Reich im Herzen und nicht im Geldbeutel: Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Gottesdienst anlässlich des Jubiläums 40 Jahre Telefonseelsorge im Bistum Passau 2015.
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
unser Heiliger Vater spricht oft und oft davon, dass wir Christen dazu berufen sind, an die Peripherien zu gehen, an die Ränder der Gesellschaft. Christen, das sind diejenigen, die ein Herz für die Menschen haben, die vom Leben weniger privilegiert sind. Und sie haben dieses Herz, weil sie sich selbst erfahren als Menschen, die vor Gott arm sind, die angesichts der Liebe und Zuwendung, die Gott für uns aufbringt, selbst arm sind.
Christen sind Menschen, die spüren, dass sie selbst aus dem Reichtum der Vergebung Gottes leben, einer Vergebung, die sie sich selbst nicht schenken können. Nur ein Mensch, der sich geliebt und getragen weiß, von woanders her, kann andere aufrichtig lieben.
Reich im Herzen, nicht im Geldbeutel
Und ein Mensch, der reich ist, materiell reich ist, der schon alles hat, der mit seinem Geld vermeint alles zu können, der sich alle Sicherheit selbst zu geben vermeint, der ist schwerlich in der Lage zu lieben. Er lebt ja vor allem aus dem Eigenen, aus dem selbst Erleisteten, nicht aus dem, was er selbst empfangen hätte, er kann nur kalkuliert geben, aus dem erworbenen Besitz, nicht damit es plötzlich zu wenig ist. Er kann also nicht sich selbst geben.
Wie schwer ist es für einen Reichen, sagt Jesus im Evangelium, ins Reich Gottes zu gelangen. Meine Lieben, wir hier in Deutschland sollten eigentlich vor einem solchen Wort erschrecken. Wir leben in einem der reichsten und wohlhabendsten Land der Welt.
Wer reich und stolz ist, braucht Gott nicht?
Nicht umsonst drängen die Flüchtlinge in unser Land, von denen viele nicht mehr haben als die Kleidung, die sie am Leib tragen. Und auch wenn wir in diesen Tagen viel Gutes und viel Engagement erleben dürfen, so gibt es auch ohne Zweifel in unserer Gesellschaft auch noch andere Züge. Durch unseren Reichtum neigen wir dazu, stolz zu sein, wir neigen dazu selbstherrlich zu sagen: Wir brauchen Gott nicht mehr.
Ein paar moralische Grundsätze des Evangeliums erkennen wir vielleicht schon noch an. Aber zum Beispiel das Mysterium des Kreuzestodes Jesu, der für unsere Sünden gestorben ist, das brauchen die allermeisten schon nicht mehr. Oder besser: sie wissen es nicht, dass sie es brauchen und wie sie es brauchen.
Im weltlichen Sinne zu reich
Vielleicht sind wir im weltlichen Sinne zu reich und zu wissend. Vielleicht ist – bildlich gesprochen – unser inneres Liebesorgan, unser Herz zu sehr verfettet, zu unbeweglich und unempfänglich geworden für das, was Gott sagen und schenken will. Denn die Liebe, die Gott im Evangelium meint, ist etwas anderes, viel tieferes als nur ein ethisch passables Handeln.
Wir haben im Evangelium gehört, dass Jesus die Kleinen und die Unmündigen selig preist, immer wieder, weil sie vom Herzen her verstehen können, was er meint mit Reich Gottes, was er meint mit einer Liebe, die uns verwandeln will, durch die wir neu geboren werden sollen.
Mit wachsendem Wohlstand leeren sich die Kirchen
Schwestern und Brüder, die Kirchen und die Gottesdienste sind leer geworden, sie werden es mit wachsendem Wohlstand und wachsendem Angebot von Weltanschauungen und echten oder vermeintlichen Sinnangeboten; seit Jahrzehnten Jahr für Jahr. Sie werden auch leerer, weil die Menschen sehen, dass wir Christen selbst, viele Gläubige aber vor allem auch wir amtlichen Vertreter, selbst reich geworden sind, innerlich satt vielleicht, abhängig von gewachsenen Strukturen, von Steuereinnahmen und vielem mehr.
Wir leisten zwar noch sehr, sehr viel, auch mit dem Geld, das uns zur Verfügung steht, aber es drängt uns oftmals nicht allzu sehr zur Weitergabe des Glaubens an Christus. An denjenigen, der für uns radikal arm geworden ist, damit wir selbst innerlich – nicht äußerlich – reich werden. Reich an Liebeskraft, reich an Erbarmen.
