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Der Herzensmittler zum großen Du hin

Der Herzensmittler zum großen Du hin. Die Predigt von Bischof Stefan Oster in der Christmette 2016 im Dom St. Stephan zu Passau.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, liebe Suchende, liebe Gäste,
wenn heute Abend unser Dom so voll ist wie nicht oft im Jahr, dann ist das aus meiner Sicht zunächst ein gutes Zeichen! Dieses Zeichen entsteht wohl aus der langen Erfahrung und reichen Symbolik, die Sie alle mit diesem Fest, mit Weihnachten verbinden. Es geht um Liebe, um Frieden, um das Zeigen, dass man einander gern hat und verbunden ist. Und in alledem kommt vermutlich bei Ihnen allen der Wunsch, die Hoffnung, eine Sehnsucht zum Ausdruck.

Der Herzensmittler zum großen Du hin

Die Sehnsucht, dass wir alle mit dem, was wir da Liebe nennen, hinein gestellt sind in eine Wirklichkeit, die größer ist als wir selbst, eine Wirklichkeit der Liebe, des Ja zueinander. Wir sehnen uns danach, dass wir als Menschen nicht alleine sind mit dem, was wir uns da wünschen. Aber wir kommen auch mit der Erfahrung, dass wir mit dieser Sehnsucht nach Liebe und Frieden so oft scheitern, vor allem, wenn es nur an uns Menschen liegt.

Willkommen in der Weihnacht

Wir erleben gerade wieder besonders intensiv eine Welt, in der nicht der Friede, nicht die Mitmenschlichkeit zu dominieren scheinen, sondern eher Angst und Schrecken, Hass und Gier, Egozentrik, Eifersucht und anderes mehr. Vielleicht ahnen wir alle, die wir hier sind, dass wir als Menschen mit unseren eigenen Bemühungen um Liebe und Frieden oft doch nicht so weit kommen. Und dass diese Bemühungen manchmal vielleicht sogar ins Gegenteil umschlagen.

Und vielleicht suchen wir deshalb eine Quelle, eine Quelle, die stärkt, die Kraft schenkt und Hoffnung, die neu befähigt zur Liebe und zum Frieden. Eine Quelle, die größer ist als wir selbst und der wir heute Abend hier im Dom hoffen zu begegnen. Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gäste, liebe Suchende: Wenn Sie auch deshalb hier sind, dann herzlich willkommen in dieser geweihten Nacht, in dieser Weihnacht.

Wir lernen lieben durch die Vermittlung anderer

Um dem Geheimnis dieser Nacht näherzukommen, möchte ich mit Ihnen über die Frage nachdenken: Wie lernen wir normalerweise etwas kennen und lieben? Für kleinere Kinder liegt die Antwort auf der Hand. In der Regel sind es die Eltern, die das Kind in die Welt einführen, die ihm zeigen, was schön ist, was Freude macht, was gut schmeckt, was man gern haben kann. Und es ist im Grunde gar so nicht schwer, ein Kind zu begeistern, wenn man ein Herz für das Kind hat und ein Herz für das, für das man begeistern will.

Kinder lernen erkennen und lieben durch Vermittlung anderer offener Herzen. Und wenn Sie genauer hinschauen, dann merken Sie, dass das zwar nicht immer, aber doch sehr oft passiert: Wir werden sehr oft durch andere Menschen zu dem hingeführt, was uns dann selbst wichtig wird.

„Das hat mich geprägt“

Ich kann mich sehr gut erinnern, vielleicht als 13-Jähriger hatte ich einen 17-Jährigen Freund. Das war etwas ganz Besonderes, ein älterer Jugendlicher, der noch dazu bei vielen anderen angesehen war; der hat sich mir ernsthaft zugewendet. Und da ging es wie selbstverständlich, dass ich als „Kleinerer“ auf einmal ähnliche Interessen hatte wie dieser aus meiner Sicht „Große“, den ich dann natürlich mochte. Auf einmal fand ich die Musik toll, die er toll fand; auf einmal habe ich andere Menschen gut gefunden, die er gut fand und anderes mehr. Und ehrlich gesagt: Manches oder manchen Menschen von damals find‘ ich heut noch richtig gut.

