Priester heute: Zwischen Verdacht und Verfügbarkeit für Christus

Über den Priester heute. Die Predigt von Bischof Stefan Oster bei der Missa chrismatis 2020 aus der Andreaskapelle am Passauer Dom. Mit der Weihe der heiligen Öle und der Erneuerung des priesterlichen Versprechens. Der Gottesdienst wurde aufgrund der Corona-Vorgaben live übertragen.

Priester heute: Das angefragte Priestertum

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, besonders auch liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst,
wie sehr und wie oft ist doch unser katholisches Priestertum angefragt – in unseren Tagen besonders, aber im Grunde immer wieder in der Geschichte der Kirche, besonders natürlich auch in der Zeit der Reformation.

Das Priestertum ist für nicht wenige Menschen Stein des Anstoßes, Stachel im Fleisch, Provokation. Es ist verbunden mit einem Lebensstil, der heute mehr denn je Unverständnis erzeugt – im günstigeren Fall nur Unverständnis – im ungünstigeren erregt es gleich Verdacht. Und der Verdacht ist auch noch befeuert worden durch die fürchterlichen Erkenntnisse aus der Missbrauchskrise.

Die Missbrauchskrise und die Priester

Ja, einige Priester sind auch Täter, sind auch Verbrecher geworden und haben unfassbares Leid  verursacht – und natürlich ist es naheliegend, dass eine den Glauben verlierende Welt, diesen Zusammenhang zuerst herstellt: Der Zölibat muss schuld sein. Und zugegeben, dieser Verdacht trifft bisweilen auch zu: Es hat unter uns Priestern immer auch Männer gegeben, die sich von Gott berufen fühlen – und dann im Lauf der Zeit Erfahrungen machen, die sie eher wegführen vom Glauben selbst oder von der Überzeugung der Sinnhaftigkeit ihrer Lebensform.

Wenn tiefe Herzensüberzeugungen fehlen oder fallen, dann ist der Schritt zum Übertritt, zur Übergriffigkeit oft kein großer mehr. Und die Tür zu noch Schlimmerem kann aufgehen. Corruptio optimi pessima, sagt eine alte lateinische Weisheit. Die Entartung des Besten führt zum Schlimmsten. Wenn nun aber das ehelose Leben als Lebensstil Jesu etwas ist, was zum Besten gehört, dann kann seine Korruption tatsächlich zum Schlimmsten führen. Und das hat es auch und wir müssen uns wirklich um die Betroffenen kümmern und das uns Mögliche tun, dass es nicht mehr passiert.

Das Kostbare am Priestertum

Was aber wäre nun positiv dieser Reichtum, diese Kostbarkeit am Leben der Priester, auch an ihrem ehelosen Leben? Und warum wird es immer weniger verstanden und bisweilen verdunkelt? Schauen wir auf den Herrn selbst. Im heutigen Evangelium geht er in Nazareth, seiner Heimatstadt, am Sabbat in die Synagoge, wie gewohnt, heißt es im Text.

Wie er es eben schon als Junge getan hatte. Er bekommt die Buchrolle des Propheten Jesaja überreicht und liest eine berühmte Stelle vor, wo es um den Gesalbten des Herrn geht – und wie unter diesem das Recht und die Gerechtigkeit aufblühen werden, wo Armen die frohe Botschaft verkündet wird, Gefangenen die Freilassung, wo Blinde sehen und wo ein Gnadenjahr des Herrn ausgerufen wird.

Der unverstandene Gesalbte des Herrn

Und Jesus schließt die Buchrolle, setzt sich feierlich nieder und sagt: Heute, hier und heute, hat sich diese Prophezeiung erfüllt. Und er sagt damit indirekt: Ich, ich bin dieser Gesalbte des Herrn. Mit mir geht etwas Neues los, mit mir beginnt Heil und Heilung und Gerechtigkeit. Aber wenn wir den Text weiterlesen würden, dann könnten wir sehen, wie die Menschen am Anfang noch über ihn staunen und vermutlich Wundertaten erwarten, wie sie von anderswo gehört hatten.

Aber Jesus spürt zugleich, dass er eigentlich nicht verstanden wird. Sein Reich ist ja nicht einfach nur von dieser Welt, sein Reich beginnt in den erneuerten Herzen der Menschen, die sich von Ihm vergeben, berühren und verwandeln lassen. Die äußeren Wundertaten und Heilungen sind nie das Eigentliche; das Eigentliche ist, dass eine Liebe in diese Welt hineinkommt, die nicht von dieser Welt ist, die aber die Welt heilen und verwandeln kann.