Die Liebe Christi ist umsonst
Die Liebe Christi, liebe Schwestern und Brüder, diese Liebe, von der wir Christen Zeugnis geben sollten, die ist umsonst. Die gibt es geschenkt, ohne Hintergedanken, ohne den Versuch, den anderen durch meine Liebe an mich zu binden. Der Christ liebt, weil er einen Gott kennt und im Herzen hat, der die Liebe selbst ist. Er lebt aus der Vergebung und aus der Liebe, die umsonst ist.
Ehrenamt Telefonseelsorge
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telefonseelsorge: In diesem Horizont, den ich da angerissen habe, in diesem Horizont steht Ihr Dienst. Er ist umsonst im materiellen Sinn des Wortes: für Sie und Ihre Klienten; Sie verdienen nichts durch Ihren Dienst, es ist ein Ehrenamt.
Und Sie müssen in gewisser Weise arm sein, innerlich. Sie dürfen nicht schon alles wissen, Sie dürfen nicht schon nach zwei Sätzen der Anrufer innerlich fertig sein mit Ihnen. Sie brauchen Geduld, müssen warten können, brauchen Behutsamkeit, müssen langsam Vertrauen aufbauen und aufbauen lassen.
Erst einmal lassen
Überhaupt ist das Lassen eines der wichtigsten Wörter im Kontext Ihres Tuns. Erst einmal lassen: sprechen lassen, stehen lassen, gelten lassen, manchmal auch Ohnmacht zulassen, auch die eigene und vieles mehr. In der Haltung der inneren Armut des Telefonseelsorgers lernt der sprechende Arme, der Hilfe Suchende am anderen Ende des Telefons oft seinen eigenen Reichtum neu entdecken.
Er lernt entdecken, dass da jemand ist, der ihm zuhört; er lernt, dass er so viel wert ist, dass ihm einer wirklich Zeit schenkt und Gehör, einfach so. Weil er ein Mensch ist und ein Geschöpf Gottes. Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Telefonseelsorge: Von ganzem Herzen danke ich für Ihre Arbeit an der Peripherie, an den Rändern. Sie ist umsonst, gratis, und sie ist manchmal auch umsonst im Sinne von vergeblich. Sie tun sie dennoch.
Reich beschenkt
Und sie dürfen in diesem Tun auch oft und oft die Erfahrung machen, dass Sie selbst beschenkt werden, das Sie selbst innerlich reicher werden, wenn Sie das Gespräch in der Haltung einer Hörenden, inneren Armut begonnen haben.
Wenn es so ist, wenn Sie immer wieder die Erfahrung machen dürfen, dass man manchmal gar nicht weiß, ob man als Telefonseelsorger nun der Schenkende oder der Beschenkte ist, dann hängt das genau mit dem Geheimnis zusammen, das wir hier und heute feiern.
Der Allerreichste wurde der Allerärmste
Wir leben und gehen in Christus, wir kennen einen Gott, der uns alle im Spiel von Reichtum und Armut der Liebe verbindet. Er der Göttliche, der Allerreichste von allen, ist am Todesbalken des Kreuzes der Allerärmste, der am meisten Erniedrigte geworden. Und wenn wir ihm vertrauen, dann wirkt er in der Kraft seines Geistes, dass ein Hören, ein Zuhören im Grunde ein Sprechen wird, ein inneres Mitsprechen und Mitgehen des Erzählten.
Und er macht es zugleich, dass Sie so sprechen können, dass es unter genauer Beachtung, unter dem genauen Hören auf den Anderen geschieht. Schenken und Empfangen, Sprechen und Hören werden in der Kraft des Geistes unseres Herrn zwei Seiten einer liebenden Begegnung.
Reich in Herz und Seele
Und wenn Sie in diesem Geist mithelfen, dass Menschen diese Erfahrung machen dürfen, dass Sie in ihrer Not auch noch Wert und Würde haben, dass sie auch noch etwas zu geben haben, obwohl sie scheinbar nur empfangen und dass sie auch noch Liebeskraft und Sinn in sich haben, wenn Sie dazu als Telefonseelsorger immer wieder beitragen dürfen, dann lassen Sie das Licht der göttlichen Liebe in Ihre Arbeit hineinleuchten und tatsächlich auch in die Seele der Menschen.
Dann ist Ihr Dienst getragen von unserem Herrn und Sorge um die Seele des Anderen. Und dann seien Sie froh und stolz, dass dieser Dienst wirklich im besten Sinn des Wortes umsonst ist. Danke von Herzen und Gottes reichen Segen! Amen.