Was heißt: „In-Christus-sein“?

 

Vorne rechts: ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp und ZdK-Geschäftsführer Marc Frings. In der Reihe dahinter das Ehepaar Seidl aus Waldkirchen und Markus Biber vom Diözesanratsvorstand im Bistum Passau.

 

Nach Passau hat in diesem Jahr das Zentralkomitee der deutschen Katholiken zur Bundesrätegagung eingeladen. Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder der Diözesanräte aus allen Bistümern Deutschlands sind für zwei Tage in der Dreflüssestadt. Bischof Stefan Oster hat einen Nachmittag teilgenommen und mit der Versammlung eine Vesper gefeiert. Hier die Ansprache zum Nachlesen.

Liebe Geschwister im Glauben

der kurze Text, den uns die Liturgie der Kirche heute in unserem Abendlob schenkt (Röm 8,1-2), zeugt von einem Kernthema paulinischer Mystik und Praxis. Denn  wenn der Apostel Paulus von seiner Christus-Beziehung spricht, dann fällt in seinen Briefen sehr häufig die kurze Formulierung „in Christus sein“. So wie hier auch in der eben gehörten Stelle: „Jetzt gibt es keine Verurteilung mehr für die, welche in Christus Jesus sind“. „In Christus sein“ – was heißt das genauer? Mir hilft zunächst ein einfacher Zugang, den wir alltagssprachlich mit der Kategorie des Herzens beschreiben, eine Kategorie, die ja zutiefst eine biblische ist. In der Alltagssprache verbinden wir Herzensphänomene oft mit räumlichen Kategorien, also wenn wir zum Beispiel sagen: Jemand hat ein enges oder ein weites Herz. Oder wir sagen: Du hast Platz in meinem Herzen – ist das auch eine räumliche Beschreibung. Und damit sagen wir: der andere darf gewissermaßen mein Inneres betreten, er darf in mir Wirkung entfalten. Und wenn jemand das „in mir“ darf, bedeutet es: Er ist mir nicht egal, vielmehr nehme ich teil an seinem Leben, seinem Schicksal. Ich mache mich offen für ihn und zugleich verwundbar. Ich habe mit dem anderen Freude und leide mit ihm im Mitleid. Ich habe also den anderen in mir. Paulus ist nun offenbar der Ansicht, dass das Herz Christi so etwas wie das neue, aufgebrochene Herz der Welt ist, in dem jeder Mensch seinen Platz haben kann – und umgekehrt. Ich in Christus aber eben auch: Christus in mir. Christi Liebe ist ausgegossen in unsere Herzen, sagt er im Römerbrief (5,5), weshalb uns diese Liebe seinen Worten auch drängt (2 Kor 5,14) – hin zum Dienst am anderen. Und hin zur Erwiderung der Liebe auf Christus hin. Am Ende des ersten Korintherbriefs formuliert er streng: „Wer den Herrn nicht liebt, sei verflucht“ (1 Kor 16,22)  oder verdammt (wie man das Wort „anathema“ auch übersetzt). Und er meint damit wohl: Der ist nicht Teil der Gemeinschaft derer, die Leib  Christi bilden oder die aus seinem Geist leben.

Christus in mir – Ich in Christus

Dieses wechselseitige Ineinander-sein ist also für Paulus damit auch die Grundlage seiner  Berufung, seiner neuen Existenz: Im zweiten Korinther-Brief sagt er uns: „Wer in Christus ist, ist eine neue Schöpfung“ (2 Kor 5,17). Und im Galater-Brief formuliert er gleichsam maximal: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir“ (Gal 2,20).  Und dieses wechselseitige In-Christus und Christus-in-mir hilft uns dann vielleicht auch den zweiten Satz der eben gehörten Kurzlesung nachzuvollziehen. Paulus schreibt: „Denn das Gesetz des Geistes, des Lebens in Christus Jesus, hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes.“ Zunächst: der Passus schließt sich insgesamt an an eine tiefe Reflexion des Paulus im 7. Kapitel des Römerbriefes über seine eigene Verfassung. Darin reflektiert er über die Dimension, die  er in sich das Fleisch nennt. Damit bezeichnet er nicht einfach seine Leiblichkeit, sondern gewissermaßen den ganzen Menschen, der nur irdisch gesinnt ist – und deshalb von Gott nichts wissen will.  Von dieser Dimension des Fleisches fühlt er sich in Gefangenschaft genommen. Er tut nämlich oft wider besserer Einsicht das, was er gar nicht tun will. Und kommt daher zur Erkenntnis: Er ist Gefangener, wie er sagt, „im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern herrscht“. Daneben beschreibt Paulus noch ein anderes Gesetz, das der jüdischen Überlieferung. Dieses ist nicht einfach schlecht, er stammt ja auch von Gott, aber es bleibt dem Menschen allzu oft nur ein von außen bestimmendes: „Du sollst, du musst, du darfst nicht“. Und solange es nur äußerlich bleibt, hat es auch keine Kraft zur neuen, zur inneren Freiheit. Vielmehr verführt es den, dem es dann doch gelingt, hier und dort nach dem Gesetz zu leben, eher zur Selbstgerechtigkeit: „Schaut mich an, wie ich das Gesetz halte.“

 Wirkliche Freiheit: In Christus

Paulus hält nun seine erneuerte, existenzielle Erfahrung dagegen: Wirklich frei werde ich erst durch Christus. Durch mein Sein-in-ihm – und seinem Sein-in mir. Hier ist der Ort der eigentlichen Freiheit. Liebe Schwestern und Brüder, die meisten von Ihnen wissen, dass es in unserer Kirche in Deutschland ein tiefes Ringen und Fragen darum gibt, wer oder was den eigentlich der Mensch sei. Was bedeutet menschliche Identität in so vielen Bezügen und Fragen? Und vor allem: Was meinen wir mit Freiheit?  Ich meine, die Kirche aus ihrer großen Tradition spricht von einer Erfahrung der Freiheit und des Befreit-seins, die Paulus meint, letztlich eine zutiefst existenzielle Erfahrung aus dem Glauben an Christus. Und ich hoffe und wünsche mir auch sehr, dass es uns im gemeinsamen Gespräch immer wieder gelingen möge, trotz aller Kontroversen, nach diesem Gemeinsamen zu suchen und zu fragen. Was hieße für mich und dich: Ich bin in Christus und Christus ist in mir!? Und welche Art von neuem Leben und neuer Freiheit erwächst uns daraus? Vor allem auch: Welche Art von gegenseitigem Respekt im Ringen um das, was vor dem Herrn wahr ist und gut für unsere Kirche und für die Menschen, die in ihr glauben wollen? Amen.