Was uns wichtig geworden ist, wird sehr oft durch andere vermittelt, die wir mögen! Oder meine Freude an der Philosophie wurde vermittelt durch einen verehrten Lehrer, der durch und durch ein Philosoph ist, das Herz voll von der Liebe zur Weisheit und Wahrheit. Das hat mich wirklich geprägt. Und so kann sich jeder von Ihnen fragen: Was wäre ich für ein Mensch geworden, wenn ich nicht diesen oder jenen Herzensvermittler gehabt hätte, denn dann hätte ich mich für viele schöne und gute Sachen und Menschen nicht geöffnet? Sie wären mir nicht innerlich geworden.

Herzensmittler: Ist Gott eine Person?

Warum sage ich das in einer Nacht wie dieser? Ich sag‘ es, weil unser Glaube uns nahelegt, dass das Kind, das wir anbeten, der Herzensmittler schlechthin ist. Und zwar für das, was die wichtigste Wirklichkeit unseres Lebens ist. Wie ist das gemeint: Nun, Umfragen unter den Menschen unseres Landes belegen, dass viele Menschen sich heute mit dem Gottesglauben schwer tun. Es gibt natürlich bei ganz Vielen das Bewusstsein darüber, dass es etwas Größeres gibt, dass die Welt einer Gesetzmäßigkeit unterliegt, die sie vielleicht nicht aus sich selbst hat; dass es vielleicht sogar universale Liebe gibt, unerschöpfliche Energie, irgendwas Größeres. Aber wenn Sie die Menschen dann ernsthaft fragen: Glaubst Du an einen personalen Gott, an einen Gott, der Person ist?

Bei einer solchen Frage sind die Allermeisten skeptisch. Sogar viele Christinnen und Christen sind skeptisch. Was soll man sich unter einem „personalen Gott“ vorstellen? Aus meiner Sicht wäre die einfachste Beschreibung dafür: Ein personaler Gott ist ein Jemand und nicht ein Etwas! Es ist jemand, zu dem man „Du“ sagen kann. Den man ansprechen kann. Den muss man sich gar nicht materiell oder leiblich denken. Einen Engel denken wir auch körperlos und dennoch können wir uns vorstellen, dass wir zu ihm Du sagen, ihn ansprechen. Und nun ist die Frage: Ist die ganz große, die umfassende Wirklichkeit, die wir auch Gott nennen, in einem ganz umfassenden Sinn für uns Menschen ein Jemand, ein Du?

Der große Zweifel

Liebe Schwestern und Brüder, wir alle, ich auch, wir kennen in unserem Herzen oft den Zweifel, der da sagt: „Nein, das Universum ist kalt und leer und am Ende ohne Sinn. Ich muss selber schauen, dass ich den Sinn in mir finde.

Ich muss selbst schauen, wo ich bleibe. Gott, wo ist er denn? Schau Dir doch das Elend in der Welt an? Nein, da verlass‘ ich mich lieber auf mich selbst.“ Das ist eine Grundherzenshaltung, die uns auch eingeschrieben eingeschrieben ist, die einen Teil unserer inneren Not ausmacht.

Der Herzensmittler zum Vater

Aber nun feiern wir da an Weihnachten ein Kind, das diese Not beheben will; ein Kind, das mitten in das Elend, den Schrecken, die Armut dieser Welt hineinkommt. Ein Kind, das gleich nach der Geburt bedroht und verfolgt wird. Ein Kind, das als Mann später grausam umgebracht wird. Und von diesem Kind sagen uns die Texte der Heiligen Schrift heute: Es ist der Retter, der Messias, der Herr.

Die, die ihm als Mann begegnet sind, werden sagen: Er ist der König, der König im Reich Gottes, im Reich der Liebe. Und sie sagen: Er wird die Liebe siegen lassen gegen alles, was in dieser Welt Schrecken und Leid und Tod und Terror bringt. Und die Schrift sagt nun auch: Er ist der Mittler, der Herzensmittler und einzige Mittler hin zum Vater.

