Gibt es Schönheit im Kreuz?

Gibt es Schönheit im Kreuz? Die Predigt von Bischof Stefan Oster anlässlich des Treffens „Kunst und Kirche“ am Gedenktag des seligen Fra Angelico in Passau 2017.

Liebe Künstlerinnen und Künstler, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
kann man Gott darstellen? Oder etwas abgeschwächt: Kann man dem Heiligen, dem Göttlichen einen bildlichen oder anderen künstlerischen Ausdruck verleihen? Und zweite Frage: Wenn man es könnte: Wäre es gut? Oder ist nicht das so genannte Bilderverbot aus den zehn Geboten zutiefst berechtigt: Du sollst Dir kein Bild von Gott machen, heißt es da in unserer großen Tradition. Nun, wir spüren vermutlich alle, dass zwischen der Frage nach dem Bild von Gott einerseits und der Möglichkeit, dem Heiligen Ausdruck zu verleihen, im Grunde schon eine ganz breites Spektrum liegt.

Gibt es Schönheit im Kreuz?

Ein konkretes Bild von Gott, sofern das möglich wäre, verfiele allzu leicht unserem Wunsch, sich das große Geheimnis verfügbar und gefügig zu machen, es zu reduzieren auf unsere begrenzten, endlichen Verstandeskapazitäten, auf unsere begrenzte Wahrnehmung – und so gerade nicht mehr als das Heilige, das Göttliche zu ehren und zu respektieren. Ja, es gibt wohl in jedem von uns den Wunsch nach Magie, nach einer machtvollen Manipulation dessen, was im Grunde nie manipulierbar ist.

Der Künstler als Diener der Schönheit im Kreuz

Aber dem Göttlichen Ausdruck verleihen, oder auch nur dem Heiligen, dem Strahlen Gottes hinein in unsere Welt, das halten wir für möglich, zumal dann, wenn wir spüren, dass ein Künstler, eine Künstlerin zugleich dient. Ein wirklicher Künstler will nach meinem Verständnis mit seinen Mitteln sehen lassen, wahrnehmen lassen.

Er schenkt dem Dargestellten seine Kunst, seine Ausdruckskraft und will, dass durch das diesseitig Gegenständliche hindurch das Tiefere, das Mächtige, das Schöne, das Gewaltige, in jedem Fall das Mehr des  Geheimnisses wahrgenommen werde. Er will hinzeigen, enthüllen oder zugleich verhüllen, weil die hinweisende Verhüllung oft genau der angemessene Umgang mit dem Heiligen ist. Zumal dann, wenn diese enthüllende, hinweisende Verhüllung schön ist, wenn sie ästhetisch anspricht oder ästhetisch herausfordert.

Herausforderung durch das Schöne

Liebe Künstlerinnen und Künstler, Sie alle wissen, dass wir als Kirche mit unserer Botschaft des Evangeliums heute in einer massiven Krise stecken. Die Krise der Glaubwürdigkeit des Institutionellen und von uns Amtsträgern aus vielerlei Gründen ist das eine, die Pluralität so vieler oftmals nur vermeintlich sinnstiftender Angebote ist das andere. Wir leben in einer Zeit und Gesellschaft, die es Überbringung des Evangeliums grundsätzlich schwer macht.

Und so komme ich inzwischen immer mehr zu der Überzeugung, dass wir in sehr vielen Kontexten unseres kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens als die Überbringer einer frohen Botschaft, womöglich gar nicht zuerst mit der Botschaft selbst oder direkt kommen können; also nicht zuerst mit dem, was wir als wahr glauben und auch nicht zuerst mit dem, was wir als richtig im Handeln erkannt haben.

Wahrheitsangebote und Handlungsanweisungen bringen heute auch viele andere daher, und sie werden im pluralistischen Kontext zumeist distanziert aufgenommen, zumal dann, wenn die Glaubwürdigkeit der Überbringer angeschlagen ist. Natürlich dürfen wir nicht auf wahr und gut verzichten, aber womöglich ist in vielen Kontexten die erste Berührung mit dem Schönen oder dem ästhetisch Fordernden heute die wichtigste.

