Heute haben wir meinen verehrten Vorgänger, Bischof emeritus Wilhelm Schraml, in Altötting – wie von ihm gewünscht – in der Anbetungskapelle bei der Stiftskirche beerdigt. Am Requiem in der Anna-Basilika haben zahlreiche Bischöfe, Weihbischöfe, Priester, Diakone, zahlreiche Vertreter aus Politik und Gesellschaft und viele Gläubige teilgenommen. In der Ansprache habe ich vor allem versucht, seinen Wahlspruch: „Jesus Christus als den Herrn verkündigen“, auf sein und unser Leben hin zu deuten.
Hier ist die Predigt nachzuhören, weiter unten auch nachzulesen. Im Anschluss daran auch die schöne Grußadresse, die mir Papst em. Benedikt XVI. zum Tod von Bischof Wilhelm geschickt hat.
Hier die Predigt zum Requiem:
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
„Ich bin vorbereitet“ oder „Ich bin bereit“ – so hat Bischof Wilhelm in den letzten Monaten immer wieder gesprochen, wenn die Nachfrage nach seiner Gesundheit kam. Er wusste, dass sein Herz schwach geworden war; zudem waren in den letzten wenigen Jahren vermehrt Sorgen um die Gesundheit aufgekommen und Krankenhausaufenthalte dazu. „Ich bin bereit“. Die Einschätzung über seine angeschlagene physische Gesundheit kam ihm aus dem Raum des Glaubens. Er war bereit zu gehen, bereit, seinem Herrn zu begegnen. Und schon vor einigen Monaten hatte er mir zu verstehen gegeben, dass er gerne in Altötting, genauer in der Anbetungskapelle begraben werden wollte. Jene Kapelle, die er selbst für die immerwährende Anbetung hatte vorbereiten lassen und die Papst Benedikt XVI bei seinem Besuch in Altötting im Jahr 2006 schließlich eingeweiht hatte.
Die Hl. Messe und die Anbetung
Tiefster Ausdruck der Einübung in seine Bereitschaft zu gehen waren für Bischof Wilhelm dann auch in den letzten Jahren seines Ruhestandes die tägliche Hl. Messe in der Gnadenkapelle und der tägliche Besuch in der Anbetungskapelle. Er hat das Bleiben mit Maria beim Herrn Jesus geübt, das Schauen auf Jesus aus dem inneren Ort, aus dem Er in dieser Welt und Geschichte empfangen worden ist – und immerfort empfangen wird, bei denen, die ihn in sich aufnehmen. Oder um mit dem Evangelium von den törichten und klugen Jungfrauen zu sprechen: Bischof Wilhelm hat dafür gesorgt, dass genügend Öl in seinem Krug ist, er hat dafür gesorgt, dass seine Seele sich hat salben lassen können, mit dem Öl dessen, den wir als den Gesalbten verehren. Es ist als würde uns Bischof Wilhelm mit der Wahl dieses Begräbnisortes noch ein letztes Mal deutlich machen wollen, worum es geht Und unser verehrter Papa emeritus Benedikt XVI. hat es in seinem letzten Gruß auf die ihm eigene Weise so trefflich formuliert: „Durch das Grab in der Anbetungskapelle bleibt Altbischof Schraml als Vor-Beter, als ein mit Maria Hörender unter uns und zeigt uns den Weg“.
