Bild: Pressestelle Bistum Passau

Über die Qualität unseres Betens

Über die Qualität unseres Betens: Auf der Seite des Siegers leben. Die Predigt von Bischof Stefan Oster über das Thema Qualität zum Jubiläum der Priester und Diakone im Rahmen der Maria-Hilf-Woche 2016 im Passauer Stephansdom.

Liebe Mitbrüder im Dienst des Priesters und des Diakons,
hat der Glaube bei uns noch die Kraft, ein Leben zu prägen, zu vertiefen, zu verwandeln, zu tragen? Mich beschäftigt diese Frage sehr, zumal es ja keine einfache Antwort auf sie gibt. Denn einerseits spüren wir, dass es schwer ist, dass unser Zeugnis als Kirche, als Männer der Kirche nicht automatisch dazu führt, dass es Wachstum gibt oder Anziehung.

Wir alle erleben Rückgang auf vielen Gebieten des kirchlichen Lebens. Im Gottesdienst ohnehin, aber eben auch beim Engagement in den Gremien, den Räten und Verbänden, bei der Jugend, bei den Sakramenten, beim Priester- und Ordensnachwuchs und anderem mehr.

Über die Qualität unseres Betens: Der Glaube

Aber Sie, liebe Mitbrüder, die Sie heute Jubiläen feiern im priesterlichen Dienst, Sie sind lebendige Zeugen dafür, dass der Glaube dennoch prägt und trägt und verwandelt. Sie alle wären nämlich nicht die, die Sie heute sind, wenn Sie nicht Priester oder Diakon geworden wären. Sie würden äußerlich ähnlich aussehen, aber innerlich würden Sie in mancher Überzeugung, in manchem Fühlen und Denken, aber auch in manchem Handeln anders sein.

Priester sind lebendige Zeichen für die Qualität des Glaubenslebens

Und, ganz ehrlich gesagt, ich bin froh und dankbar darüber, dass ich in unserem Bistum viele zufriedene Priester und Diakone erleben darf. Männer, die in ihren Berufen aufgehen, die dankbar sind dafür, dass der Herr sie auf diesen Weg gerufen hat.

Sie sind lebendige Zeichen für die Wahrheit des Evangeliums in einer Zeit, in der diese Wahrheit immer weniger Gehör findet. Und deshalb sind Sie mehr denn je auch Kontrastzeichen in dieser Welt. Vor allem die priesterliche Lebensform wird kaum mehr verstanden, selbst innerhalb unserer Kirche.  Und das Engagement für den Glauben oft noch weniger.

Ist Gott tatsächlich „wirklich“ in uns?

Ich habe eingangs gefragt, wie kann der Glaube ein Leben prägen, hat er noch die Kraft dazu? Aber eigentlich beschäftigt mich diese Frage noch tiefer: Ich frage mich, wie kann unser Leben als Diener der Kirche aussehen, damit es nicht so sehr von meinem Glauben, sondern tatsächlich von Gott geprägt ist? Tatsächlich ist zwar der Glaube die menschliche Antwort auf Gottes Wort und Handeln.

Aber dieses Ineinander führt mich mehr und mehr zu der Frage: Öffnen wir uns im Glauben so für Gott, dass er in einem sehr tiefen Sinn wirklich ist für uns? Ist unser Glaube, dass Gott alle Fruchtbarkeit und alles Wachstum wirkt, nur ein mehr oder weniger tiefer Gedanke, oder ist es die Wirklichkeit schlechthin in unserem Herzen? Realität im besten Sinn des Wortes? Anders gefragt: Ist Gott eine Idee, über die wir verfügen? Oder lerne ich mehr und mehr, mich von ihm in die Verfügung nehmen zu lassen?

Maßstab: Die Qualität unseres Betens

Liebe Schwestern, liebe Brüder, besonders liebe Jubilare. Mehr und mehr wird mir deutlich, dass es dabei auch um die Qualität oder vielleicht besser um die Intensität, um die Wahrhaftigkeit unseres Betens geht. Und ich meine mit Beten nicht einfach nur die liturgischen Zeiten, in denen wir gemeinsam beten. Sondern ich meine die aufrichtige Hinwendung zu Gott, das Erheben unserer Seele zu Ihm, das Ernstnehmen, dass er wirklich da ist und uns wirklich an sich ziehen will, aus Liebe.

