Vom Jesus-Bild zur echten Berührung. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Fest Maria Hilfe der Christen in Mariahilf ob Passau 2017.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wie Sie vermutlich verstehen, ist dieser Tag ein besonderer für mich. Dieser 24. Mai ist für uns Salesianer Don Boscos ein Hochfest in der Ordensgemeinschaft. Aber er bezieht sich zunächst auf die Zeit vor Don Bosco, nämlich auf das Jahr 1814. Da ist Papst Pius VII. völlig unerwartet aus der napoleonischen Gefangenschaft befreit worden und konnte an eben diesem 24. Mai wieder nach Rom zurückkehren. Daher hat der Papst diesen Tag als Maria-Hilf-Fest für die Kirche bestimmt. In der Gesamtkirche ist der Tag aber eher unbeachtet und hinter der Bedeutung anderer Marienfeste zurückgeblieben.
Vom Jesus-Bild zur echten Berührung
Mein Ordensvater Don Bosco allerdings hat ab 1862 begonnen, die Mutter Gottes unter genau diesem Titel zu verehren: auch wieder weil die Situation in Italien zwischen Staat und Kirche politisch sehr schwierig war. Auxilium Christianorum, Hilfe der Christen heißt dann auch die große Kirche, die er in Turin gebaut hat und in der er später selbst bestattet wurde.
Sie ist heute so etwas wie die Mutterkirche für all die vielen Orden und Gemeinschaften, die in Don Bosco ihren Gründer oder Impulsgeber sehen. Ausgangspunkt für seinen Einsatz für diesen Marientitel war damals mit einiger Sicherheit eine Marienerscheinung im italienischen Spoleto: Jetzt, so war Don Bosco überzeugt, ist das ein Zeichen des Himmels, dass die Mutter Gottes besonders gebraucht wird für den Schutz und das Leben der Kirche vor allem gegenüber staatlichen Übergriffen.
Marienverehrung in Süddeutschland und Österreich
Womöglich aber wusste Don Bosco auch um die Marienverehrung unter diesem Titel vom süddeutschen und österreichischen Raum her. Hier hatte die Maria-Hilf Verehrung besonders im späten 17. Jahrhundert ihren Aufschwung genommen, als sich Europa erfolgreich gegen den Ansturm durch das osmanische Reich behauptet hatte.
Und unsere Maria-Hilf-Kirche hier über der Stadt Passau, war ein, wenn nicht der Ausgangspunkt dieses Aufschwungs der Maria-Hilf-Verehrung, besonders dieses Gnadenbild hier in der Kirche. Denn der Habsburger Kaiser Leopold I. war vor der Belagerung Wiens aus der Stadt nach Passau geflohen und hat mit seiner Frau täglich vor diesem Bild um den Sieg gebetet. Und seit dem 17. Jahrhundert haben hunderte von Kopien dieses Bildes in vielen, vielen Kirchen und Kapellen Einzug gehalten, auch in meiner Heimatstadt Amberg, wo ich unter dem Maria-Hilf-Berg groß geworden bin.
Der 24. Mai und das Fest Maria Hilf
In der kirchlichen Welt von heute aber ist mein Ordensvater Don Bosco der Hauptverantwortliche dafür, dass der 24. Mai, das Maria-Hilf-Fest, an vielen Orten der Welt, vor allem in den Häusern der Salesianer und der Don Bosco Schwestern als großes Fest gefeiert wird. Don Bosco war immer überzeugt, dass die eigentliche Gründerin unserer Ordensgemeinschaften sie war, die Hilfe der Christen.
Und nun bin ich ausgerechnet an diesem Tag zum Bischof hier in Passau geweiht worden – und zwar ohne, dass ich es selbst so festgelegt hätte. Die himmlische Regie wollte es so oder der Terminkalender von Kardinal Marx, der nur an diesem Tag Zeit hatte, die Weihe vorzunehmen. Und so war es mir auch sehr bald ein Anliegen, die Verehrung der Mutter des Herrn auch unter diesem Titel zu fördern, wo wir nun schon so ein wunderbares Heiligtum hier auf der Anhöhe über der Stadt haben und das von den Paulinern so gut betreut wird: Wir feiern also eine Maria-Hilf-Woche.
Vom Jesus-Bild zur Berührung: Wie geht Evangelisierung heute?