Christus ist der Herr
In der Rückschau auf das Leben und Wirken von Bischof Wilhelm zeigen sich viele Akzente, von denen ich einige wenige erwähnen und auf das Evangelium hin deuten möchte. „Jesus Christus als den Herrn verkündigen“, so lautet sein Bischofs-Wahlspruch in der Übernahme einer Formulierung des Apostels Paulus im 2. Korintherbrief. Paulus selbst war vermutlich vor allem deshalb immer wieder der Verfolgung ausgesetzt durch Auspeitschungen, Steinigungen, Gefängnisaufenthalte und anderes, eben weil er genau dieses verkündigt hat: Jesus Christus ist der Kyrios, Christus ist der Herr. Und wenn es nur diesen einzigen wirklichen Herrn gibt, dann ist eben diese Verkündigung gefährlich für alle gesellschaftlichen und politischen Mächte, die auch gerne Herr wären, die gerne Herrschaft hätten, vor allem über die Überzeugungen und die Seelen von uns Menschen. Jesus Christus ist der Herr, der einzige Herr! Und wenn wir diese Kernbotschaft von Bischof Wilhelm an uns heranlassen, dann spüren wir, dass sich da auch Widerstand regt in uns. Darf Christus der Herr sein in allen Bereichen meines Lebens? Oder lasse ich ihn bei manchen Dingen, bei manchen Vorlieben, bei manchen Verhaltensweisen, in manchen Beziehungen doch lieber draußen?
Die Kirchenmusik und die Kirche als Sakrament
Es gibt aber genau damit eine Schwierigkeit, liebe Schwestern und Brüder, wenn ich selbst entscheide, in welchen meiner Lebensbereiche Christus Herr sein darf und in welchen nicht. Denn wenn ich die Wahl treffe, dann bleibe am Ende doch noch ich selbst Herr – und letztlich doch nicht ER. Vielmehr darf ER dann zwar Herr in manchem Bereich sein – aber nur weil ich es zulasse. Spüren Sie, liebe Schwestern und Brüder, welche Herausforderung uns Bischof Wilhelm hier mitgibt? Und er war überzeugt, dass sich diese nötige innere Umwandlung des Menschenherzens und der kirchlichen Gemeinschaft, in der Jesus wirklich Herr sein kann, dass sich diese Umwandlung zuerst und vor allem in Verbindung mit der Eucharistie vollzieht. Daher war ihm auch die Hl. Messe so wichtig. Die Messe würdig, tief und schön gefeiert – mitgestaltet und getragen von den verschiedenen Diensten und besonders von der Kirchenmusik, die er ebenfalls liebte. Und vielleicht wird an diesem Beispiel auch wieder deutlich: Bischof Wilhelm liebte die Kirchenmusik wohl auch weder deshalb, weil in ihr Jesus Herr ist und sein kann. Kirchenmusik machen wir – um Ihm die Ehre zu geben, und um seine Herrlichkeit zu erahnen. Aber auch, um Freude und Leid, Trauer und Hoffnung Ihm gegenüber zum Ausdruck zu bringen, und die ganze Bandbreite menschlicher Gefühlsregungen und Atmosphären. Und mitten in alledem ist Christus da, als der Herr. Daher auch war für ihn die Kirche selbst nicht anders als sakramental zu verstehen und deshalb auch marianisch: Mitten in irdischer Wirklichkeit ist göttliche Gegenwart da, ist Christus da, ungetrennt von Seiner Kirche. Bischof Wilhelms Einsatz für die Kirche und ihre Verkündigung war immer voller Herzblut und Leidenschaft. Der Herr der Kirche möge es ihm reichlich lohnen.
Ein kantiger Mann
Freilich, für diese Überzeugungen konnte Bischof Wilhelm auch ein kantiger Mann sein, an dem mancher sich rieb. Ein Mann, der auch ein Gespür dafür hatte, wo das kirchliche Leben oder auch darin handelnde Personen geneigt waren, Akzente zu setzen, die nicht dem entsprachen, was er für wichtig hielt oder für die Kirche als zentral einschätzte. Und dann konnte er eben auch bisweilen schnell und spontan entscheiden oder auch einmal schnell um-entscheiden. Weil es ihm glaubhaft um die Sache ging, so meine Wahrnehmung. Dass er dabei manchmal auch Dinge entschieden hat, die für viele dann herausfordernd waren oder schwer zu verstehen, das liegt in der Natur der Sache.
Wie war das mit dem PEP-Prozess?
