Zeugnis geben! Was der Heilige Stephanus mit uns zu tun hat. Die Predigt von Bischof Stefan Oster am 26. Dezember 2018 im Passauer Stephansdom.
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
im Oktober diesen Jahres wurde Papst Paul VI. heilig gesprochen, der Mann, der das II. Vatikanische Konzil vor über 50 Jahren zu Ende geführt hat. Von ihm stammt ein Satz, der mich immer wieder herausfordert. Er hat ihn schon 1975 in seiner berühmten Enzyklika über die Evangelisierung geschrieben, die den Titel Evangelii nuntiandi trägt.
Zeugnis geben oder gelehrt sein?
Darin lesen wir: „Der heutige Mensch hört lieber auf Zeugen als auf Gelehrte – und wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb, weil es Zeugen sind.“ Was ist der Unterschied zwischen einem Gelehrten und einem Zeugen? Oder was macht einen Gelehrten zu einem Zeugen?
An Papst Franziskus sehen wir es meines Erachtens deutlich: Der Papst ist sicher ein gelehrter, ein gebildeter Mann, aber wir spüren, dass sein Sprechen, sein Predigen wirklich aus dem Herzen kommt – und damit aus dem eigenen geglaubten Leben. Wir spüren, er meint es persönlich sehr ernst mit dem was er sagt und wie er es sagt. Er ist nicht nur ein Lehrer, nicht nur der erste Lehrer der Kirche – er ist auch ein Zeuge. Und deshalb glauben ihm so viele Menschen.
Zeuge auf Griechisch: Märtyrer
Das griechische Wort für Zeuge im Neuen Testament heißt Märtyrer und das Zeugnis ist das Martyrium. Diese beiden Worte sind auch eingedeutscht – und wir merken, dass es da eine Diskrepanz gibt zwischen dem Wort Zeuge und dem Märtyrer. Märtyrer sind Menschen, die für ihren Glauben gestorben sind, und nicht einfach nur Leute, die wirklich überzeugt sind von dem, was sie sagen.
Im normalen Sprachgebrauch ist Papst Franziskus kein Märtyrer, aber ein Zeuge. Trotzdem spüren wir, liebe Schwestern und Brüder, wie beides zusammengehört. Es wird wohl keiner ein Märtyrer werden, also einer, der für seine Glaubensüberzeugung auch seinen Tod in Kauf nimmt, der nicht eben auch ein Zeuge war oder ist; einer der vollen Herzens seinen Glauben gelebt hat.
Und wir spüren vielleicht auch, dass es zum Zeugnis wesenhaft dazu gehört, dass ein Mensch auch dann Zeugnis gibt, wenn es Widerstände gibt oder wenn es unangenehm ist. Wenn alle immer nur klatschen, ist es leicht, Zeuge zu sein. Deshalb klärt sich die Echtheit des Zeugnisses eben gerade auch dann, wenn es Widerstand gibt oder wenn wir Widerstand zu spüren meinen, oder wenn es nicht angenehm ist, Zeugnis zu geben.
Zeugnis geben im Alltag
Schauen wir in einige Alltagsbeispiele und damit bei uns selbst nach, ob wir Zeuginnen oder Zeugen sind. Kürzlich schilderte mir jemand schriftlich, wie er in einer Kirche Zuschauer bei einem christlichen Theaterstück war. Es war offenbar modern inszeniert und die Zuschauer wurden auch mit einbezogen. Die Figur des Judas wurde dargestellt und der zweifelnde, in sich zerrissene Judas rief an einer Stelle ins Publikum: „Oder ist irgendjemand hier, der wirklich glaubt, dass Jesus für uns gestorben ist, der hebe die Hand“. Keiner habe sich gerührt, erzählt der Schreiber weiter – und er fühlte sich selbst betroffen. Niemand wollte den geschützten Raum des Beobachters verlassen und sich zu erkennen geben.
Oder denken Sie an Situationen, in denen wir öffentlich gemeinsam essen. Sie sprechen zuhause beim Essen immer ein Tischgebet. Tun Sie es im öffentlichen Raum auch? Oder denken Sie an ein Gespräch am Arbeitsplatz, im Sportverein, unter Bekannten. Es geht wieder einmal um den Glauben, vor allem auch um die Kirche – und das Gespräch bekommt eine negative Wendung. Wären Sie jetzt bereit, Zeugnis zu geben dafür, dass Sie zur Kirche gehen, weil Sie an Christus glauben und dieser Glaube wichtig für Ihr Leben ist.
Was könnten die anderen denken?
