Foto: Pressestelle Bistum Passau

Woher kommt geistliche Autorität?

Woher kommt geistliche Autorität? – Über Petrus und den Jünger, den Jesus liebte. Die Predigt von BIschof Stefan Oster zum Tag der pastoralen Dienste im Rahmen der Maria-Hilf-Woche 2016.

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pastoralen Diensten unseres Bistums, liebe Schwestern, liebe Brüder im Glauben,
ich habe den Eindruck, unser Gott hat nicht wenig Humor. Ausgerechnet heute, wo wir miteinander für Ihren Dienst für die Kirche von Passau danken, beten und bitten möchten, steht so sehr das sakramentale Amt im Mittelpunkt. Das Apostelfest, die Apostelfürsten, Petrus und Paulus!

Ausgerechnet. Heute ist ja traditionell auch in vielen Bistümern der Welt der Tag der Priesterweihe. Und einer der ganz großen Söhne, Papst Benedikt XVI. feiert sein 65. Priesterjubiläum. Aber uns hat heute der Zufall – der göttliche Zufall? – diesen Tag mit Ihnen auf den Festtag gelegt.

Woher kommt geistliche Autorität?

Da liegt es natürlich nahe, anhand der Schrift mit Ihnen darüber nachzudenken, wie denn das sakramentale Dienstamt in der Kirche und Ihr Dienst in der Pastoral und im Religionsunterricht aufeinander bezogen sind. Sie sind Mitarbeiter in der Pastoral, das heißt übersetzt, in der Hirtensorge, die zuerst mir im Bistum anvertraut ist, den sie in der Zeitung manchmal den Oberhirten nennen.

Sie können sich vielleicht denken, dass mir eine solche Bezeichnung eher fremd vorkommt und ich sie bestenfalls gutheißen kann, wenn zugleich deutlich wird, dass der so Bezeichnete auch sowas wie das niederste Schaf des eigentlichen Oberhirten ist, von Jesus.

Geistliche Autorität: Amt und Dienst

Aber als Priester sehe ich meinen Dienst darin, allen Getauften zu helfen, ihre je eigene Teilhabe am priesterlichen, königlichen und prophetischen Amt unseres Herrn zu entdecken, zu vertiefen und zu entfalten. Und das gilt auch und insbesondere zunächst für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche in der Pastoral.

Und meine Beobachtung seit langem in der Kirche ist: Dort, wo beide Seiten in der rechten Weise aufeinander bezogen sind, wo Menschen in der Kirche jeweils ihre Berufung, ihren Weg, ihre Charismen entdecken und entfalten, dort wächst auch die Dankbarkeit für den jeweiligen Dienst des anderen.

Geistliche Autorität und weltliche Macht

Dort wächst die Dankbarkeit von uns Trägern des sakramentalen Dienstamtes für alles, was die Getauften in der Kirche leben und tun und vor allem auch dafür, wie sie die Amtsträger mittragen. Und dort wächst andererseits die Dankbarkeit der Getauften für die Anwesenheit der Amtsträger als verlässliche Diener besonders der Sakramente und der Verkündigung.

Umgekehrt neigt das Verhältnis zwischen dem gemeinsamen Priestertum und dem Priestertum des Dienstes dazu, dort korrumpiert zu werden, wo sich zum Beispiel Fragen nach Befugnissen und Macht in den Vordergrund schieben auf beiden Seiten, oder wo geistliche Autorität und weltliche Macht in unverhältnismäßiger Weise beansprucht oder gegeneinander ausgespielt werden.

Geistliche Autorität und Identität

Vor allem dort, wo in der Ausübung von Autorität die Identität dessen, der sie ausüben will oder soll, brüchig ist, dort kommen wir in Schwierigkeiten. Das Problem dabei ist, dass bei uns allen als Christinnen und Christen unsere Identität nicht automatisch sicher oder heil ist. Wir sind Sünderinnen und Sünder, das heißt, unsere Gebrochenheit als Personen, zumal als Christen gehört auch zu uns und damit Unsicherheit in der eigenen Identität.