Viele fragen sich zum Beispiel noch heute, hätte das damals mit dem PEP, dem pastoralen Entwicklungsplan, der unter seinem Vorgänger, Bischof Franz Xaver Eder vor über 20 Jahren erarbeitet worden war, hätte das auch anders laufen können? Hätte es nach den korrigierenden Anmerkungen, die aus Rom dazu gekommen waren, nicht auch ein anderes Weitergehen geben können? Und nicht nur den Stopp des Ganzen? Wie ein Stopp wurde es zumindest von vielen der engagierten Beteiligten wahrgenommen. Wenn ich es richtig weiß, hat Bischof Wilhelm anfangs tatsächlich auch manches in Richtung eines veränderten Weitergehens versucht, aber dann fehlte wohl auch die nötige Unterstützung dafür. Und vermutlich fehlte auch bei ihm selbst am Ende die tiefe Überzeugung für den PEP. Dieser Prozess war damals ja über einen längeren Zeitraum von vielen Menschen aus dem Bistum getragen gewesen; von Menschen, denen es um die Kirche ging, um ihre Erneuerung. Und ich bin nun ebenso überzeugt, dass es auch Bischof Wilhelm zutiefst um eben diese Kirche ging – und ja, auch um ihre Erneuerung. Aber mit einem etwas anderen Blick darauf. Und diese Sorge um die Kirche hat ihn dann eben so handeln lassen, wie er meinte, es tun zu müssen. Ob es richtig war? Jetzt wird Bischof Wilhelm es wissen – und der Herr wird in sein Herz schauen und weil er nicht nur Herr ist, sondern auch Bruder und Freund, wird es in jedem Fall ein Blick sein, der auch versteht und der liebt. Und ich bitte den Herrn, dass er auch uns allen immer wieder neu ein versöhntes und verstehendes Herz schenkt und einen Blick des grundsätzlichen Wohlwollens füreinander.
Lebensschutz, Sorge um Familien, Sorge um die Priester
Der Schutz des Lebens und die Förderung der Familie waren unserem Verstorbenen ebenfalls immer Herzensanliegen, ebenso wie der diakonische und caritative Dienst der Kirche – eben weil uns in jedem Menschen, besonders auch im Geringsten Jesus, unser Bruder, begegnet. Die Familie hat Bischof Wilhelm unter häufigem Rückbezug auf die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. immer wieder als den wichtigsten Lernort für Gemeinschaft, Liebe, Solidarität beschrieben. Und natürlich auch als den bevorzugten Ort, an dem Gott kirchliche Berufungen hervortreten lässt. Die Sorge um die Priester war ihm überaus wichtig. Nicht wenige unserer Priester wissen sich von Bischof Wilhelm besonders geprägt und sind ihm dankbar verpflichtet.
Der Unermüdliche
Im unermüdlichen Hinausfahren ins Bistum zu den Menschen, in die vielen kleineren und größeren Ortschaften, in Begegnungen, bei Wallfahrten, in den Gottesdiensten, bei Firmungen und Jubiläen, da war er überaus gern und dort haben viele Menschen Bischof Wilhelm väterlich erlebt; als einen väterlichen Mann, der aufmerksam war, zugewandt oft auch zum Scherzen aufgelegt. Das Wort vom „jovialen Polterer“, das ein Journalist einmal über ihn aufgeschrieben hatte und das ich in einem Nachruf aufgegriffen habe, das hat vielen gefallen als treffende Kurzcharakteristik. Er konnte poltern um der Sache willen und konnte zugleich ein väterlicher, zugewandter, interessierter – und eben auch ein charmanter Seelsorger sein. Mich selbst beispielsweise hat er in nahezu jeder Begegnung gefragt: „Wie geht es deinen Eltern?“ Weil er wusste, dass deren Gesundheit nicht immer zum besten war.
