Ein Offener Brief, der verkürzt – und meine offene Antwort darauf

Meine Predigt zum „Fest der Hl. Familie“ schlägt z.T. hohe Wellen im Netz. Meine Absicht bei dieser Predigt war einerseits Orientierung zu geben zur Thematik Familie aus der Sicht unserer Kirche, andererseits aber auch Brücken zu bauen. Keinesfalls aber, irgendjemanden zu verletzen. Viele haben das sehr gut verstanden und auch so kommentiert. Dafür bin ich dankbar. Andere haben mich massiv beschimpft mit Begriffen, die ich hier nicht zitieren möchte.

Der Lesben- und Schwulenverband, Landesverband Bayern, hat mir nun einen „Offenen Brief“ per Mail geschickt, mit dem Angebot eines Dialogs. Darauf reagiere ich gerne, möchte aber sogleich richtig stellen, wo ich hier bewusst verkürzt und damit letzlich verkehrt zitiert werde – und mir damit Positionen unterstellt werden, die ich nicht teile. Weiter unten reagiere ich auf einen zweiten Brief, der auch noch eingegangen ist – diesmal vom Verein „Queer in Niederbayern e.V.“

Zunächst der Offene Brief des Lesben- und Schwulenverbandes Bayern:

 

Und hier meine offene Antwort, die durch einen Blick in die Predigt leicht überprüfbar ist:

Sehr geehrte Frau Löffler, sehr geehrte Herren Irmisch und Lohmeyer,
haben Sie vielen Dank für Ihre Stellungnahme in Ihrem Offenen Brief. Gleich vorweg, ich bin gerne zum Dialog bereit.

Ich sehe, dass Sie sich einerseits um einen sachlichen Ton bemühen, gleichzeitig möchte ich aber doch feststellen, dass Sie mich verkürzt und damit zumeist nicht sachgemäß wiedergeben, sondern eher so, dass Sie meinen, meine Positionen in einer Weise zuspitzen zu  können, so dass mir die Ergebnisse dann doch fremd sind.

Im Einzelnen: Sie insinuieren in Ihrem Brief mit der Verwendung des Wortes „Krankheit“ im Blick auf die Frage nach Intersexualität, ich hätte dieses ebenfalls benutzt. Aber wenn Sie das ganze Argument sehen, ist das nicht der Fall. Ich habe schlicht von zumeist fehlender Fortpflanzungsfähigkeit bei intersexuellen Menschen gesprochen und dem offensichtlichen Fehlen einer Zugehörigkeit zu einem der beiden Geschlechter. Und ich habe gesagt, dass solch ein Fehlen keinesfalls die Menschenwürde oder Personrechte beeinträchtigen würden, was ja selbstverständlich ist. Ebenalls habe ich gesagt, dass die Natur solche unerwarten Varianten hervorbringt, die wir als Beeinträchtigungen wahrnehmen. Und ja, dazu gehören u.a. Blindheit, ein Herzfehler, man könnte an dieser Stelle selbstverständlich noch vieles andere aufführen, was sich auch nicht automatisch unter die eine Kategorie „Krankheit“ fassen ließe, also wenn z.B. bei der Geburt einem Menschen ein Arm fehlt o.ä.  Und ja, aus meiner Sicht gehören manche Formen von Intersexualität zu solchen Varianten dazu, etwa wenn es um das Fehlen primärer Geschlechtsmerkmale geht. Medizinisch ist mir diese Ansicht mehrfach bestätigt worden. Aber hier lasse ich mich gern verbessern, wenn das Gesagte sachlich falsch ist.

Weiter: Ich habe angesichts biologischer Daten davon gesprochen, dass mir kein Fall bekannt sei, wo eine Transition in biologischer Hinsicht vollständig gelungen wäre. Und formuliere dann eher als Frage oder als Ahnung, ob das nicht eine Schwierigkeit bleibe, angesichts der Frage: Bin ich richtig in meinem Körper? Wenn Sie hier andere Fakten haben, bin ich ebenfalls dankbar für eine sachliche Korrektur – insbesondere in der Frage, ob das tatsächlich je gelungen ist, biologisch vollständig von einer Frau zu einem Mann zu werden oder umgekehrt.