Nicht selten wird das dann kompensiert durch Mechanismen wie die unverhältnismäßige Ausübung von Druck nach unten, durch Sicherung von Privilegien, durch Eliminierung von vermeintlichen Konkurrenten oder andersherum durch Wegducken vor Verantwortung, durch mangelnde Initiative und anderes mehr.

Gehorsam aus Liebe?

Ein weiteres Problem dabei ist, dass wir ahnen oder auch wissen, dass es auf unserem Weg als Christen auch um die Einübung recht verstandenen Gehorsams geht. In den Bildern, die uns die Schrift vom Sündenfall erzählt, ist der Ungehorsam gegen Gott der Anfang von allem Übel.

Während umgekehrt der Liebes-Gehorsam Jesu gegenüber dem Vater oder der Liebes-Gehorsam Mariens gegenüber dem Geist Gottes den Weg zurück ins Reich des Vaters eröffnen. Wie also finden wir in eine heile Identität und damit zugleich ins rechte Verhältnis von Freiheit und Gehorsam, von Liebe und Wahrhaftigkeit?

Der Jünger, den Jesus liebte

An zwei Gestalten des heutigen Evangeliums möchte ich diese Frage gerne ein wenig vertiefen. Sie alle wissen, dass der Autor dieses Evangeliums keinen Namen hat, sondern immer nur der „Jünger, den Jesus liebte“, genannt wird, bzw. er nennt sich selbst so. Und zugleich ist dieser Jünger immer auch irgendwie eine Herausforderung für oder Ergänzung zu Petrus.

Er sieht, er erkennt mehr als Petrus, weil er in diesem besonderen Verhältnis zu Jesus steht. Etwa beim Abendmahl, da liegt dieser Jünger an der Brust von Jesus und bekommt von Petrus den Auftrag zu fragen, wer denn der sei, der Jesus verraten werde.

Das leere Grab

Oder als beide Jünger die Nachricht vom leeren Grab bekommen, laufen beide los und natürlich ist der Lieblingsjünger zuerst am Grab, gezogen von der Liebe, er lässt aber dann dem Amtsträger Petrus den Vortritt, dieser geht als erster ins Grab hinein. Oder eben bei der Szene, die dem heutigen Evangelium vorangeht.

Nach der Kreuzigung gehen die Jünger wieder ihrem alten Beruf nach. Sie fischen, aber sie fangen nichts. Erst auf Geheiß einer rätselhaften Gestalt am Ufer werfen sie neu die Netze aus und dann sind sie voll. Wieder ist es jetzt der Jünger, den Jesus liebte, der als erster erkennt: Es ist der Herr, ruft er. Und wieder springt Petrus als Erster aus dem Boot, läuft auf Jesus zu und nun kommt es zu der Szene, die wir im Evangelium gehört haben, zur dreifachen Frage des Herrn an Petrus: Liebst du mich?

Der Evangelist Johannes

Bevor wir aber dorthin kommen, zunächst noch eine Überlegung zu dieser Bezeichnung „der Jünger, den Jesus liebte“. Natürlich ist bei Johannes alles immer sehr vielschichtig und auch im positiven Sinne vieldeutig und tiefendeutig. Und die Lage in der exegetischen Literatur über die Frage, wer denn dieser Jünger war, ist ebenfalls vielschichtig, der Annahmen und Hypothesen gibt es viele; Gesichertes wenig.

Die große altkirchliche Tradition aber identifiziert den Autor als einen der beiden Zebedäus-Söhne, eben als Johannes, der im hohen Alter sein Evangelium verfasst hat. Ich möchte einmal mit einem etwas naiven Blick dabei bleiben, dass er es gewesen sein könnte und eine Deutung versuchen.

Selbstzuschreibung?

Der natürliche Mensch in uns, der das liest: „der Jünger, den Jesus liebte“, der kommt sehr leicht auf die Idee: „Ganz schön arrogant, der Kerl, der sich da eine Spezialbeziehung zu Jesus zuschreibt. Ausgerechnet er soll der gewesen sein, den Jesus besonders liebte.“ Ausgerechnet er, der in den anderen Evangelien nicht selten als ziemlicher Versager glänzt. Etwa als sie auf dem Weg nach Jerusalem gehen und in einem Dorf nicht aufgenommen werden, schlagen er und sein Bruder dem Herrn glatt vor: „Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und alle vernichtet?“ Ein ganzes Dorf, alle; Frauen, Kinder, Tiere, Häuser eingeschlossen.

