Am Vormittag von Silvester 2023 haben wir am Geburtsort Marktl im Beisein zahlreicher Fest- und Ehrengäste den 1. Jahrestag des Todes von Papst Benedikt XVI. begangen.
Hier die Predigt zum Nachhören und Downloaden, weiter unten zum Nachlesen.
Lieber Geschwister im Glauben, liebe Marktler, liebe Menschen, die Sie mit mir unseren verstorbenen Papst Benedikt verehren,
wenn wir heute den ersten Todestag unseres lieben Heiligen Vaters feiern, dann fällt dieser auf das Fest der Heiligen Familie. Im Evangelium hören wir deshalb auch von der Heiligen Familie, wie nämlich Maria und Joseph ihren neugeborenen Sohn Jesus in den Tempel bringen. Das hat zwei Gründe: Der eine ist, dass der Sohn als der Erstgeborene einer Familie ausgelöst werden musste. Alles männliche Erstgeborene von Mensch und Tier war nach dem Gesetz des Mose Gott nämlich geweiht. Und das Wort „Darstellung“ bedeutet in diesem Zusammenhang eben, dass man den Sohn in den Tempel gebracht und gezeigt, also dargestellt hat – und ihn dann mit einem Opfer in Form eines Geldbetrages ausgelöst hat. Der zweite Grund für den Tempelbesuch war, dass eine Frau ein Reinigungsopfer darbringen musste, nachdem sie geboren hatte und nachdem dann 40 Tage ihrer Reinigungszeit vergangen waren. Das Opfer bestand aus Tieren, die man meist im Tempel kaufen konnte. Und dass bei der Heiligen Familie hier nur zwei Tauben als Opfergabe erwähnt werden, zeigt, dass die beiden Eltern Jesu bei den Tempelbediensteten als arme Leute angesehen wurden.
Die Einheit der Testamente – oder: Alles läuft auf Jesus zu
Was aber an diesem Evangelium so deutlich wird – und was für den Theologen Joseph Ratzinger so wesentlich war – dass wir Jesus nur gemeinsam mit dem Alten Testament oder eben mit dem Glauben des jüdischen Volkes seiner Zeit recht verstehen. Wir sehen, wie Maria und Joseph dem jüdischen Gesetz Genüge tun, wie sie sich als gläubige Menschen des alten Bundes erweisen – obwohl sie doch in Person denjenigen mit sich in den Tempel bringen, der den neuen Bund schließen wird, mehr noch: der der neue Bund in Person ist und der auch so etwas wie der neue Tempel in Person ist. Also der, der die tiefste und letztgültige Versöhnung von Gott und Menschheit verkörpert. Auch er steht auf der einen Seite ganz unter dem Gesetz und wird doch zugleich das Gesetz erfüllen und überbieten. Für Joseph Ratzinger war es deshalb immer notwendig, auch das Alte Testament zu hören, die Geschichte Israels zu kennen – um damit tiefer zu verstehen, wer derjenige ist, der in Jesus aus diesem Volk und seiner Geschichte hervorgegangen ist, der die Verheißungen der Propheten erfüllt hat; wer derjenige ist, in dem das ganze Gesetz des Mose erfüllt ist; wer derjenige ist, der der neue Tempel in Person ist, also der Ort, in dem Gott in der Welt wirklich ganz da ist. Alles, so sagt uns der christliche Glaube, alles in der Schrift des alten Bundes läuft auf Jesus zu. Und ihm zu begegnen und mit ihm in Beziehung leben zu lernen, ist der Anfang und die Mitte unseres Glaubens.
Am Anfang des Christseins steht eine Begegnung
Papst Franziskus hat in diesem Zusammenhang ein Lieblingswort von Benedikt übernommen, von dem er sagt, dass er nicht müde wird, es zu wiederholen, weil es ins Zentrum des Evangeliums führe. Und er wiederholt es tatsächlich in vielen seiner Texte und Predigten. Dieses Wort lautet: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“ Liebe Schwestern und Brüder, ich möchte uns fragen: Wenn Am Anfang des Christseins „eine Begegnung mit einer Person“ steht, „die unserem Leben … seine entscheidende Richtung gibt“, haben wir dann im Sinne Benedikts schon angefangen Christen zu sein? Sind wir Ihm schon begegnet? Den Glauben vertiefen, beleben, erneuern – das war das Kernanliegen von Benedikt und in der Mitte des Glaubens steht das, was er die „Begegnung mit einer Person“ nennt.
