Bild: R. Kickinger

Glaube selbstgemacht oder bekehrt zum Herrn?

Glaube selbstgemacht – oder bekehrt zur Wirklichkeit des Herrn? Die Predigt von Bischof Stefan Oster im Stift Göttweig anlässlich des Festes des Hl. Bischof Altmann von Passau, Gründer von Göttweig, 2016.

Schrifttexte: Weish 18, 6-9; Hebr 11, 1-2.8-19; Lk 12,32-48.

Liebe Mitbrüder aus dem Benediktinerorden, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
der heilige Altmann von Passau, dessen Grab ich heute besuchen darf, war ein Vorgänger, der in wahrhaft bewegten, unruhigen Zeiten lebte. Wir erleben heute unsere Zeit ebenfalls als unruhig und unsicher.

Aber ich denke, wenn wir in die Lebensgeschichte dieses Bischofs aus dem elften Jahrhundert genauer hineinsehen könnten und würden, würden wir schnell mitbekommen, wie anders, wie viel bewegter, und noch unsicherer der Lauf der Zeit damals war. Für Einzelne, aber auch für ganze Länder, Bistümer und so fort.

Glaube selbstgemacht – oder bekehrt zum Herrn?

Es war die Zeit des so genannten Investiturstreits, die Zeit, in der der Konflikt um die weltliche und geistliche Vorherrschaft im Mittelalter einen ersten, dramatischen Höhepunkt fand. In dieser Zeit war es noch üblich, dass weltliche Herren die Geistlichen einsetzen konnten und auch, dass der König und Kaiser des Frankenreiches Bischöfe einsetzte.

Bischof Altmann und sein Glaube

Der Papst aber, besonders Gregor VII., versuchte nach und nach, dieses Besetzungsrecht an sich zu ziehen, die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Kirche stand auf dem Spiel. Und unser guter Bischof Altmann war in dieser Frage ganz auf der Seite des Papstes, aber räumlich war natürlich der Kaiser näher. Und so musste er nach einer Besetzung der Stadt fliehen und kam unter anderem hierher, in seine eigene Gründung nach Göttweig – und hat hier schließlich auch sein Grab gefunden.

Ich möchte nun nicht auf weitere Einzelheiten der Geschichte eingehen, sondern eher mit Hilfe der Texte der heutigen Lesungen auf die Frage eingehen, wie bewahrt ein Mensch in unruhigen Zeiten seinen Glauben? Oder noch ein wenig grundsätzlicher mit dem Hebräerbrief fragen: Was ist eigentlich der Glaube, den auch Bischof Altmann bewahrt hat? Und um dessen Bewahrung wir auch heute ringen?

Um welchen Glauben ringen wir?

Der Hebräerbrief sagt uns den berühmten Satz: „Glaube ist Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“ So lautet zumindest die Einheitsübersetzung. Aber wenn wir genau hinschauen, dann steht da im Griechischen Original: „Der Glaube ist die Substanz dessen, was man erhofft, und das Überführt-werden von Dingen, die man nicht sieht.“ Der Unterschied zwischen der etwas geglätteten Einheitsübersetzung und dem wörtlichen Text ist der, dass im Wörtlichen noch deutlicher etwas zum Ausdruck kommt, was unabhängig von uns da ist und uns beeinflusst.

Die Substanz dessen, was man erhofft, heißt es wörtlich. Das meint: Es gibt eine Wirklichkeit, die wir berühren können, die schon da ist – und je tiefer wir uns einlassen, desto fester können wir drinnen stehen. Und mehr noch: Diese Wirklichkeit, diese Substanz, die hat zugleich eine Kraft der Überführung, der Erneuerung des Denkens, des Vertrauens, so sehr, dass nicht wir unseren Glauben tragen, oder gar machen, auch in seinen Inhalten, sondern dass der Glaube eher uns trägt. Wir stehen als Glaubende in dieser Wirklichkeit! Wenn, ja wenn wir denn tatsächlich drin stehen.

Glaube selbstgemacht?

Denn, liebe Schwestern und Brüder, das Problem mit dem Glauben vor allem heute ist doch eher dieses: Viele Menschen haben einen Glauben, der eher von ihren Vorlieben abhängt, von ihrem Geschmack, der von ihnen irgendwie selbst gestaltet ist und gemacht ist. In manchen Kreisen spricht man ebenso wie von Patchwork-Familien und Patchwork-Identitäten auch von einem Patchwork-Glauben.

