Wie in der Gegenwart leben? Im Vertrauen auf den Herrn! Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Hochfest Fronleichnam im Passauer Stephansdom 2016.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
im Leben von uns Menschen, ich denke vor allem bei jedem von uns Erwachsenen, gibt es eine Sehnsucht nach so etwas wie Dauer, nach so etwas wie die Erfahrung einer Gegenwart, die bleibt. Und es gibt die Sehnsucht nach so etwas wie Unmittelbarkeit.
Wie in der Gegenwart leben?
Denken Sie an ein unbeschwertes Kind, das einfach im Hier und Jetzt leben kann, ganz gegenwärtig, ohne sich um gestern und um morgen kümmern zu müssen. Was jetzt ist, ist wichtig. Und zugleich ist so ein Kind unmittelbar, unmittelbar zu allem, was es erlebt, voll Staunen, voll Freude, offen, aber natürlich auch eben deshalb auch voll Verletzbarkeit.
Gegenwärtigkeit, Dasein und Unmittelbarkeit sind Worte, die etwas beschreiben, wonach wir Erwachsene uns oft so gerne sehnen. Denken Sie einfach an Ihr letztes Weihnachten: Würden wir nicht auch gerne einmal wieder erleben, wie das war, die Intensität, mit der wir als Kind dieses Fest erlebt haben? Und sind wir selbst im Gegensatz dazu nicht manchmal von dem Wunsch befallen: Wenn doch der ganze Stress nur endlich wieder vorbei wäre?
Leben wie ein Kind
Kaum mehr etwas von Gegenwart, kaum mehr Unmittelbarkeit, dafür umso mehr Vorausdenken und Hoffen, dass nicht alles zu viel wird – und Freude eher, wenn alles vorbei ist. Oder denken Sie an die erste Verliebtheit, wenn Sie sowas erleben durften.
War das nicht ein Eintauchen in Gegenwart, in Unmittelbarkeit, im Hier und Jetzt; in die Freiheit, hier und jetzt auch Dinge zu tun, die ich nicht lange überlegen brauche? Und haben wir nicht alle die Ahnung, dass es so schön wäre, wenn wir wieder mal einfach nur voller Freude da sein dürften, einfach so, ganz, echt, unmittelbar?
Nähe ermöglicht Gegenwart
Vielleicht, liebe Schwestern und Brüder, kommt Ihnen nun auch in diesem Zusammenhang in den Sinn, wie wichtig es für uns Menschen ist, dass wir einander nahe sind. Innerlich nahe. Wenn Herzensnähe besteht; wenn wir im Herzen eines anderen Menschen Platz haben. Je mehr wir so etwas erleben dürfen, zum Beispiel in der Familie, unter Freunden, desto mehr hilft uns das immer wieder, tatsächlich in der Gegenwart sein zu können. Umso mehr hilft uns das, getragen zu sein.
Buchstäblich: Da ist in meiner Seele etwas, was mich hält. Der andere Mensch, mein Partner, mein Freund, meine Eltern, Menschen sind da und bilden für mich etwas, was mich trägt. Da fällt es mir leichter, einfach gelassen zu sein, gegenwärtig, offen für die Welt und die anderen Menschen. Ich hab ja etwas, was mich trägt. Ich habe jemanden, der mich trägt. Vielleicht auch dann, wenn er im Augenblick räumlich weit weg ist, aber innerlich fühle ich mich ihm verbunden, fühle mich dort daheim und getragen. Und deshalb kann ich auch weiter weg gelassen da sein.
Beim Herrn war für die Jünger gut sein
Liebe Schwestern, liebe Brüder, im Grunde geht es auch in dem, was wir heute feiern, um so etwas, wovon ich zu sprechen versuche: Es geht um Gegenwart! Jesus war hier auf der Erde, 33 Jahre – und hat den Seinen die Erfahrung seiner Gegenwart gegeben. Bei ihm war gut sein, in seiner Nähe haben sie sich frei gefühlt, sind gewachsen, waren natürlich auch riesig herausgefordert.
Ihr Leben wurde dramatisch verändert. Aber sie durften ja erfahren: „Er hat Worte ewigen Lebens. Wir bleiben bei Ihm.“ Und wenn wir vor wenigen Tagen Pfingsten gefeiert haben und heute Fronleichnam, dann sind beides Hinterlassenschaften von Ihm, die uns allen helfen sollen zu verstehen, zu vertrauen, dass sein „Ich bin da“ weitergeht.
