Unten zum Nachlesen die Predigt anlässlich der Friedensandacht in der Kirche Christi Himmelfahrt in Passau – anlässlich des Jahrestages des russischen Überfalls auf die Ukraine.
Musikalisch gestaltet wurde der Abend von Martin Göth und Freunden, zusammen mit Mitgliedern der Musikg ruppe Fresh. (Bilder: W. Bayer)
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
an diesem Tag, an dem vor genau einem Jahr Russland die Ukraine überfallen hat, wenden wir uns an Christus, den wir auch als den Friedenskönig verehren. Er, der selbst unsägliche Gewalt erlitten hat – wie so viele Menschen in der Ukraine und so viele, die direkt oder indirekt von diesem Krieg betroffen sind. Wir wenden uns aber auch an den, der mitten im Leid das Leid überwunden hat. An den, der sich mitten im Leid dem Vater überlassen hat – und der uns so auch einen Ausweg gezeigt hat. Aus der Gewaltspirale aber auch aus der Angst vor Leid und Gewalt, die vermutlich jeden und jede von uns immer wieder anfällt.
Die Seligpreisungen und ihre Zeitformen
Wir haben die Seligpreisungen der Bergpredigt gehört. Sie sind für uns Christen Verheißung, Mahnung, Herausforderung, alles zugleich. Und für die meisten klingen sie auch nach Überforderung. Sie konfrontieren uns ja mit der Behauptung: Es gibt eine Seligkeit, also eine tiefe Erfahrung von Glück und Frieden mitten in der Erfahrung von Trauer, von Not und Bedürftigkeit, ja sogar mitten in der Erfahrung von Verfolgung. Jesus verheißt uns das. Und auch wenn die Seligkeit für die Trauernden oder diejenigen, die sich nach Gerechtigkeit sehnen mit einer Zukunftsform verheißen wird, so steht doch an zwei markanten Stellen ausdrücklich die Gegenwartsform. Lassen Sie mich das erläutern. Jesus sagt zum Beispiel: Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, sie werden gesättigt werden. Oder selig, die Frieden stiften, sie werden Kinder Gottes genannt werden. Also zukünftig. Da gibt es einmal einen Ausgleich, eine Antwort Gottes, die kommen wird. Aber zweimal preist er Menschen selig, denen das Himmelreich jetzt schon gehört, wo er also die Gegenwartsform verwendet. Erstaunlicherweise gilt das für die erste und die achte Seligpreisung – also für die, die die restlichen Seligpreisungen mit ihren Zukunftsverheißungen einrahmen. Die erste lautet: Selig die arm sind vor Gott – denn ihnen gehört das Himmelreich. Und die achte lautet: Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich.
Die Armen vor Gott und die Verfolgten
Arm vor Gott, oder geistlich arm oder arm im Geist – so lauten die verschiedenen Übersetzungen der ersten Seligpreisungen. Gemeint sind Menschen, die wissen, dass sie die wichtigsten Dinge des Lebens nicht einfach besitzen, sondern immer neu empfangen müssen. In der inneren Haltung der Offenheit, der Bedürftigkeit, auch der Verwundbarkeit. Wir haben die Liebe, die Gott meint und schenken will, nicht in unserem Besitz, nicht in unserer Verfügung. Wir empfangen sie, um sie zu verschenken. Wir empfangen auch Dinge wie Freundschaft, Liebe, Vertrauen der anderen nicht als Verdienst, sondern als Geschenk. Wir verlieren die Fähigkeit zu echter Freude oder auch zur Sinnerfahrung, wenn wir uns einbilden, wir könnten sie uns selbst machen oder auch selbst verdienen.
Umgekehrt, wenn wir in tiefer innerer Bezogenheit auf Gott leben könnten – dann dürften wir wie viele Christen durch die Jahrhunderte hindurch in die Erfahrung finden, dass wir im Frieden bleiben können, in der Freude an Gott – der auch dann noch da ist, und sich dann oft besonders erfahren lässt, wenn die Welt sich von ihrer leidvollen oder ihrer Schreckensseite zeigt. Und das gilt bis hin zur Verfolgung: Selig, sagt Jesus, sind die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich. Hier spricht er im Präsens: Das heißt: Jetzt schon. Jetzt schon gehört ihnen das Himmelreich. Liebe Schwestern und Brüder, in der Verbundenheit mit unserem Herrn Jesus, kann für jeden und jede von uns jetzt schon eine innere Tür in die Seligkeit aufgehen und in den Frieden. Unabhängig von den äußeren Umständen. Wenn Jesus in der Bibel diesen Frieden wünscht, dann hat er in seiner Sprache vermutlich das Wort „Shalom“ verwendet; und wir übersetzen „Shalom“ mit Frieden, das ist nicht verkehrt. Aber im jüdischen Sinn meint Shalom ein umfassendes Heil, ein heiles Miteinander der Menschen, eine Erfahrung von Gottes Gegenwart, die eint und die Heil schenkt.