Ich bin mehr und mehr überzeugt davon, dass beten lernen und Gott lieben lernen so ziemlich dasselbe ist. Wenn ich jemanden liebe, wird er in meinem eigenen Leben, vor allem in mir, intensiv lebendig. Dem, den ich gerne habe, schenke ich Zeit, Gedanken, Gehör. Er ist präsent, sagen wir. Real anwesend. Aber ist es auch in mir so: Ist Gott nur ein Gedanke in meinem Kopf, der zwischendurch mal da ist, oder ist er von mir so gekannt und geliebt, dass er real mein Herz durchdringt, prägt, verwandelt?

Beten lernen heißt Gott lieben lernen

Wir haben in der ersten Lesung des heutigen Tages die strengen, die anklagenden Worte des Propheten Amos gehört. Der Prophet sieht Missstände allenthalben im Volk: Korruption, Unterdrückung und Ausbeutung der Armen, der Witwen und sie schänden den Kult im Tempel. Es ist ohne Frage eine Zeit, in der Gott in ihren Herzen abwesend ist. Mit fatalen Folgen für das ganze Gefüge der Gesellschaft, der ihre Mitte abhanden kommt und deshalb beschwört der Prophet zerstörerische Kräfte herauf.

Wie anders hört sich da eine Prophetie bei Jesaia an, der das messianische Reich sieht und dann genau das Gegenteilige formuliert: Im elften Kapitel dieses Buches lesen wir: (11:9) Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist“.

Das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn wie das Meer mit Wasser. Liebe Schwestern, liebe Brüder: Wirkliche Erkenntnis im Glauben ist nicht zu lösen von der Liebe zu Gott. Und beide zusammen, Liebe und Erkenntnis Gottes bewirken dann, dass es eine Erfahrung gibt, die Gott wirklich Gott sein lässt, die ihm die Ehre gibt, so sehr, dass der Eindruck entsteht: So wie Wasser im Meer, so konkret, so wirklich ist das Land erfüllt von der Erkenntnis, von der Gegenwart des Herrn.

Die Radikalität des Evangeliums

Wir haben im Evangelium gehört, mit welchem Anspruch Jesus in seine Nachfolge ruft: „Lass die Toten ihre Toten begraben, folge mir nach.“ Einem solchen Anspruch kann man im Grunde nur folgen, wenn man Jesus glauben kann, dass er es wirklich ist. Dass er Gott ist und dass er da ist, dass er lebt und mit uns geht. Sie alle, liebe Brüder im priesterlichen und diakonalen Dienst, haben in Ihrem Leben das Gewicht der Wirklichkeit des Rufes Jesu gespürt.

Sie haben ihn so nah an sich herangelassen, dass er ihrem Leben schon ganz wirklich geworden ist und dass er so ihrem Leben eine entscheidende Wende geben konnte. Jesus war und ist also in Ihrem Leben schon prägende Wirklichkeit. Aber wir alles wissen, dass eben dies auch eine große Herausforderung ist und bleibt, dieser Wirklichkeit immer neu inne zu werden, ihr Raum zu geben.

Qualität ist immer Herausforderung

Unsere Umgebung, unsere Kultur und Gesellschaft, ziehen uns weg, ziehen uns immer mehr hin zu einer Welt, die sich selbst von Gott abwendet. Es fällt nicht leicht zu bleiben, bei Ihm zu bleiben, in dieser Prägekraft. Aber die geistlichen Autoren aller Zeiten lehren, dass im großen Konzert Gottes und seiner Kirche nicht wir selbst die Spieler der Instrumente sind, sondern wir sind die Instrumente, auf denen er spielt.

Oder wie Mutter Teresa zu sagen pflegte: Ich bin das Kabel, Er ist der Strom. Und erst wenn wir ihn lassen, wenn wir ihn unser Herz und unsere Sprache, unser Hören und unser Handeln durchformen lassen von ihm, erst wenn wir uns ihm täglich neu aussetzen, seinem Wort, seiner Gegenwart, dann wird uns diese liebende Gegenwart so zuwachsen, dass die Menschen spüren: Wir bringen nicht nur Worte, nicht nur fromme Sätze, sondern eben auch die Ahnung, die Eröffnung, den Zugang zu Seiner Wirklichkeit, zu seiner Realpräsenz. Und natürlich, liebe Brüder, sage ich das alles auch zu mir selbst.

