht so, dass es keine Versuchungen mehr gäbe. Aber es ist wirklich so, dass ich Ihn auf eine Weise gefunden habe, dass ich nichts anderes mehr suche. Und dass ich im Kopf und oft auch im Herzen weiß, dass von Ihm und nur von Ihm der Friede kommt.

Über die Notwendigkeit der Kirche und ihrer Mitte – der Eucharistie

Und ich glaube zutiefst, liebe Schwestern und Brüder, dass diese Erfahrung niemals trennbar ist von seiner Kirche. Denn die Kirche ist ein Ineinander von göttlicher Gegenwart und menschlichem Zutun. Und ja, wir spüren, dass unser menschliches Zutun manchmal so hinfällig und erbärmlich ist. Aber was auch kommen mag: Die Mitte, die Eucharistie, das Geschenk seiner Gegenwart in Brot und Wein, das bleibt. In der Eucharistie zieht er uns an sich, hinein in seine Gemeinschaft. So sehr, dass wir sagen, wir sind sein Leib. Und in dieser Gemeinschaft haben wir auch sein Wort, lesen wir sein Wort. In dieser Gemeinschaft haben wir auch so etwas wie die Vergebung der Sünden. Wissen Sie, ich bin so dankbar, dass ich immer wieder beichten kann: Ich geh ehrlich hin, leg meinen inneren und äußeren Mist vor ihn und bitte um Vergebung. Und ich kann glauben, dass es geschieht. Und auch hier wieder erfahre ich: Dann kommt immer und immer wieder der Friede und die Freude. Und zwar mitten in die Erfahrung von Krise hinein – mitten darin, aber tiefer liegend, darunter liegend. Der Friede bleibt. Und die Freude auch: Die Freude an Jesus, die Freude zu seiner Kirche gehören zu dürfen. Und ich sage das mit aller Freude und Dank: Ich bin so gern katholisch – weil ich darin in einem tiefen Sinn nach Hause gefunden habe. Und ja, trotzdem schäme ich mich auch manchmal für meine Kirche, und auch manchmal für mein eigenes Versagen. Aber der Herr bleibt und geht mit uns. Und Er will uns gerade an Weihnachten immer neu die Erfahrung schenken, dass Er da ist, dass er mit geht durch diese Zeiten. Und dass er gekommen ist, die Herzen der Menschen und damit die Welt zu verändern. Aber an uns ist es tatsächlich, die Kirche immer wieder neu von dieser Innenseite, von dieser Tiefenseite her zu entdecken und verstehen zu lernen. Immer wieder neu in die Beziehung einzutreten, uns immer wieder neu zu vergewissern, zu wem wir wirklich gehören. Zu Jesus, zum Vater, zur Mutter Jesu, zur Gemeinschaft all derer, die seit Jahrtausenden ein so großartiges Glaubenszeugnis der Liebe in der Welt leben. Das ist die Kirche zuerst und vor allem anderen. Und wir gehören dazu!

Über das Zeugnis von Vielen – und über Not, Verunsicherung und Zweifel

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, viele von Ihnen könnten sicher ähnliche Zeugnisse geben. Ich habe es ausgesprochen, um uns allen einmal mehr zu verdeutlichen, wofür wir arbeiten, wofür wir dienen, tagaus, tagein. Wir sind dafür da, direkt oder auch indirekt, dem Glauben der Menschen zu dienen – und damit Menschen zu helfen aus der Not der Sinnfrage in ein gottvolles Leben zu finden. Auch dann, wenn wir nicht in der Verkündigung stehen, sondern beispielsweise in Bereichen der Verwaltung oder der Technik. Denn auch dort kann man ein Zeugnis geben von der Liebe Gottes zu den Menschen – in unserer Freundlichkeit und Dienstbereitschaft, in der Qualität unserer Arbeit. Und ich weiß, dass so viele von Ihnen ahnen oder auch wissen, wovon ich zu reden versuche. Ich weiß aber auch, dass es viele Fragen und Zweifel gibt, viel Verunsicherung, auch nicht wenig innere Not. Und womöglich auch das Gefühl, zu den Verlierern zu gehören. Trotzdem gilt – und es wird nach meiner Überzeugung immer gelten: Wir gehören zum Sieger, zum Sieger über Sünde und Tod, zum Sieger über Verlorenheit, Sinnlosigkeit und Unfrieden. Wir gehören zu Jesus.

Vielleicht gibt Ihnen ja diese ruhigere Weihnachtszeit die Gelegenheit, sich auf Ihn neu einzulassen; und vielleicht ist da in Ihnen ja auch Dankbarkeit dafür, dass Sie bei der Kirche arbeiten dürfen. Ich selbst – und das wiederhole ich gerne und oft – ich selbst bin überaus dankbar für Sie alle als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich treffe immer neu im täglichen Arbeiten auf freundliche, offenherzige und gläubige Menschen, auf lebendige Gesichter dieser Kirche von Passau. Und ich bin voll Dankbarkeit für alle Mühen, die Sie in Ihren Dienst hineinlegen – wo auch immer Sie arbeiten. Danke für alles und danke auch für jede Unterstützung für meinen Dienst. Gott segne Sie und alle, die Sie lieben in diesem Advent und an Weihnachten. Amen.