„Bleib‘, wie du bist“! Ist das wirklich ein guter Wunsch? Über Veränderung: Die Ansprache von Bischof Stefan Oster bei der Jahresschlussandacht an Silvester 2018 im Passauer Stephansdom.
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
viele von Ihnen haben sicher schon einmal bei einem Wiedersehen nach längerer Zeit den Satz gehört: „Du hast dich gar nicht verändert“. Ein sehr nett gemeinter Satz. Oder vermutlich kennen Sie auch die folgende schöne Aufforderung – zum Beispiel als Geburtstags- oder Abschiedsgruß: „Bleib, wie du bist“. Auch sehr nett gemeint, denn derjenige, der das zu Ihnen sagt, meint damit meistens: „Ich mag dich, wie du bist – es kann so bleiben, denn so bin ich gern mit dir zusammen“.
„Bleib wie du bist“ oder Veränderung
„Du hast dich gar nicht verändert. Und: Bleib wie du bist.“ – Zwei Sätze, die mir immer wieder zu denken geben – und die mich manchmal erschrecken, weil sie uns so selbstverständlich über die Lippen kommen, auch uns Christen. Und wie gesagt – sie sind gut gemeint. Aber sind sie tatsächlich so gut, wie sie gemeint sind?
Zumindest möchte ich uns alle heute, am letzten Abend des alten Jahres 2018 ein wenig herausfordern und versuchen, diese Sätze mit Ihnen im Licht des Glaubens zu betrachten. Warum sagen wir solche gutgemeinten Sätze zueinander: Weil wir einander bestätigen wollen in unserem Gut-sein oder Schön-sein oder Alterslos-sein.
„Du hast dich gar nicht verändert“ – Klingt das gut?
„Du hast dich gar nicht verändert“ – meint meistens zuerst die äußere Erscheinung – und will oft sagen: „Jetzt haben wir uns einige Jahre gar nicht gesehen – und du siehst immer noch genauso gut und jung aus, wie damals“. Oder manchmal höre ich selbst auch von alten Bekannten sinngemäß: „Jetzt bist du schon über vier Jahre Bischof und hast dich gar nicht verändert“ – und sie sollen wohl sagen: „Wir verstehen und begegnen uns auf einer persönlichen Ebene immer noch so wie damals. Das Amt hat dich zumindest nicht komisch oder elitär oder irgendetwas ähnliches gemacht.“ Meinen sie.
Wie wäre es also, wenn Sie nächstes Jahr an Silvester von alten Bekannten hören würden: Wieder ein Jahr vergangen – und du hast dich gar nicht verändert! Ganz ehrlich, liebe Schwestern und Brüder, wenn so ein Satz nicht mehr als nur nett gemeint wäre, sondern von jemand gesagt würde, der mich intensiv kennt und mir wirklich gut will, dann würde er mich zumindest nachdenklich machen oder sogar bekümmern. Denn ganz ehrlich: Ich will mich ja verändern – und vor allem: Gott will es auch!
Kann sich ein Mensch überhaupt verändern?
Die Frage ist nur: Kann sich ein Mensch überhaupt verändern? Und wenn ja, unter welchen Umständen verändert er sich? Oder wenn nein, wenn sich ein Mensch nicht verändern kann, ist es dann nicht schon ziemlich gut, wenn er den Status Quo einigermaßen beibehalten kann und eben: bleiben, wie er ist?
„Bleib, wie du bist!“ Mir scheint, dass in unserer Gesellschaft im Grunde unausgesprochen diese Auffassung eher zu dominieren scheint, nämlich, dass Veränderung für einen Menschen eigentlich kaum möglich oder oft auch gar nicht gewollt ist – und dass es dann schon ziemlich gut wäre, wenn alles beim Alten bliebe. Denn es gibt ja tatsächlich in fast jedem von uns auch diese Seite, die eher Angst hat vor Veränderung.
Wenn die Dinge ihren gewohnten Gang laufen, bin ich dankbar, dann muss ich mich weder selbst verändern, noch muss ich mich auf Veränderung einstellen, Routine entlastet. „Und: Es passt ja eh alles! Also, bleib, wie du bist.“ Und womöglich spüren wir, dass uns Veränderungen vor allem dann beunruhigen, wenn wir selbst sie nicht kontrollieren können. Wir wissen dann nicht, was da auf uns zukommen kann – und was das dann mit mir und meinem Leben machen wird.