Wie der alte Simeon Jesus begegnet
Schauen wir dazu noch einmal in diesen Evangeliumstext von heute: Hier findet diese konkrete Begegnung der beiden alten Menschen Simeon und Hannah mit Jesus, dem Baby, statt. Beide kommen aus dem langen Leben einer persönlichen, gläubigen Innerlichkeit. Simeon lebt offenbar so auf den angekündigten Messias hin, dass ihm offenbart wird, er werde den Christus sehen – ehe er sterben würde. Und tatsächlich: das innere Licht seiner Sehnsucht, die sich da suchend ausstreckt, trifft auf das Leuchten des Kindes von innen her, das sich selbst später „das Licht der Welt“ nennen wird. Im alten Simeon geht also buchstäblich ein helles Licht auf, das ihn ins Gebet führt. Er kann jetzt gehen, sagt er zu seinem Gott. Er kann sterben, er hat den Erlöser gesehen, er sieht nämlich – wie er wörtlich sagt – in dem Kind: „Ein Licht, das die Heiden erleuchtet und Herrlichkeit für Dein Volk Israel.“ Wir sehen hier, liebe Schwestern und Brüder, was persönliche Begegnung mit Jesus bedeutet, wie sie möglich ist. Der Mann sieht nämlich etwas unfassbar Bedeutsames, obgleich er doch nur etwas sehr Alltägliches im Tempel antrifft, nämlich armes Ehepaar mit einem Baby. Er sieht aber die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit – weil er vorbereitet ist, weil er ein frommer und gerechter Mann ist, wie es heißt und weil er Sehnsucht hat und sich vom Geist Gottes führen lässt. So erzählt es der Text.
Herrlichkeit für sein Volk Israel
Und was Simeon nun mit dem Licht für die Heiden und der Herrlichkeit für Israel meint, ist ebenso bedeutsam: Erstens: Dieses Kind, Jesus, ist nicht nur relevant für die Juden, es wird ein Erlöser sein für die ganze Welt. Und zweitens: das Wort „Herrlichkeit für Dein Volk Israel“ wird hier von Simeon im Tempel ausgesprochen. Aus dem Tempel aber, das hatte Jahrhunderte zuvor der Prophet Ezechiel in einer Vision gesehen, war die Herrlichkeit Gottes ausgezogen. Weil das Volk ungläubig und ungehorsam und die Könige und Priester sich als korrupt erwiesen hatten, deshalb hatte Gott Israel damals die reale Erfahrung entzogen, dass er der Gott in ihrer Mitte sei. Ganz offenbar – so schildert es die Schrift – hatte Gott zuvor seine Herrlichkeit im Tempel wohnen lassen. Es war offenbar eine Erfahrung von großer atmosphärischer Dichte, von heiliger, ehrfurchtgebietender Gegenwart, die die Menschen erlebten, die den Tempel betraten. Aber das war nun schon lange vorbei. Jesus wird später selbst sagen: Ihr habt aus dem Tempel eine Räuberhöhle gemacht, in der es vor allem um Geschäfte geht und nicht um den Vater. Nun aber – um zu Simeon zurückzukommen – nun steht hier einer und lobt das Kind im Tempel als „Herrlichkeit für dein Volk Israel“. Kann es sein? So werden sich gläubige Juden gefragt haben, die das gehört haben, kann es sein, dass wirklich die Herrlichkeit Gottes zurück ist im Tempel? Was redet der da? Von einem Baby – von armen Eltern aus nirgendwo? Schon deutet sich damit der Widerspruch an, den Simeon gleich prophezeien wird: An ihm wird man sich stoßen! Viele werden zu Fall kommen, viele aufgerichtet. Er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Und Deine Seele, sagt er zu Maria, deine Seele wird ein Schwert durchdringen.
Sind wir wirkliche Gottsucher?
