Bild: Roland Kickinger

Das Herz Mariens und die Wissenschaft

Das Herz Mariens und die Wissenschaft: Die Predigt von Bischof Stefan Oster anlässlich der Einweihung des Akademischen Zentrums im ehemaligen Kloster Raitenhaslach 2016.

Der Gedenktag „Unbeflecktes Herz Mariens“

Verehrte Festgäste, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
der liturgische Kalender unserer Kirche fordert uns am heutigen Tag dazu auf, diesen festlichen Gottesdienst im Gedenken an Maria zu feiern. Der Gedenktag trägt den heute weitgehend unverständlich klingenden Namen: „Unbeflecktes Herz Mariens“ – und sicher denkt der eine oder andere nun: „Was für ein Anachronismus. Wir begehen ja mit diesem Gottesdienst zugleich die Einweihung eines sehr modernen Wissenschaftszentrums der Technischen Universität – und die Kirche kommt nun mit einem solchen, auch noch überaus katholischen Gedenktag daher. Das passt doch nicht zusammen.“

Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder im Glauben, ich möchte Sie einladen, einem Gedankengang zu folgen, der uns hoffentlich vermittelt, dass beides doch in einen Zusammenhang zu bringen ist, womöglich sogar in einen, der sehr entscheidend ist.

Das Herz als Personmitte, das Herz Jesu und das Herz Mariens

Zunächst zur Erläuterung: Dieser Gedenktag „Unbeflecktes Herz Mariens“ wird in der Kirche am Tag nach dem Herz-Jesu-Fest gefeiert, das gestern war. Und wenn wir bei Personen vom Herzen sprechen, dann sprechen wir im christlichen Kontext von der Personmitte, von dem inneren Ort des Geistes, des Gewissens, vom innersten Ort unserer Empfänglichkeit für das Wahre, Gute und Schöne.

Wir sprechen von dem im Menschen, wo Wille, Verstand und Gefühl geeint sind, vom Sitz unserer tiefsten Entscheidungen und tiefsten Liebesbewegungen. Und wenn wir darüber nachdenken, was die ganze Menschheit heute am notwendigsten braucht, dann wäre eine Antwort, die nicht ganz so verkehrt ist. Wir brauchen Menschen mit großem, tiefem und vor allem mit einem heilen Herzen. Menschen, die lauter sind, und zum Beispiel nicht korrumpiert oder korrumpierbar sind.

Das Herz Mariens und das lautere Ja

Die Kirche verehrt mit dem Herzen Jesu also die tiefste Quelle seiner abgründigen Entschiedenheit, seine äußersten Offenheit und Hingabe für die Welt und die Menschen. Und mit dem unbefleckten Herzen Mariens verehrt sie gewissermaßen die Antwort auf diese Hingabe Jesu. Sie verehrt damit das ganze, das ungebrochene, unkorrumpierte Ja Mariens, das lauterste Ja, das je ein Geschöpf als Antwort gesprochen hat.

Die Kirche verehrt in Maria deshalb auch ihr Urbild, die Person, die auf Gottes Wort die einfache, tiefe und doch völlig ungebrochene, heile Antwort gegeben hat. Sie verehrt in ihr die Frau und Mutter, die durch dieses Ja völlig durchlässig wurde für das Kommen Gottes in die Welt.

 Die europäische Universität und die Suche nach Gott

So etwas klingt nun für Sie alle zunächst vielleicht etwas abstrakt oder allzu fromm. Aber ich möchte Sie einladen, mit mir zu fragen, warum es denn eigentlich in unserer Kultur und Geschichte so häufig die Klöster waren, die dann auch Orte der Kultur, der Vernunft, der Wissenschaft waren und oft immer noch sind. Warum ist auch die abendländische Universität so tief mit der Suche nach Gott verbunden?

Warum sind große, sehr alte Universitäten unseres Kulturkreises nicht denkbar ohne einen geistlichen Ursprung, etwa als Kathedral- oder Klosterschulen. Oder warum ist die europäische Universität nicht denkbar in ihrem Ursprung ohne die Suche nach dem, was wahr und gut und gerecht ist und nach dem, was den Menschen heil macht? Warum war im Mittelalter die Theologie die Königin der Wissenschaften, noch vor den beiden anderen hohen Fakultäten, der Medizin und der Juristerei?