Die großen Beispiele des Glaubens
Liebe Schwestern und Brüder, wir kennen auch aus jüngerer Zeit große Beispiele von Menschen, die in höchster Lebensbedrohung großen Frieden auf andere ausgestrahlt haben. Das erzählt man etwa von Edith Stein, P. Maximilian Kolbe, Franz Jägerstätter und Dietrich Bonhoeffer, die mitten in der Hölle der Nazikonzentrationslager oder der Nazigefängnisse aus innerer Gottverbundenheit offenbar wirklich im inneren Frieden waren – und so sogar ihr eigenes Leben geben konnten. Menschen, die mitten in der Todesbedrohung einen inneren Anteil schon jetzt am großen Shalom Gottes haben durften. Auch von Sophie Scholl, die eine sehr gläubige Christin war, erzählt ihr Scharfrichter, der die Guillotine bedient hatte, mit der sie geköpft wurde, er habe noch nie einen Menschen so tapfer sterben sehen, wie Sophie Scholl. Sophie Scholl hatte übrigens vor zwei Tagen ihren achtzigsten Todestag.
Und wir Normalchristen?
Liebe Schwestern und Brüder, was bedeutet das für uns Normalchristen, die wir uns hier versammelt haben, angesichts des Krieges in der Ukraine, der vor einem Jahr ausgebrochen ist. Dieser Krieg hat die Welt um so vieles unsicherer gemacht – und unser Europa erst recht. Hatten wir nicht gerade erst die Covid-Pandemie? Und haben wir nicht die Klimakrise? Und die Krise globaler Migrationsbewegungen? Dazu auch noch Wirtschaftskrisen, die Energiekrise, soziale Verwerfungen und obendrein steckt auch unsere Kirche in den größten Krisen- und Umbruchszeiten wie vielleicht seit Jahrhunderten nicht mehr.
Das Versammeln um den Gekreuzigten
Was können wir tun? Ohnmächtig wie wir uns als Einzelne fühlen? Nun, wir sind hier um zu beten. Wir versammeln uns um den Gekreuzigten, der sich selbst in unfassbare Ohnmacht begeben hat – und sich hat annageln und töten lassen. Wir flehen zu unserem Gott, dass er dem Krieg ein Ende machen möge, dass er die Herzen der Verantwortlichen erreichen und bekehren kann, dass er das unfassbar große Leid mindern möge, das sich jeden Tag für so viele Menschen ereignet, für Menschen jeden Alters. Wir beten, dass er die Trauernden trösten möge, dass er uns und viele Menschen bewegt, Hilfe zu leisten; wir beten, dass er Herzen bewegt, damit sich Menschen um Kriegsflüchtlinge kümmern; wir beten, dass er uns alle bewegt, dass wir friedvollere Menschen werden. Schließlich beten wir, dass er die Verstorbenen in sein Reich nach Hause holt – und die Trauernden tröstet.
Wir hören nicht auf zu beten
Wir hoffen, liebe Schwestern und Brüder, dass es endlich Waffenstillstand geben möge; wir hoffen, dass es die Waffenlieferungen, über die täglich diskutiert wird, endlich nicht mehr braucht. Wir hoffen, dass endlich Verhandlungen kommen, damit das sinnlose Leiden und Sterben aufhört. Wir hoffen aber auch, dass die Ukraine ein selbstbestimmtes Land bleiben und seinen eigenen Weg in die Völkergemeinschaft suchen und gehen kann. Wir spüren die Zerrissenheit in diesen Fragen auch in unserer eigenen Gesellschaft und Politik. Wir spüren, wie so oft zugunsten der Kriegspropaganda die Wahrheit auf der Strecke bleibt. Und wir hören nicht auf zu beten, dass endlich Frieden kommt.
Wir müssen selbst Friedensmenschen sein
Einstweilen dürfen auch wir, wo auch immer wir stehen, bezeugen, dass Menschen, die sich zu Christus bekennen, Friedensmenschen sind und sein müssen. Krieg ist aus unserer Sicht immer eine fürchterliche Niederlage. Krieg führt immer zu Ungerechtigkeit, zu sinnlosen Opfern, zur Verdrehung der Wahrheit, zur Lüge und zu unfassbarem Leid für unschuldige Menschen. Immer. Deshalb wollen wir – wo auch immer wir leben – den Herrn bitten, dass er uns zu Friedensmenschen macht. Zu Menschen, die auf ihn vertrauen, auf den Friedensfürsten, auf den, der sich einem gewaltsamen Tod überliefert hat, damit wir von innen her in einen Frieden finden, der so viel mehr ist als ein Waffenstillstand. Papst Franziskus mahnt uns immer neu, dass wir nicht mehr einfach so weitermachen können – wir brauchen neues Bewusstsein für Verantwortung, füreinander in der Menschheitsfamilie, für das gemeinsame Haus der Schöpfung, für die universale Geschwisterlichkeit von allen. Liebe Schwestern und Brüder, bitten wir den Herrn, dass er unser eigenes Herz erneuert, immer wieder. Dass wir Menschen des Friedens, der Vergebung, der Wahrhaftigkeit und der Liebe werden, der helfenden Liebe. Und dass wir mit unserem Sprechen und Tun zeigen, dass wir eine Ahnung haben von einem Frieden, den allein Gott geben kann und geben will. Der aber auch durch uns in die Welt kommen will.