Liebe Schwestern, liebe Brüder, Sie wissen vermutlich auch, dass wir uns heute sehr intensiv die Frage stellen, wie kann Evangelisierung gelingen in einer Zeit, in der unser Glaube so deutlich angefragt wird, in der wir als Kirche so große Herausforderungen zu bewältigen haben, in der wir vor der Frage stehen, warum denn der Glaube für viele Menschen so gar keine Bedeutung mehr hat, keinerlei Relevanz. Eine der Antworten der Menschen ist sicher: Wir haben doch alles, uns geht es doch bestens – wofür einen Gott? Noch dazu einen Gekreuzigten, der uns auffordert, das Kreuz zu tragen?
Wir als Gläubige müssen darauf auf jeden Fall eine Antwort geben und vielleicht auch neu geben. Eine Antwort auf die Frage: Wer ist eigentlich dieser Gekreuzigte? Und je mehr wir uns mit ihm befassen, besonders auch mit dem Evangelium, desto mehr kann in uns die Erkenntnis wachsen: Er ist die faszinierendste, großartigste Gestalt, die je über diese Erde gelaufen ist.
Er war von solch unglaublicher Klarheit, Tiefe, Majestät, innerer Schönheit, Liebe, Wahrhaftigkeit, Demut, dass die Menschen, die ihm innerlich wirklich nahegekommen sind, nicht anders konnten, als vor Ihm niederzufallen. Sei es ausdrücklich oder von der inneren Haltung her. Christus erkennen, mit dem Herzen erkennen, und sich dann von Ihm wirklich berühren lassen, das ist der Anfang jeder neuen Evangelisierung.
Es gibt im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Annahme oder Ablehnung
Es ist auch der Anfang unserer Umkehr. Denn warum hat er auch vielen Menschen Angst gemacht, auch solchen, die ebenfalls etwas von seiner Majestät erahnt haben? Weil sie wussten: innere Nähe zu Christus fordert auf zur Umkehr, es fordert auf, sich das Herz erneuern zu lassen. Oder eben nicht: Die innere Nähe zu Christus führt in die Entscheidung: Ist er es wirklich? Ist er wirklich „der Heilige Gottes“, wie Petrus ihn nennt? Ist er wirklich derjenige, an dem niemand vorbeikommt? Der, an dem sich die Geschichte der Welt und jedes einzelnen Menschen entscheidet?
Wenn ja, dann muss ich ihm den Thron meines Herzens überlassen, umkehren, neu sehen, neu denken lernen – von ihm her. Und vertrauen lernen, dass er uns wirklich nach Hause führt ins Reich seines Vaters. Wenn nein, muss ich ihn ablehnen, muss allerhand Gründe finden, warum er es nicht sein kann.
Das Herz braucht Gründe für die Ablehnung
Ein Scharlatan, haben sie damals schon gesagt, ein Gotteslästerer, ein Besessener, ein Volksaufwiegler, einer, der sich mit dem Abschaum der Gesellschaft einlässt, einer, der aus einem Ehebruch stammt, einer der viel mehr versprochen hat, als er halten kann: Soll er doch mal vom Kreuz runtersteigen, wenn er schon so die Klappe aufgerissen hat! Alles Vorwürfe gegen ihn in der Bibel.
Es ist immer dasselbe, Schwestern und Brüder: wenn mein Herz sich ihm nicht überlassen will oder kann, dann braucht es Gründe, um ihn abzulehnen oder wenigstens, um in der Distanz zu bleiben zu ihm. Und solche Gründe gibt es auch in der Welt von heute, und sogar in der Kirche, in der Theologie: Wir sprechen dann zum Beispiel von verschiedenen Jesus-Bildern.
Das Jesus-Bild und der wirkliche Jesus
Welches Jesus-Bild hast denn Du, fragen wir? Und bei manchem klingt es so, als stünden uns diese Jesus-Bilder wie eine Art Auswahl zur Verfügung und wir könnten dann wählen, was uns am sympathischsten ist. Oder wir sprechen von den verschiedenen Schichten, in denen die Bibel entstanden ist – und von den Interessen der Autoren, die uns diesen Jesus überliefern. Der eine nimmt ihn für die soziale Problematik in der damaligen Gemeinde in Anspruch, der andere für seine Position gegen die Synagoge von damals.
