Predigt beim Gottesdienst zur Verabschiedung von Dr. Klaus Metzl, 29.5.2020
Lieber Herr Generalvikar, Schwestern und Brüder im Glauben alle,
was ist das für eine wunderbare Fügung, dass uns die Kirche in ihrer Liturgie ausgerechnet heute dieses schöne Evangelium hören lässt – an dem Tag, an dem wir danken und Abschied nehmen von Klaus Metzl in seinem Amt als Generalvikar. Der Text ist aus dem letzten Kapitel des Johannes-Evangeliums. Der auferstandene Jesus begegnet dem Petrus. Es findet ein geheimnisvolles Mahl statt am Ufer des Sees von Tiberias, einige Jünger um Petrus hatten zuvor sehr viele Fische gefangen, nachdem sie der Weisung Jesu gefolgt waren, der plötzlich am Ufer gestanden war. Sie essen miteinander Fisch und Brot – und dann stellt Jesus dem Petrus auf einmal eine sehr persönliche, sehr tiefe Frage: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?“
Petrus: Zwischen Treueversprechen und Verleugnung
Ich frage mich, wie es Petrus wohl gegangen sein mag in dieser Situation. Die Feier des letzten Abendmahls und der folgende Karfreitag liegen nicht lange zurück. Und haben wir nicht alle noch im Ohr, wie Petrus dem Jesus beim Abendmahl beteuert hatte, er werde mit ihm bis in den Tod gehen? Jesus hatte ihn damals schon zurecht gewiesen – und ihm prophezeit, dass er ihn dreimal verleugnen werde, noch in derselben Nacht. Und tatsächlich: Eine einfach Magd wird ihn in der Nähe des Hohepriesterlichen Palastes ansprechen und fragen, ob er nicht auch einer der Jünger Jesu sei. Und Petrus wird es zum ersten Mal leugnen, zwei weitere Mal folgen.
Und uns eigenes Bekenntnis?
Wie ist das bei uns, liebe Schwestern und Brüder, wenn wir gefragt werden, ob wir wirklich für die Kirche arbeiten, oder wenn wir gefragt werden, ob wir wirklich an Jesus glauben? Im Freundeskreis, in der Verwandtschaft, oder in ganz fremden Kontexten? Wären wir mutig? Würden wir sagen, dass wir zu Ihm gehören? Oder würde ich mich wegducken und mit meinem Bekenntnis hinter dem Berg halten. Was könnten denn die sonst von mir denken? Kirche hat ja heute bei vielen Menschen, vor allem bei jungen Menschen, gelinde gesagt ein schlechtes Image. Und wenn man schon seine Zugehörigkeit bekennen muss, dann retten sich viele ins Soziale: Die Kirche tut doch viel Gutes im sozialen Bereich, sagen sie dann. Eine Art Beschwichtigungskatholizismus, um entweder ein echtes Bekenntnis zu vermeiden. Oder aber vielleicht sogar ehrlich zu bekennen, dass man kein rechtes Bekenntnis hat. Wie fremd also, wie fremd mutet uns da so eine Frage Jesu an, wie wir sie im Evangelium hören: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?“
Die Frage nach der Liebe reicht tiefer als die Frage nach dem Warum
Jesus weiß natürlich, dass Petrus sich womöglich schämt angesichts seines Versagens in der Nacht vor dem Karfreitag. Er war jämmerlich, aber tatsächlich war es ja auch eine Stimmung, die für die Jünger Jesu insgesamt jämmerlich waren. Viele andere haben ja gejubelt, als sie Jesus endlich abgeführt haben. Viele werden am nächsten Tag vor Pilatus schreien „Kreuzige ihn!“. Die Masse ist schon auf der Seite der politisch und religiös Mächtigen – und sind vielleicht auch gierig auf ein Spektakel. Und in so eine Atmosphäre hinein zu sprechen: Ich gehöre zu Jesus, verlangt Mut, verlangt auch Einsicht in das Warum. Warum halte ich eigentlich zu Ihm? Was habe ich von Ihm verstanden, was empfangen? Was spräche für Ihn? Aber die Frage Jesu zielt noch einmal tiefer. Sie zielt auf mehr als auf das Warum, sie zielt auf die Liebe. „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?“. Petrus war ja bis zum Karfreitag der Anführer der Jünger, er war der Kopf der Gruppe gewesen, von Jesus selbst eingesetzt. Aber jetzt? Ist er es noch? Gilt die Zusage Jesu noch? Geht es doch weiter? Und das Unglaubliche ist ja zunächst, dass von Jesus keinerlei Vorwurf kommt, keine Anklage über den jämmerlichen Verrat, über den Abgrund zwischen der Ansage Petri, er werde mit ihm in den Tod gehen und dem Versagen bei der ersten kleinen Bedrohung. Ja, er wird sich sehr geschämt haben, der gute Petrus.