Was schließlich das Thema Homosexualität angeht, ist Ihre Zusammenfassung am wenigsten korrekt: Ich habe nicht geschrieben „man spüre“,  – „dass bei diesem Akt etwas.. nicht passt“. Damit unterstellen Sie, dass das eine allgemeine Ansicht – zumal von mir sei. Ich habe aber ausdrücklich auf Menschen hingewiesen, die homosexuell sind, aber nach der Lehre der Kirche leben wollen und habe dann gesagt – das weiß ich aus Gesprächen –  dass „für sie (!) bei diesem Akt etwas nicht passt“. Wenn Sie dann aber schreiben, auch diese Position sei zu verurteilen, dann verurteilen Sie damit die Position homosexueller Menschen, die für sich eine Form gewählt haben, damit umzugehen. Sie wenden diese Aussage hier aber gegen mich, als hätte ich damit eine allgemeingültige Formulierung getroffen. Das ist ausdrücklich nicht der Fall.

Dann die Sache mit der „Überforderung“: Bei dem Satz, in dem dieses Wort vorkommt, handelt es sich grammatikalisch um eine Aufzählung, ich habe wörtlich gesagt: „Aber zugleich sehe ich, dass andere Homosexuelle so etwas weder verstehen können, noch wollen; oder sie fühlen sich mit der Forderung der Lehre schlicht überfordert.“ Das meint also: Es gibt solche, die nicht verstehen können und solche, die nicht verstehen wollen oder auch solche, die sich mit der Forderung der Lehre schlicht überfordert fühlen. Auch solche kenne ich. Mir unterstellen Sie in Ihrem Brief aber, dass Homosexuelle, „die weder verstehen können noch wollen, schlicht überfordert seien.“ Das ist offensichtlich falsch zitiert – und ich führe hier auch keine „Schuldzuweisung“ durch, sondern mein Anliegen ist es gerade in diesem Satz, dafür Verständnis zu zeigen, dass es verschiedene Positionen zur Lehre der Kirche bei Homosexuellen gibt.

Zuletzt: Ja, ich kenne Menschen, die obgleich sie die katholische Lehre über Familie und Sexualität teilen, nicht in eine bestimmte Ecke gestellt werden wollen, in denen ihre Positionen politisch instrumentalisiert werden  – und zwar dort dann meist nicht aus Glaubensgründen, sondern eher aus machtpolitischem Kalkül, da diese Kräfte andernorts wenig mit Menschenfreundlichkeit glänzen. Wo und warum ich mich hier in eine Opferrolle begebe ist mir schleierhaft, aber tatsächlich sehe ich es als eine Tendenz in Medien und politischer Gesellschaft, die christliche Familienthemen (etwa auch den Lebensschutz) durch Zurechnung in politische Lager zu diffamieren. Das habe ich eben gerade am eigenen Leib erlebt, und könnte Ihnen zeigen, als was ich im Netz alles bezeichnet worden bin.

Und wenn Sie dann noch zu Ende gelesen oder gehört haben, habe ich einen Weg der Annahme, Wegbegleitung, Nächstenliebe für und mit jedem Menschen vorgeschlagen, weil ich der Überzeugung bin, dass Gott jeden Menschen liebt und für jeden das Heil will, völlig unabhängig von Geschlecht und Orientierung. Davon haben Sie nichts berichtet – eher unterstellen Sie ganz zuletzt, dass ich „Nächstenliebe und Respekt“ vermissen lassen würde – wenn ich Sie hier recht verstehe.

