Foto: Wesley Tingey / Unsplash.com

Der Tod Jesu und ein feierliches Ja

Der Tod Jesu wird am Karfreitag gefeiert. Wie können wir das verstehen? Die Predigt von Bischof Stefan Oster am Karfreitag 2015 im Passauer Stephansdom.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,
der Karfreitag ist ein eigenartiger Tag. In einem Land wie unserem ist es ein Feiertag, aber nach Feier, wenigstens nach oberflächlicher Feier, ist gläubigen Christen nicht zumute. Zu sehr rückt der Tod Jesu ins Bewusstsein, zu sehr spüren selbst oft unbeteiligte Menschen, dass sich Christen da an ein trauriges, tragisches Geschehen erinnern. An ein Geschehen, das aber dann dennoch feierlich, eindringlich begangen wird. Ja, wir feiern diesen Tod tatsächlich, wir feiern ihn mit feierlichem, mit heiligem Ernst.

Mit dem Tod Jesu feiern wir sein freies Ja

Denn der Tod Jesu ist doch Anlass zu einem feierlichen Ja in uns, einer Zustimmung zu diesem Geschehen. Um das recht zu verstehen, will ich folgendes sagen: Wir feiern nicht die Brutalität und Grausamkeit gegen Jesus, nicht die Ungerechtigkeit, nicht den Spott und Hohn gegen ihn, wir feiern nicht seine abgründige Verlassenheit von allen, die ihm nahe waren. Wir feiern vielmehr sein freies, sein freiwilliges Ja zu alledem. Wir feiern, dass er vor der Grausamkeit, vor der Abgründigkeit, vor dem unfassbaren Leid, vor dem Tod nicht zurück geschreckt ist.

Und wir feiern, dass dieses Ja einen Durchbruch ermöglicht hat, einen Durchbruch in einer Welt, in der Lüge und Tod so oft die Oberhand zu behalten scheinen. Wir feiern, dass dieses Ja nicht einfach eine mit Worten gesagte Einwilligung ist, sondern dass es ein Ja ist, das Jesus mit seiner ganzen gottmenschlichen Existenz gesprochen hat. Gegen buchstäblich alle Widerstände nur dieser Welt.

Trauer und Entsetzen

Liebe Schwestern und Brüder, in den letzten Wochen ist die Weltöffentlichkeit mit dem furchtbaren Unglück des Absturzes eines deutschen Flugzeuges konfrontiert worden. Bei uns und vielerorts war das Entsetzen groß und die Trauer. Wie kann das sein? Und wie kann Gott das zulassen, fragen vor allem religiöse Menschen. Diese Frage stellt sich im Grunde immer dann, wenn Unglücke passieren, die so schrecklich sind und die uns emotional überfordern.

Auch in Einzelschicksalen: Wenn Eltern Kinder verlieren oder Kinder ihre jungen Eltern; wie kann das sein? Wenn eine Seuche wütet, wie Ebola in Westafrika, wie kann das sein? Wenn monströse Verbrechen passieren, wie in den Konzentrationslagern von Nordkorea. Wie kann das sein? Wenn sich Naturkatastrophen ereignen, wie der Tsunami vor Japan, der zusätzlich ein Atomkraftwerk zum Super-GAU gebracht hat. Wie kann das sein? So viele Opfer, so unfassbare Ungerechtigkeit.

Unheilvolle Welt

Liebe Schwestern und Brüder, diese Welt, in der wir leben, die ist nicht gerecht. Sie ist auch nicht mehr heil, schon lange nicht mehr. Gott sei Dank gibt es in ihr Schönheit und Wahrheit und wundervolle Spuren von Heilsein. Aber zugleich nimmt doch jeder von uns wahr, dass diese Welt bis in tiefste Abgründe hinein gebrochen, unheil, unvollendet und dramatisch ungerecht ist. Das gilt für die ganze Schöpfung und wenn wir ehrlich sind, dann sind wir es auch selbst. Der Riss einer unheilvollen Welt zielt sich mitten durch unser eigenes Herz, durch das Herz der Menschen. Die allermeisten ungerechten Tode werden ja nicht zuerst durch Naturkatastrophen verursacht, sondern durch das böse oder unheilvolle Handeln von Menschen.

