Pfingstdarstellung in der St.-Anna-Basilika Altöttong. Foto: Roswitha Dorfner

Die neue Evangelisierung und das Pfingstfest

Die neue Evangelisierung und das Pfingstfest. Ein Beitrag von Bischof Stefan Oster an Pfingsten 2018 für das Portal „Katholisch.de“.

„Noch nie hat ein Mensch so gesprochen“. So melden es die Gerichtsdiener im Johannes-Evangelium (7,46), die Jesus eigentlich im Tempel festnehmen sollten. Sie waren aber offenbar so beeindruckt von ihm, dass sie den Befehl der Hohenpriester nicht ausgeführt haben. „Noch nie hat ein Mensch so gesprochen“ – Mich beschäftigt sehr die Frage, ob und wie wir als Christen in die Ursprünglichkeit einer solchen Erfahrung zurückfinden können; in die innere Wahrnehmung, dass die Gestalt Jesu in den Evangelien so unglaublich ist, so unglaublich kraftvoll, so neu, so herausfordernd, so wahr, so demütig, so liebend bis zum grausamen Ende – eben einfach so ganz anders, als alles, was wir bisher gekannt haben: „Noch nie hat ein Mensch so gesprochen.“

Mir scheint dagegen, dass es in mir und wohl in den meisten von uns sehr oft die gegenteilige Neigung im Verhältnis zum Evangelium gibt: Wir tun es gerne schnell ab als allzu bekannt, oder als alten Text, der nicht allzu wörtlich zu nehmen ist. Oder wir fragen uns, ob man das alles überhaupt glauben kann. Oder wir halten uns an manchem vordergründigen Widerspruch fest oder geben der inneren Neigung in uns nach, die das Bibellesen ohnehin langweilig findet. Kurzum: Wir halten uns das Evangelium gerne vom Leib – und suchen gerade nicht danach, uns ihm ursprünglich auszusetzen.

Werden wie die Kinder

Aber stellen wir uns vor, wir wären selbst ein Kind und bekämen die Geschichten von Jesus wirklich gut und spannend erzählt. Wie würden wir innerlich mitgehen mit dem Erzählten, wie offen und phantasievoll mit der Kraft unserer Vorstellung dem Erzählten nachgehen, wie würden wir innerlich teilnehmen an der Geschichte!? Und vermutlich könnte uns ein guter Erzähler auch als Kind deutlich machen, dass da in der Geschichte einmal ein Mensch aufgetaucht ist, der eben so ganz anders war als alle anderen Menschen – obwohl er doch ganz Mensch war. Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…., sagt Jesus.

Und nun stellen wir uns vor, wir wären selbst die Erzähler der Geschichte für unsere Kinder, oder auch für andere. Wie sehr müssten wir Jesus verstanden haben, um ihn so zu schildern, dass wir wirklich glaubhaft machen könnten: „Noch nie hat ein Mensch so gesprochen!“ – und so, dass sich ein Kind eben selbst in diese Erfahrung hinein gestellt sieht? Nämlich in der Erzählung jemandem zu begegnen, der eben so gesprochen hat wie Jesus.

Kennen wir IHN?

Ja, aber wie hat er denn gesprochen? Voll Geist und voll Kraft, voller Zärtlichkeit vom Vater, voller Erkenntnis vom Leben mit Gott und vom Leben der Menschen, voller Einsicht in unsere tatsächliche Verfassung als Menschen, so geheimnisvoll und tief, so echt und wahrhaftig und voller Liebe. Meine Frage: Sind wir, bin ich als Verkündiger ein Erzähler, der so von ihm sprechen kann? Weil ich ihn kennen gelernt habe, in seinem Wort, in seiner Gegenwart im Sakrament, in Taten der Liebe, in der Gemeinschaft derer, die ihn schon kennen? Kenne ich Ihn?

Ich bin überzeugt, wenn wir heute fragen, was neue Evangelisierung ist, dass wir zuerst wieder zurückkehren müssen zu Ihm. Zu Ihm, der in der Kirche da ist und wirkt und dem wir persönlich begegnen können, einfach zum authentischen Jesus selbst, unverstellt.