Ich suche mir ein wenig von dem, was mir zusagt, aus Philosophie, aus Buddhismus, auch aus dem Christentum, aus der Esoterik vielleicht – und so finde ich das, was zu mir passt, was ich für richtig halte. Wir leben nun mal in einer pluralen und vielgestalten und individualistischen Gesellschaft und das trifft dann auch für den Glauben zu oder was wir davon halten.

Die Wirklichkeit des Herrn ist kein „Glaube selbstgemacht“

Der Glaube aber, der uns in den heutigen Texten vorgestellt wird, ist anders: Nicht ich forme diesen Glauben für mich, sondern ich werde berührt und ergriffen von einer Wirklichkeit, die vor mir da ist und unabhängig von mir da ist – die mich überführt und die geeignet ist, mich zu verändern. Manchmal sogar auch gegen manche Vorliebe und manchen Geschmack.

Der biblische Glaube ist wesentlich ein Glaube, der aus dem lebt, was wir Bekehrung nennen. Und genau das ist das Problem, dass das heute kaum noch einen Erfahrungshintergrund in unseren Pfarreien hat oder in unseren Orten von kirchlichem Leben. Aber der biblische Glaube ist grundlegend und wesentlich einer, der aus Bekehrung lebt!

Wachsamkeit als Kennen und Lieben des Herrn

Nur: Wie kommen wir heute wieder hin zu einem solchen Glauben? Da hilft uns das Evangelium. Jesus mahnt die Jünger, wachsam zu bleiben – und er vergleicht die zukünftige Situation der Jünger mit einem Hausherren, in dessen Anwesen ein Dieb kommen könnte. Er sagt, der Hausherr würde natürlich wach bleiben, wenn er wüsste, wann das passieren würde.

Und er vergleicht das Bleiben im Glauben zweitens mit dem Bild eines Mannes, der auf einer Hochzeit ist und sehr spät in der Nacht zurück kommt. Der aber erwartet, dass seine Knechte wach sind, ihre Lampen brennen lassen und aufmachen, wenn der Herr kommt. Die beiden Bilder haben gemeinsam, dass sie von der Nacht sprechen und von Situationen des Wartens – und von der plötzlichen Ankunft einer wichtigen Person, einmal ist es der Dieb, einmal der Hausherr.

„Glaube selbstgemacht“: Hausherr oder Dieb in der Nacht

Liebe Schwestern und Brüder, diese Bilder verbinden sich mit unserer Frage nach dem Glauben: Stellen Sie sich vor, Christus würde jetzt gleich wiederkommen, als der Weltenrichter und er würde sich ganz persönlich Ihnen und Ihrem persönlichen Leben zuwenden. Er ist die absolute Wahrheit und die absolute Liebe in Person. Er ist der Höchste und der Niedrigste, er ist der Löwe und das Lamm. Und er sieht ihr Herz, durch und durch und zugleich voll Liebe. Und Sie wüssten zutiefst, er erkennt Sie. Er schaut Sie mit absoluter Wahrhaftigkeit an, aber zugleich voller Liebe.

Er sieht alles: Ihre Stärken und Vorlieben, Ihre Tugenden und schönen Seiten, Ihre Liebe und Treue, Ihren Glauben. Aber er sieht auch das andere: Ihre schlechten Angewohnheiten, Ihre kleinen Süchte und Kompromisse, Ihr Getratsche, Ihren Neid, Ihre Aufbrausen, Ihre Gier und, und, und… Wie würde es Ihnen gehen: Wäre der Herr der Dieb in der Nacht, vor dem Sie Angst haben, vor dem Sie das dunkle Haus verschlossen halten müssten? Dürfte er Sie erkennen, dürfte er ihnen nahe treten? Womöglich schmerzhaft, reinigend? Ist er also der, der kommt wie der Dieb in der Nacht?

Würden Sie sich freuen, wenn er kommt?

Oder wäre er, wenn er käme,  tatsächlich der eigentliche Hausherr, der in Ihr Herz als sein Eigentum einzieht, weil er es zuvor schon erobert hat? Würden Sie sich freuen, dass er kommt, weil Sie innerlich immer schon bei Ihm waren, von Ihm getragen waren? Weil er die Wirklichkeit selbst ist, auf der Ihr Glaube steht.

Er selbst und nicht ein zusammengebasteltes Konstrukt von Glaubensinhalten? Würden Sie sich freuen und gäbe es die Seite in Ihnen, die jubelt und sagt: „Wie großartig, Herr, dass Du endlich da bist“!? Oder wäre sein Kommen Überführung für Sie und Gericht, weil Sie so lange vergessen haben, mit Ihm zu leben, und Ihn deshalb so wenig kennen gelernt haben?

