Am Gedenktag ‚Maria, Hilfe der Christen‘ hat Bischof Stefan Oster nicht nur die diesjährige Maria-Hilf-Woche des Bistums Passau ausgerufen. Er hat an diesem 24. Mai 2024 sein 10-jähriges Weihejubiläum als 85. Bischof von Passau gefeiert. Neben zahlreichen Priestern, Diakonen und Ordensleuten waren auch viele Wegbegleiter und Gläubige zum Dankgottesdienst gekommen, um diesen Freudentag mit ihm zu feiern.
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Die Predigt zum Weihejubiläum von Bischof Oster
Liebe Geschwister im Glauben
den 24. Mai 2014 deute ich in der Rückschau auf mein eigenes Leben als eine Fügung Gottes. Denn als Salesianer Don Boscos ist mir dieser Kalendertag besonders lieb, weil mein Ordensvater Don Bosco ihn zu einem, vielmehr zu dem hohen Festtag für unsere Ordensgemeinschaft erhoben hatte. Don Bosco hat ja sein ganzes Leben lang die Mutter des Herrn verehrt – aber ab einem gewissen Zeitpunkt eben ganz besonders als „Hilfe der Christen“. Papst Pius VII. hatte dieses Fest erst 1814 ins Leben der Kirche eingeführt, nachdem er selbst an einem 24. Mai aus der napoleonischen Gefangenschaft nach Rom heimkehren konnte.
Den marianischen Titel „Hilfe der Christen“ gab es freilich schon viel länger in der Christenheit – und besonders von hier aus Passau, von unserer Maria-Hilf-Kirche aus, hat die Verehrung der Gottesmutter unter dieser Anrufung „Maria hilf!“ eine besondere Dynamik und Verbreitung gewonnen. Umso bewegender war es für mich, dass ich an diesem Tag und ausgerechnet hier in Passau, in eine neue Etappe meines Berufungslebens hineingenommen worden bin.
Maria, die Hilfe der Christen
Don Bosco hat übrigens am Ende seines eigenen Lebens, in dem bereits unglaublich viel Segensreiches vor allem für junge Menschen gewachsen war, gesagt: „Sie hat alles gewirkt.“ Also sie, die Hilfe der Christen. Natürlich ist Don Bosco katholisch und war zugleich ganz auf Jesus bezogen, auf Gott und seinen Geist. Und natürlich würde er genauso auch sagen: Jesus, der Erlöser, hat alles bewirkt. Aber er sieht eben auch, dass Jesus das Heilswort ist, das Wort des Heils schlechthin an seine verwundete Schöpfung.
Aber in Maria ist schon die heile Ant-wort gegeben, sie ist die heile Schöpfung, die sich ganz vom Wort in Anspruch nehmen lässt. Und Don Bosco war fortwährend gewillt, sich in diese Antwort gewissermaßen hineinzustellen, um an der Seite Mariens zu lernen, den Willen Jesu für sein Leben zu erfüllen. Möge unsere Maria-Hilf-Woche, die wir heute ausrufen, auch dem Anliegen dienen, dass wir alle in diesem Sinn immer mehr zu Antwortenden werden.
Die Weihe und die Erwartungen
Für mich war dieser Tag der Weihe vor zehn Jahren ein wirklicher Gnadenmoment. Der Himmel hat nach einer Regenperiode die Sonne scheinen lassen. Ich war sehr berührt davon, dass sehr viele Menschen sich sehr viel Mühe gegeben hatten, um ein wunderbares Fest zu feiern. Und gleichzeitig – bei aller Anstrengung – habe ich auch ganz viel Freude und Leichtigkeit erlebt. Natürlich: Die damalige riesige Euphorie hat mich auch erschreckt. Was wird da erwartet von einem einfachen Ordensmann, der weder große Ahnung hatte von kirchlicher Hierarchie, von Strukturen eines Ordinariats, von diesem Bistum und seinem gläubigen Leben, generell davon, wie alltägliches Bischofssein überhaupt geht.
Und natürlich war und ist mir bewusst, dass große öffentliche Erwartungen in unserem Kontext vor allem damit verbunden sind, dass die Fragen zu den großen kirchenpolitischen Reizthemen endlich anders beantwortet werden müssten, als sie nach jetzigem Stand beantwortet werden. Und mir war klar, dass ich das nicht würde erfüllen können. Denn: Natürlich braucht die Kirche Erneuerung an Haupt und Gliedern. Immer! Aber ich habe im Laufe meines eigenen Glaubensweges auch verstehen gelernt, warum die Kirche in bestimmten, hoch umstrittenen Fragen keine andere Antwort geben kann als sie sie eben gibt.
Natürlich gibt es dabei trotzdem Entwicklung, auch in der Lehre. Es gibt Differenzierungen, neue Erkenntnisses, hoffentlich auch neue Sprachfähigkeit. Es gibt vor allem auch mit Papst Franziskus eine neue Betonung der Praxis: wirkliche Hinwendung zu allen Menschen, ein anderes Sprechen, echte Barmherzigkeit. Aber all das, ohne dass die Kirche bestimmte Grenzen, die sie als wahr erkannt hat, in der Lehre überschreiten könnte.
Der innere Zusammenhang zwischen Wahrheit und Liebe
Mehr noch: Ich glaube zutiefst, dass es einen inneren Zusammenhang gibt zwischen Wahrheit einerseits und Liebe andererseits. Bloße Wahrheit ohne Liebe tendiert zur Grausamkeit. Und wenn wir uns als Kirche ehrlich anschauen, dann war und ist der Eindruck von uns nach außen und innen wohl nicht selten eher grausam als liebevoll. Mit starker Betonung auf Gesetz und Ordnung oder auf dem Selbstschutz der Institution und mit Berufung auf die Wahrheit, aber eben ohne einen echten, liebevollen und barmherzigen Blick auf Menschen, vor allem auf solche in Not, oder in zerrissenen und verwundeten Zuständen. Und ja, wenn Sie mich fragen, was eigentlich das Alleinstellungsmerkmal von Kirche wäre und was wir gleichzeitig vielleicht am häufigsten verfehlen, dann ist es die Liebe, die von Jesus kommt. Die barmherzige und buchstäblich unendlich vergebungsbereite Liebe des Herrn, die aufrichtet und frei macht.
Der Sieg der Wahrheit ist die Liebe
Aber gleichzeitig tut sich das Problem auf, dass diese Liebe eben nicht ohne Wahrheit auskommt. Deshalb verdient auch eine Liebe, die vor allem sentimental, aber nicht wahrhaftig ist, diesen Namen Liebe eigentlich gar nicht. Jesus selbst konnte vor allem im Urteil über Heuchelei unerbittlich scharf im Ton sein. Oder gegen Sünde, die den Menschen nach innen zugrunde richtet. Und dennoch war auch diese Schärfe bei ihm immer noch ein Akt der Liebe, der zur Umkehr bewegen sollte.
Das heißt: Eine Liebe, die sich nicht auf die Wahrheit bezieht, verkommt zur bloßen Sentimentalität, zur schlechten Parteilichkeit und letztlich zur Beliebigkeit. Deshalb, liebe Schwestern, liebe Brüder, ist mein Bischofsleitwort: „Der Sieg der Wahrheit ist die Liebe“ tatsächlich so etwas wie mein Lebensthema; ein Thema, mit dem man eigentlich nie fertig ist. Und ich weiß, dass ich mit mancher Positionierung, die aus dieser Überzeugung folgt, auch eine Zumutung für nicht Wenige von Ihnen bin und sicher auch – angesichts der Tiefe des Themas und der Herausforderung von Liebe – oft genug an eigene Grenzen komme.
Die Hermeneutik des Wohlwollens
Um diese Zumutung wissend, war es mir von Anfang an wichtig zu betonen, dass ich dennoch in meiner Umgebung nirgendwo eine Kultur der Angst oder gar der Denunziation entstehen lassen wollte, sondern hoffentlich eine Kultur des Vertrauens. Das Wort „Hermeneutik des Wohlwollens“ ist mir dabei überaus wichtig. Es bedeutet natürlich nicht, einfach jeden Fehler wohlwollend zu übersehen – auch wenn natürlich Fehler passieren dürfen, einfach weil wir Menschen sind.
Aber Hermeneutik des Wohlwollens bedeutet mehr: Vertraue ich, dass der andere Mensch, der den Glauben, die Kirche, der Jesus oder auch seinen eigenen Dienst anders versteht als ich es gerne hätte, vertraue ich, dass dieser Mensch trotzdem etwas Gutes und Wahres will für die Kirche? Glaube ich das wirklich, oder gebe ich der Seite in mir nach, die im anderen dann zuerst einen Zerstörer meines von mir geliebten Kirchen- oder Jesusbildes sehen will? Bejahe ich also den anderen in einer sehr grundsätzlichen Weise, in der Hoffnung, dass ein Gespräch, wenn es von Offenheit und gegenseitigem Vertrauen getragen ist, uns einer gemeinsam gesuchten Wahrheit oder einer gemeinsam gesuchten, guten Entscheidung näherbringt? Ich will es glauben, liebe Schwestern und Brüder – auch wenn ich selbst, und das meine ich sehr ernst, auch nur ein armer Sünder bin, dem auch die eigenen Abgründe einigermaßen bewusst sind.
Ein gutes Miteinander
Daher möchte ich Sie bitten: Arbeiten wir bei uns weiter an uns selbst daran, um vom anderen Menschen, von der Kollegin, dem Kollegen zuerst gut zu sprechen, um wirklich das Gute auch in ihm zu sehen, weil auch er ein von Gott geliebtes Kind ist. Und vermeiden wir, ihn auf seine Fehler reduzieren, um so Gelegenheit zu haben, ihn abkanzeln zu können. Ängste, Neid, Misstrauen, schlechtes Getratsche und vieles mehr gibt es doch genug in uns, vermutlich in uns allen, und deshalb auch unter uns im Miteinander – obwohl wir doch die Kirche Jesu Christi sind.
Er ist selbst die Botschaft in Fleisch und Blut
Und damit komme ich zu einem mir sehr wesentlichen Punkt, liebe Schwestern und Brüder. Um wen anders sollte es dabei gehen, als um IHN, um Jesus. Mein eigener Glaubensweg ist am tiefsten geprägt worden von Erfahrungen, mit deren Hilfe ich etwas verstanden habe, was mir ganz entscheidend für das Christenleben von morgen und damit auch für den Fortbestand unserer Kirche scheint. Es geht dabei vor allem um Deutung und Deutungskompetenz für die vielen Erfahrungen, die wir alle im Glauben machen. Jeder und jede macht sie in vielfältiger Weise. Würden wir sie nicht machen, wären wir heute vermutlich gar nicht hier.
Zunächst ist deshalb eine ganz wesentliche Glaubensaussage: Der Herr ist schon da, er ist uns nahe. Er ist uns näher als wir uns selbst sein könnten. Er trägt uns also in gewisser Weise von unten her. Wenn das aber wahr ist, dann ist es auch überaus wichtig, sich tragen lassen zu können. Es braucht Einübung, es braucht Vertrauen, es braucht vor allem auch persönliches Gebet, ein Leben aus den Sakramenten, ein Leben mit seinem Wort. Christus will sich uns erweisen als der Freund, der uns liebt und uns trägt – und er will, dass uns genau diese Beziehung zuwächst, dass sie uns innerlich wird und damit ein wirkliches, lebenstragendes Fundament. Und zwar ganz existenziell – und nicht nur als ein netter Gedanke mit einer schönen Botschaft. Denn Christus hat nicht nur eine Botschaft: Er ist selbst diese Botschaft in Fleisch und Blut – und will es in unserem eigenen Fleisch und Blut werden.
Beten und Lieben lernen
Sie wissen ja alle, dass wir mehrere Initiativen begonnen haben, bei denen es um Gebet geht. Zum Beispiel Adoratio in Altötting. Und ich weiß auch, dass diese und andere Initiativen doch von manchen, auch von engagierten Gläubigen oder auch von manchen Priestern als eine Art schräges Hobby des Bischofs betrachtet werden, bei dem am Ende vor allem seltsame Frömmler kommen. Tatsächlich geht es mir aber um die Entdeckung von so etwas wie echte Nähe zum Herrn und um die Pflege dieser Nähe, dieser möglichen Intimität.
