Im Anfang war das Wort: Warum ein so abstraktes Evangelium zu einem so konkreten Fest? Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Weihnachtsgottesdienst im Passauer Stephansdom (mit ZDF-Übertragung) 2015.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
ist das nicht eigenartig? Da feiert die Christenheit auf der ganzen Welt ein Fest, das so konkret ist, wie nur irgend möglich. Ein Kind in einer Krippe wird gefeiert. Und wir selbst stellen Krippen auf, singen von dem Ereignis, spielen es nach mit den Kindern. Feiern es mit allen Sinnen, mit Lichtern, mit Glanz, mit gutem Essen, mit Geschenken. Alles konkret.
Und dann legt uns die Kirche ausgerechnet an diesem Tag ein Evangelium vor, das so erhaben klingt, aber scheinbar auch so abstrakt und so wenig konkret. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Und alles ist durch das Wort geworden.“ Wo kommt hier das Festereignis vor, wo das Kind in der Krippe?
Wort und Worte
Liebe Schwestern und Brüder, ich möchte Sie deshalb einladen, mit mir einmal über das nachzudenken, was wir Menschen überhaupt meinen, wenn wir von „Wort“ oder „Worten“ reden. Sie alle kennen den Unterschied bei sich selbst, wenn Sie über eine Sache sprechen, wenn Sie also Worte machen: Es ist ein großer Unterschied, ob Sie eine Sache wirklich kennen und mögen, oder ob Sie diese Sache sagen wir nur beiläufig erwähnen oder gar nicht wirklich kennen.
Jemand, der von etwas innerlich bewegt ist, der etwas kennt und liebt, dessen Worte sind immer reicher und tiefer. Sie sind gewissermaßen angereichert mit erlebter und erkannter Wirklichkeit. Und sie haben dann auch Kraft, die innere Substanz, andere zu bewegen. Sie können dann im gelingenden Fall bei anderen Menschen Interesse wecken für dieselbe Sache. Solche Worte nehmen mit. Sie können vielleicht sogar mitreißen. Ehrliche, tiefe, Worte, angefüllt mit erlebter Wirklichkeit, können im Herzen eines Menschen etwas zum Klingen und zum Wachsen bringen.
Das Wort und sein Hörer
Aber nun der Unterschied: Ganz anders klingen dieselben Worte vielleicht sogar über dieselbe Sache bei jemandem, der nichts von der Sache versteht. Der die Sache weder wirklich kennt noch gern hat. Ein aufmerksamer Hörer merkt das sofort. Er wird sagen: „Das hat keine Substanz. Der hat nichts zu sagen.“
Und von hier zurück zum heutigen Evangelium: Wir hören darin geheimnisvoll, erhaben, dass Gott selbst ein Wort spricht, dass er gewissermaßen ein Wort in die Welt hinein sagt. Ein Wort, ein einziges. Ein Wort, das so unfassbar reich, tief, lebendig, voller Leben und Liebe ist. Und dieses Wort kommt in Jesus zur Welt, in dem Kind in der Krippe: „Das Wort ist Fleisch geworden.“ Gott hat sich in diesem kleinen Baby, das aus Maria geboren wurde, vollständig ausgesagt. Die Menschen, die sich ihm ernsthaft und demütig nähern, wie die Hirten, wie die drei Könige, die spüren: Hier ist Gott. Und sie fallen nieder und beten an.
Gottes Wort in unser Herz
Aber, liebe Schwestern und Brüder, die Kirche glaubt nun , dass Jesus eben auch zu uns gekommen ist, zu jedem einzelnen von uns. Gott spricht dieses Wort auch in unser Herz hinein aus. Er will, dass wir hörfähig werden, dass wir aufnahmefähig werden, dass wir lernen, dieses Kind, später diesen Mann, diesen Liebenden, diesen Gekreuzigten und Auferstandenen, dass wir ihn immer mehr kennen und lieben lernen. Warum will Gott das?
Unter anderem, damit unsere eigenen Wörter über ihn lebendig werden, voller Reichtum, voller Tiefe. Dazu dürfen wir uns immer neu auf die Suche nach Ihm machen, auf Entdeckungsreise zum Beispiel in der Heiligen Schrift, im Gebet, in den Sakramenten, in der Gemeinschaft der Kirche, in der Schönheit seiner Schöpfung. Damit in uns das wieder neu wächst, was einen Zeugen Jesu, was eine Jüngerin Jesu ausmacht: Leidenschaft für den, dem sie folgen!
Wie würden wir antworten?
Liebe Schwestern und Brüder, ich habe mir in den letzten Wochen oft gedacht, dass die vielen Flüchtlinge aus fremden Kulturen, die zu uns kommen, auch auf unsere schönen Weihnachtsmärkte treffen. Und sie nehmen dann sicher wahr, wie viel Aufwand wir da hineinstecken, in all die Lichter, in die Musik, die Dekoration, in alle Stände, in alles Kaufen und Verkaufen. Und wenn uns die Flüchtlinge nun fragen würden: Was macht Ihr da eigentlich?
Wäre unsere Antwort wirklich: Wir bereiten uns vor, auf das Fest der Geburt des Gottessohnes? Wäre das die Antwort? Oder würden wir uns gar nicht mehr so recht trauen sie zu geben, weil wir vielleicht das Kommen des Gottessohnes gar nicht mehr so im Sinn haben? Aber nehmen wir mal an, wir würden es so sagen, nehmen wir an, wir würden sagen: „So bereiten wir uns auf das Kommen Jesu in unsere Welt vor.“ Dann würden sie wohl ziemlich erstaunt sagen: „Ach so, macht ihr das!“
Jesus will unser Herz erneuern
Wissen Sie, wir leisten in unserem Land und auch in unseren christlichen Pfarreien und Gemeinden so viele Hilfe für die Flüchtlinge. Und ich bin sehr stolz darauf und dankbar dafür. Aber meine Frage an uns wäre: Könnten wir ihnen auch schon von dem weihnachtlichen Frieden erzählen, den die Begegnung mit Jesus wirklich in unser Herz bringen kann? Könnten wir ihnen und anderen Menschen mit der Liebe begegnen, mit der Jesus ihnen begegnet ist? Und könnten wir von unserem Erlöser so erzählen, dass andere im Herzen berührt würden?
Weil unsere Worte so reich an Erkenntnis und Liebe sind, weil auch in uns das Wort Fleisch geworden ist, angefüllt mit lebendiger Wirklichkeit? Liebe Schwestern, liebe Brüder, ich möchte Sie an diesem Weihnachtsfest ausdrücklich einladen: Lassen wir uns das Kind, lassen wir uns Jesus heute wieder voller Freude über seine Geburt neu ans Herz legen; lernen wir ihn neu kennen und lieben. Er will unser Herz erneuern. Er will jeden Menschen verwandeln, in einen Menschen, der glaubt, hofft und liebt. Und er will uns und der Welt den Frieden schenken – auch durch unser Zeugnis für ihn. Dafür ist er gekommen. Amen.