Wissenschaftlicher Werdegang

Ehe ein Mensch im Mittelalter in eine dieser drei höheren Fakultäten aufsteigen wollte, musste er allerdings zuvor eben die philosophischen Disziplinen durchlaufen haben, also etwa die Logik, auch die Naturerforschung, die Philosophie und anderes.

Die Suche nach der Wahrheit war als Grundlage wichtig, ehe in den höheren Fakultäten eben die Frage nach der Gerechtigkeit in der Juristerei, nach dem Heilbringenden für die Menschen in der Medizin und schließlich nach dem umfassenden Heil in der Theologie gesucht wurde. Und dieses umfassende Heil liegt in Gott, das war die tiefste Überzeugung der allermeisten akademisch tätigen Menschen damals.

Gott ist die Quelle von wahr, gut und schön

Gott ist alles, er ist wahr, gut und schön. Und er ist daher auch die Quelle von wahr, gut und schön. Und deshalb ist irgendwie auch der Anfang des Studiums, der Denkwege verborgen schon von diesem Ziel durchdrungen. Auch wir erkennen ja heute noch im Erforschen der Natur das, was wahr ist. Wir finden Gesetzmäßigkeiten vor, die schon da sind, wir entdecken sie. Wir finden also einen inneren Logos, eine innere Ratio der Dinge.

Und damals wie heute gibt es nicht wenige Wissenschaftler, die beim Finden dieser Gesetzmäßigkeiten, die beim Finden dieser inneren Ratio nicht stehen bleiben wollen. Es ist wahr, liebe Schwestern und Brüder: Die Naturgesetze sind zwar in sich selbst schon sinnvoll und zweckmäßig. Wir finden sie auch ohne Gott genügend und schön. Sie würden sich selbst genügen.

Aber der menschliche Geist ist im Grunde mit dem nur Endlichen nie zufrieden. Er sucht sehnsuchtsvoll nicht nur nach dem Gesetz, sondern nach dem Gesetzgeber. Und ein nicht unbedeutender Naturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts, nämlich Werner Heisenberg, hat deshalb den schönen Satz formuliert: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott.“

Das Herz Mariens und der ewige Logos

Nun, so weit, so gut. Aber was hat das nun wieder mit dem heutigen Gedenktag zu tun? Wir haben im Evangelium vorhin gehört, wie die besorgte Mutter Maria nach einer großen Wallfahrt ihren zwölfjährigen Sohn Jesus sucht. Und sie findet ihn erst nach drei Tagen im Tempel. Er erklärt den erstaunten Eltern: Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?

Maria versteht zunächst nicht, ihr Mann Josef auch nicht. Aber wir hören den schönen Satz: „Sie bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen.“ Und wir lesen in anderen Texten des Neuen Testaments auch, wie sie, die Mutter, nach und nach ins Verstehen geführt wird, ins tiefere Verstehen.

Maria ist offen für die Erkenntnis Gottes

Sie weiß um das Geheimnis, dass ihr Sohn sehr tief mit Gott verbunden ist. Und sie erkennt im Lauf ihres Lebens immer tiefer ihn und seinen Weg und seine Herkunft. Als Katholiken glauben wir, dass Maria darin auch sich selbst und ihre eigene Berufung immer besser verstehen lernt. Sie ist vom Wort Gottes, vom Logos schlechthin angesprochen, berührt und in Anspruch genommen und sie gibt ihm ein ganzes, ein lauteres Ja.

Sie ist durch und durch ein empfänglicher Geist, offen für die Erkenntnis Gottes, für den Sohn, der im Johannes-Evangelium der Logos heißt, Wort Gottes, Selbstausdruck Gottes. Und sie will in diesem Geschehen des Dialogs nur eben offen sein für dieses Wort. So sehr, dass sie selbst dieses Wort empfangen, zur Welt bringen kann, der Welt geben kann.

Das Herz Mariens und die Wissenschaft

Liebe Schwestern und Brüder, wäre daraus nicht etwas Heilsames zu gewinnen für unser wissenschaftliches Arbeiten? Sind wir nicht einerseits Menschen, die beständig unter dem Druck leben, etwas bringen, etwas produzieren, etwas veröffentlichen zu müssen?

Und sind wir dabei nicht geneigt, uns die Dinge und Erkenntnisse allzu schnell anzueignen, sie gleichsam nur im schnellen Einsatz zu benutzen und zu gebrauchen, notfalls so zu manipulieren, dass sie uns zur Verfügung stehen? Wäre nicht etwas anderes zu gewinnen vom Festgeheimnis des heutigen Tages verbunden mit diesem altehrwürdigen und gleichzeitig neuen Ort der Wissenschaft, den wir heute einweihen?