Kirche als Geschichte erzählter Schönheit

Und da haben wir als Kirche wahrlich zu wuchern: Was für eine Geschichte der Schönheit, in Malerei, Bildhauerei, Musik, Architektur, Literatur und anderen Feldern der künstlerischen Darstellung. Was haben Menschen nicht alles hineingelegt in den künstlerischen Ausdruck dessen, was sie glauben und verehren. Ich muss nur vor meinem, vor unserem Dom stehen: Welche Majestät. Wenn wir hineingehen: Was für eine Schönheit in Architektur, Malerei, Bildhauerei.

Oder wenn ich in unserem Dom die Musik erklingen höre bei einer festlich gestalteten Liturgie: Was für eine Schönheit, die manchmal mit dem Leisen daherkommt, manchmal mit ungeheurer Wucht erklingen kann. Ich sage gerne und bin davon überzeugt: Wir sind als Kirche nicht nur Teilhaber, sondern wir sind über viele, viele Jahrhunderte Hauptakteure des größten ästhetisch-kulturellen Abenteuers der Menschheitsgeschichte gewesen und sind es immer noch. Was haben Menschen uns nicht schon an Kunst geschenkt – und darin immer zugleich ihren Glauben tief zum Ausdruck gebracht.

Das meine ich, wenn ich sage: Müssen wir die Menschen heute nicht oftmals zuerst darauf hinweisen? Sie dort abholen, beim Schönen? Und ist in „schön“ nicht eben oft auch wahr und gut zugleich enthalten? Und ließe sich dann in einem zweiten Schritt die Wahrheit des Evangeliums nicht zuerst vom Schönen her plausibilisieren? Das kann, meine ich, heute ein sehr sinnvoller Weg sein und genau darum bin ich sehr dankbar für unsere gemeinsame Begegnung mit den Künstlern und den Hütern den Schönen.

Liebe und Schönheit

Nun hat uns Dr. Kirchgessner für die heutige Andacht zwei Texte ausgewählt, von denen wenigstens einer von Schönheit spricht: Von der Schönheit der Liebe, nach der sich die Seele des Menschen sehnt. Das alttestamentliche Hohelied der Liebe ist ein Menschheitserbe, der in die Bibel Eingang gefunden hat und der einerseits vom Reichtum der erotischen Liebe zwischen Mann und Frau erzählt, andererseits aber immer auch gedeutet worden ist auf die menschliche Seele, die ihren Gott sucht.

Im Auf und Ab, im Festhalten und Loslassen, im Wachsen und Reifen, in der Klärung unserer Neigung zur Besitzergreifung, hin zur gläubigen Erwartung dessen, der sich selbst schenkt und offenbart. Gott, der Herrliche, der wie ein Bräutigam, der Schönste von allen, sich der bräutlichen Seele schenkt, kommt hier indirekt zur Darstellung – enthüllend-verhüllend.

Schönheit im Kreuz?

Der zweite Text ist weniger schön: Der Johannes-Evangelist erzählt die Kreuzigung und das, was mit dem toten Jesus passiert. Da ist ein Mensch unsäglich gefoltert worden, ist qualvoll gestorben und nun rammen sie dem Toten noch eine Lanze in die Seite. Das bloß natürliche Auge sieht hier nichts Tieferes, schon gar nichts Schönes, nur Entsetzliches. Aber die Augen des Glaubens vermögen nach und nach darin die größte Liebestat der Geschichte zu sehen: Die Hingabe des Gottmenschen, des Christus, der aus Liebe für sein Volk und aus Liebe zu den Menschen stirbt.

In der Tiefe haben schon die Kirchenväter, die frühen Theologen der alten Kirche, genau hier die tiefste Radikalisierung des Gedankens vom Bräutigam gesehen: Aus seinem offenen, durchstoßenen Herzen fließen Blut und Wasser – fließen im Sinnbild die Sakramente der Kirche, die Taufe und die Eucharistie.

Schönheit im Kreuz – Herrlichkeit?