Aber Jesus weist sie zurecht, heißt es schlicht. Oder, anderes Beispiel, offenbar ging es im Jüngerkreis bis zuletzt um die Frage, wer denn in Jesu Reich neben ihm auf dem Thron sitzen werde und die Zebedäus-Söhne schicken nach dem Bericht des Matthäus ihre Mutter vor, um Privilegien für sich zu erbitten. Jesus sagt schlicht: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Oder als Jesus am Ölberg damit kämpft, Ja zu sagen zu seinem Weg der Qual, der Folter, des Kreuzes, schlafen sie immer wieder ein. Und er, Johannes, voll dabei, der Jünger, den Jesus liebte! Und ausgerechnet er findet nun diesen Titel für sich.

Neue Identität aus der Liebe des Herrn

Liebe Schwestern, liebe Brüder, was aber wenn wir die Perspektive einfach mal umdrehen? Was aber, wenn Johannes erkennt, wie sehr er eigentlich aus sich selbst unzulänglich ist, wie sehr er immer wieder versagt? Und wie sehr er sich nun trotzdem angenommen weiß und seine ganze, seine erneuerte Identität gewinnt aus dem Vertrauen: Ich bin der, den Jesus liebt.

Aus mir selbst, kann ich wenig, aber ich weiß mich geliebt und gehalten und erlöst! Neue Identität – nicht aus dem, was ich selbst Großartiges leiste, sondern schlicht aus der inneren Erfahrung: Jesus liebt mich! Ich halte das für eine wunderbare, freilich auch sehr herausfordernde Perspektive für unser eigenes Leben und Handeln als Christen.

Und Petrus?

Von hier aber nun zum obersten Amtsträger, zu Petrus und zum heutigen Evangelium, das diese Perspektive vertieft. Nur zur Erinnerung: Jesus hatte jahrelang in Petrus sehr viel investiert. Der war überall dabei, bei Heilungen und Exorzismen, bei Totenerweckungen, bei der Verklärung, am Ölberg, bei allen größeren und kleineren Gelegenheiten der Verkündigung. Alles hat er von Jesus gelernt. Aber wusste er wirklich, dass auch er, Petrus, der ist, den Jesus liebt?

Oder wollte er nicht lieber einigermaßen selbstherrlich das Schwert ziehen, den Herrn verteidigen? Hat er nicht ziemlich weit den Mund aufgemacht und seine Bereitschaft ur Lebenshingabe proklamiert um dann in den eigenen Kräften jämmerlich zu versagen. Und zwar schon bei der ersten Anfrage durch eine Dienstmagd, ob er nicht auch dazu gehöre? Das war also Petrus, der Großsprecher und der Verleugner, der schon bitterlich bereut und geweint hat. Und der jetzt Jesus wieder unter die Augen tritt. Sehr nah, sehr intim.

Geistliche Autorität aus Intimität

Von Jesus keinerlei Vorwurf, keine Nachfrage, was er sich denn dabei gedacht habe, keine Anrede als Satan, wie er es zuvor schon von ihm erlebt hatte. Nur der liebende, fragende Blick des Herrn: Liebst du mich? Dreimal, wegen des dreifachen Verrates. Beim ersten Mal mit dem Zusatz: Liebst Du mich mehr als diese?! Man kann zwischen den Zeilen förmlich spüren, wie Petrus ringt unter dem Blick Jesu und wie er sich zur Antwort durchringt. Herr, Du weißt alles, Du weißt, dass ich Dich liebe.

Und dann das Ungeheuerliche: Jesus setzt den zuvor umgefallenen Amtsträger wieder ein. Weide meine Lämmer, weide meine Schafe. Es geht weiter. Es geht weiter mit der Kirche. Petrus hat die Autorität des Amtsträgers zurück bekommen vom Auferstandenen. Er ist wieder der Kapitän im Schiff der Kirche, im Menschenfischerboot und nicht mehr der konkrete Fischer auf dem See Genezareth.

Echte geistliche Autorität speist sich aus der Liebe Jesu

Meine Lieben, wenn wir das bedenken, und uns davon berühren lassen, dann spüren wir: Echte geistliche Autorität, ob sie nun ein sakramentales Amt inne hat oder ein anderes in der Pastoral, echte geistliche Autorität speist sich zuerst und vor allem aus der Liebe Jesu zu uns.

Zu uns Sündern, die er befähigen will, neu mit ihm zu leben. Er will uns lieben und uns zur Antwort befähigen, die ihn zuerst und vor allem liebt. Ich bin sicher, dass jede wirkliche Autorität in der Kirche, die wir dann auch als solche wahrnehmen diese Tiefengrundlage hat. Liebe zu Jesus. Als meine Antwort im Glauben, im Gebet, im Dienst an den Menschen.

Leben aus Beziehung

Daher: Wenn wir heute miteinander Gott danken für alle Ihre Dienste, die Sie in der Seelsorge tun, in den Pfarreien, in den Einrichtungen, in der Schule, im Religionsunterricht, in unserem Bistum, dann zuerst und vor allem aus dem Grund, weil Sie alle, die Jüngerinnen und Jünger sind, die Jesus liebt, zuerst einmal liebt er uns. Dafür sind wir dankbar!

Und die Qualität Ihres Dienstes für Gott und den Menschen speist sich letztlich aus der Qualität Ihrer Antwort, die Sie geben oder zumindest geben wollen. Wie sehr lassen Sie Jesus in Ihrem Herzen Gott sein, wie sehr ist Ihr Leben selbst Gebet, als Leben aus Beziehung zu Ihm?

Unsere liebende Antwort auf seine Liebe

Dies, Schwestern und Brüder, und ich versuche jedes Wort zu mir selbst zu sagen, dies ist die Quelle, in die wir immer neu hineinfinden dürfen, in die wir immer neu zurückkehren müssen. Natürlich wollen wir auch professionell sein in unserem Dienst, wollen wir Schlüsselkompetenzen einüben, wollen wir Methoden kennen, wollen wir theologisch fit sein.

Alles wichtig und alles gut. Aber wirkliche Identität und damit geistliche Autorität wachsen aus unserer Intimität mit dem Herrn, aus unserer liebenden Antwort auf seine Liebe, in all unserem Beten und Handeln.

Wir können es nicht aus uns selbst

Oberhirte soll ich sein, sagen die Leute zu mir. Und ja, ich höre den Auftrag des Herrn: „Weide meine Schafe“. Aber die Schafe im geistlichen Sinn weiden heißt: Wir können die Türe aufsperren zu den Wiesen, wo das satte, gründe Gras ist.

Wir wissen den Weg zur Quelle, wo frisches, sprudelndes Wasser herauskommt. Wir sind dazu befugt, weil wir diese Wiesen und die Quellen selbst in uns haben. Nicht aus uns, sondern weil wir die sind, die Jesus liebt und auch weil wir uns haben demütigen lassen in den Erfahrungen: Ich kann es nicht aus mir selbst.

Gottes reichen Segen

Ich sagte auch: Sie haben Teil an meiner Hirtensorge, Sie sind in der Pastoral tätig. Liebe Schwestern, liebe Brüder, ich danke von ganzem Herzen dafür, dass wir so viele kompetente Christinnen und Christen im hauptamtlichen Dienst unserer Kirche haben. Ich danke für allen täglichen Einsatz in oft schwierigem Gelände, unter nicht leichten Bedingungen von heute.

Danke, dass Sie die Verkündigung des Herrn und Seiner Barmherzigkeit zu Ihrem Beruf gemacht haben und damit natürlich zu Ihrer Berufung – als Antwort auf seinen Anruf. Ich bitte Sie von Herzen: Erinnern wir uns immer neu, woraus wir wirklich leben, was uns allen selbst Nahrung schenkt. Wir haben sie nicht aus uns. Gottes reichen Segen für alles, was Sie in unserem Bistum tun: Zur Ehre Gottes und zum Dienst an den Menschen. Amen.