Das eigentliche Kriterium für Leitung
Und mit der Anrede als „Simon, Sohn des Johannes“ weist Jesus zurück auf die biologische Herkunft des Petrus. Und er spricht ihn hier auch nicht mit Petrus an oder griechisch Kephas, was Fels bedeutet. Denn Petrus war ja zuletzt alles andere als ein Fels. Irgendwie steckt er doch noch viel mehr im Alten, in den Banden der Familie, als im Neuen, im Einsatz für das Reich Jesu. Und doch will ihn Jesus weiterführen, ihn über sich hinaus führen. „Liebst du mich mehr als diese?“ Liebe Schwestern und Brüder, mit dieser Frage, macht Jesus das eigentliche Kriterium für Leitung in der Kirche deutlich. „Liebst Du mich mehr als diese?“ Die „diese“ sind vermutlich die anderen sechs Jünger, die bei der Szene dabei waren. Er wird also gefragt, ob seine Liebe zum Herrn größer sei als die der anderen. Und Petrus antwortet spontan: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe.“ Zunächst ist dieses: „Ja, Herr“ ein Zeichen der demütigen Unterwerfung. „Kyrie“, Herr, wird zur gängigen Anrede für den Auferstandenen. Und mit der Wendung „du weißt“ macht Petrus deutlich, dass er dem Herrn nichts vormachen kann. Dieser schaut in sein Herz. Interessant ist aber, dass Jesus in der Frage nach der Liebe ein Verb benutzt, das das griechische Wort agape ausdrückt – und damit ist zumeist tiefe, absichtslose Liebe gemeint, die vor allem von Gott kommt. Es ist wie die Frage: Hast Du diese Liebe in Dir? Und Petrus antwortet mit einem griechischen Verb, in dem die Philia vorkommt, was eher die Freundschaftsliebe bezeichnet. Wir haben das in einem deutschen Wort wie Philosophie, das Liebe zur Weisheit bedeutet.
Autorität lebt aus Intimität
Petrus antwortet also mit einem demütigen Ja, weiß aber gewissermaßen, dass er noch Luft nach oben hat mit seiner Liebe zu Jesus. Mehr noch: Er muss diese Frage dreimal beantworten. Warum? Weil er ihn dreimal verleugnet hatte. Eine demütigende Übung für ihn, den Chefsprecher Petrus, der manchmal auch ein Großsprecher war, aber eine Übung, die sein Herz heilt. Denn die Antwort Jesu ist jedes Mal: Weide meine Lämmer, weide meine Schafe. Das heißt übertragen: „Du hast deine Liebe zu Jesus bekannt. Und eben das ist – vor allem anderen was sonst noch zählt – die wichtigste Voraussetzung für Leitung in dem Sinn, der für den Dienst an den Menschen in der Kirche wesentlich ist. Wirkliche Autorität im geistlichen Leben, eine Autorität, die neben sich andere wachsen lassen kann, lebt immer aus der Intimität mit Christus, aus der inneren Nähe zu ihm, aus der Liebe zu ihm, die auf seine vergebende Liebe antwortet. Und natürlich: Wenn das das entscheidende Kriterium für Leitung in der Kirche ist, ist es gleichwohl nicht das einzige. Er braucht viele Kompetenzen darüber hinaus. Aber es ist das Kriterium, das uns von anderen Formen von Autoritätsausübung unterscheiden sollte.