Die Sympathie mit meinen negativen Seiten
Es gibt also tatsächlich in uns die Seite, die gern am Gewohnten hängt, wenn alles einigermaßen gut läuft; die Seite, die keine Veränderung wünscht – weil so vieles Gutes in unserem Leben eben gewohnheitsmäßig dahingeht. Nur das Problem dabei ist, dass auf diese Art auch manches Negative irgendwie weiterläuft oder gar zum liebgewonnenen Gewohnten wird, wenn wir ehrlich zu uns sind.
Beispielsweise so etwas wie: Ich esse oder und trinke vielleicht zu viel oder zu ungesund; ich bewege mich zu wenig; ich rauche zu viel; ich habe mir angewöhnt und es ist mir auch irgendwie lieb geworden, über die komische Nachbarin zu tratschen; ich halte mich für besser als den armen Flüchtling da drüben; ich bin neidisch auf den reichen Cousin, will es aber nicht zugeben;
ich halte mich eigentlich für zu wenig intelligent oder gebildet und habe Angst, dass es jemand merkt; ich konsumiere viel zu viel Internet und Fernsehen – und sollte endlich mal wieder was Vernünftiges lesen; ich würde gerne gut zuhören, aber ehrlich gesagt interessieren mich die anderen nicht wirklich; ich habe Angst vor der Zukunft, gebe mich nach außen aber immer super optimistisch;
ich kann nicht ertragen, dass der Kollege in meinem Job den Vorzug vor mir bekommen hat – und daher suche ich permanent nach schlechten Eigenschaften an ihm… und so weiter und so fort. Wer von uns, liebe Schwestern und Brüder, könnte nicht solche und ähnliche Dinge aufzählen, die das eigene Leben eben auch gewohnheitsmäßig prägen – und eben nicht zum Guten?
Was ist eigentlich „menschlich“?
Also, ein: „Bleib wie du bist“ – kommt mir hier schon komisch vor. Und „Du hast dich gar nicht verändert“, noch komischer. Ja, frag ich mich: Schauen einem Menschen, die so etwas sagen, gar nicht ins Herz? Sehen die nicht, dass es im Gegenüber kein wirklich heiles Herz gibt? Oder ist es so, dass wir uns alle mit dem Status quo zufriedengeben und uns gegenseitig einfach so akzeptieren, wie wir uns vorfinden; und wir entschuldigen uns dann insgeheim noch dafür, dass wir so sind, weil wir uns ohnehin nicht mehr ändern können.
Ist doch alles so menschlich… Bleib, wie du bist. Und auch hier genauer hingesehen, ist es wirklich erstaunlich, liebe Schwestern und Brüder, was alles für Untaten wir manchmal bereit sind unter der Überschrift „menschlich“ zu rechtfertigen. „Lüge? Nein, ist doch eher bloß eine Notlüge, mei ist doch menschlich“ Oder: „Der Nachbar ein Ehebrecher, mei, ist doch nur menschlich, schau dir doch seinen Besen daheim an, da hätt ich auch gern a andere.“ „Mobbing am Arbeitsplatz? A geh, ist doch nur menschlich, dass ma mal was sagt. Und der Kollege ist aber auch wirklich ein seltener Idiot.“
Das Schlechte in mir wird ohne Veränderung noch schlechter
Ja, so sind wir eben auch. Menschliche Menschen mit schlechten Angewohnheiten und inneren Regungen, die wir in anderen oft verachten, und denen wir selbst oft nicht entkommen. Bleib wie du bist!? Womöglich ist eben das unser Grundproblem, nämlich die Haltung: „Veränderung braucht es im Großen und Ganzen eigentlich gar nicht, das Gute passt eh, und das Schlechte ist so schlecht auch wieder nicht – und im Grunde glaub ich eh nicht dran, dass ich mich verändern kann. Irgendwann ist der Zug ohnehin abgefahren. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. So bin ich halt – und ja, am besten bleib ich wie ich bin.“
Also doch: Bleib, wie du bist? Aber auch hier sollten wir uns keinen Illusionen hingeben. Bei dem, der einfach nur so bleiben will, wie er ist, da lehrt die Erfahrung, dass sich Veränderungen dann eben schleichend und unbemerkt ergeben – und zwar für alles, was ich laufen lasse. Die schlechte Angewohnheit wird noch schlechter. Der, der heute gerne lästert, wird im Alter nicht weniger, sondern mehr lästern. Dinge wie Süchte, Bosheiten, Selbstverachtung und Verachtung anderer bleiben nicht einfach konstant, sondern sind eher wie Tumore, die zum schleichenden Wachstum neigen – aber irgendwann eben doch wuchern. Schlechter werden wir im Älterwerden oft von selbst. Und eben nicht einfach besser.