Die Katholiken nehmen ihn in Anspruch, um ihren Papst zu rechtfertigen und die Protestanten, um Paulus Recht zu geben, als er gegen Petrus aufgestanden ist. Oder politisch: Die Sozialisten finden ihn gut, sofern er linke Positionen vertritt; die Rechten, sofern sich mit ihm nationale Identität sichern lässt, die Feministinnen, sofern er die Rechte der Frauen hochhält, die Ökologen sofern er die Tiere und Pflanzen liebt und die Tiefenpsychologen sofern er eine psychologische Richtung bestätigt – am besten die, mit der sich gerade gut Geld verdienen lässt.
Jesus-Bild? Wir machen uns alle Bilder von ihm
Liebe Schwestern und Brüder, in all solchen Versuchen steckt immer auch ein Kern oder ein Aspekt von Wahrheit, sicher. Aber mehr noch gibt es in uns allen etwas, das dazu neigt, sich Jesus eben so zu vereinnahmen, wie es den eigenen Bedürfnissen entspricht. Und ja, wir machen uns alle auch Bilder von ihm, wir kommen gar nicht ohne Bilder aus.
Aber die große Frage ist: Kommen wir durch diese Bilder und Vorstellungen hindurch auch in die echte Berührung mit der Wirklichkeit Jesu? Gibt es durch all die Weisen der Vermittlung hindurch eine innere Begegnung, die dann von Ihm bestimmt wird und nicht von mir und meiner Vorstellung? Gibt es die Möglichkeit, dass Er mich verwandelt – und nicht nur ich ihn für mich und meine Zwecke vereinnahme?
Es gibt die wirkliche Berührung
Die Christen aller Zeiten haben diese Frage bejaht. Ja es gibt diese Begegnung, diese Berührung und sie ist der eigentliche Anfang des Christseins: Am Anfang steht die Erfahrung von Begegnung, von Beziehung – und nicht Bilder und Texte und Interessen. Bevor die Bibel entstanden ist, sind die Jünger dem Herrn selbst begegnet. Und sie sind seither selbst Zeugen der Begegnung für andere geworden.
Diejenigen, die den Herrn lieben, die ihm begegnet sind und sich haben verändern lassen – durch sie vor allem begegnen andere wieder dem Herrn. Das, liebe Schwestern und Brüder, ist Kirche im Innersten: Menschen, in denen Christus gegenwärtig ist, nicht nur in Wörtern, in Bildern, in eigenen Interessen, sondern in der Kraft des Geistes Gottes und in der Liebe. Der Geist führt in alle Wahrheit ein, sagt der Johannes-Evangelist.
Maria: Begegnung mit Jesus von Herz zu Herz
Und damit sind wir zurück bei Maria, der Hilfe der Christen: Wenn Sie wissen wollen, wer im tiefsten Sinn jemals eine Zeugin Jesu war, eine, deren ganzes Leben bestimmt war von der Gegenwart Gottes in ihr, dann ist es Maria, unsere Mutter, Mutter aller Christinnen und Christen und unsere Helferin auf dem Weg zu Jesus. Ich durfte irgendwann auf dem Weg ins geistliche Leben verstehen, dass sie in gewisser Weise die Kirche in Person ist, der eigentliche Wohnort Jesu in der Welt: In ihrer Nähe, in der Kirche begegnet uns Jesus über bloße Bilder hinaus, in ihrer Nähe kommen wir dem Herrn näher, von Herz zu Herz.
Deshalb, liebe Schwestern und Brüder, hat unser Papst Franziskus in seinem ersten großen und programmatischen Schreiben Evangelii Gaudium so deutlich auf Maria verwiesen. Er schreibt: „Zusammen mit dem Heiligen Geist ist mitten im Volk immer Maria. Sie versammelt die Jünger, um ihn anzurufen, und so hat sie die missionarische Explosion zu Pfingsten möglich gemacht.“ Liebe Gläubige, dieses Wort darf uns noch einmal nahegehen: Maria hat „die missionarische Explosion an Pfingsten möglich gemacht“, sagt Papst Franziskus. Und er fügt hinzu: „ohne sie können wir den Geist der neuen Evangelisierung nie ganz verstehen.“
Und so bitten wir heute an der Seite der Hilfe der Christen: Komm Heiliger Geist, komm auf die Fürsprache Mariens auch in unsere Herzen. Entfache das Feuer deiner Liebe, lasse auch heute unter uns eine missionarische Explosion der neuen Evangelisierung geschehen. Lass uns alle im Herzen Jesus begegnen und lass uns Ihn wahrhaftig verkündigen, hier in unserem Bistum Passau und in deiner ganzen Kirche. Und segne vor allem unsere Maria-Hilf-Woche im kommenden Monat. Amen.