Wenn Sie das mit dem Dialog also ernst meinen: Mir ist wirklich sehr an einer sachlichen Auseinandersetzung gelegen, aber dazu gehört aus meiner Sicht auch ein ehrlicher, sachlicher Umgang mit dem, was tatsächlich gesagt wurde und nicht, was man meint, was einer Schlimmes gemeint haben könnte.
Wie gesagt, gerne bin ich zum Dialog bereit und freue mich auf eine Begegnung, würde mir aber auch wünschen, dass Sie zunächst einräumen, mich nicht korrekt, sondern verkürzt und damit die Positionen verändernd zitiert zu haben.

Mit herzlichem Gruß

Bischof Stefan Oster SDB


Und hier der Brief von „Queer in Niederbayern e.V.“ – auf den ich unten antworte.

Sehr geehrte Frau Schönberger, sehr geehrter Herr Lohmeyer,

danke für Ihren Offenen Brief vom 3.1.2021, auf den ich gerne erwidern möchte.

Sie schreiben, meine Aussagen seien irritierend und für einige Menschen verletztend. Ich räume dazu ehrlich ein, dass ich nun nach doch einigen Gesprächen und Rückmeldungen – und im Wiederlesen oder -hören meiner Predigt an Stellen vor allem auf die betroffenen Personen hin nicht allzu sehr um Empathie bemüht war. Das tut mir aufrichtig leid – und dafür will ich mich entschuldigen. Gleichzeitig möchte ich aber auch sagen, dass ich deutlich mehr, zum Teil sehr dankbare Zustimmung zur Predigt bekommen habe. Viele haben sich auch dafür bedankt, dass ich versucht habe, vermittelnd und empathisch zu sein. Offenbar ist das bei anderen nun aber gar nicht gelungen, was ich inzwischen besser verstehen kann.

Meine Absicht für die Predigt war, Orientierung für Gläubige unserer Kirche zu geben in aktuellen Debatten, von denen ich weiß, dass sich viele Menschen, die sich nicht als queer verstehen, auch verunsichert fühlen in den Fragen zur Gestaltung von Familienleben. In diese Richtung habe ich zuerst gesprochen und wollte dann in Kürze aber grundlegend aufzeigen, dass es nach meiner Überzeugung kein „drittes Geschlecht“, wohl aber das seltene und zugleich vielgestaltige Phänomen der Intersexualität gibt. Dass ich zur weiteren Erklärung Blindheit oder einen Herzfehler eingebracht habe, war im Nachhinein wohl nicht allzu sensibel, auch wenn ich glaube, dass es zur Erklärung nicht völlig unpassend ist. Häufig sind ja – soweit ich informiert bin – bei intersexuellen Menschen z.B. primäre Geschlechtsorgane nicht ausgebildet oder andere Entwicklungsvorgänge sind nicht den üblichen Weg gegangen. Das Wort „Beeinträchtigung“ ist semantisch so offen, dass ich im Blick auf das Gesamtfeld der betroffenen Menschen weiterhin dazu stehen würde.

Die Aussage über das nicht vollständige Gelingen von Transitionen habe ich erstens bewusst vorsichtig formuliert und zweitens ausdrücklich auf eine vollständige biologische (!) Transition bezogen. Mir hat in den vielen Reaktionen noch niemand gesagt, dass das falsch sei. Und dann habe ich gefragt, nicht behauptet, was das wohl für diese Frage von Transpersonen bedeutet, ob sie richtig in ihrem Körper sind. Mich hat zum Beispiel auch das ehrliche Bekenntnis dieser jungen Frau sehr bewegt, die zwischendrin ein junger Mann war: https://www.youtube.com/watch?v=XDwhGVteLGc&feature=youtu.be