Die Liebe zu Maria
Seine eigene Kindheit, das wissen wir aus mancher Erzählung, war nicht immer leicht. Die Mutter ist früh gestorben, der Vater war als Bäckermeister nicht in der Lage, sich alleine um die drei Schraml-Buben zu kümmern. Und so ist Bischof Wilhelm als Bub überwiegend in der Obhut einer Tante aufgewachsen. Gut möglich, dass ihm auch deshalb so daran gelegen war, Familien zu stützen und Kinder in anständigen Verhältnissen aufwachsen zu sehen. Und gut möglich auch, dass er durch solche frühen persönlichen Verlusterfahrungen einen leichten und tiefen Zugang zu Maria als Mutter finden konnte – und auch so zum großen Förderer dieses geliebten Gnadenortes Altötting wurde, an dem wir ihn der Erde übergeben.
Die Freude des Himmels
Und schließlich: Wer im geistlichen Sinn eine Mutter hat, der hat natürlich und erst recht einen Vater. Jesus, der Herr, ist gekommen, um uns mit Gott zu versöhnen. Und zwar damit wir diesen Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde, auch wieder als Vater erkennen und lieben können. Jesus gibt uns seinen Geist, damit wir – wie Paulus in der 2. Lesung gesagt hat – in unserem Inneren auch wirklich Abba, Vater, sagen und es von Herzen auch meinen können. Wir alle, Schwestern und Brüder, sind Kinder der Gottesfamilie. Wir alle haben wirklich einen Gott als Vater, wir haben in Maria eine Mutter und wir leben in einer großen Familie. Lieber Bischof Wilhelm, lieber verehrter Vorgänger, ich danke Dir für Dein Lebenszeugnis, für Deine Treue und Liebe zum Herrn und seiner Kirche. Und ich wünsche Dir – mit allen, die heute hier sind, und mit vielen, die heute nicht hier sein können – dass Du jetzt die Vollendung Deiner Gotteskindschaft erleben darfst, dass Du von ganzem Herzen Kind des Vaters sein darfst und Bruder Jesu, deines Herrn und Kind der Mutter Gottes. Ich wünsche Dir, dass Du jetzt auch Deine leibliche Mutter und Deinen leiblichen Vater und Deine Brüder in die Arme schließen darfst. Ich wünsche Dir wunderbare und wundersame Begegnungen mit deinen alten Weggefährten und vor allem wünsche ich Dir die Teilnahme am großen Familienfreudenfest mit dem Vater im Himmel, bei dem alle vereint sind, die Jesus, der Herr, dort hineingeliebt hat. Deshalb, lieber Bischof Wilhelm: Gute Reise dorthin! Und möge Dein Beispiel uns allen auch eine Mahnung sein, dass auch wir unser Leben so ordnen, dass wir – am besten jederzeit – so wie Du sagen können: „Ich bin bereit“. Amen.
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Die Grußadresse von Papst em. Benedikt XVI.
Exzellenz! Sehr geehrter, lieber Herr Bischof!
Am 15. November 2021, dem Tag eines großen, aus unserer Heimat stammenden Bischfos Albert Magnus, wird Altbischof Wilhelm Schraml seinem Wunsch gemäß in der Anbetungskapelle in Altötting, die er in der ehemaligen Schatzkammer eingerichtet hat, begraben werden. So wollte er den inneren Zusammenhang von Marienverehrung und Anbetung ihres Sohnes deutlich machen. Wer Maria liebt, hört auch auf Jesus und folgt ihm. Ja, er kann selbst Mutter und Bruder Jesu werden, wie der Herr es sagt (Lk 8,21). Durch das Grab in der Anbetungskapelle bleibt Altbischof Schraml als Vor-Beter, als ein mit Maria Hörnder unter uns und zeigt uns den Weg.
Sie, Herr Bischof Oster, haben das Erbe von Bischof Schraml übernommen und tragen es weiter. Möge die Mutter unseres Herrn Ihnen helfen, dass die Kirche von Passau immerfort auch ein Ort des Friedens Jesu Christi sei.
In diesem Sinn bete ich mit der Diözese Passau, die ihren Altbischof Wilhelm Schraml zu Grabe trägt: Requiescat in pace!
Im Herrn Ihr
Benedikt X VI.
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Die Predigt kann auch per Video nachgehört werden: