So viele Ehrenamtliche! Und die Herausforderungen für den Glauben heute. Die Predigt von Bischof Stefan Oster anlässlich des Tages für Ehrenamtliche im Rahmen der Maria-Hilf-Woche 2016 im Passauer Stephansdom.
Liebe Frauen und Männer der Kirche, liebe Ehrenamtliche, liebe Schwestern, liebe Brüder,
am heutigen Tag legt uns die Liturgie der Kirche in der ersten Lesung einen sehr schweren, traurigen Text vor. Der Prophet klagt im Buch der Klagelieder um die Situation Jerusalems, das niedergedrückt und niedergerissen ist, entweiht und unfruchtbar, der Tempel zerstört, der Opferkult verschwunden. Alles am Boden. Der Prophet macht das Volk selbst verantwortlich: Die Aufdeckung deiner Schuld, die Umkehr hätte das Schicksal wenden können, sagt er. Aber jetzt ist erst einmal die Not da, die Brache, die Depression.
1000 Kirchen werden pro Jahr in Europa geschlossen
Ich weiß nicht, liebe Schwestern und Brüder, ob es Ihnen genau so geht, aber hätte ich eine Brille auf der Nase, die einen eher pessimistischen Blick macht, würde ich dazu neigen, diese Beschreibung Jerusalems auch auf unsere Kirche zu beziehen. Wir erleben an so vielen Orten in der Kirche im Westen und natürlich auch in unserem Bistum Rückgang, Abbau, bisweilen Neigung zum Depressiven.
Kürzlich habe ich die Zahl gehört, dass in jedem Jahr in ganz Europa und quer durch die Konfessionen 1000 Kirchen zugesperrt werden, profaniert werden, einem anderen Zweck zugeführt werden, etwa in Veranstaltungshallen oder Restaurants oder in Moscheen umgewandelt werden. 1000 Kirchen, die einst dazu gebaut waren, damit in ihnen unserem Gott die Ehre gegeben wird.
So viele Ehrenamtliche!
Was ist los mit dem Alten Europa, ist es von seiner christlichen Wurzel her müde geworden und träge, wie es schon Papst Franziskus so deutlich ausgesprochen hat bei der Entgegennahme des Karlspreises? Liegt es am Boden? Hat es keine Kraft mehr, anderen Weltdeutungen von innen her zu begegnen? Hat es seine eigene Identität preisgegeben?
Wenn ich die Pessimismus-Brille auf der Nase lasse, dann mag es mir so scheinen, liebe Schwestern und Brüder. Aber dann nehme ich sie ab, und dann laden wir vom Bistum ein zu einem Tag des Ehrenamtes, der Caritas, der Räte und Verbände. Und wir können uns vor Zusagen kaum retten, müssen sogar manchem absagen, um Sicherheitsvorschriften im Dom einhalten zu können. Wie schön ist das denn?!
Alles das ist Kirche, Sie alle sind hier, weil Sie sich persönlich engagieren, in vielen, vielen Bereichen unseres kirchlichen Lebens. Und so viel Ehrenamt und so viele eingebrachte Begabungen. Gott sei Lob und Dank. Die Kirche lebt, auch dank Ihnen und mit Ihnen! Wie schön, dass Sie alle da sind. Das macht Mut, das schenkt Kraft, das zeigt uns, dass wir als Brüder und Schwestern miteinander auf dem Weg sind.
Liebe Ehrenamtliche, wo sind die Herausforderungen?
Aber natürlich, meine Lieben, das Mutmachende ist das eine, die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind das andere. Und deshalb möchte ich mit dem heutigen Evangelium auf etwas hinweisen, was uns einen Weg in die Zukunft zeigen kann, was uns zurüsten kann und was uns zu Wachstum verhelfen kann.