Schließlich die Frage nach der Enthaltsamkeit bei Homosexuellen: Das ist erstens nicht meine private Lehre, sondern die Lehre der Kirche, zweitens habe ich doch gerade in dieser Passage deutlich Verständnis signalisiert für Homosexuelle, die das nicht leben wollten oder könnten. Und drittens setzt meines Erachtens eine solche „Fähigkeit“ enthaltsam zu leben ein intensives persönliches geistliches Leben als Beziehung zu Christus voraus. Was Sie zur „ausweglosen“ Situation formulieren, kann ich nachvollziehen, aber tatsächlich stellt die Lehre unseres Glaubens in dieser Hinsicht sehr viele Menschen vor Herausforderungen. Die so oft zitierten Geschiedenen, die sich nach Wiederheirat  sehnen, diejenigen, die keinen Partner finden, diejenigen, deren Partner krank und z.B. unfähig zum Beischlaf wird, diejenigen, die vor der Ehe enthaltsam leben wollen etc. All solche Situationen umfasst die Lehre – und Sie wissen selbst, dass sehr viele Katholiken damit auch ihre Not haben, bzw. sich häufig gar nicht mehr dafür interessieren, weil es so anspruchsvoll oder nicht lebbar erscheint – unabhängig davon, ob jemand queer ist oder nicht. Dass die Lehre deshalb falsch ist, glaube ich nicht, aber sie setzt eben die Erfahrung der Gegenwart Jesu in seiner Kirche als zentrale Beziehungsgestalt im Leben eines Gläubigen voraus. Andernfalls bleibt es nur Moral – und die überfordert im Grunde fast immer. Umgekehrt: Diese Begegnung mit Christus kann (muss nicht, es ist kein Automatismus!) so verändern, dass die „Anforderungen“ nicht mehr als bloßes, unerfüllbares Gesetz erscheinen, sondern eher als „Ermöglichungsrahmen“ für ein Leben in neuer Freiheit wahrgenommen werden können. Aber wie gesagt: Das lässt sich nicht „verordnen“.

Was mir aber wirklich fremd wäre: Menschen, die anders leben und glauben als ich das für richtig halte, zu diskriminieren. Ich bin ja erstens selbst ein erlösungsbedürftiger Sünder – und zweitens kann und darf niemandem der Glaube aufgezwungen werden; und die geistliche Erfahrung, von der ich spreche, lässt sich zudem nicht einfach „machen“. Sie hat – wenn überhaupt – geschenkhaften Charakter. Dass wir von unserem Glauben her aufgefordert sind, danach je neu zu streben, sie zu suchen und zu erbitten, jederzeit. Aber nochmal: dazu kann und darf kein Mensch genötigt werden. Sie wehren sich nun in Ihrem Brief aber nicht nur gegen „Ausgrenzung“ und „Herabwürdigung“ und „Diskriminierung“, sondern auch dagegen das Menschen „in ihren Gefühlen verletzt werden.“ Zu diesem letzten Punkt muss ich sagen: Natürlich müssen wir uns alle bemühen, so zu sprechen und zu handeln, dass möglichst niemand verletzt wird. Aber das Faktum selbst „in Gefühlen verletzt werden“, kann kein Kriterium dafür sein, ob jemand etwas, was er für wahr hält, sagen darf oder nicht. Andernfalls kämen wir allzu schnell in eine Gesinnungsdiktatur, die nur mehr von Befindlichkeiten, aber nicht mehr von der Suche nach Wahrheit und dem Aussagen von dem bestimmt wird, was man als wahr erkannt hat. Sie selbst wissen, dass es Wahrheiten im Leben eines jeden Menschen gibt, die zunächst „Gefühle verletzen“  – aber aufs Ganze womöglich wichtig und gut sind. Und tatsächlich waren viele aggressive Äußerungen gegen mich nach der Predigt im Netz  sehr verletzend. Ich halte das nicht für in Ordnung, aber ich kann und will es auch bestenfalls dort verbieten, wo drastische sprachliche Grenzen überschritten werden (und selbst da bin ich so gut wie nicht eingeschritten). Daher: „Gefühle verletzen“ kann anders als  etwa „Diskriminierung“ kein Kriterium sein.

Schließlich: Wenn Sie meine Predigt zu Ende gehört oder gelesen haben, wissen Sie auch, dass ich das Thema „Nächstenliebe und Respekt“ deutlich eingefordert habe – und auch so gemeint habe.

In der Hoffnung, dass Sie mir das auch glauben können, bin ich mit besten Wünschen für 2021

Bischof Stefan Oster SDB