Was ist uns am wichtigsten? Christus, der Gekreuzigte! Die Predigt von Bischof Stefan Oster anlässlich der adventlichen Feier der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bischöflichen Ordinariat und des Diözesancaritasverbandes in Passau.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
diese erste Lesung vom Hl. Paulus hat mich schon häufig intensiv beschäftigt. Paulus schreibt an die Korinther, eine junge Gemeinde, die er selbst mitgegründet hatte und in der er eine ganze Zeit selbst gelebt hatte, ehe er auf seinen großen Missionsreisen weiterzog.
Und ganz offenbar gibt es in Korinth viel Glauben und viele Zeichen des Glaubens, aber inzwischen nach dem Fortgang des Paulus auch viel Streit und Ärger, Parteiungen und theologische Uneinheit. Manchmal scheint es wie eine Beschreibung von heute in der Kirche. Oder vermutlich ist es auch eine Darstellung von etwas, was es in der Kirche immer gegeben hat: Das Ringen um den rechten Glauben und den rechten Weg im Glauben.
20 Jahre nach Christus sind ziemlich kurz
Paulus schreibt den Brief gut 20 Jahre nach der Auferstehung Jesu. Und wenn Sie sich zurückerinnern, was in unserem Leben vor 20 Jahren war, dann kommt uns doch manches noch gar nicht so lange her vor. Zumindest wenn wir selber nicht mehr ganz jung sind. Denken Sie beispielsweise an den Fall der Berliner Mauer, der nun bald 30 Jahre her ist und vielen von uns noch so deutlich in Erinnerung ist und in seinen Konsequenzen noch so unmittelbare Auswirkungen auf unsere Politik und Gesellschaft hat.
Dies sage ich nur, um ein Gefühl zu geben, in welchem Zeitrahmen Paulus den Brief schreibt, um das Jahr 55 nach Christus etwa. Ein, zwei Jahre zuvor hatte Paulus vermutlich die Gemeinde in Korinth gegründet. Voller Glaubenstiefe und Enthusiasmus. Voller Bereitschaft der Menschen ihm zuzuhören und zu glauben. Und ganz offenbar auch mit begleitet von einer Vielzahl von konkreten Erfahrungen in Korinth, von Verwandlungen der Menschen, die in ihrem Herzen Jesus begegnet sind. Von Heilungen und anderen wundersamen Phänomenen.
Paulus will nur eines: den gekreuzigten Christus verkündigen
Paulus selbst hatte wieder einige Jahre zuvor auch persönlich eine intensive Bekehrungserfahrung gemacht. Und er schreibt in seinem Brief auch, dass er einige hundert Menschen kennt, die nach der Auferstehung Jesu dem Herrn selbst begegnet sind. Er kennt die Augenzeugen. Und Paulus und viele gläubig gewordene Christen von damals glaubten wohl auch, dass Jesus bald wiederkommen werde, womöglich noch zu ihren eigenen Lebzeiten – auch wenn diese Ansicht schon im Neuen Testament selbst wieder relativiert wird.
Aber in eine solche Gesamtsituation und Atmosphäre hinein schreibt Paulus diesen Absatz des Evangeliums heute: Er schreibt, er kam in Schwäche und Furcht zu den Korinthern, zitternd. Vermutlich weil sich die Situation seit seinem letzten Fortgang so verändert hatte und weil es eben auch Streit gab und offenbar auch Menschen, die inzwischen gegen ihn waren.
Es geht um Christus
Paulus schreibt nun aber auch: „Ich kam auch nicht, um euch gelehrte Weisheit zu bringen oder glänzende Reden zu halten.“ Dieser Punkt ist wichtig: Paulus war ein überaus gebildeter, weltgewandter Intellektueller, mit großen Sprachkenntnissen, mit großer Kenntnis der Heiligen Schrift der Juden – und natürlich war die Redekunst, die Rhetorik, eine überaus angesehene Disziplin der Antike. Und Paulus will nichts von alledem ausspielen.
Er kommt in Furcht und Zittern und will einfach nur Christus verkünden, nicht glänzen mit seinem Wissen, nicht überreden, nicht nur gescheit daherreden, sondern einfach ein Zeugnis von Jesus geben – und zwar als dem Gekreuzigten, wie er sagt. Und er vertraut darauf und darf erleben, dass sich genau darin Gottes Kraft und Gottes Geist zeigen. Die Menschen waren offenbar tief bewegt davon.
Gläubige Atmosphäre ermöglicht Glauben
Liebe Schwestern und Brüder, warum diese ausführliche Einleitung für unseren Anlass? Aus mehreren Gründen. Einer ist: Gläubige Atmosphäre ermöglicht Glauben für andere. Sie alle kennen das: Wir gehen zum Beispiel auf Weihnachten zu, wir erleben eine Zeit der Vorbereitung und irgendwie spüren wir alle, dass die Sache mit dem Kommerz nicht so ganz richtig ist und gehen vielleicht auch da und dort auf Distanz dazu. Und je näher wir dem Fest kommen, desto mehr steigt eine Art innere Erwartungshaltung.