Oder denken Sie an eine Situation im Pfarrgemeinderat: Sie spüren, dass Sie unzufrieden sind und dass man eigentlich auch miteinander beten müsste oder über den Glauben sprechen, wenn man schon miteinander die Belange der Kirche vor Ort organisiert. Aber Sie trauen sich nicht etwas zu sagen, weil Sie zu spüren meinen, die herrschende Meinung ist hier ganz anders unterwegs.
Liebe Schwestern und Brüder, warum trauen wir uns oftmals nicht, ein solches Zeugnis zu geben? Weil wir befürchten: Was könnten die anderen von mir denken? Weil doch Religion längst Privatsache sein soll; weil Sie ja schließlich niemanden missionieren oder unseren Glauben aufdrängen wollen… Oder vielleicht, weil es mir doch nicht ganz so wichtig ist, wie es sein könnte?
Zeugnis geben, wo uns der Wind ins Gesicht bläst?
Wir merken, es kann unangenehm sein, ein Zeuge, eine Zeugin zu sein. Und wir merken auch, dass eigentlich genau das das Kriterium für die Echtheit des Zeugnisses ist: Unter lauter Gleichgesinnten bin ich gern mal der gute Christ. Aber draußen, wo mir der Wind ins Gesicht bläst? Da gehe ich lieber in Deckung. Dabei, liebe Schwestern und Brüder, wäre das echte Zeugnis in unserer Gesellschaft so wichtig.
Und vor allem könnte es oftmals auch eine Bresche schlagen in die Atmosphäre der Vermeidung von Glaubensthemen. Wie oft habe ich schon gehört, dass Menschen, die mutig ihren Glauben bekannt haben, plötzlich auch das Bekenntnis der anderen entgegennehmen konnten: Sowas wie: „Ja, danke, dass du dich bekannt hast, ich denke eigentlich genau so, hab mich aber nicht getraut es zu sagen.“ Oder: „Hör mal, du hast doch neulich über deinen Glauben gesprochen. Ich hab echt Schwierigkeiten damit, aber mich interessiert es, können wir mal darüber reden?“ Mutiges Zeugnis hält Widerstand aus – und ja es ist ein Risiko. Aber es kann Türen öffnen und Atmosphären verändern.
Der Glaube ist nicht nur Dekoration
Wir merken an solchen Beispielen auch, dass im Grunde zu einem wirklichen Zeugnis mein ganzes Leben gehört und nicht nur ein paar ausgewählte Bereiche, die mir passen. Es ist nicht so, dass mein christlicher Glaube eine Art Dekoration ist für die Orte und Gesellschaften, wo es passt, ansonsten lass ich es. Sondern ich bin immer Christ und mein Christsein bewährt sich an meinem Zeugesein – auch dann, wenn es unangenehm ist.
Wie dankbar, liebe Schwestern und Brüder, dürfen wir zum Beispiel sein für Menschen, die auch in der Verfolgung Christen sind, und trotzdem treu bleiben. Für sie beten wir heute besonders, denn sie sind ja genau deshalb für uns Vorbilder für die Überzeugung, dass der Glaube Hoffnung und Halt auch in den schwierigsten Situationen schenkt und vor allem auch über den Tod hinaus. Oder wie dankbar können wir für unsere Glaubensgeschwister in der ehemaligen DDR sein, die sich von einem totalitären Regime ihren Glauben nicht haben nehmen lassen – und so die Träger der friedlichen Revolution wurden, vor fast 30 Jahren.
Zeugnis geben ist wie Versprechen halten
Mit dem Zeugnis ist es wie mit einem Versprechen: Ob ich ein verlässlicher Mensch bin, zeigt sich erst wirklich, wenn es schwer ist, mein Versprechen zu halten. Ob ich ein Zeuge bin, zeigt sich erst, wenn ich auch dort Zeugnis geben kann, wo es einen Schritt über meine Menschenfurcht hinaus braucht. Und liebe Schwestern und Brüder, glauben wir nicht, dass echtes Zeugnis alle anderen mitnimmt. Vielleicht einige, vielleicht wächst es langsam. Aber vielleicht wächst auch der Widerstand.
Und glauben wir nicht, dass Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit automatisch dazu führen, dass die Leute uns auch glauben werden. Jeder Zeuge, jede Zeugin des Evangeliums ist immer auch eine Herausforderung für andere, manchmal wie ein Spiegelbild oder eine Art lebendiger Vorwurf. Schauen wir auf Jeus: Er war die liebesfähigste, großartigste, glaubwürdigste Person, die je als Mensch über diese Erde gelaufen ist – und doch sagt er im heutigen Evangelium: „Ihr werdet von allen gehasst werden“. Warum ist das so? Weil die ehrliche Begegnung mit dem Herrn dazu führt, dass mein eigenes Ego vom inneren Thron meines Herzens runtersteigen und ihm den Thron überlassen muss. Und eben dieses Ego in mir will das ganz und gar nicht.