Das Reich Gottes, von dem er redet, ist das Reich, in dem diese Liebe herrscht, in der deshalb gerade der Liebende, der Demütige, der sich Verschenkende groß ist. Das ist für die Menschen seiner Heimat keine leicht zu nehmende Botschaft, er dringt offenbar nicht durch. Er sagt: Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt. Er kann gar nicht wundersam wirken, weil er seine Wunder von innen nach außen wirkt. Aber die Nazarener lassen sich innerlich offenbar gar nicht berühren. Die Menschen sind enttäuscht, er erfüllt ihre Erwartungen nicht, sie jagen ihn aus der Stadt – und wollen ihn sogar umbringen. Aber er kann sich ihnen noch einmal entziehen.

„Es ist gut für euch, dass ich gehe“ (Joh 16,7)

Liebe Schwestern und Brüder, der Gesalbte des Herrn ist der Geistträger. Und ich möchte nun noch auf eine zweite Stelle zu sprechen kommen, die mich immer wieder beschäftigt. Jesus sagt vor seinem Abschied von dieser Welt im Johannes-Evangelium zu den Jüngern: „Es ist gut für euch, dass ich fortgehe – Andernfalls wird der Beistand nicht zu euch kommen.“ (Joh 16,7). Der Beistand ist der Heilige Geist. Die Jünger haben ihn noch nicht einfach, obwohl sie doch immer bei ihm waren. Sie haben ihn noch nicht in der Tiefe ihres Herzens, er ist noch nicht Grundlage ihrer innersten Überzeugung geworden – auch wenn sie schon immer wieder viel davon gespürt haben.

Warum aber ist es gut, dass Jesus geht? Nun denken Sie an das, was kommt, an den Karfreitag, an die Verhaftung Jesu am Ölberg, an sein Abgeführt-werden in die Verhöre und die Folter. Und jetzt denken Sie an die Jünger. Sie spüren auch noch nicht wirklich, wer er ist, warum er handelt, wie er handelt. Eben hat er das Abendmahl, die Eucharistie eingesetzt, hat ihnen aufgetragen, das immer wieder in Erinnerung an ihn und sein Sterben zu feiern. Aber im Grunde verstehen sie noch wenig.

Am Ölberg

Drei von ihnen, seine engsten Freunde, sind danach mit ihm am Ölberg, wo er in unfassbarem Ringen eine unfassbar umkämpfte Zeit verbringt, buchstäblich Blut und Wasser schwitzt. Er realisiert, dass der Vater will, dass er den Kelch bis zur bitteren Neige trinkt. Und er findet – wieder von innen her – in ein Ja, in eine Bereitschaft, den Abgrund der Sünde, des Hasses, der Bosheit der Welt an sich austoben zu lassen – bis zum äußersten, bis zum Tod am Kreuz. Dieser Freund aller Freunde ist am Ölberg in einer Not, die die Welt nicht zu fassen vermag. Er fasst sie – aber die Freunde schlafen ein.

Und kurz darauf wird er, der König der Gewaltlosigkeit, mit Gewalt, mit Schwertern und Knüppeln abgeholt; und wird der Freund aller Freunde durch einen Freundeskuss des Judas verraten! Und die anderen Freunde laufen alle feige davon. Nein, sie haben ihn in der Tiefe noch nicht verstanden – obwohl er ihnen das alles vor ihren Augen sichtbar, greifbar vorgelebt hatte. Sie versagen in seiner leiblichen Gegenwart. Und er hat deshalb gesagt, es ist gut für euch, dass ich fortgehe.

Die Jünger als gesalbte Gesandte

Wenig später ist er dann fort, tot – dann folgt das Wunder der Auferstehung, dann sehen sie ihn einige Zeit noch, dann wieder nicht mehr. Erst danach ist Pfingsten, erst danach folgt die  Erfüllung der Jünger mit dem Heiligen Geist, tief von innen her. Jetzt, gedemütigt und verwundet durch die eigene Untreue, waren sie bereit für die Aufnahme des Geistes. Erst jetzt realisieren sie mit ganzem Herzen, was er gemeint hat, was Reich Gottes bedeutet – und dass es nur durch ihn und sein Kreuz kommt.