15 Jahre Dienst in herausfordernden Zeiten
Lieber Herr Generalvikar, über 15 Jahre haben Sie unserem schönen Bistum als Generalvikar gedient. Und es waren und sind Zeiten, in denen dieser Dienst alles andere als leicht war. Wie vorhin schon angesprochen, geht Kirche durch schwierige Zeiten. Und auch in Ihrem Dienst ist manche Erscheinungsform dieser schwierigen Zeiten mit voller Wucht auf Sie zugekommen. Als Generalvikar von Bischof Wilhelm haben Sie große Einsparmaßnahmen mit umsetzen oder durchsetzen müssen. Und jeder, der schon einmal in der Kirche mit solchen Prozessen vertraut war, weiß, dass das ein steiniges Geschäft im besten Sinn des Wortes ist. Sie mussten mithelfen, Antworten zu suchen auf die erste große Welle des Missbrauchsskandals im Jahr 2010, eine anhaltende Aufgabe, die uns vor allem im Blick auf die Betroffenen immer neu herausfordert und zurecht herausfordert. Sie haben eine große Neuordnung des Bistums in der Pfarrverbandsreform verantwortet, Sie haben Umbau und Umzüge des Ordinariats geplant und gestaltet und anderes mehr bis heute. Und in solcher Schaffenskraft soll es durchaus auch bisweilen Anflüge von Ungeduld gegeben haben, die nicht immer völlig spurlos an allen vorübergegangen sind. Wie sollte es auch anders sein?
Wege der Erneuerung
In meiner Amtszeit nun haben Sie mir vor allem in dieses Bischofsamt hinein geholfen, immer voll Offenheit und Loyalität. Nie habe ich erfahren müssen, dass da jemand sein Herrschaftswissen ausspielen will. Dafür haben wir dann miteinander und mit vielen anderen einen Weg der Erneuerung angehen wollen, auf dem wir natürlich noch unterwegs sind – und der letztlich ja auch nie zu Ende geht. Aber entscheidende Verwaltungsstrukturen, die konnten in Ihrer Amtszeit doch noch umgesetzt werden. Wir haben Verwaltungszentren eingerichtet, wir haben ein umfangreiches Konzept für Visitationen entwickelt. Und wir haben vor allem anderen auch darüber nachgedacht, wie wir heute Menschen helfen können, von neuem das Evangelium oder besser: den Herrn zu entdecken. Wir spüren ja allenthalben, wie so vieles von unserem Kirchesein, was wir Jahrhunderte eingeübt haben, nicht mehr einfach so weitergeht. Und wir haben im Grunde als verfasste Kirche, flächendeckend kaum eine Antwort auf die Frage: Wie wird denn heute ein junger Mensch Christ? Wie geht Christwerden heute, wenn es in der herkömmlichen Weise eher schlecht als recht funktioniert? Ich glaube ehrlich, dass das eine Generationenaufgabe ist, aber ich bin froh, dass ich mit Ihnen und vielen anderen intensiv über diese Frage habe nachdenken kann. Und dass wir verschiedene Gehversuche auf diesem Gebiet machen können, von denen einige auch schon Früchte tragen, die wir sehen dürfen. Und tatsächlich hat es mir auch viel Freude gemacht, mit Ihnen über Philosophie und Theologie nachdenken zu dürfen. Ich glaube, auch in dieser Hinsicht sehen wir etwas gemeinsam: Dass gute Lehre, gute Theologie nötig ist für gute und fruchtbare Pastoral. Und dass umgekehrt, Vernachlässigung oder Korruption der Lehre auch in der Pastoral negative Auswirkungen hat.
Neue Evangelisierung?