Jesus sprach von seinem Abba

Ist Gott ein Du, ein Jemand? Mit Jesus kam einer in die Welt, der in einer nie dagewesenen Weise von Gott als seinem Vater, oder sogar zärtlich von seinem Abba, seinem Papa gesprochen hat. Einer, der sich als eins mit dem Vater erklärt hat. Einer, der gesagt hat, meine Speise ist es, den Willen des Vaters zu tun. Er war durch und durch erfüllt von der Gegenwart dessen, den er Vater nannte. Und sein Auftrag, seine Sendung war, die Menschen hinein zu holen in diese Wirklichkeit des Vaters, in sein Reich.

Dorthin, wo die Liebe herrscht, dorthin, wo die Menschen nicht zuerst auf sich schauen und sich sichern und egoistisch um sich selbst kreisen müssen. Dorthin, wo das große, das umfassende Du sich zeigt als der Gott der Liebe und der Barmherzigkeit. Ich sagte vorhin, dass wir sehr viel von dem, was wir lieben oder wen wir lieben durch die Vermittlung von anderen Menschen kennen- und lieben gelernt haben. Jesus will, dass wir durch ihn den Vater neu erkennen und lieben lernen.

Durch den Herzensmittler werden die Menschen neu

Liebe Schwestern und Brüder, die Nacht der Welt ist dunkel, sie kann grausam sein, leidvoll und tödlich. Und in unseren Herzen kann es genau so dunkel aussehen. Gibt es das große Du? Und mitten in diese Nacht hinein kommt die Antwort, kommt ein Kind und der Himmel geht auf – und die Engel verkünden Frieden auf Erden! Mitten in diese Nacht hinein kommt ein Kind, das als erwachsener Mann sagen wird: Ich bin die Wahrheit und das Leben und vor allem: Ich bin der Weg zum Vater, der Vermittler zum Vater hin.

Jesus wird allen Hass, allen Zweifel, allen Unglauben, alle Sünde am Kreuz auf sich nehmen und gerade so seinem Vater treu bleiben. Und fortan, seit dem Ereignis von Betlehem vor 2000 Jahren, werden die Menschen, die sich dieses Kind ans Herz legen lassen, neue Menschen. Sie wachsen im inneren Halt, in der Orientierung und Tiefe in sich. Sie entdecken eine Liebe und Freude, die sie nicht aus sich selbst haben. Und sie werden verwandelt von der Krippe und später vom Kreuz weggehen. Da war einer, da ist immer noch einer, der hat mit seiner ganzen Existenz auf den Vater verwiesen, das große Du. Und zwar durch Not und Folter und Tod hindurch.

Wir sind nicht allein

Und jetzt können auch wir glauben und hoffen und lieben. Wir können Jesus vertrauen: Wir sind nicht allein, wir sind keine Waisen. Wir haben im Kind von Bethlehem einen göttlichen Bruder, der uns zeigt und sagt und vermittelt: Der Vater ist da und er bleibt da für Dich. Egal was passiert. Vertraue mir, vertraue ihm und du bist im Leben, vertrau ihm und Du kannst angstfrei hinaus gehen und liebevoll dem Fremden und dem Flüchtling begegnen und dem Leidenden und dem Ausgestoßenen und dem, den niemand haben will – und sogar dem, der uns mit Terror bedroht.

Denn die Liebe, die von Jesus kommt, kann nur verschenkt werden. Sie lebt aus dem Geheimnis des Vaters, der diese Welt aus keinem anderen Grund geschaffen hat als aus einer Liebe, die sich verschenkt. Wer zu Jesus gehören will, und durch ihn zum Vater, der wird ein Mensch werden, der sich verschenkt, weil er spürt, dass er sich selbst geschenkt ist. Frohe, gesegnete  Weihnachten soll ich Ihnen von Jesus wünschen – mit ihm zusammen beauftragt vom großen Du. Von dem, der Sie alle liebt – weil er der Vater dieses Kindes in der Krippe und unser aller Vater ist. Amen.