Unter dem Kreuz stehen in dieser Szene die Mutter des Herrn und Johannes, der Jünger, den Jesus liebte, wie es immer wieder heißt. Aber wer den Text geistlich zu lesen weiß, der glaubt. Hier steht die Kirche selbst in ihren großen Repräsentanten – die Frau, aus der Gott selbst hervorgegangen ist und der Glaubende schlechthin.

Hier ist geheimnisvoll Hingabe in tiefster Weise gesehen, der Sterbende gibt sein Leben für die Seinen, für seine Kirche, er stirbt den Liebestod und eröffnet den Zugang zum neuen Leben, das nicht mehr aufhört. Die Augen des Glaubens, wenn sie durchdringen zur Größe dieser Liebenstat, vermögen also in dieser Szene auch und immer noch Schönheit zu sehen, oder muss man nicht sogar sagen: Herrlichkeit?

Gott stellt sich in Christus selbst dar

Und hier, liebe Künstlerinnen und Künstler, schließt sich auch ein wenig der Kreis zur Ausgangsfrage, zur Frage: Kann man Gott darstellen im Bild? Die Antwort ist: Von uns her ist das unmöglich. Aber der Glaube sagt: Gott selbst wählt sich im menschgewordenen, gekreuzigten Christus ein gefoltertes, getötetes, entwürdigtes menschliches Antlitz, ein Abbild, um die Abgründigkeit und Herrlichkeit seiner Liebe auszudrücken und darzustellen für uns; indem er dieses Geheimnis enthüllend verhüllt.

Das Kreuz in seiner paradoxen Sprache verunmöglicht damit und zerbricht damit alle unsere eigenen Versuche, Gott in Wort und Bild dingfest zu machen und zu unseren Gunsten zu manipulieren. Gott gibt uns ein Bild, das der natürliche Mensch in uns gar nicht gern hat, das für den einen Ärgernis, für den anderen Torheit ist, wie Paulus sagt. Ein toter Gott kann nämlich gar nicht Gott sein, sagt das natürliche Empfinden!

Schönheit im Kreuz: Gott gibt uns ein Bild

Gott gibt uns damit ein Bild, einen Ausdruck, der uns hindert ihn für uns zu manipulieren und gefügig zu machen. Gott gibt uns ein Bild, das uns nur zugänglich wird, wenn wir uns davon zum gläubigen Vertrauen bewegen lassen. Wenn wir uns hinziehen lassen, um immer neu ausloten zu können, was uns damit geschenkt ist.

Der Hl. Bruder Konrad, unser Bistumspatron, dessen 200. Geburtstag wir im nächsten Jahr feiern dürfen, hat sein Leben lang das Kreuz betrachtet. Es war ein Bild – und es war sein Buch, wie er gesagt hat, er hat in diesem Buch, in diesem Ausdruck Gottes, fortwährend gelesen, um sich verwandeln und immer mehr hinziehen zu lassen – zum unsagbaren Geheimnis. Und er ist ihn nachgegangen – den Weg des Kreuzes – der ins Leben führt.

Gott ist größer

Liebe Künstlerinnen und Künstler, ich danke Ihnen heute für Ihr Hiersein, ich danke für Ihre Verbundenheit. Ich weiß darum, dass Sie sich bisweilen auch kritisch mit dem Glauben und der Kirche auseinandersetzen. Auch das ist gut und wichtig für uns alle, es hilft uns auf dem Weg der Klärung. Es hilft uns loszulassen und frei zu werden von dem Wahn, der uns bisweilen überkommt und uns einredet, wir hätten Gott schon so sehr im Besitz, dass wir uns im Grunde auch schon als seine legitimen Besitzer wähnen.

Gott ist größer, Gott ist tiefer, Gott ist heiliger als wir uns je ausdenken könnten. Aber die Kunst, die kann uns immer neu die Spur schenken, hinein ins Geheimnis – und uns immer neu diese Größe und diesen Abgrund erahnen lassen. Danke für Ihr Schaffen. Gott segne Sie. Amen.