Wir haben keine allerletzte Antwort, warum das so ist. Wir wissen nicht, warum Gott riskiert und zugelassen hat, dass seine im Anfang so gut und wunderschön geschaffene Welt samt den Menschen auf solche Abwege gekommen ist. Mit Paulus ahnen wir vielleicht, dass die Verheißung, die Gott uns schenkt, ungleich größer sein wird, als das, was wir und viele andere noch mehr in dieser Welt jetzt zu erleiden haben. Paulus sagt tatsächlich, er sei überzeugt, dass die Leiden dieser Welt nichts mehr bedeuten werden im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. Aber, so antworten wir Paulus, nun leben wir eben mal jetzt in dieser Welt. Was hilft uns die Aussicht, dass es einmal großartig wird, wenn jetzt so viel unfassbares Leid und Unrecht geschieht?

Gottes Antwort: Der Tod Jesu

Das Evangelium und der heutige Tag sagen uns: Die einzige Antwort, die wir haben, ist Christus selbst. Er bejaht alles Leid, das ihm zugefügt wird, allen Hass, allen Spott, alle Ungerechtigkeit. Er lädt alles auf sich. Und er lässt sich umbringen und geht hindurch – ins Leben. Er macht dadurch für einen gläubigen Menschen folgendes deutlich: In der Verbindung mit ihm, mit Jesus, gibt es ab sofort kein Leid in dieser Welt mehr, das einfach nur sinnlos wäre. Ich bin überzeugt, dass Jesus spätestens seit seinem Tod am Kreuz in jedem Menschen leidet und mitleidet – und ganz besonders in jedem, der zu Unrecht leidet.

Der Glaube sagt uns: Wenn wir mit ihm verbunden leben, wenn wir Ihm vertrauen, dann gibt es die Möglichkeit zu einem inneren Halt, die Möglichkeit, von innen mit dem Heil berührt zu werden, die Möglichkeit, innerlich erfüllt zu sein – und zwar nicht einfach neben unserem Kreuz und unserem Leid, sondern mitten darin. Jesus hat das Leid nicht einfach beseitigt, aber in seinem Durchgang hat er uns die Möglichkeit eröffnet, unseren Leiderfahrungen in dieser Welt trotzdem Sinn abzugewinnen und Tiefe. Kennen Sie das nicht, dass Sie von Menschen tief beeindruckt und beschenkt werden, die mitten in großem Leid Stand halten und Vertrauen ausstrahlen – einfach weil sie tief mit Jesus leben?!

Wir haben einen Erlöser!

Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir heute bei aller Trauer über den Tod Jesu dennoch feiern, dann genau deshalb: Wir haben einen Erlöser, der dem Leid und dem Tod die letzte Spitze genommen hat. Wir haben einen Erlöser, der durch alles hindurchgegangen ist, damit wir in alledem nicht mehr verzweifeln müssen. Seit dem Tod Jesu tragen Leid und Tod in dieser Welt nie mehr den letzten Sieg davon. Bestenfalls den vorletzten. Der tut weh genug, aber für uns als gläubige Menschen kann in jeder leidvollen Erfahrung auch die Gegenwart des Herrn hindurchstrahlen und ihr so den Stachel ziehen.

Das ist die Erfahrung des Paulus, wenn er ausruft: „Tod, wo ist dein Stachel, Tod, wo ist dein Sieg.“ Denn Paulus weiß: Christus ist der Sieger. Heute am Karfreitag, am Tag des schrecklichsten Unrechts der Geschichte, hat der Gerechteste der Geschichte in seinem Tod den Tod besiegt. Was für ein Geschenk! Wir haben also allen Grund, seinem Kreuz heute höchste Verehrung entgegen zu bringen. Amen.