Sie haben gehört, wie Jesus dem berühmten Hauptmann von Kafarnaum begegnet, wie er zu ihm nach Hause gehen und seinen Diener gesund machen will. Sie haben gehört, wie der Hauptmann sagt: „Bemühe Dich nicht. Auch ich muss Befehlen gehorchen und teile Befehle aus. Ich glaube, dass Du auch nur ein Wort sprechen musst, und der Diener wird gesund.“ Und Jesus ist sehr, sehr erstaunt über diesen Nichtjuden, diesen Heiden gewissermaßen, der einen solchen Glauben an den Tag legt, dass Jesus sagen wird, er habe ihn unter seinem ganzen eigenen Volk bis dahin noch nicht gefunden.
Jesus sieht Unterschiede
Jesus sieht also offenbar Unterschiede im Glauben, in der Glaubenskraft und auch in der Glaubenserkenntnis. So, wie der Hauptmann von Kafarnaum kann man nur glauben, wenn man auch schon etwas erkannt hat, von Jesus. Und offenbar hat dieser Mann sogar mehr erkannt als die Jünger und andere um Jesus herum.
Und offenbar hat er dann auch mehr und tiefer vertrauen können als diese anderen. „Einen solchen Glauben habe ich in ganz Israel nicht gefunden“ sagt der Herr. Liebe Schwestern, liebe Brüder, ich bin überzeugt, dass die Zukunft der Kirche auch bei uns, sehr stark davon abhängen wird, wie tief wir selbst im Glauben verwurzelt sein werden.
Können wir als Ehrenamtliche Antworten geben?
Die allermeisten von uns sind in kirchlichen Strukturen groß geworden, in denen der Glaube noch vielfach selbstverständlich präsent war und mehr oder weniger intensiv gepflegt und gelebt wurde. Man ist hinein gewachsen, man war dabei, man hat quasi nebenbei manches mitbekommen und hat oft eine allgemeine Gläubigkeit angenommen, die viele geteilt haben.
Aber, wenn wir ehrlich sind, groß vertieft haben wir das wenig. Engagiert schon, aber das Inhaltliche des Glaubens, das haben wir in der Regel doch dem Pfarrer überlassen. Bibellesen zum Beispiel ist nicht so wirklich unsere Sache in einer Volkskirche oder wirklich verstehen, was wir glauben, wem wir glauben, warum wir glauben, das hat der Pfarrer erklären müssen, aber nicht wir selbst. Es genügt, wenn wir mitgehen. Liebe Schwestern, liebe Brüder, in einer vor allem ländlich geprägten Gesellschaft wie der unseren mag so etwas das kirchliche Leben noch einigermaßen getragen haben.
Die Anfragen werden stärker
Aber ich bin sicher, wir gehen einer Zukunft entgegen, in der die Anfragen an uns alle stärker werden, intensiver werden; auch die persönlichen Anfragen an uns. Der Rechtfertigungsdruck wird größer: Wir werden alle Fragen gestellt bekommen wie: Was glaubt ihr, warum glaubt ihr, wem glaubt ihr? Ist Glaube nicht fundamentalistisch? Und ist Kirche nicht eine Institution von gestern?
Ist kirchliche Moral nicht aus dem Mittelalter? Ist der Gottesdienst nicht furchtbar langweilig? Wisst Ihr eigentlich, was alles in Eurer Bibel steht? Oder im Katechismus? Und passt das mit den Wissenschaften zusammen? Und vieles, vieles mehr… Heute leben wir in unserer Gesellschaft in einer Zeit, in der sich der Gläubige rechtfertigen muss dafür, dass er glaubt, und nicht der Ungläubige.
Kenntnis von und Beziehung mit Jesus
Liebe Schwestern und Brüder, die Sie alle hier sind: Ich bin von Herzen dankbar für Ihr Engagement, ich bin wirklich froh, dass Sie alle als Ehrenamtliche unserer Kirche ein solches Gesicht geben. Und ich möchte Sie und uns alle zugleich ermutigen, neu auch nach Wegen zu suchen, wie wir uns Inhalte wieder aneignen, wie wir neu in die Glaubenserkenntnis finden.
