Interview: „Die Weltsynode stellt die Verfassungsfrage“

Der Passauer Bischof Stefan Oster war einer der wenigen deutschen Teilnehmer an der Weltsynode in Rom. Im Interview mit der Mediengruppe Bayern zieht er ein Resümee.

Sie waren als einer von fünf Delegierten der Deutschen Bischofskonferenz Teilnehmer der Weltsynode. Wie ordnen Sie persönlich dieses kirchliche Großereignis ein?

Es ist sehr anders als frühere Synoden. Über 400 Teilnehmende sitzen an runden Tischen meist mit 12 Personen. Und der Papst lädt uns zuallererst zu einer geistlichen Reise ein. Wir beginnen mit Gebet, wir sprechen über bestimmte Fragen – und sind in erster Linie eingeladen, wirklich zuzuhören. Zuhören ist eines der großen Worte hier. Zuhören hat gewissermaßen theologische Dignität. Jeder ist immer auch eingeladen zu sagen, was er vom anderen gehört hat. Polarisierungen sollen überwunden werden. Es soll auf einer tieferen Ebene in größere Einheit gefunden werden.

Aus der Ferne nimmt man eine große Unübersichtlichkeit wahr. Gab es einen roten Faden?

Die drei großen Themen waren: Gemeinschaft, Mission, Teilhabe. Sie haben den roten Faden gebildet, immer unter begleitet von der Gesamtfrage: Was meint eigentlich „Synodalität“?

Was nehmen Sie speziell für die Gläubigen in Deutschland und im Bistum Passau mit?

Zunächst einmal werde ich von der Erfahrung erzählen. Von der unglaublichen Vielfalt der katholischen Weltkirche – und von der Möglichkeit, sich von unterschiedlichsten Erfahrungen und Überzeugungen her – wirklich auf eine gemeinsame Reise zu machen. Ich hoffe sehr, dass wir auch bei uns immer wieder neu in eine echte Kultur der gegenseitigen Wertschätzung auch bei unterschiedlichen Positionen finden, die dann auch auf andere ausstrahlt.

Der Theologe Thomas Söding sieht mit Blick auf den Inhalt der Synode eine kirchengeschichtliche Zäsur, da es nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil noch nie einen so großen Aufwand gegeben habe, dass sich die katholische Kirche mit ihrer eigenen Verfassung beschäftigt. Hat er recht?

Ja, ich glaube, diese Synode stellt tatsächlich auch so etwas wie die Verfassungsfrage. Denn die „Bischofssynode“ ist ursprünglich nach dem letzten Konzil als ein kollegiales Beratungsorgan mit und für den Papst eingerichtet worden. Weil das Konzil gesagt hat, dass die Bischöfe zusammen mit dem Papst die höchste Autorität in der Kirche bilden. Nun sind aber diesmal viele andere Menschen dabei, Frauen und Männer aus allen Bereichen unserer Kirche, die keine Bischöfe sind. Und das ist erstens eine gute Erfahrung. Und stellt deshalb zweitens die Frage, was das für die Zukunft bedeutet im Blick auf das Verhältnis von Kirche als Gemeinschaft und Kirche mit hierarchischen Strukturen.

Spielte die spezifisch deutsche Diskussion um einen synodalen Weg in Rom eine irgendwie geartete Rolle? Lagen die wichtigen Themen der Foren des Synodalen Weges in Deutschland auf dem Tisch der Weltkirche?