Jesu Leben ist sein Gebet, seine Beziehung zum Vater

Liebe Brüder, es ist also nicht egal, wie wir beten. Schauen wir auf den Herrn. Das ganze Leben Jesu war im Grunde Leben als Beziehung zum Vater. Und sein Gehen zu den Menschen war erfüllt von der Liebe zum Vater. Sein Leben ist sein Beten und sein Beten ist sein Leben.

Liebe Brüder, auch unser Beten darf immer mehr Ausdruck werden von unsrer Liebe zum Herrn und die Liebe zwischen uns und ihm ist gewissermaßen der Weg, auf dem er kommt und sich als wirkmächtig erweist. Sie dürfen sich das richtig vorstellen wie ein Band, das uns verbindet. Die Qualität unserer liebenden Antwort an Ihn, ist zugleich sein Weg zu uns. Sie ist der Weg, der uns befähigt, selbst hinauszugehen und den Menschen eben nicht nur seine Botschaft zu bringen, sondern sie mit seiner Gegenwart in Berührung zu bringen und sie wirklich auch in Ihm und durch Ihn, durch Jesus zu lieben.

Die Mutter: Ort der Fleischwerdung des Wortes

Ich denke, die Radikalität des Evangeliums verstehen wir in der Tiefe in dem Maß, in dem wir selbst so mit ihm leben, dass Er unser Leben ist. Und vielleicht können Sie von hier auch mitvollziehen, warum ich glaube, dass die Verehrung Mariens als Mutter der Kirche und als Hilfe der Christen tief in diese Sehnsucht mit hinein gehört.

In ihr ist Jesus Fleisch und Blut geworden und damit unendlich mehr als ein frommer Gedanke oder eine Idee. Durch sie ist buchstäblich Gott zur Welt gekommen. Und je mehr wir in diesem Sinn an ihrer Seite kirchlicher, marianischer werden, desto mehr wird Gott durch uns zur Welt kommen, als gelebte Liebe, die nicht nur von dieser Welt ist.

Jesus zu den Menschen bringen

Liebe Brüder im priesterlichen und diakonalen Dienst. Mich treiben solche Überlegungen wirklich um. Ich sehne mich für unser ganzes Bistum nach Menschen, Priestern, Diakonen, haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern, die so berührt sind von Ihm, dass sie prägend wirken können für einzelne, für viele, für unsere Pfarreien und Dekanate.

Ich wünsche mir sehr, dass durch meinen und unser aller Dienst Jesus zu den Menschen kommen kann. Nicht nur als Wort, sondern – wie Paulus sagt – voll Geist und voll Kraft, als machtvolle Wirklichkeit in ihrem Herzen und als unfassbare Barmherzigkeit.

Sehnsucht wecken! Und auf der Seite des Siegers leben

Aber ich will solche Überlegungen einmal mehr nicht zuerst als Anzeige eines Defizits verstanden wissen, sondern als Wunsch die Sehnsucht zu wecken nach mehr von der Gegenwart des Herrn in unserer Kirche. Ich bin sicher, dass die allermeisten von Ihnen auch ahnen, wovon ich spreche und auch immer wieder erfahren durften, dass der Herr sie wirklich trägt und führt und begleitet. Und auch, dass er sie zu anderen Menschen geführt hat und führt.

Bessere Qualität: Mehr Gegenwart des Herrn

Ich danke Ihnen allen von ganzem Herzen für Ihren treuen Dienst über all die Jahre und Jahrzehnte in unserem Bistum. Zum Lob Gottes und zum Heil der Menschen. Und ich will den Herrn leidenschaftlich bitten, dass er Sie stärke und Ihnen Freude und Liebe zu Ihm ins Herz schenke, und Freude an Ihrer Berufung und dass er Sie segne mit der Kraft seines Geistes. Und wenn wir allenthalben Rückgang erleben, dann lassen Sie sich von niemandem einreden, nicht von den Kritikern der Kirche, nicht von den Medien, nicht von unseren Gläubigen und schon gar nicht vom Teufel, dass wir auf der Seite der Verlierer wären.

Es ist nicht wahr. Wahr ist, dass wir zum Sieger gehören. Jetzt schon. Er hat schon gesiegt, er hat schon die Negativität dieser Welt überwunden, er hat uns schon hineingenommen in die Gemeinschaft der Sieger, in seiner Kirche. Sie alle gehören dazu und sind selbst als Priester und Diakone Zeichen des Sieges, Zeichen seiner unfassbaren Barmherzigkeit, die die Welt immer neu verwandeln will. Amen.