Bild: Casa Rosada

Warum ich Papst Franziskus glaube

Im Folgenden ein Blick von Bischof Stefan Oster auf das Pontifikat von Papst Franziskus – in der gegenwärtig auch für ihn so herausfordernden Situation, in der er von vielen Seiten heftig kritisiert und angefragt wird. Unter anderem wurde er von Erzbischof Carlo Maria Viganò, bis 2016 Nuntius in den USA, zum Rücktritt aufgefordert, weil er angeblich in der Missbrauchsaffäre um Kardinal McCarrick mehr und früher Bescheid wusste als später bekannt.

Warum ich Papst Franziskus glaube

Ich glaube Papst Franziskus. Ich nehme ihm sein aufrichtiges Bemühen für tieferen Glauben, mehr Hoffnung und größere Liebe und Barmherzigkeit ab – und sein unermüdliches Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung in der Welt. Der Heilige Vater hat sein großes Anliegen und ihren inneren Zusammenhang aus meiner Sicht in den vier bedeutsamsten Texten seines bisherigen Pontifikates verdeutlicht.

Es geht Papst Franziskus um die Rückkehr zum Herrn und den missionarischen Aufbruch

Es geht ihm erstens immer neu um die Rückkehr zu Jesus, um die tiefe Freundschaft mit ihm – die uns zugleich zu einem frohen, erneuerten missionarischen Engagement, zu einer neuen Evangelisierung befähigt. Sein erster programmatischer Text heißt „Evangelii gaudium“ und entfaltet dieses Programm, das innerste Anliegen der Kirche. Die Erfahrung der erlösenden und bleibend gegenwärtigen Liebe des Herrn, unsere antwortende Liebe für IHN und das daraus erwachsende Bestreben, die Welt zu erneuern, indem wir sie mit IHM bekannt machen – und indem wir uns vor allem den Armen und Benachteiligten barmherzig zuwenden.

Es geht um die Familie

Das zweite große Schreiben zielt ins Herz des Ortes, an dem der Glaube der Menschen seine ursprünglichste Heimat hat: Es geht um die Familie, um diese für jede Gesellschaft und die Kirche so fundamental wichtige, aber gerade heute zugleich so zerbrechliche Institution. Wie helfen wir mit, dass Familie entstehen und wachsen kann, dass Familienleben gelingt? Aber auch: Wie begleiten wir alle diejenigen, die auf diesem Weg scheitern? „Amoris laetitia“ gibt von alledem ein schönes, ein großes Zeugnis.

Es geht um die Welt, in der wir leben

Wir alle erleben aber, dass der Glaube, dass die Welt und die Gesellschaften nicht nur vom inneren Kern, der Familie, her bedroht sind, wir erkennen zugleich die äußeren Bedrohungen. Es geht um die Schöpfung, die Wirtschaft, die soziale Frage und mehr. Alles hängt mit allem zusammen, in allem gefährdet der Mensch eine ursprüngliche, der Schöpfung und dem Menschen inhärente Ordnung, von der wir wieder neu oder tiefer lernen müssen, und die wir nicht unsererseits nur dominieren und ausbeuten können.

Der große Text „Laudato si“ gibt deshalb drittens eine grundsätzliche Orientierung darüber, wie Christen und alle Menschen guten Willens dazu beitragen können, dass wir unsere Welt bewahren und den nachfolgenden Generationen als eine lebens- und liebenswerte Welt übergeben können. Und Papst Franziskus geht darin selbst voran. Er geht auch selbst an die Ränder dieser Welt. Und er tut es ganz offenbar ohne Angst und in großem Vertrauen, wenn er sich  auch in schwierige Länder und Regionen begibt oder sich immer wieder auf überaus heikle Missionen und Begegnungen einlässt.

Ist Papst Franziskus liberal oder konservativ?

Schließlich wird in der Kirche auf der Folie der genannten und anderer Texte von Papst Franziskus immer wieder darüber diskutiert, ob er nun ein Konservativer oder ein Liberaler ist, ob er die bestehende Lehre bewahren, ob er sie entwickeln oder gar verändern will. Die überwiegend liberale mediale und innerkirchliche Beobachtung nimmt die genannten Texte häufig zum Anlass, um den Papst zum liberalen Erneuerer zu stilisieren: Evangelii gaudium nimmt eine solche Lesart gerne als Ausdruck der Dezentralisierung, und nicht als Aufruf zur neuen Evangelisierung.

Amoris laetitia liest sie entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut als einen Paradigmenwechsel in der Sexualmoral der Kirche, Laudato si endlich als einen Text, in dem deutlich werde, dass es der Kirche vor allem und zuerst um das politische, ökologische und soziale Engagement gehen müsse.

Die andere, die traditionsorientiertere Seite blickt eher besorgt auf diese Debatte. Sie fragt, ob da nicht tatsächlich zu viel Veränderung drohe oder zu viel verkehrte Schwerpunktsetzung, die am Ende eine andere Kirche, samt anderer Lehre am Horizont aufscheinen lässt – und ob nicht Lehre, Glaube, Liturgie, der Aufruf zur Bekehrung oder zum Gebet letztlich doch zu kurz kämen. Und ich gestehe: diese Seite kenne ich in der einen oder anderen Frage auch in mir selbst.

Es geht um Heiligkeit

Aber tiefer hingesehen und weniger ängstlich meine ich zu sehen, dass der Heilige Vater hier entschieden weder den einen noch den anderen Weg geht. Er sucht vielmehr nach dem Weg der Tiefe, der Ehrlichkeit, der wirklichen Liebesfähigkeit und Glaubwürdigkeit: „Ecclesia semper reformanda“. Und auch wenn er dabei – wie wir alle – womöglich bisweilen Fehler macht, etwa wenn er Situationen oder Menschen vielleicht nicht sofort richtig einschätzt. Ich bin überzeugt, er sucht nach dem Weg mit Jesus und in seinem Geist. Es gibt eine authentische, tief glaubwürdige Linie in seinem Pontifikat. Und das zeigen nicht nur die genannten Texte und seine Initiativen. Ich glaube, es geht ihm wirklich um den Weg der Heiligkeit.

„Gaudete et exsultate“

Sein vierter bedeutsamer Text heißt deshalb: „Gaudete et exsultate“. In ihm macht der Papst deutlich, dass der Weg mit Christus ein Weg der Heiligkeit für jede und jeden ist. Ein Weg aus dem Herzen und der Mitte des Glaubens und der Kirche für die Welt, in der wir alle leben. Heiligkeit ist aber weder banale Liberalisierung noch schlichte Zementierung des Bestehenden. Heiligkeit ist der Weg des konkreten, alltäglichen Lebens mit Christus, in der täglichen Umkehr, im vertrauensvollen Gebet, im Leben der Kirche, im liebenden Dienst an den anderen – immer genau an dem Ort, an den ich hingestellt bin.

Es ist auch ein Weg in den sich wandelnden Herausforderungen der Welt, die auch die Kirche zu neuen Antworten drängt. Wenn wir daher zuerst und in allem auf Jesus schauen, wenn wir uns mühen, in unserem Leben, in unserer eigenen Durchschnittlichkeit und Sündigkeit immer neu von IHM her berühren und verwandeln zu lassen, dann verändert sich nach und nach das je eigene Leben und dann verändert sich dort, wo ich bin, die Kirche und die Welt, in der ich lebe.

Das Böse kommt ans Licht

Ich vertraue fest, dass Papst Franziskus aus der Kraft des Heiligen Geistes leben will und lebt, bei allem bloß Menschlichen, das auch ihm wie jedem von uns anhaftet. Ich vertraue deshalb auch, dass ihm kraft seines Amtes das besondere Charisma des Geistes zur Leitung der Kirche gegeben ist.

Und ich halte es deshalb für gut möglich, dass gerade heute Vieles von dem, was in der Kirche nur eitel, nur lügenhaft oder sogar böse und verbrecherisch ist, nicht deshalb zum Vorschein kommt, weil der Papst in seiner Führung Fehler machen würde, sondern viel eher auch deshalb, weil durch seine Verkündigung und seine Praxis ein Licht aufleuchtet, in dem erst deutlich wird, wieviel Dunkles, wieviel Abgründiges in der Kirche auch da ist.

Wo Glaube kompromisshaft gelebt wird

Dieses Dunkle und Abgründige, diese Lüge und Zweideutigkeit, ja auch das Verbrecherische kann sich vor allem dort behaupten, wo der Wille zur Wahrheit, das Streben nach Heiligkeit, nach Wahrhaftigkeit und Liebe allzu wenig ausgeprägt ist.

Es kann überall dort unter der Decke bleiben, wo wir als Gläubige und vor allem wir als Verantwortliche der Kirche allzu kompromisshaft unseren Glauben leben, allzu bedacht auf das eigene Ansehen und den eigenen Vorteil oder allzu arrangiert mit alledem, was uns als vermeintlich gut und vorteilhaft suggeriert wird, aus dem einfachen Grund, weil Menschen und Gesellschaften von heute sich darin bestätigt sehen wollen.

Dankbar für das Zeugnis von Papst Franziskus

Nein, ich sehe keinen Papst, der die Lehre umstürzen will, ich sehe auch keinen, der selbst vertuschen oder sein eigenes Süppchen kochen oder eigene Seilschaften knüpfen will. Ich sehe einen, der die Kirche konsequent in einen Weg der Erneuerung führen will, die weder einfach liberal noch konservativ ist, sondern die aus dem Geist der Heiligkeit, aus dem Geist der Gegenwart des Herrn ein Zeugnis für die Welt sein soll, ein Ort, an dem jeder Mensch Gottes verwandelnde Liebe erfahren und in seinem Herzen heiler werden kann – und mit ihm die Welt. Und ich bin Papst Franziskus dankbar für seinen Dienst und für dieses Zeugnis!