Ja, natürlich. Mancher war skeptisch im Blick auf den deutschen Weg und befürchtete, der Papst wolle nun dasselbe in Rom wiederholen. Andere hatten die Hoffnung, die Deutschen würden mit ihren Themen nun die Richtung vorgeben und helfen sie auf der Ebene der Weltkirche durchsetzen helfen. Beides stimmt nicht. Die Themen der Deutschen sind hier auch da – aber unter vielen anderen. Und auch in ganz unterschiedlicher Wahrnehmung. Aber wie der Papst immer wieder wiederholt hat: Es geht ihm nicht darum, zuerst die Lehre der Kirche zu verändern, sondern vielmehr darum zu lernen, neu Kirche zu werden – in synodaler Weise. Und wenn mir neu etwas deutlich wurde: Was beim deutschen Weg bisher „synodal“ genannt wurde, ist in jedem Fall nicht das, was Franziskus mit Synodalität meint. Ein wesentlicher Unterschied war beispielsweise der geschützte Raum: Medien von außen waren bewusst nicht bei den Sitzungen dabei, damit wirkliche innere Freiheit der Redens und Hörens gelingt.

Wie urteilen die verschiedenen Ortskirchen über die deutsche?

Auch wieder ganz unterschiedlich. Für einige sind wir Deutschen Vorreiter für progressive Themen –  andere fürchten genau dieses. Und natürlich wird wahrgenommen, dass auch wir – zusammen mit vielen Ortskirchen im Westen – in einem dramatischen Prozess der Säkularisierung sind. Ein Bischof aus Afrika sagte beispielsweise: Ihr im Westen seid oftmals schon zweitausend Jahre alt als Kirche – und beschäftigt euch heute mit Themen einer sterbenden Kirche. Wir sind manchmal erst hundert Jahre alt und haben im Grunde eben erst begonnen, bestimmte, für uns sehr heilsame Lehren kirchlicher Moral zu implementieren.

Sie selbst sehen den deutschen synodalen Weg kritisch. Haben Sie in Rom neuer Erkenntnisse gewonnen, die zu mehr Miteinander innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland verhelfen?

Ja, ich glaube, je mehr wir verstehen, was Papst Franziskus mit Synodalität meint – und dass es tatsächlich zuerst ein geistlicher Weg ist, desto mehr kommen wir hoffentlich auch dem Weg Jesu nahe, in dessen Person liebende Zuwendung zu allen einerseits und Treue zur Wahrheit andererseits nicht getrennt, sondern geeint waren.

Kann von der Weltsynode ein klares Signal ausgehen, dass die katholische Kirche reformbereit und reformfähig ist?

Wenn Sie mit „Reform“ das meinen, was in den Medien überwiegend damit identifiziert wird, nämlich die Positionierung zu den Themen wie Sexualmoral, Zölibat oder Priesterweihe für Frauen, dann sehe ich wenig von einem „klaren Signal“. Wenn Sie mit „Reform“ meinen, dass die Kirche wirklich ernst damit machen will lernen zu wollen, in der Nachfolge Jesu ausnahmslos jeden Menschen willkommen zu heißen, dann hoffe ich sehr, dass davon ein Reformsignal ausgeht.

Nehmen Sie Impulse mit oder auch Perspektiven, die in Deutschland einer am Boden liegenden katholischen Kirche helfen, aufzustehen?

In Deutschland neigen wir in vieler Hinsicht dazu, uns für unseren Glauben und unser Kirche-sein zu entschuldigen. Auch, aber nicht nur, wegen der dramatischen Erkenntnisse über den Missbrauch. Wir kümmern uns ja tatsächlich intensiv um dieses Thema – auf allen Ebenen. Aber wir dürfen trotzdem nicht vergessen, dass in unserer Kirche wirklich das ganz Große da ist – um das es zuerst geht, und für das wir uns nicht schämen müssen, im Gegenteil: Jesus ist gegenwärtig, mit ihm das Heil, mit ihm fängt der Himmel an. Mit ihm können wir Vergebung erfahren, immer wieder neu anfangen. Mit ihm ist kein Mensch jemals ganz verloren. Aber gelingt es uns, das heute so zu sagen und zu leben, dass es die Menschen wieder verstehen?

 


Im Interview mit dem Passauer Bistumsblatt sprach Bischof Stefan im Vorfeld über die Synode und resümierte im Nachhinein über die XVI. Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode. Auch das Statement in der Pressekonferenz kann hier auf dem Blog nachgelesen werden. Alle weiteren Infos zur Synode finden Sie hier.