Füße waschen: Warum die Liebe siegt. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Gründonnerstag mit Fußwaschung im Passauer Stephansdom 2016.
Liebe Schwestern, liebe Brüder in Christus,
je älter man wird, desto schwerer fällt einem das Niederbeugen. Von meinem Vater habe ich einmal eine nette Frage gehört, als er sich zum Schuhebinden gebückt hat: „Was wollte ich noch alles machen, wenn ich schon mal unten bin?“
Sich bücken zum Füße waschen
Sich bücken ist beschwerlich, und zwar gilt das nicht nur körperlich, auch geistig. Wenn man im Leben beispielsweise einen gewissen Status hat, etwas erreicht hat, wenn man in seinen Überzeugungen einigermaßen gefestigt ist, eine Weltanschauung übernommen hat, die man für richtig hält, dann beugt man sich nicht mehr so leicht unter eine andere Meinung, eine andere Ansicht, dann lässt man sich nicht mehr gerne was sagen.
Noch dazu in einer Gesellschaft, in der die Freiheit des Einzelnen so ungeheuer groß geschrieben ist, Meinungsfreiheit, Handlungsfreiheit, Selbstbestimmung und anderes mehr. Auch das wirkliche Zuhören ist selten geworden in einer Welt scheinbar unbeschränkter Kommunikation.
Niedere Dienste?
Eine tiefere Demutsübung geht aber dann noch weiter, noch über das Körperliche oder Geistige hinaus. Es gibt Dienste, die viele von uns als niedrig oder gar als unwürdig empfinden. Am Bahnhof die Toiletten saubermachen, Müll einsammeln, einem alten und kranken Menschen im Pflegedienst den Hintern abwischen, im Restaurant das schmutzige Geschirr abspülen. Das sind Beispiele für Dienste, die nicht jeder machen will oder vielleicht auch nicht kann.
Es sind aber zugleich Dienste, ohne die vieles in unserer Gesellschaft nicht laufen würde, vieles Selbstverständliche ins Stocken geraten würde, vieles verdrecken würde oder mancherorts die menschliche Würde gar missachtet würde. Daher möchte ich zunächst all den Menschen danken, die einen solchen Dienst tun, der von anderen als niedrig oder gar als unwürdig empfunden wird. Ich danke Gott, dass es Menschen gibt, die das einfach und selbstverständlich und mit Würde tun.
Füße waschen: Letzter Sklavendienst
Diese Menschen, Herr Jesus, stehen damit auch an Deiner Seite – wie uns das heutige Evangelium berichtet. Dort nämlich, wo die anderen Evangelisten vom letzten Abendmahl erzählen, also vom Ereignis des heutigen Gründonnerstags, dort erzählt Johannes von der Fußwaschung. Einem anderen die Füße waschen war in der Antike so ziemlich der letzte Sklavendienst. Das Unwürdigste von allem.
Jesus wäscht den Jüngern die Füße und der Text kommentiert: „Weil er die Seinen liebte, liebte er sie bis zur Vollendung.“ Das Unwürdige tun als Liebesdienst. Petrus erkennt auch sofort, dass es genau das ist: das Unwürdige. Er, sein Herr und Meister, dem er nachgefolgt ist, er soll das Unwürdige niemals tun, schon gar nicht an ihm. Vor ihm soll sich der Meister niemals so tief bücken.
„Wenn ich dich nicht wasche…“
Und Jesus sagt ihm rätselhaft: Wenn ich dich nicht wasche, hast Du keinen Anteil an mir. Petrus scheint zu verstehen und versteht doch nicht. Also, Anteil an Jesus will er schon haben, am besten noch viel mehr, deshalb also dann den ganzen Kerl waschen, nicht nur die Füße, auch Kopf und Hände. Aber mit diesem Anliegen missversteht Petrus letztlich dennoch.
Wenn Jesus nämlich den ganzen Petrus wäscht, dann bleibt ja irgendwie der Gestus der Überlegenheit Jesu bestehen, dann bleibt er der große Meister. Es ist ja etwas völlig anderes, jemanden ganz zu waschen, ihn quasi wie bei der Taufe ganz unterzutauchen, anstatt sich eben nur und ausschließlich zu den Füßen zu bücken und sie zu waschen. Die Erniedrigung ist hier viel offensichtlicher.