Leiderfahrung hat Veränderungspotential
Aber kann sich dann der Mensch überhaupt zum Besseren verändern, liebe Schwestern und Brüder? Als ich noch ein Pater im Kloster war, hat einmal ein Arzt zu mir gesagt: „Herr, Pater, wir beide haben im Grunde ein ähnliches Problem. Ich möchte, dass die Leute aufhören zu rauchen, zu saufen und dass sie sich mehr bewegen – und sie tun es erst, wenn es ihnen dreckig geht. Und Sie wollen, dass die Leute sich zu Gott bekehren – und sie tun es erst, wenn es ihnen dreckig geht.“
Dieser Arzt war offenbar ein Realist – und er hat uns zumindest einen Kandidaten genannt, der Veränderung bewirken kann: Die Leiderfahrung. Manchmal werden Menschen von schweren Schicksalsschlägen getroffen – und wenn wir ehrlich sind, erleben wir bisweilen solche, die daran zerbrechen oder verbittert werden. Aber wir erleben auch solche, die daran innerlich wachsen und aus der Leiderfahrung verändert und neu hervorgehen. Sie waren so am Boden, dass sie sich entschließen neu und anders wieder aufzustehen.
Sinn- und Beziehungserfahrung ebenfalls
Ein zweiter Kandidat für positive Veränderung sind Sinnerfahrungen: Ich entdecke irgendetwas, was mir von neuem Freude macht, Sinn schenkt, Tiefe schenkt, etwa ein neues Hobby, eine interessante neue berufliche Tätigkeit oder das Entdecken einer neuen Fähigkeit, die mich bereichert. Ich lasse mich darauf ein – und spüre, mein Leben verändert sich positiv. Es bekommt mehr Farbe und mehr Freude, der alte Gram verschwindet.
Und drittens sind es die Beziehungserfahrungen, die verändern: Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, welche Kraft zur Veränderung freigesetzt wird, wenn ein Mensch sich verliebt; und vor allem dann, wenn er lernt, in Folge davon Verantwortung zu übernehmen – für den anderen und für sich selbst. Oder wenn Menschen Eltern oder Großeltern werden: Die Beziehung zu den Kindern, die Freude an ihnen, kann neue Kräfte freisetzen – und bringt Veränderung. Oder wenn ein Mensch von neuem spürt, dass sich ihm ein anderer ehrlich zuwendet und ehrliches Interesse für ihn hat – es kann Ausgangspunkt sein für Veränderung.
Es geht immer um ein erneuertes „Ja“
Immer geht es in diesen drei Punkten: Leid, Sinnerfahrung, Beziehungserfahrung um ein neues, ein tiefes Ja zum konkreten Leben im Hier und Jetzt. Das Leid fordert ein neues Ja trotz allem, vor allem zum eigenen Leben; die Sinnerfahrung lässt einen leicht von neuem Ja sagen zu dem, was man neu entdeckt und was Sinn und Freude schenkt; schließlich: die Beziehungserfahrung von Freundschaft und Liebe ist durchdrungen mit einem Ja zum anderen Menschen. Und auch indirekt von einem neuen Ja zu sich selbst.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, das Leben stellt einem immer wieder Gelegenheiten vor Augen, neu Ja zu sagen. In Leid-, in Sinn- und Beziehungserfahrungen – und das Geheimnis ist: Wer im Leben wirklich lernt, dieses Ja immer wieder neu zu sagen, Ja zu jedem Tag, Ja zu sich selbst, Ja zu den Mitmenschen – und letztlich in ein Urja, ein Grundja zum Leben und allen seinen Phasen und Augenblicken findet – der wird ein Mensch, der sich immer wieder positiv verändert – der lässt sich selbst vom Leben und seinen Gelegenheiten erneuern. Bleib wie du bist!? Hoffentlich bleibst du nicht einfach wie du bist, sondern wirst jeden Tag erneuert! Und reifer und tiefer und authentischer.
Nein zur Veränderung: Der Anwalt des Teufels
Aber, so wird hier der Anwalt des Teufels einwenden: Es gibt doch so viele Gelegenheiten, die uns nicht ja, sondern nein sagen lassen, und die uns auch das Leben verneinen lassen. Gerade das Leid, die Schicksalsschläge, Krankheiten, Todesfälle, der Alterungsprozess, die Erfahrung, dass sich alles doch immer wieder öde wiederholt, nichts Neues unter der Sonne. Dazu die Gier der Menschen, ihr Neid, ihre Lüge, ihre Gewaltbereitschaft, was auch immer. Lässt einen die Welt nicht am Ende doch eher zum Nein, zur Depression neigen, statt zum Ja?