Aber was mich wirklich am meisten, was mich wirklich innerlich berührt, das hängt bei Ihnen im Grunde genau mit dem zusammen, worüber wir mit dem heutigen Evangelium nachgedacht haben. Es ist ja, wie wir alle wissen, nicht so ganz einfach, in unserer Kirche heute deutlich zu machen, was neue Evangelisierung bedeuten kann. Für manchen ist es eine Art Kampfbegriff, der alles andere denunzieren soll, was zum Beispiel Diakonie bedeutet. Oder für manche ist es ein Begriff, der alles Bisherige für falsch oder schlecht erklären soll. Für manche ist es ein Begriff, bei dem es nur um die Frömmigkeit des Bischofs geht, der angeblich nur Lobpreis und junge Menschen mag, die auch Lobpreis mögen. Für wieder andere ist es ein Etikett, das unter dem Schein des Neuen doch nur das alte zementieren mag. Solche und mehr Vorbehalte gibt es gegen diesen Begriff. Ich meine aber, Neuevangelisierung ist ein Wort, an dessen Wurzel eben genau diese Frage steht: Wie können wir Menschen helfen, von Jesus selbst berührt und ergriffen zu werden – und sich so bewegen zu lassen, das eine Evangelium von Jesus, dem Retter, neu in diese neue Welt hineinzuleben, hineinzulieben und hineinzusagen? Und dazu gehört eben dieses: geistliche Autorität, die letztlich zuerst und vor allem wächst aus der Intimität, aus der inneren Nähe, aus der Liebe zum Herrn – der uns zuerst geliebt hat. Ich glaube ehrlich, dass wir als Kirche vor allem anderen dort in Schieflage oder Unglaubwürdigkeit kommen, wo im geistlichen Amt diese Dimension der Liebe zum Herrn und die wirkliche Orientierung an ihm nicht oder nicht mehr erfahrbar ist.
Neue Evangelisierung im Ordinariat
Und wenn ich dann manche überraschende Aktivität von Ihnen, lieber Herr Generalvikar, in den letzten Jahren anschaue, dann sehe ich eben dieses voll Freude: dass Sie mehr und mehr in diese innere Nähe hineinfinden, hineingefunden haben; und auch längst begonnen haben, davon wieder neu zu erzählen. Durch das Angebot von Alpha-Kursen im Ordinariat etwa, oder durch die Feier von Mitarbeitergottesdiensten, oder durch das Angebot von Exerzitien oder auch durch Ihr Herzensanliegen mitten im erneuerten Ordinariatsbau die wunderschöne Valentins-Kapelle einrichten zu lassen – eine Art letztes Ausrufezeichen Ihres Dienstes hier in Passau. Und so, lieber Herr Generalvikar, fällt es mir zwar persönlich gar nicht leicht, Sie ziehen zu lassen. Vieles werde ich vermissen, von Ihrer Fröhlichkeit, Ihrer Intelligenz, Ihrer Tatkraft, Ihrer Expertise und Organisationsleistung, unseren gemeinsamen Gesprächen, bis zu unseren gemeinsamen Ausflügen zu Orten von wilden Aufbrüchen in der Kirche. Aber weil ich weiß, wie wichtig Altötting für unser Bistum ist und weit darüber hinaus, und weil auch unser Heiliger Vater Papst Franziskus die Wallfahrtsorte ausdrücklich der neuen Evangelisierung zugeordnet hat, deshalb gab es für mich auch kein Zögern, Ihnen diese Wallfahrt und die Pfarrei anvertrauen zu wollen, als der Zeitpunkt da war. Vor allem deshalb, weil ich gespürt habe, wie Ihre priesterliche Leidenschaft nie verschwunden ist, vielmehr wie sie neu aufgeblüht ist – und weil ich ehrlich berührt davon bin zu spüren, wie Ihnen eine Antwort wie die des Petrus aus dem Herzen kommen würde: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe.“ In diesem Sinn: Danke für alles. Amen.
Bild: Noch-Generalvikar Dr. Klaus Metzl nach dem Gottesdienst anlässlich seiner Verabschiedung im Passauer Dom.