Jetzt erst gehen sie weit hinaus, jetzt erst wirkt der Geist in ihnen die Fähigkeit, selbst für Jesus zu sterben. Es war tatsächlich gut, dass er gegangen ist, er der Geistträger, der Gesalbte. Denn dieses Fortgehen hat ermöglicht, dass die, die dageblieben sind, nun selbst Geistträger werden konnten. Geheiligt in der Wahrheit des Glaubens, gesalbt in der Kraft des Geistes, fähig zum Zeugnis, fähig zu einer Hingabe für die Menschen, die ihnen vorher nicht möglich war.

Priester: Zwischen Verfügbarkeit und eigener Hinfälligkeit

Liebe Schwestern und Brüder, vor allem liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst. Wir leben alle in der Zeit nach Pfingsten, wir sind alle Geistträger. Aber an dem, was ich versucht habe zu sagen, spüren wir, wie sehr wir es noch werden müssen. Aber wir haben Priester. Wir glauben, dass der Herr unsere Priester mit einer besonderen Gnade ausgestattet hat, gesalbt hat, begabt hat.

Wir glauben, dass sie berufen sind, in einer besonderen Verfügbarkeit für den Herrn zu leben und seine Lebensform nachzuahmen. Und wir glauben, dass sie Väter sein können und sollen, Väter des geistlichen Lebens, berufen den Menschen in die tiefere, in die innere neue Welt hineinzuhelfen; so dass die Menschen sagen können, der Glaube ist wie ein neues Geboren-werden.

Vater sein

Priester sind Väter der von neuem Geborenen. Sie haben die Kraft empfangen, aufschließende zu sein, und selbst aufgeschlossene Männer, die mit ihrem eigenen inneren Leben eingetreten sind in die Welt des Geistes; die mit ihrem Herzen erspüren, was Reich Gottes heißt; Männer, die realisieren, dass es eine Wahrheit zu glauben und eine Liebe zu leben gibt, die Jesus in Person ist. Es ist absichtslose Liebe, und absichtslos ist ein anderes Wort für lauter, für nicht besitzergreifend oder eben für keusch. So hat er gelebt und geliebt. Und so will er geliebt werden und dass wir durch ihn die Menschen lieben, besonders die Armen.

Liebe Schwestern und Brüder, was ich formuliert habe, das ist ein hoher Anspruch, den kein Christ und auch kein Priester leben kann, ohne von Jesus selbst getragen und geführt zu werden. Und jeder, jeder von uns Priestern ist auch ein Mensch, auch ein Sünder, braucht auch die Beichte und die tägliche Umkehr. Und jeder braucht Gebet, das eigene und das der anderen.

Aber als Katholiken in unserer Kirche wissen wir alle und weiß vor allem das Volk Gottes: Wo unser priesterliches Leben in all unserer eigenen Durchschnittlichkeit dennoch durch Gottes Gnade einigermaßen gelingt, da ist es ein ungeheurer Segen für die Kirche und für die Welt. Wir brauchen Priester, die sich nach dem innersten Geheimnis Jesu sehnen und es zu leben versuchen. Die als vom Herrn Gesandte die Öle der Heilung für die Kranken und für das Christwerden austeilen. Damit ER geliebt wird und damit wir alle von innen her heiler werden können.

Bleiben-beim-Herrn, um weit hinausgehen zu können

Liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst: Von Herzen danke ich Euch allen, die Ihr Euch täglich darum müht, treue Zeugen zu sein. Was für ein kostbarer Dienst für die Kirche. Ich bitte Euch von Herzen: Sucht die Stille, sucht das vertraute Gespräch mit dem Herrn – täglich. Nur so lernen wir weit hinauszugehen oder uns tief zu beugen, auch in die wirkliche Not der anderen.

Und nur so lernen wir ein eheloses Leben zu leben, das sich tragen lässt, das erfüllt sein kann, von seiner Gegenwart und seiner Freude. Besonders jetzt in dieser Zeit der Corona-Krise wünsche ich Euch Wege zu finden, in denen Ihr trotzdem Nähe zeigen und so hinweisen könnt auf den nahen Gott, der alle Menschen liebt. Danke von Herzen, dass Ihr Ja gesagt habt zu diesem Ruf und dass Ihr die Antwort auf diesen Ruf jetzt wieder erneuert. Amen.