Und hat nicht letztlich doch der Tod das letzte Wort, nicht das Leben? Und ist nicht genau das der tiefste Grund, dem Leben mein Ja vorzuenthalten, ja nicht zu viel auf Veränderung zu setzen – und halt doch gerade bestenfalls versuchen zu bleiben wie man ist. Den Status quo aufrechterhalten? Gut, dass du dich nicht verändert hast, denn das viele Schlechte im Leben macht es doch automatisch schlechter! Bleib wie du bist! Sind nicht gerade Altenheime die besten Zeugnisse dafür, die einem das Recht geben, depressiv zu werden. So viele, die hier nur noch die Zeit abzusitzen scheinen und warten, bis sie endlich dran sind!?
Petrus am Boden – und die Begegnung mit dem Meister
Liebe Schwestern und Brüder, an dieser Stelle der dramatischen Einwände gegen ein Ja zum Leben möchte ich mit Ihnen nun die Erzählung aus dem vorhin gehörten Evangelium betrachten, die unglaublich erstaunlich ist. Wir haben gehört, wie der Auferstandene Jesus dem Petrus begegnet. Der Text des Evangeliums hatte aber zuvor erzählt, dass die Jünger beim Fischen waren, nach dem Tod Jesu. Das heißt: Sie sind womöglich enttäuscht und desillusioniert vom Leben wieder in ihren alten Beruf zurück. Doch keine Veränderung! Doch nichts Neues unter der Sonne, am besten du bleibst doch wie du bist.
Sie hatten ja einmal auf den Wanderprediger Jesus gehofft, der so kraftvoll wie kein Zweiter lieben, predigen, heilen und Wunder wirken konnte. Er hatte vom Reich Gottes gesprochen, vom großen Ja des Vatergottes zu seinen Kindern. Sie hatten so gehofft, dass er dieses Reich endlich in Jerusalem würde anbrechen lassen – und sie hatten sich so getäuscht. Aus war es mit all seiner Kraft, sie hatten gerade in Jerusalem mit ansehen müssen, wie der vermeintliche Messias elendig wie der letzte Verbrecher am Kreuz gefoltert und getötet wurde. Alles vorbei.
Und in Petrus nagt vermutlich auch noch das schlechte Gewissen – hatte er nicht zuvor beim letzten Abendmahl wirklich großgetan, wirklich euphorisch gerufen: „Und wenn alle an dir Anstoß nehmen – ich niemals. Ich bin bereit, mein Leben für dich zu geben.“ Und dann? Als es darauf ankam. So lächerlich! So erbärmlich. Eine einfache Magd stellt ihn zur Rede und er leugnet und verleugnet. Und dann wieder und dann noch einmal – und der Hahn kräht. Wie muss das gebohrt haben in ihm, nachdem der Meister es ihm auch noch prophezeit hatte. Und jetzt in unserem Evangelium begegnet er nun am Ufer des Sees dem Meister persönlich, Auge in Auge sozusagen, von Herz zu Herz – er, Petrus, wird vom Auferstandenen befragt.
Keine Anklage, nur die Frage: Liebst du mich?
Hätte an dieser Stelle Jesus nicht allen Grund gehabt, ihn zur Rede zu stellen? So viel hatte er in Petrus investiert. So viel Training im Mitgehen mit Jesus, soviel Unterweisung in der Lehre vom Reich, vom Vater, von Jesus selbst. Soviel Zutrauen von Jesus in den letzten drei Jahren – und dann, als es darauf ankam, dieses jämmerliche Versagen des Petrus. Jetzt wäre eine riesige Standpauke mehr als berechtigt. Aber Jesus stellt nur eine Frage: Liebst du mich mehr als diese?
Und es ist als spürten wir die Antwort des Petrus – auch in ihrer Schwäche. Denn das griechische Wort, mit dem Jesus fragt, ist die Agape, die göttliche Liebe, die absichtslose Liebe – und Petrus gibt zur Antwort: Ja, Herr, Du weißt, dass ich dich liebe. Aber in seiner Antwort verwendet Petrus das Wort von der Philia, also von der freundschaftlichen Liebe – und Petrus geht auch nicht darauf ein, ob er Jesus mehr liebe als die anderen Jünger. Jesus fragt noch einmal in gleicher Weise, jetzt verwendet er wieder das Wort von der Agape, er lässt aber das „mehr als diese“ schon weg.