Wir werden offener für das Fest, oft auch offener für das Tiefe des Festes. Für nicht wenige Menschen ist ja zum Beispiel der Weihnachtsgottesdienst der einzige Gottesdienst im ganzen Jahr. Das heißt aber, auch diese Menschen fühlen sich vom Ganzen, vom Klima der Erwartung bewegt und angezogen. Und gehen immerhin dieses eine Mal hin. Es ist ein Klima der allgemeinen Erwartung, das in uns etwas öffnet, damit etwas in uns geschehen kann.
Erwarten wir selbst noch etwas von Gott?
Und so ähnlich geht es mit uns als Kirche und dem Weg der Kirche immer wieder: Wenn wir als Kirche Menschen sind, die selbstverständlich Glauben leben, Menschen, die ehrlich suchen, die aber auch darüber sprechen, was sie schon erlebt haben, die sich danach sehnen, in Gott Halt zu finden, wenn solche Haltungen unter uns selbstverständlich und auch geteilt werden, dann passiert innerlich auch mehr in uns und bei anderen, die zu uns kommen.
Ich höre zum Beispiel immer wieder, dass in ärmeren Ländern, wo Menschen selbstverständlich offen sind für den Glauben und viel von Gott erwarten – oft auch weil sie sonst nichts mehr zu erwarten haben – dass dort zum Beispiel tatsächlich viel häufiger wahre Wunder des Glaubens, der Heilung und Veränderung passieren. Warum? Vermutlich weil Gott sein wundersames Wirken in uns vor allem dort geschehen lässt, wo Menschen vertrauen, wo sie glauben, dass er wirklich da ist. In der Bibel setzen Heilungen so oft das Vertrauen der Menschen voraus. „Dein Glaube hat dir geholfen,“ sagt Jesus zu diesen Menschen.
Reden wir nur abstrakt über Glauben oder existenziell?
Aber eben, so ein Klima der Erwartung und des Glaubens ist in einer Zeit und Gesellschaft wie der unseren, eben nicht immer so ganz leicht zu erwecken: Uns geht es zwar materiell oft sehr gut, aber genau das und anderes mehr führt dazu, dass wir mit Gott gar nicht mehr rechnen. Es führt dazu, dass wir dann in der Kirche gerne abstrakt über Glauben reden, aber wenig aus der eigenen Existenz.
Und dass wir dann vor allem versucht sind, Verwalter von einer Kirche werden, die sich auch sozial betätigt und deren Werte man irgendwie gut finden soll. Aber wenn sich eine solche Haltung durchsetzt, lädt sie uns und andere weniger dazu ein, wirklich das Herz zu öffnen, wirklich zu vertrauen, auch gemeinsam zu vertrauen, dass Gott wirklich da ist und wirkt.
Lasst uns neu auf die Mitte, Christus, hinschauen!
Eine Atmosphäre von wachsender Gläubigkeit von wachsender Erwartung führt zu mehr Glauben, zu tieferem Glauben und eine Atmosphäre von weniger Glauben und Erwartung führt zu noch weniger Glauben. Und nun noch einmal kurz zurück zu Paulus: Er sieht, dass sich in Korinth etwas verändert hat, dass die Streitigkeiten, die Egoismen wieder mehr geworden sind als am Anfang – und seit er wieder weg ist von dort.
Er sieht auch manchen Stolz der Korinther auf geistliche Gaben; er sieht die Parteiungen: Ich gehöre mehr zu Apollos, ich zu Petrus, ich zu Paulus, sagen sie. Und in diese Situation geht er nun hinein, in Angst und Schwäche und ohne auf seine großen Begabungen und seine Bildung zu vertrauen und sagt: Lasst uns einfach wieder auf die Mitte schauen, gemeinsam auf die Mitte, auf den Grund unsrer Hoffnung, auf das, was uns alleine Heil und Sinn und Erlösung schenken kann, auf Christus als den Gekreuzigten. Nur von dort kommt der Friede, der Sinn, das Neue. Nur von dort findet Kirche zusammen, nur dort ist das Leben der Kirche.
Vergisst eine gut organisierte Kirche ihre Mitte?
Vielleicht, liebe Schwestern und Brüder, merken Sie jetzt, warum mir der Text von so Paulus nahegeht: Im Grunde scheint mir kümmern wir uns in unserer Kirche in Deutschland schon sehr lange um sehr viel, wir machen, planen, organisieren. Und wir wollen gerne auch von der Gesellschaft und all ihren Kräften gemocht werden und wir hoffen, alle finden gut, was wir alles machen. Ich meine das jetzt nicht einfach in Bezug auf uns in Passau bezogen, sondern als eine sehr kurze Zustandsbeschreibung für Kirche bei uns im Land in den letzten Jahrzehnten.
Und ich fürchte, wir vergessen bei alledem manchmal allzu sehr das einzige oder den Einzigen, von dem Paulus redet: Christus, als den Gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Und im Maß, indem wir weniger konkret von ihm sprechen und ihm Maß, in dem wir ihn wenig kennen und lieben, schwindet auch der ganz konkrete Glaube der Kirche. Schwindet das Vertrauen, dass Er wirklich da ist und unsere Herzen verwandeln und heilen will. Gläubige Atmosphäre bewirkt Glauben aber eine wenig glaubensvolle Atmosphäre führt zu noch weniger Glauben.
Geld, Gebäude, Einrichtungen… sind nie das Erste!
Und seit ich hier bin, liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, will ich im Grunde in allem was ich sage und tue mit Paulus immer nur auf Ihn verweisen. Auf unseren Herrn – und will mithelfen, dass wir alle, ich auch, immer wieder neu sehen und glauben dürfen, dass er da ist und mit uns geht – und dass er jeden von uns liebt. Und dass er die Kirche von Passau wirklich liebt – und dass er uns wirklich erneuern will. Nur dort, liebe Schwestern und Brüder, nur dort, nur bei Ihm und unserem Vertrauen auf Ihn liegt wirklich unsere Kraft. Nicht in dem Geld, das wir noch haben, nicht in unseren schönen Gebäuden, nicht in unserer Professionalität, nicht in unseren sozialen Diensten und Leistungen.
Das ist alles schön und gut und auch wichtig. Aber es ist im Grunde nie das Erste, immer das Zweite, immer eine Folge aus unserem Leben aus dem Glauben. Aber wenn die Mitte verloren geht, wenn der Glaube an die Gegenwart des Gekreuzigten schwindet, dann werden all die genannten Dinge zum Ersten: Das Geld, die Gebäude, die Sicherheit der Arbeitsplätze, die Außendarstellung von Kirche, unsere sozialen Leistungen und anderes mehr. Und wenn das alles unser Erstes ist, dann geht uns die innere Kraft verloren, dann wird der Glaube selbst unplausibel und nicht mehr verstanden, weil wir ihn nur noch theoretisch erläutern, aber nicht mehr aus seiner Kraft leben. Dann werden wir ein Sozialkonzern und Kulturverein, der auch nur einer von vielen Wettbewerbern auf dem Markt ist.
Wir sind auf dem Weg – und es gibt neue Bewegung hin zu Christus
Liebe Schwestern, liebe Brüder, was ich gesagt habe, habe ich als Gefahr beschrieben, und nicht als fertigen Zustand. Wir sind ja immer auf dem Weg. Aber ich denke jeder und jede von uns, kann auch etwas von dieser Gefahr spüren, die in der Frage steckt: Was ist uns das Wichtigste in unserer Arbeit für die Kirche?
Und daher bin ich nun umgekehrt wirklich von ganzem Herzen dankbar, dass ich tatsächlich auch viel Bewegung hin zu Ihm spüren darf hier in unserem wunderbaren Bistum und gerade auch hier im Ordinariat und bei der Caritas, neue Sehnsucht hin zur Mitte. Und viel Bemühen von vielen von Ihnen allen, dass sie diese Mitte zur Geltung bringen wollen, dass sie wieder mehr erleben und erfahren wollen vom Glauben, von Christus, von der Kirche. Kleinere, unbemerkte oder auch größere Initiativen.
Die neuen Werktagsmessen am Donnerstag, zu denen der Generalvikar einlädt, die stille Anbetung oder der Angelus in der Barbarakapelle, die viele von Ihnen mittragen, die neue Frage nach dem Glauben in manchen kleineren oder größeren Gruppen unter Ihnen. Manche Initiative, die ausdrücklich zum Gebet einlädt oder zum Lesen der Schrift und vieles mehr. Ich bin für alles dankbar, was uns hilft, näher zu Jesus zu kommen, die konkrete Beziehung zu Ihm zu vertiefen und zu leben – auch gemeinsam und hoffentlich ohne Scham voreinander.
Lassen wir uns hinziehen zum Kind in der Krippe
Er, Jesus, hat diese Beziehung schon lange zu jedem von uns. An uns ist es, uns zu öffnen, zu suchen, tiefer zu gehen und uns immer wieder finden zu lassen. Und wie gesagt: Oftmals passiert so ein Hingezogen- und Berührt-werden in Gemeinschaft von Menschen, die miteinander offen und ehrlich fragen und suchen und beten.
Tiefer Glaube hilft anderen zu glauben, gläubige Gemeinschaft hilft anderen hinein in Gemeinschaft. Und Leben aus der Mitte hilft uns allen selbst Zeuginnen und Zeugen zu sein für den tiefsten Sinn des Lebens. Er ist unter uns und kommt uns entgegen – jetzt bald wieder im Kind in der Krippe. Geben wir ihm unser offenes Herz!
Und danke Ihnen allen für alles, was Sie im vergangenen Jahr in der Kirche von Passau gewirkt haben. Amen.