Der Hauptmann von Kafarnaum muss Jesus erkannt haben, anders könnte er nicht so mit ihm reden, könnte er nicht so glauben. Meine Frage an uns: Kennen wir Jesus? Trauen wir uns über ihn zu reden, wie er ist? Weil wir die Schrift gelesen und mit ihr gebetet haben? Weil wir wirklich ein regelmäßiges, persönliches Gebetsleben haben? Und weil wir im Austausch sind mit anderen Gläubigen, die auch etwas von Ihm schon wissen und kennen?
Jeder Getaufte hat Anteil am Amt als Priester, König und Prophet
Ich weiß ja nicht, ob das schon allgemein unter uns angekommen ist, liebe Schwestern und Brüder. Aber in der Bibel steht auch, dass jeder Mensch, der getauft ist, zu Jesus gehört und deshalb Anteil hat an seinem Amt als Priester, König und Prophet. Jeder und jede von uns hat eine Berufung kraft seiner Taufe: Wir sind priesterliche, königliche, prophetische Menschen für unsere Zeit.
Und um das sein zu können, ist es wichtig, dass wir uns von neuem rückbinden und uns gegenseitig helfen und stärken im Glauben. Ein Mensch, der tief rückgebunden ist im Eigenen, in der eigenen gläubigen Substanz, der kann weit hinausgehen. Der kann mit allen Menschen sprechen, der braucht auch keine Hemmung haben, mit glaubensstarken Muslimen zu sprechen, oder mit Atheisten oder mit Menschen, die den Herrn einfach nicht kennen. Er weiß ja, zu wem er gehört, er hat ihn erkannt.
Die Mutter des Herrn
Und ich will Ihnen so etwas auch nicht als Überforderung zumuten, sondern dazu einladen. Auch nicht einfach als zusätzliche Anstrengung, sondern als eine Erfahrung nahelegen, die die anderen Anstrengungen trägt und begleitet. Wenn Sie mit Christus bewusst in persönlicher Verbindung leben, werden die anderen Dinge, Ihr Engagement, Ihr Liebesdienst für andere tiefer, freudiger und oft selbstverständlicher.
Ich möchte Ihnen dazu auch die Verehrung der Mutter des Herrn nahelegen, Ihre Verehrung als Hilfe der Christen, stärkt uns auf diesem Weg. Sie ist Mutter der Kirche, die Erste der Erlösten. Sie ist die, die in denkbar innigster Verbindung mit Jesus gelebt hat und ihre einzigartige und bleibende Sendung ist es, uns tiefer zu Jesus zu führen.
Jesus neu und näher kennenlernen
Liebe Ehrenamtliche, liebe Geschwister im Glauben, ich möchte Sie ermutigen, Jesus neu und näher kennen zu lernen. Ich möchte Sie ermutigen, für Ihr gläubiges Leben Wege zu suchen, die Ihnen weiterhelfen. Das Weg mit Jesus ist nach meiner Erfahrung ein wirkliches, ein unglaubliches Abenteuer. Er ist wirklich der, der verwandelt, der neu macht, der Sinn schenkt und Schönheit und Tiefe. Ich bin so dankbar, in der Kirche sein zu dürfen mit Ihm, aber eben auch mit Menschen wie Ihnen allen.
Mit Menschen, die ein Herz haben für Gott und für andere, mit Menschen, die Kirche sein wollen, hier und heute. Mit Menschen, die für den Glauben einstehen wollen und können in Zeiten, in denen es der Glaube wahrlich nicht leicht hat. Dafür danke ich noch einmal von ganzem Herzen. Möge der Hauptmann von Kafarnaum uns Mut machen und Kraft schenken und mögen wir auch immer mehr in der Lage voller Glauben zu sagen: Herr, sprich nur ein Wort und meine Seele wird gesund. Und zeigen wir dann miteinander der Welt, wie barmherzig unser Gott ist. Danke noch einmal für alles. Amen.