Tatsächlich will ich im Grunde nur die Sehnsucht nach einer Erfahrung von Nähe wecken, eine Vertrautheit, die jedes Leben tiefer, freier, freudvoller und sinnvoller macht. Und in der Tiefe auch fähiger zu lieben – zum Beispiel auch solche, die uns zuwider sind, oder auch solche, die Nähe grad am meisten brauchen aber vielleicht grad am wenigsten bekommen. Nur ein Mensch, der sich empfänglich für jenes unglaubliche Licht macht, das in die Welt gekommen ist, um die verdunkelten Menschenherzen zu erleuchten, nur so ein Mensch vermag auch dieses Licht auszustrahlen. Und sich empfänglich machen für dieses Licht heißt in der Tiefe: beten lernen. Und das wiederum heißt letztlich: Lieben lernen und lernen, die eigene Egozentrik zu Grabe tragen.
Er hat uns zuerst geliebt
Deshalb, liebe Geschwister im Glauben, deshalb höre ich nicht auf, von Ihm zu sprechen und immer wieder darauf hinzuweisen, dass all unser Dienst als Kirche zuerst und zuletzt diesem unfassbaren Geheimnis dient, das Er unter uns da ist. Menschen mit Ihm bekannt zu machen, darum geht es zuerst und vor allem. Und all unser Dienst in der Kirche oder für die Gesellschaft, in der Bildung und Erziehung, für die Schöpfung, für die Armen – alles das tun wir als dankbare und notwendige Antwort darauf, dass Er uns zuerst geliebt hat.
Und was ich zu guter Letzt noch sagen wollte: Ich weiß mich seit zehn Jahren kontinuierlich umgeben und herzlich und ehrlich mitgetragen von wunderbaren Menschen, in meinem Büro, im Generalvikariat, an vielen Stellen im Ordinariat, in der Caritas, von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, im Diözesanrat, aber auch in meiner Wohngemeinschaft, in meiner Familie und natürlich auch von vielen, vielen Gläubigen. Dafür bin ich von ganzem Herzen dankbar – Ihnen allen und unserem Herrn. Um Verzeihung bitte ich, wo ich ungerecht war, wo ich ohne Grund oder aus falschem Grund verletzt habe, wo ich wenig Geduld hatte, wo ich unverlässlich war, wo ich lieblos war, vor allem aber, wo ich das Zeugnis für Jesus verdunkelt habe. Möge Er Sie alles segnen und möge Maria, die Hilfe der Christen, immer an unserer Seite sein – in unserer so schönen Kirche von Passau. Danke für alles.
Hier kann die Predigt nachgeschaut werden:
Die Predigt kann auch als Audio-Datei nachgehört werden:
Ein Interview mit Bischof Stefan über seine bewegende Zeit als 85. Bischof von Passau finden Sie hier auf dem Blog.
Comments
Lieber Herr Bischof, es ist bewegend wie offen, authentisch und wahrhaftig Sie die Situation der Kirche und Ihre persönliche Überzeugung in Ihrer Verkündigung zum Ausdruck bringen. Wie Sie es sagen, alles Wahre kommt aus Jesus und durch ihn haben wir das Leben. Die Wahrheit die er selbst ist und in Liebe uns schenkt macht uns glücklich. Dabei gibt es Grenzen die nicht überschritten werden können und der Mensch nicht fassen kann, wenn der Geist es nicht aufschließt. Ich gratuliere zu Ihrem Jubiläum und wünsche Ihnen die bleibende Freude in Jesus auch in der Verkündigung. Denn diese Wahrheit bleibt, wenn sonst auch die Mainstreams sich ändern. Gottes Segen.
Michael Maier
Besten Dank, Herr Maier, für Ihre freundliche Rückmeldung. Auch Ihnen die besten Segenswünsche. SO