Freundschaft mit Mozart und Freundschaft mit Christus

Liebe Schwestern, liebe Brüder, damit bin ich beim wichtigsten Punkt: Ich bin überzeugt, dass der Glaube in unseren Ländern, in Österreich und in Deutschland, nur dann eine Chance zum Überleben hat, wenn wir uns neu wirklich Christus zuwenden.

Und zwar genau dem Christus, der in der Schrift überliefert ist, dem Christus, den die Kirche glaubt, den sie feiert in der Eucharistie, der die eigentliche Wirklichkeit ihres Lebens ist; dem Christus, der mit uns in einer persönlichen Freundschaft leben will, mit jedem Einzelnen.

Eine innere Verbindung

Vielleicht sagen Sie jetzt: Aber das geht doch nicht. Jesus ist doch nicht da – ich kann doch nicht mit ihm befreundet sein. Aber meine Lieben, als Österreicher und vielleicht auch als Musikfreunde wissen Sie, dass man zum Beispiel mit Mozart befreundet sein kann. Man kann seine Lieder, seine Musik, sein Leben kennen.

Man kann dadurch immer besser verstehen lernen, wer er war und wie er war. Und man kann seine Musik spielen lernen und sich auf diese Art tief einfühlen in diese Ausdrucksform seines Schaffens. Man kann so weit kommen, dass die Leute spüren: Dieser Mensch, wenn er Musik macht, oder wenn er von Mozart erzählt, der hat ihn wirklich verstanden, der liebt ihn. Mancher wird vielleicht jemand, von dem die Leute sagen: „Der da, wenn er Musik macht, das ist ein kleiner Mozart.“

Mozart ist tot, Jesus lebt

Aber, meine Lieben, so etwas ist möglich, so eine innere Verbindung mit Mozart kann zum Leben in uns kommen, obwohl Mozart wirklich tot ist. Aber von Christus sind wir im Glauben überzeugt: Er lebt! Er ist in der Kraft seines Geistes hier, unter uns – und in der Eucharistie am tiefsten! Er lädt uns ein, uns mit ihm zu vereinigen, in Gemeinschaft und alleine, persönlich.

Wir haben außerdem die Schrift und können verstehen lernen, wie er war, wer er war und immer noch ist. Und wir können uns damit so auf den Weg durch diese Nacht der Zeit machen, dass in uns das Licht hell bleibt – und wenn dann das Licht kommt, dass es dann korrespondiert mit unserem Inneren; dass dann unser Herz aufgehen wird, wenn er wirklich kommt, weil unser Herz dieses Licht schon kennt!

„Glaube selbstgemacht“ hinter sich lassen: Dem Glauben der Kirche trauen

Liebe Schwestern und Brüder, ich möchte uns alle einladen, neu mit dem Herrn zu leben, denn das ist der Glaube, der uns wirklich rettet, es ist der Glaube, der uns hindurchführt, durch unruhige Zeiten. Und wissen Sie, je tiefer Sie verstehen lernen, mit dem Herzen, wer er war und wie er war und ist, desto mehr werden Sie spüren: Er ist der liebenswerteste und großartigste Mensch, der je unter uns gelebt hat. Und er sehnt sich danach, von uns verstanden zu werden – und er sehnt sich noch mehr danach, dass wir alle lernen, auch anderen die Tür zu so einem Verstehen öffnen zu können.

Die Überlieferung ist treu und groß

Ich möchte Sie auch einladen: Trauen Sie neu der Überlieferung der Kirche über die Frage, wer eigentlich Jesus ist. Er ist bleibend in ihr da, auch wenn wir und andere als seine Vertreter nicht immer glaubwürdig sind. Aber Jesus ist da und die Kirche als Ganze, in der Eucharistie, in den Texten der Schrift, der Konzilien, in der Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche überliefert und schenkt wirklich Jesus.

Ist es nicht ein Wunder, dass der hl. Altmann demselben Jesus treu bleiben konnte, dem wir alle und ich auch treu bleiben wollen? Dem Glauben der Apostel!? Die Überlieferung in der Kirche ist wirklich treu und groß. Sie schenkt uns den Herrn. Möge er uns wirklich berühren und erneuern und zum neuen Wachstum unserer Kirchen beitragen. Dazu segne Sie alle unser Bruder und Herr. Amen.


Das Bild von R. Kickinger zeigt die Begegnung mit Abt Columban und Prior Pater Maximilian vor dem Schrein mit den Reliquien des Heiligen.


Glaube selbstgemacht? Informationen zum Heiligen Bischof Altmann und das heutige Benediktinerstift Göttweig finden Sie hier.