Was für eine Prophetie, liebe Schwestern und Brüder, was sieht der alte Mann da nur? Und was sehen wir durch ihn? Und was sagt uns das alles über die persönliche Begegnung mit Jesus, von der Papst Benedikt spricht – als einem wesentlichen Kern des Evangeliums. Zunächst der Blick auf Simeon: Er ist ein Gottsucher, er glaubt, dass es Gott gibt, er glaubt auch, dass Gott Menschen persönlich meint. Er selbst wird ja von Gott angezogen – und kann auch deshalb Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit erspüren. Das heißt: Er kann den tieferen Sinn in den Dingen, in den Menschen und den Ereignissen seines Lebens erkennen. Daraus wird auch zugleich eine Frage an uns: Suchen wir Gott wirklich? Meinen wir es ernst, wenn wir im „Vater unser“ wirklich „Vater“ zu ihm sagen? Meinen wir es ernst, wenn wir bitten, dass sein Wille geschehen möge? Oder sind es halt fromme Wörter, die wir mal gelernt haben, die aber nicht besonders tief hinunter reichen in unserer Seele? Etwas generell würde ich also fragen wollen: Wenn wir auf Simeon schauen und dann das entdecken wollen, was Papst Benedikt meint, wenn er sagt: „Am Anfang des Christseins steht die Begegnung mit einer Person“, was gehört dann dazu? Ich würde sagen, es gehört mindestens eine Offenheit für Gott dazu, eine Bereitschaft, besser noch eine Sehnsucht, ihm zu begegnen. Glauben Sie, dass Gott sich in Ihrem Leben zeigen kann? Glauben Sie, dass Er mit der Sprache der Liebe und Zärtlichkeit in Ihr Herz sprechen kann? Können wir lernen, diese Sprache zu hören, ihr Leuchten im Tempel unserer Seele sehen, sie identifizieren?
Von seiner Seite her ist er immer schon da!
Vielleicht sagen Sie nun aber: „Ich höre da gar nichts, das ist nichts für mich. Und wenn Papst Benedikt das so formuliert, dann bin ich vielleicht gar kein Christ. Denn für mich bedeutet Christ-sein, zuerst einmal sich mühen ein guter Mensch zu sein.“ Wenn Sie so sprechen wollten, dann würde ich sagen: „Langsam, nicht so schnell. Ich glaube nämlich, dass Christus Ihnen immer schon begegnet ist.“ Spätestens seit der Taufe, aber auch in der Kommunion, in der Firmung, oder im Sakrament der Ehe, im Hören und Lesen der Bibel. Und ja, auch in den Momenten der Begegnung mit Schönheit in der Natur, in der Begegnung mit Menschen – und vielleicht sogar in den Momenten, in denen Sie am meisten zu leiden hatten. Liebe Schwestern und Brüder: Der Glaube sagt: Er ist der Immanuel, der Gott mit uns. Und er hört nicht auf, es zu sein. Und er ist es als ein Gott, der Sie und mich wirklich ins Herz geschlossen hat. Von seiner Seite ist also in gewisser Weise immer Begegnung! Es ist deshalb eher so, dass wir so oft nicht gelernt haben, wirklich mit Ihm zu sein; dass wir nicht gelernt haben, innerlich zu hören, bei Ihm zu sein. Dass unser Gebet selten in die Tiefe kommt. Dass wir uns fortwährend ablenken lassen von allem möglichen und glauben, dass wir gar keine Zeit haben für Gott. Gerade heute lassen wir uns absorbieren von medialer Ablenkung und Oberflächlichkeit und lassen uns überhaupt nicht anziehen, von dem, was uns ausdrücklich von Ihm erzählen könnte, zum Beispiel von der Bibel oder vom persönlichen Gebet.