Der Forscher und der Geist eines hörenden Herzens

Die Haltung Mariens kommt aus einem hörenden, einem gleichsam kontemplativen Geist, einem, der warten kann, bis sich das Andere oder der Andere von selbst zeigt und ausspricht. Es ist die Haltung eines Geistes, der nicht sofort begierlich an sich reißen will, der auch nicht einfach schnell verzwecken und in bare Münze umsetzen will. Es ist die Haltung eines Geistes, der sich seinem Gegenstand so entgegenstreckt, dass sich der Gegenstand langsam entbirgt, langsam in ihm aufgeht.

Und es ist die Haltung eines Geistes, der vertraut, dass ihm von seinem Gegenstand her das Wahre entgegenkommt, weil die Welt in sich wahr ist. Er vertraut, dass die Welt und die Dinge in sich selbst Sinn haben, Logos haben. Und die Dinge können sich deshalb auch von sich her überraschend zeigen, ohne dass ich sie mit meinen schnellen Vorurteilen immer schon in fertige Konzepte einzwängen müsste. Raitenhaslach, meine Lieben, möge ein Ort sein, in dem der Geist so zur Ruhe kommen kann, dass er lernt, zu betrachten, dass er lernt, die Dinge wertzuschätzen und sich an ihnen zu freuen.

Die Haltung einer inneren Freiheit

Jeder, der schon einmal forschend unterwegs war, weiß vermutlich, dass eine solche innere Haltung die einer inneren Freiheit ist; eine Haltung, die erwarten kann, die Geduld hat, wertschätzend ist. Und wenn Sie wissen, wovon ich spreche, dann wissen Sie auch, dass gerade eine solche Haltung zutiefst schöpferisch sein kann.

Ein echter Forscher weiß, dass aus einer solchen Haltung wirklich Neues für die Welt geboren werden kann, einfach weil die Welt selbst voller Überraschungen ist, die darauf warten, entdeckt zu werden. Einfach weil die Gesetze der Natur und der Welt auch ein Rahmen dafür sind, dass sich in ihnen und durch sie auch immer wieder Neues zeigen und zeitigen kann. Unerschöpflich.

Respektvoller Diener sein

Unsere Wirklichkeit ist unerschöpflich. Und im gelingenden Fall, liebe Schwestern, liebe Brüder, im gelingenden Fall wird der Forscher immer mehr ein respektvoller Diener dessen, was er da erforscht und nicht nur sein Herr. Im gelingenden Fall erwächst so etwas wie Ehrfurcht und Staunen vor dem, was sich im Prozess des Suchens und Fragens zeigen kann.

Und im gelingenden Fall wird sich der Forscher fragen: Hinter den wundersam sich fügenden Gesetzen der Natur und ihrer Schönheit – muss es da nicht einen mindestens ebenso wundersamen, wunderbaren Gesetzgeber geben? Oder sogar einen, der notwendig noch viel größer ist als das Gesetz, das er selbst gibt?

Das hörende Herz Mariens

Liebe Schwestern, liebe Brüder, verehrte Festgäste. Maria hatte ein hörendes Herz, einen hörenden Geist. Und sie ist damit nicht nur den inneren Gesetzmäßigkeiten von Geburt und Leben eines Kindes begegnet, sondern mitten darin dem Gesetzgeber des Lebens selbst, dem tiefsten Sinn und zugleich dem Sinngeber des Universums.

Und so schließt sich der Kreis unserer Überlegungen, so schließt sich die Bewegung unseres Fragens, was denn der heutige kirchliche Gedenktag mit der Einweihung eines Wissenschaftszentrums in einem ehemaligen Kloster zu tun haben könnte. Möge Raitenhaslach durchdrungen sein von einem Geist des Fragens und Suchens, des Respektes und der Ehrfurcht vor dem Wirklichen.

Möge es wirklich dienen für die Erkenntnis des Wahren, Guten und Schönen. Und möge der Geist dieses Ortes dazu beitragen, dass diejenigen, die hier Suchende sind, auch Findende und Erkennende werden. Und mögen sie dabei auch immer wieder berührt werden von dem, der alles Erkennen erst ermöglicht und ins eigentliche Ziel führt. Dazu segne Sie dieser Sinngeber, unser großer Gott. Amen.