Die Not der Krankheit und das Heilwerden im Glauben

Die Not der Krankheit und das Heilwerden im Glauben. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum letzten Segnungsgottesdienst im Jahr der Barmherzigkeit 2016.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
als Christinnen und Christen, die an Jesus als den Auferstandenen glauben, sehnen wir uns alle nach einem Hineinwirken Gottes in unser Leben. Weil wir glauben und glauben wollen, dass Gott wirklich Heil wirkt. Dass er Leben schenkt, neues Leben und Frieden und Erfüllung. Das ist uns verheißen. Und wir leben in einer Welt, die er geschaffen hat, die wir in vielen Aspekten als schön erleben, als verheißungsvoll und wunderbar.

Von der Not der Krankheit

Aber wir erleben dieselbe Welt eben auch in anderen Dingen als verbogen, als gebrochen. Es gibt Unheil und Krieg, Lüge und Gewalt, es herrschen Machtanmaßung und Eitelkeit, Gier und Egozentrik, die Sucht nach Ruhm und schneller Befriedigung von Bedürfnissen. Und wir alle, liebe Schwestern und Brüder, sind Teil dieser schönen und zugleich gebrochenen Welt. Und deshalb gibt es das alles das, was ich aufgezählt habe, nicht nur um uns, sondern auch in uns. Keiner von uns ist ganz heil, und schon gar nicht ganz heilig. Die Welt ist schön, aber auch krank – und wir sind es auch, an Leib und Seele.

Gott und unsere Welt voller Unheil

Gott hat also diese wunderbare Welt geschaffen, aber er hat sie nicht genau so geschaffen, wie wir sie vorfinden. Er wollte und will nicht die Abwendung von ihm, er will nicht die Sünde und nicht das Unheil. Aber jetzt ist es da, es ist passiert, es ist in der Welt.

Der Mensch als Gottes Lieblingsgeschöpf ist von Anfang an mitverantwortlich für das Unheil in der Welt. In seiner ursprünglichen Abwendung von Gott, so sagt unser Glaube, beginnt das Übel, das Böse, das Leid auf der Welt – und seine ganze, lange, unheilvolle Geschichte.

Von Krankheit zum Heil: Gott will das Ganze

Aber es gilt immer noch, trotzdem: Gott will unser Heil. Er will es von uns allen – aber es ist ein ganzheitliches Heil. Es umfasst unseren Geist, unsere Seele, unseren Leib, unsere Gemeinschaft und vor allem auch unser Leben mit Ihm, mit Gott, unser Leben auf Ewigkeit hin. Gott will also für uns ein Heil, das zuerst Rettung ist, wirkliche Erlösung, und das heißt: Heimkehr zu Ihm.

Gott zielt aufs Ganze. Und sein Heilmittel ist: Liebe, absolute Liebe, ist Jesus, ist sein Geist. Aber wie könnte Gott durch Liebe heilen? Durch eine Liebe, die immer eine freie, freiwillige Antwort sucht von uns? Eine Liebe, die leise ist, die zärtlich ist, die wirbt um die Zustimmung des Menschen – und zwar in einer Welt, die auch laut ist und abwehrend und ablenkend ist und Gott so oft nicht hören will?

Gott will nicht Krankheit, sondern Heil

Ein Mensch wird krank in einer Welt, die eben auch krank ist und krank macht. Jeder von uns ist von Krankheit betroffen, länger oder kürzer, mehr oder weniger. Und wir dürfen davon ausgehen, dass Gott Krankheit nicht will, ebenso wenig will er Sünde in der Welt.

Wir sollten also nicht allzu voreilig sagen: Gott hat mir diese oder jene Krankheit geschickt. Im Evangelium lesen wir nämlich sehr oft: Jesus heilte alle. Und Jesus ist das wirkliche, das barmherzige Gesicht Gottes zur Welt. So ist der Vater. Wer mich sieht, sieht den Vater, hat er uns gesagt.

Er kann sich auch im Leid als der Herr für uns erweisen

Gott will nicht Krankheit. Aber, liebe Schwestern und Brüder, wir dürfen glauben, dass Gott jede Krankheit verwenden kann, um sich auch darin als der Herr zu erweisen. Haben Sie nicht schon selbst die Erfahrung gemacht: Wenn Sie kraftlos da liegen, dass sie sich dann schneller an Gott wenden als sonst? Weil sie ihn brauchen? Haben Sie nicht schon selbst erfahren oder Menschen kennen gelernt, die durch tiefes Leid gegangen sind – und eben dadurch ihrem Leben von innen her neues Licht, neuen Sinn gewonnen haben?

Weil sie lernen mussten, dass die alten Muster der Selbstsicherung nicht mehr funktionieren? Und so lernen sie mitten im Leid plötzlich ihren Gott kennen, lernen sich zu überlassen und zu vertrauen – und sind in diesem Moment in einer bestimmten Weise schon dort angelangt, wo ihre Seele zuhause ist, wo sie daheim ist! Gott will, dass wir alle zu ihm heim kommen. Und er kann sich als Herr auch in den schlimmen Situationen unseres Lebens erweisen, weil uns nicht selten oft gerade dann aufgehen kann, wohin wir wirklich gehören.

Was ist mit den Treuen, die auch leiden?