Es geht auch ohne spektakuläre Erlebnisse
Aber, liebe Schwestern und Brüder, ich habe nun doch schon einige Menschen kennen gelernt und auch selbst die Erfahrung gemacht: Es gibt diese Begegnung mit Jesus. Es gibt beispielsweise Momente, in denen ein Mensch sagt: Ich habe ein Wort in der Bibel gelesen und wusste, das ist wirklich wahr. Und zwar in einem tiefen Sinn mehr wahr als wenn jemand sagt, dass zwei und zwei vier ist. In einem Glaubenskurs vor Jahren haben wir viel über die Bibel und den Katechismus gesprochen – und am Ende sagte mir eine Frau voller innerer Bewegung: Ich habe jetzt erst verstanden, dass es in unserem Glauben wirklich um Jesus geht. Das war, liebe Schwestern und Brüder, eigentlich eine ganz banale Feststellung. Jeder, der in die Kirche geht, weiß doch: Es geht um Jesus. Aber hier hatte ich Tränen in den Augen, als die Frau das sagte. Verstehen Sie den Unterschied: Sie hatte so etwas wie eine innere, tiefe Erkenntnis, die sie berührt hat. Ein Licht, das die Heiden erleuchtet. Oder eine junge Frau, die ich aus einem Gebetskreis kannte, kam tief bewegt von einer Glaubenskonferenz zurück und hat fast ein wenig vorwurfsvoll gesagt: Warum hat mir eigentlich nie jemand von euch gesagt, wie sehr Jesus mich liebt? Dabei hatte ich den Eindruck, dass ich selbst wirklich oft davon gesprochen hatte. Aber ja: Nur im Kopf etwas verstehen oder im Herzen etwas erfahren, ist etwas anderes. Der jungen Frau war dort durch das Zeugnis eines Menschen, der tiefe seelische Wunden und im Glauben große Heilung erfahren hatte, plötzlich etwas von ihrem eigenen Leben bewusst geworden – und zugleich auch, wie das im Verhältnis zu Jesus steht: Ein Licht, das die Heiden erleuchtet.
Haben wir die Kompetenz, es zu deuten?
Liebe Schwestern und Brüder, am Anfang des Christsein steht nicht ein ethischer Entschluss, ein guter Mensch zu sein. Auch nicht eine große Idee, sagt Papst Benedikt, sondern die Begegnung mit einer Person. Die Menschen, von denen ich gesprochen habe, hatten so etwas wie diese Begegnung. Sie haben zumindest innere Erfahrungen gemacht, heilsame, lichtvolle, wahrheitsvolle Erfahrungen, die sie dann auf Jesus hin deuten konnten. Ich glaube tatsächlich, dass jeder und jede von Ihnen schon solche Erfahrungen gemacht hat – nur dass uns oftmals auch die Kompetenz abgeht, das zu deuten. Wie deuten wir das, was uns geschieht auf Jesus hin. Oder oft fehlt uns auch der Mut, uns gegenseitig zu erzählen von Gott, von unserer Sehnsucht, von der Weise, wie er in unser Leben sprechen könnte. Ich kenne aber auch Menschen, die tief gläubig sind – und auch davon erzählen, dass sie eine Beziehung zu Jesus leben – aber ohne je irgendwas Spektakuläres erfahren zu haben. Es ist nur so, dass der Glaube durch ihre Praxis immer innerlicher geworden ist. Sie konnten ihr Gebet immer ausdrücklicher wirklich an eine Person richten, an den Vater oder an Jesus oder den Hl. Geist. Sie konnten im Lauf der Zeit innerlich erleben, wie ihr Herz weiter wurde – und zugleich in Jesus verankert war. Alles das und mehr ist möglich, wenn ich mit Papst Benedikt von einer persönlichen Beziehung und Begegnung spreche, die am Anfang und im Herzen unseres Glaubens steht. Und eben diese innere Verbindung, die wir als einzelne Menschen und auch in Gemeinschaft miteinander mit ihm leben – eben die ist das Wesentliche an unserem Glauben. Sie ist es, die verändern kann, die Herzen weiter und tiefer macht, die mehr Sinn schenkt und mehr Freude, die letztlich auch Leiderfahrung anders deuten und verarbeiten kann. Diese Beziehung ist sogar tiefer als der Tod, weil sie jetzt schon Anfang der Verbindung mit dem ist, der das Leben schlechthin ist.
Er betet für uns – und für Marktl
Und wenn Sie, liebe Schwestern und Brüder, hier in Marktl, am Geburtsort unseres verehrten Papstes Benedikt fragen, wie Sie ihn auch nach seinem Tod am besten in Ehren halten können, dann wäre sein Wunsch ohne Zweifel der: Dass Sie Jesus suchen, dass der Glaube an Ihn in Ihnen tiefer wird, dass Sie Ihm begegnen, dass Sie in die Beziehung zu Ihm finden. Und von Marktl würde er wohl wünschen, dass es ein Ort wird, in dem viele Menschen das leben, was er bezeugt hat. Nämlich dass Jesus lebt – und dass hier viele Menschen sind, die das mit ihrem Glauben, ihrem Leben und ihrer Freude bezeugen. Denn wir dürfen unsererseits glauben, dass Papst Benedikt jetzt schon fest auch für seinen Geburtsort betet.