Und Petrus antwortet ihm auch wieder mit der Philia, wenn er sagt: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Schließlich ein letztes Mal – Petrus hattte Jesus dreimal verleugnet, jetzt wird er zum dritten Mal gefragt: Liebst du mich, aber jetzt verwendet Jesus auch den Begriff der Freundesliebe, der Philia, in seiner Frage – und Petrus wird traurig, weil ihn Jesus dreimal fragt – und wohl auch weil er spürt, dass in seiner Antwort noch viel Wachstum möglich ist, dass er hinter der Agape zurück bleibt, die sich Jesus wünscht, eben die Liebe, die umsonst ist. Jesus macht also zweimal Abstriche in der erneuerten Frage – und geht dem Petrus entgegen.
Weide meine Lämmer!
Aber das Unglaubliche ist dann eigentlich: Nach den Antworten des Petrus sagt Jesus jedes Mal: Weide meine Lämmer, weide meine Schafe. Das heißt für Petrus: Du bist jetzt wieder im Amt. Du bist jetzt wieder der Petrus. Obwohl du so jämmerlich versagt hat. Aber jetzt hast du auch das tiefste und wichtigste Kriterium für die Autorität deines Amtes. Das Kriterium ist nicht einfach, dass ich dir gesagt habe: Du bist der Chef.
Das Kriterium, an dem du zukünftig gemessen wirst – und mit dir jeder Amtsträger in der Kirche – ist die Liebe zu Jesus. Die Liebe, zu dem, der dich über alles liebt. Die Liebe zu dem, der in seiner Liebe nicht verurteilt – sondern immer noch einen Schritt weiter entgegenkommt. Und die Liebe zu dem, der uns zuerst geliebt hat, damit wir in der Tiefe unseres Herzens verstehen, dass wir einen Vater haben. Es ist die Liebe zu dem, der nicht nur das Leben in Person ist, sondern auch die Wahrheit und die Auferstehung und das Licht der Welt.
Erst jetzt beginnt Petrus zu glauben – und alles verändert sich
Petrus lernt jetzt erst, aus der Tiefe seiner Existenz, Ja zu sagen zu Jesus – zu dem, der unendlich viel größer ist als er selbst. Das heißt: Petrus lernt auch erst jetzt wirklich existenziell zu glauben. Er lernt nämlich zu vertrauen, dass es nicht die eigenen Kräfte und großen Sprüche sind, die ihm die Kraft schenken zum tiefsten Ja.
Er lernt, dass er erst durch die Erfahrung der eigenen Schwäche, des Leides hindurchmusste; er lernt, dass sein tiefster Sinn nicht darin besteht, ehrgeizig die eigenen Karrierepläne zu verfolgen, er lernt, dass er letztlich berührt werden muss von einer Liebe, einer Beziehung, die größer ist als diese Welt – damit auch er ein Ja sagen kann. Und zwar auch ein Ja, das größer ist als nur diese Welt. Und damit er in diesem Ja wachsen und seinem Herrn immer ähnlicher werden kann.
Jesus wird ihm das auch noch einmal bestätigen: Als du jünger warst, sagt er nach den drei Fragen, als du jünger warst, hast du dich selbst gegürtet und bist gegangen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. Und der Evangelist kommentiert: Das sagte Jesus um anzudeuten, durch welchen Tod Petrus ihn verherrlichen werde.
Auch wenn die Welt zusammenbricht: Gott bleibt da
Liebe Schwestern und Brüder, dieses Evangelium ist für unsere Frage von einer ungeheuerlichen Tiefe in so vieler Hinsicht. Ich habe versucht, Sie in Gedanken mitzunehmen in der Frage, ob sich ein Mensch verändern kann. Und wir haben Gründe für und wider gefunden. Aber wir sind zunächst bei den Argumenten gelandet, die da sagen, dass am Ende Leid und Tod das letzte Wort haben. Und dass daher die dramatische Frage auftaucht, warum ich angesichts all dessen, was auf mich wartet, trotzdem immer wieder Ja sagen sollte.