Und ich halte das auch für möglich. Christen aller Zeiten haben diese Erfahrung gemacht, dass es möglich ist, in persönlicher Freundschaft mit dem Herrn zu leben und in ihr zu wachsen – und durch sie wirklich immer neu frei zu werden von Sünde und liebesfähig und versöhnt mit dem Vater. Freilich durch Höhen und Tiefen eines Lebens hindurch, durch Vertrauen und Versagen, durch Fallen und Wiederaufstehen – aber eben mit diesem Herzstück ihres Glaubens: Er geht mit mir – und mit uns. Jesus selbst sagt im Evangelium, dass die Beziehung zu Ihm die wichtigste unseres Lebens ist. Von ihr her kommen alle unsere anderen Beziehungen in die rechte Ordnung. Und Papst Franziskus sagt uns fortwährend: Die Freude des Evangeliums kommt zuerst aus der Begegnung mit Ihm.

Neue Evangelisierung lebt von Menschen mit Erfahrung

Neue Evangelisierung lebt von Menschen, die diese Erfahrung für ihr Leben suchen, in ihr leben, von ihr sprechen können und andere in diese Beziehung hineinführen können – mit Wegen und Methoden, die ebenso neu sind, wie die Herausforderungen, die uns eine säkulare Gesellschaft heute stellt. Sie lebt aber auch von Menschen, die auf ihrer Suche und ihrem Weg keine (vermeintlich) außergewöhnlichen geistlichen Erfahrungen machen, die aber der großen Wolke der Zeugen (Hebr 12,1) glauben, die sie gemacht haben. Sie können auf diese Weise ebenfalls mitgehen und wachsen auf dem Weg der Freundschaft mit dem Herrn.

Freilich – und das ist das Geheimnis von Pfingsten: Der Hl. Geist ist es, der uns in diese Freundschaft führt – und ohne den all unser Streben nach der Beziehung zu Jesus unmöglich ist. Allerdings gilt auch: Sofern das Streben selbst schon da ist, dürfen wir vertrauen, dass der Geist schon in uns wirkt. Er ist es ja, der uns in das Geheimnis Jesu allererst hineinführen kann.

Jünger Jesu werden

Aus dieser persönlichen Beziehung folgt dann die Dimension der Jüngerschaft. Ein Jünger ist ein Lehrling in der Schule Jesu, ein Lehrling mit intensivem Praxisbezug: Hinausgehen, von Ihm und Seinem Reich erzählen, sich Menschen liebevoll zuwenden, allen, aber besonders Suchenden und den wenig Privilegierten. Mit Ihm und von Ihm beten lernen, mit Ihm in die Einsamkeit zum Vater gehen, mit Ihm in der Gemeinschaft unterwegs sein, Sein Wort verinnerlichen und anderes mehr. Immer neu sich herausfordern zu lassen und so wachsen im Glauben und im geistlichen Leben. Jüngerschaft ist ein wesentlicher Aspekt für neue Evangelisierung. Und um das richtig zu verstehen: Nicht einfach als exklusiver Club für ein paar Wenige. Sondern es braucht in jedem Fall einige Entschiedene, damit die Vielen wieder neu berührt werden von Jesus – und selbst den Weg des Glaubens, der Jüngerschaft beginnen wollen.

Damit sind schon einige weitere Aspekte genannt. Es gibt keine fruchtbare neue Evangelisierung, die nicht aus dem Gebet leben würde, aus der Stille, aus der Kraft der Anbetung und des Lobpreises. Alles Echte wächst in der Stille. Neue Evangelisierung stärkt kleine Glaubensgruppen: Menschen, die miteinander beten, miteinander sprechen und sprechen lernen über ihren Glauben – und sich auch darin bestärken, hinauszugehen und Zeugnis zu geben in Wort und Tat.

Liebe zur Kirche

Neue Evangelisierung lebt schließlich aus der Liebe der Gläubigen zur Kirche – weil die Kirche nicht zuerst Macht und Struktur und Hierarchie und Geld und so vieles andere ist, sondern zuallererst Wohnort Gottes in der Welt; weil Kirche im Ursprung Maria ist, die mit den Jüngern vor Pfingsten den Geist erbeten hat – weil sie ohnehin von Anfang an die Geistvolle war und bleibt. Zur neuen Evangelisierung gehört also die Sehnsucht, alle anderen Menschen in der Kirche willkommen zu heißen, weil Kirche in der Gestalt der Freundinnen und Freunde Jesu Sein erster Wohnort in der Welt ist. Und zu ihr gehört schließlich die Fähigkeit, in jedem anderen Menschen auch dem Herrn zu begegnen, und ihnen wie der Herr selbst auch die Füße zu waschen.