… es geht nur noch ums Füße waschen
Jesus antwortet dem Petrus nun wieder rätselhaft: „Ihr seid schon rein, ihr seid schon, wie wenn ihr vom Bad gekommen wärt, nun geht es nur noch ums Füße waschen.“ Was bedeutet das? Ich würde es so deuten. Ihr wart schon lange mit Jesus, zusammen, habt ihn vor allem gehört, sein Wort.
Ihr seid darin eingetaucht, ihr habt in seiner Atmosphäre gelebt, auch darin wart ihr gleichsam eingetaucht. Und ihr habt auch gesehen, wie er handelt, wie er mit dem Vater und den Menschen umgeht. Aber jetzt, jetzt geht es noch einmal an den Kern des Ganzen, um die eigentliche, die tiefste Lektion.
Vom Kopf ins Herz
Jetzt sollen wir lernen, dass das Wort von der Liebe wirklich Fleisch werden will, dass es vom Kopf ins Herz rutschen muss, dass es vom bloßen Wissen wirkliche Überzeugung werden soll, wirklich etwas, was uns bewegt, was uns verwandelt.
Von der Liebe reden kann jeder, jeder Prediger, jeder Bischof. Die Liebe tun, ist das Entscheidende – und zwar nicht einfach in dem Sinn, was wir gemeinhin für Liebe halten.
Beim Füße waschen geht es um das Herz Jesu
Nein, es geht letztlich um das Herz Jesu, um das, was ihn mit dem Vater und uns verbindet. Und diese Liebe, die will er für uns, meine lieben Schwestern und Brüder. Und deshalb ist eine Liebe, die nicht bereit ist zum Dienst, auch keine Liebe in seinem Sinn. Wir können Jesus schon gerne von der Distanz her zuschauen – und uns daran freuen.
Aber wenn wir wie Petrus jetzt zulassen müssten: Er wäscht uns real die Füße. Er, der wahre Gott und wahre Mensch, beugt sich in die Niedrigkeit unseres Lebens, unserer Durchschnittlichkeit, unserer schmutzigen, nicht allzu gut riechenden Füße und wäscht sie, was würde das mit uns machen, wie würde es uns anrühren?
Angst vor Verwandlung
Kann es sein, dass sich in Petrus auch etwas genau dagegen wehrt, weil er spürt, das würde etwas in seinem Herzen wirklich verwandeln, wirklich erneuern, was er vielleicht gar nicht mag? Kann es sein, dass Petrus da durch muss, durch das Zerbrechen seines idealen Bildes von sich selbst?
Ich, der große Apostel, der Anführer der Jünger, ich weiß schon Bescheid. Kann es sein, dass dem Petrus sein Herz erst einmal aufbrechen muss, damit Jesus wirklich von innen her in ihm Wohnung nehmen kann? Und nicht nur von außen, als einer, den er nur beobachtet? Damit Petrus wirklich einer werden kann, der selber lernt, anderen die Füße zu waschen? Und der dann so Anteil hat an der Liebe Jesu?
Petrus Problem ist unser Problem
Liebe Schwestern, liebe Brüder, das Problem des Petrus ist unser aller Problem, auch meines. Unser Herz ist nicht einfach ganz heil, es bildet sich gerne selbst was auf sich ein, und meint, die Dinge schon verstanden zu haben. Aber die Liebe Jesu geht über das Verstehen hinaus.
Sie will in uns eingehen, sie will in uns Fleisch und Blut werden, sie will unsere alten Egoismen und Selbstbezogenheiten zerstören, sie will das in unserem Herzen öffnen, was dunkel ist, was Grab ist, was tot ist. Er liebte sie bis zur Vollendung heißt: Seine Hingabe, seine Erniedrigung für uns will uns nicht nur als Gedanke von außen, sondern als Erfahrung, als Überzeugung von innen her berühren und verwandeln.
Auch wir sollen „Füße waschen“
Er will, dass auch wir Füßewäscher werden. Er will, dass wir lernen, das letzte Abendmahl als das zu verstehen, was es in der Tiefe ist: Teilhabe an seinem Leben, an seinem Geist, an seiner Liebesfähigkeit. Das ist es, was uns im Grunde von aller Welt unterscheidet: Wir haben das Liebesmahl Gottes mit uns und wir haben es immer, immer wieder.
Es ist unser Ort, Jesus zu verstehen. Es ist der Lernort der Liebe schlechthin, seiner Liebe. Und diese Liebe ist es, die in der Welt am Ende immer siegen wird, aller Angst, allem Terror, allem Tod zum Trotz. Die Liebe siegt. Amen.