Wer dem Herrn näher kommt, will ihn entweder anbeten oder töten
Und eben das, liebe Schwestern und Brüder, ist das eigentliche Paradox des Zeugnisses, das uns zeigt, dass in letzter Konsequenz ins Martyrium führen kann. Menschen, die wirklich dem Herrn näherkommen, Menschen, die spüren, wer er ist, in seiner unfassbaren Größe und Niedrigkeit, in seinem unfassbaren Mut und seiner unglaublichen Demut, in seiner Hingabe und in seiner Majestät, in seiner Macht, die sich ohnmächtig verschenkt: Wer ihn an sich heranlässt, der hat im Grunde nur zwei Alternativen. Ich bete ihn an, oder ich will ihn loswerden, am besten töten, damit in mir alles so bleiben kann, wie es ist.
Und Jesus prophezeit, dass viele Christen, die sich wirklich auf ihn einlassen, ein ähnliches Schicksal erleiden werden. Wir hören heute von Stephanus, dem allerersten von denen, die sterben wie sein Herr. Wir hören, dass er offenbar voller Weisheit, voller Kraft sogar Wunder wirkte im Volk. Wie sein Herr war er offenbar groß in der Liebe und groß in der Verkündigung. Aber es war zu viel für die etablierten Religiösen, vor allem für die Berufsreligiösen. Sie wollten das Gute nicht sehen, sie suchten Menschen, die ein falsches Zeugnis geben, sie suchten Lügenzeugen gegen den echten Zeugen. Sie sind Verleumder und wollen ihn sich vom Hals halten.
Zeugnis geben trägt Frucht
Andernfalls müssten sie ja auch den anbeten, den Stephanus bezeugt. Der sieht den Himmel offen. Er sieht sich getragen und beschützt vom Menschensohn – und er stirbt wie sein Herr, Zeugnis bis zuletzt, indem er auch noch im grausamen Sterben für seine Verfolger betet. Und wie dieses Zeugnis fruchtbar wird, sehen wir in den folgenden Kapiteln der Apostelgeschichte. Saulus hatte den Stephanus mit auf dem Gewissen, es wird berichtet, dass er dem Todesurteil zugestimmt und auf die Obergewänder derer aufgepasst hat, die die Hinrichtung durchführten.
Die Kirche hat von Anfang an gesagt, dass das Blut der Märtyrer der Same für neue Christen ist, für das Neugeborenwerden als Christ. Und was sich da für eine Fruchtbarkeit entfaltet wird deutlich am Rest der Apostelgeschichte, die zum allergrößten Teil vom bekehrten Saulus handelt; nämlich von Paulus, dem größten Missionar der alten Kirche, auch ein Zeuge, der als Märtyrer sterben wird.
Herr, lass unser Zeugnis von Dir echter werden
Liebe Schwestern und Brüder, die Kirche wächst immer durch Zeuginnen und Zeugen, durch Menschen, die wissen wem sie glauben – und mit ihrem ganzen Leben davon erzählen, sprechend, handelnd, liebend. Und wenn wir sagen, dass uns das Evangelium anvertraut ist, nämlich jedem und jeder Getauften, dann merken wir vielleicht alle, dass wir in unserer Fähigkeit zum Zeugnis noch wachsen können.
Wir wachsen in dem Maß, in dem uns Jesus ans Herz wächst, in dem er uns innerlicher wird – denn wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund. Und weil wir immer noch Weihnachten feiern, lade ich Sie ein: Treten Sie innerlich an die Krippe heran und lassen Sie sich von Maria das Kind ans Herz legen, betrachten sie es, voller Staunen und Sehnsucht und bitten sie den Herrn, in ihrem Leben ein starkes Zeugnis für ihn geben zu können. Amen.
Das Bild zeigt den langjährigen Dommesner Johann Gscheider, der am Ende der Patroziniumsfeier im Dom heute von Domdekan Dr. Bauernfeind und mir in den Ruhestand verabschiedet wurde – und dabei seinen Schlüssel übergab. Wir sind Herrn Gscheider dankbar für den langjährigen, so treuen und kompetenten Dienst in unserer Kathedralkirche. Gottes Segen für seinen verdienten Ruhestand.