Hier haben wir die Antwort: Es gibt einen Gott, der sich uns in Jesus zugesagt hat, und der auch dann noch da bleibt, wenn die ganze Welt um uns zusammenbricht. Er bleibt da, wenn Veränderungen kommen, in Politik, in Ökologie und Gesellschaft, in den Formen unseres Zusammenlebens, in den großen Krisen Europas, in den Krisen der Demokratie und der Kirche, der Umwelt und der Medien. In den Krisen unseres Zusammenlebens und Zusammenhaltes.
Vielen, liebe Schwestern und Brüder, macht die Welt von heute Angst mit ihren vielen, oft dramatischen Veränderungen. Und viele kümmern sich vor lauter Angst dann verständlicherweise erst einmal um sich selbst. Denn wenn außen rum alles wankt, dann bilden wir uns immerhin ein, dass unser Ego noch stabil bleibt. Und es rafft zusammen, es baut um sich Mauern der vermeintlichen Sicherheit – die aber leider allzu oft zugleich Mauern der Kälte und der Egozentrik sind.
Christus fragt auch mich und dich: Liebst du mich?
Der Christ, die Christin lässt sich mit Petrus von Jesus anschauen und fragen: Liebst du mich? Ich möchte Ihnen zusagen: Je mehr Sie lernen, ihn zu lieben, desto mehr wollen Sie ihn kennenlernen. Und je mehr Sie ihn kennenlernen, desto tiefer wird wieder die Liebe und das Vertrauen. Und mit dem Vertrauen, der Kenntnis und der Liebe wird auch der Frieden in ihnen wachsen und die innere Ruhe. Weil Sie den kennen, der der einzige ist, der wirklich bleibt, wie er ist.
Und zugleich damit wächst auch Ihre geistliche Autorität, egal wo Sie stehen. Sie alle, liebe Schwestern und Brüder, haben einen unvertretbaren Weg, Sie alle haben einen Ort, wo nur Sie stehen und hingestellt worden sind. Und nur Sie können dort mit dem, was Ihnen geschenkt ist, ein Zeugnis davon geben, dass in Jesu Kommen der Himmel aufgegangen ist. Und wenn Sie dann jemand fragt, woher Sie das große Ja in sich haben, die Freude und Zuversicht, dann können Sie aus vollem Herzen sagen: „Weil ich den kenne, der mich ohne Ende liebt und ein großes Ja zu mir gesprochen hat.“
Es gibt mehr als alles
Liebe Schwestern und Brüder, aus so einer Haltung wächst auch unsere Fruchtbarkeit, auch unsere Fähigkeit zum Zeugnis und zum Engagement für eine bessere Welt, für die Menschen, für die Umwelt, für den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Unsere Welt braucht die Glaubenden, die Zeuginnen und Zeugen von einem inneren Ort der Ruhe, von einer Beziehung, die nicht totzukriegen ist – weil der Geliebte das Leben selbst ist – und er bleibt.
Freilich: Christen sind oft deshalb nicht recht gemocht, weil sie Spielverderber sind für ein Spiel, das da heißt: Die Welt alleine ist genug. Nein, die Welt ist nie genug. Es gibt mehr als alles – es gibt den Sieg der Liebe, die durch Jesus gekommen ist. Aber in uns allen gibt es auch denjenigen Petrus, der dazu geneigt ist, dieses Spiel der sich selbst genügenden Welt mitzuspielen, oder auch den, der geneigt ist, wegzulaufen, wenn es ernst wird. Oder es gibt den, der geneigt ist, die Sachen dann doch beim Alten zu lassen und wie Petrus im alten Beruf zu bleiben. Bleib einfach wie du bist. Passt schon. Hast dich gar nicht verändert!
Ja zur Veränderung: Bitte, Herr, lass mich nicht so bleiben, wie ich bin!
Gegen diesen Petrus in uns wollen wir nun dem Herrn an der Schwelle zum Neuen Jahr zurufen: Um Gottes willen, Herr, verändere mich. Mach mich reifer im Vertrauen auf deine Gegenwart, größer in der Liebe zu dir und den Menschen, hingebungsvoller in meinem Engagement für die Kirche und die Welt, weitherziger besonders für die Not der Menschen.
Verändere mich, Herr, lass mich nicht stehen bleiben, aber lass mich nur in dir bleiben, weil du der einzige bist, der bleibt. Lass nichts so, wie es ist, auch mich nicht, sondern sende immer neu deinen Geist und erneuere das Angesicht der Erde. Amen.
„Du musst dein Leben ändern!“ – Die Ansprache von Bischof Stefan Oster zur Jahresschlussandacht des Vorjahres finden Sie hier.
Die Predigt zur Jahresschlussandacht 2019 finden Sie hier.