Was aber, liebe Schwestern und Brüder, ist mit denen, die das schon wissen, die tief gläubig sind, die gute Menschen sind – und die trotzdem Schweres erleiden müssen? Warum lässt Gott zu, dass manchmal gerade seine besonders Treuen so heftig leiden?

Nun, sein Allertreuester, sein geliebter Sohn Jesus, hat auf  tiefste, dramatischste Weise gelitten – in unfassbarer Qual. Gerade der Gerechteste, der am meisten Liebende, der Treueste! Warum Er? Wir glauben, liebe Schwestern und Brüder, dass sein Leiden ein Für-uns war, ein Für-unsere-Sünden, für unsere Gottferne, für unsere Krankheit.

Krankheit und Kreuz

Wir beten und bekennen, dass im Kreuz Heil ist. Warum? Weil er am Kreuz das Tor zum Himmel aufgestoßen hat – und damit zum Himmel in jeder Menschenseele. Christen kennen durch Jesus das Geheimnis des stellvertretenden Leidens. Für uns! Im Grunde, meine Lieben, kennt das in weniger dramatischer Form auch jeder Mensch, der ernsthaft Mitleid empfinden kann.

Jeder, der die Not eines anderen mitfühlen und auch mittragen kann, kann dazu beitragen, dass akute Not des anderen gelindert wird. Wie wohltuend ist oft ein Besuch am Krankenbett von einem liebenden Menschen, der mir zuspricht, der sich wirklich sorgt und mitleidet. Aber den Mitleidenden kostet das auch etwas, er lässt sich die Not des Leidenden ja angehen – und trägt sie mit.

 Jesus ist der Allertreueste, der allergrößte Mitleidende

Jesus ist der allergrößte Mitleidende, er der Allertreueste. Und er nimmt uns alle auch mit hinein in sein Erlösungswerk. Und das heißt: Er schenkt auch unserem Leid, die Möglichkeit, es wirksam werden zu lassen für die Menschen, für die Kirche, für das Heil – auch dann, wenn wir es als sehr, sehr ungerecht empfinden.

Ich bin sicher, meine Lieben, und sag das oft: wenn wir als Glaubende drüben, im Himmel, einmal zusammen dem gegenüber stehen dürfen, an den wir geglaubt haben, dann wird uns zugleich aufgehen, wer alles mitgeholfen hat, dass wir dort sein dürfen. Also, wer alles für uns mit gebetet, getragen, geliebt und gelitten hat – und uns so mithinein geholfen in das Vertrauen, dass das Leid in dieser Welt nie das letzte Wort hat. Und seit dem Kreuz Jesu gibt es auch kein gänzlich sinnloses Leid mehr – wir können es ihm übergeben und vertrauen, dass er es fruchtbar macht für seine erlösungsbedürftige Welt.

Wo unsere Seele zuhause ist, auch in Krankheit

Wenn wir heute auf Jesus, den Heiler und Heiland schauen, dann dürfen wir glauben, dass sein heilendes Wirken an so vielen Menschen immer den ganzen Menschen im Blick hatte. Hätte Jesus einfach nur innerweltlich oder nur körperlich heilen wollen, dann hätte er Lazarette gebaut, um möglichst viele gesund zu machen. Aber das wäre zu vordergründig: Jesus hat beinahe immer betont, dass ein Kranker von ihm durch seinen eigenen Glauben geheilt worden sei – und so sollte der Glaube selbst als das eigentlich Heil bringende deutlich werden.

Heute haben wir im Evangelium gehört, dass der blinde Bettler, nachdem er geheilt war, von Jesus das Wort hört: Geh, dein Glaube hat dir geholfen. Und der letzte Satz im Text war: und er folgte Jesus auf seinem Weg. Liebe Schwestern, liebe Brüder, wenn wir – sei es durch Krankheit, sei es durch irgendetwas anderes – in unserem Leben in einen Glauben finden, der Jesus auf seinem Weg folgt, dann haben wir das gefunden, was uns am meisten Heil bringt. Dann sind wir bei Ihm, dann sind wir bei dem angekommen, der unsere Seele daheim sein lässt.

Wer sonst überwindet die Welt?

Wer sonst überwindet die Welt, wenn nicht unser Glaube? Hat Johannes in der ersten Lesung gesagt. Wer überwindet eine Welt, die vordergründig von anderen Dingen regiert wird als von Jesu Liebe. Aber unser Glaube sagt uns: Mitten in dieser zerbrochenen Welt und auch in meiner eigenen zerbrechlichen Existenz, bricht ein Glaube auf, der zeigt. Er ist der eigentliche Herr der Welt, der Heiland, der, der uns heimführt zum Vater.

Und so beten und bitten wir heute vereint miteinander, dass unser Heil erneuert wird, an Leib und Seele. Und wir bitten, dass der Herr auch Zeichen und Wunder wirken möge an uns, wie er es will – immer im großen Vertrauen, dass das eigentliche Wunder in uns geschieht, in unseren Herzen, die sich ihm zuneigen und von Ihm wandeln lassen. Dafür sei er gelobt und gepriesen. Amen.


Will Gott Krankheit, Katastrophen? Wo ist er im  Leid? Eine weitere Predigt von Bischof Stefan Oster dazu können Sie hier nachlesen.