Gegenwart im „Ich bin da“
Mehr noch: Dieses „Ich bin da“, diese seine Zusage, kann uns sogar tiefer und innerlicher werden als es eine leibliche Begegnung mit ihm je könnte. Die Jünger zum Beispiel sind im Angesicht des Kreuzes noch feige davon gerannt. Obwohl er doch anfassbar noch da war. Aber erst an Pfingsten wurden sie mit einer Kraft und Liebe erfüllt, mit dem Heiligen Geist, der ihnen geholfen hat, weit hinaus zu gehen, bis an die Grenzen der Erde und bis an die Grenzen ihres eigenen Lebens.
Immer mit dem Bewusstsein und dem Vertrauen: Der Herr ist unmittelbar da, in uns. Er geht mit uns. Und sie waren innerlich so getragen und gehalten, dass sie in großer Freiheit einfach da sein, gegenwärtig sein und verkündigen konnten.
Vertrauen auf den Herrn
Und in der immer wieder erneuerten Feier seiner Hingabe, haben sie sich immer neu gestärkt gewusst: „Tut dies zu meinem Gedächtnis. Das ist mein Leib, das ist mein Blut für euch“, hat er ihnen gesagt. Ihr Glaube war: „Ja, Herr, in diesem Brot bist Du ganz gegenwärtig, darin bekräftigst Du, dass Du uns innerlicher bist, als wir uns selbst, darin dürfen wir uns von Dir getragen und gehalten wissen, ganz egal, was kommt.“ So getragen sind sie hinaus gezogen, weit hinaus.
Und der Herr ist überall hin mitgegangen. So ziehen Christen auf der ganzen Welt auch heute immer noch weit hinaus, mit der Hoffnung, mit der Sehnsucht, dass sie auch anderen Menschen zeigen können, auf wen sie bauen, wer sie trägt und wer sie innerlich heilt von Egozentrik, von der Erfahrung von Sinnlosigkeit, von Verstrickung in Sünde und Schuld, von existenzieller Einsamkeit.
Gegenwart: Realpräsenz
Liebe Schwestern und Brüder, wenn Theologen das Geheimnis der Eucharistie in Worte zu fassen versuchen, dann sprechen sie von „Realpräsenz“, also von wirklicher Gegenwart. Ich möchte Sie, ich möchte uns alle einladen zuerst einmal zu fragen: Wie gehen wir heute mit der Monstranz hinaus? Wie erleben wir es zum Beispiel, dass die Zahl der Mitgehenden und Mitbetenden immer mehr abnimmt, dafür hier in Passau die Zahl der Schaulustigen zunimmt?
Was macht das mit uns, die wir mitgehen und von außen beobachtet werden, bestaunt wie eine Touristenattraktion? Die Frage zielt auf mich, auf uns als Einzelne und sie zielt auf uns als Gemeinschaft: Ist unser Glaube an die Gegenwart Jesu so, dass er mir hilft, frei und gelassen hinauszugehen, und ihn auch zu bezeugen, weil ich mich ja von ihm getragen weiß? Tragen wir da wirklich den in der Monstranz, der uns trägt?
Oder ist unser Glaube eher ein Gedanke, dass es schön wäre, wenn ich nochmal einfach so glauben könnte, wie ein Kind an das Christkind? Aber leider bin ich selbst eher ein skeptischer Beobachter geworden, der irgendwie hofft, dass diese Feier hier alsbald vorbei ist – eben weil ich mich so schwer tue, auch immer wieder in diese Gegenwart zu finden?
Beobachter oder Kind des Vaters?
Liebe Schwestern, liebe Brüder, ich persönlich kenne in mir diese beiden Seiten nur allzu gut. Den Beobachter mit seinem Erwachsenengehirn, der lieber in der Distanz bleibt. Und ich kenn in mir auch das gläubige Kind des Vaters, des Bruders Jesu, der sich einfach freut daran, dass er solch einen Herrn hat, der immer gegenwärtig ist und mitgeht und den ich allen Menschen nahebringen mag. Diese zwei Pole in mir, in uns, ringen miteinander.
Wie gerne will ich freudig hinaus gehen, in der Hoffnung, dass alle den Glauben verstehen und teilen wollen und nur darauf warten, ermutigt zu werden. Aber wie schnell spüre ich auch eine innere Stimme, die dann vielleicht folgendes sagt: Also mal ehrlich: „Das will doch eh keiner mehr hören und glaubt doch eh keiner mehr – Fronleichnamsprozession? Das ist doch von gestern. Glauben ist bestenfalls Privatsache und außerdem soll eh jeder glauben, was er mag. Aber bleib den Anderen vom Leib mit deinem Glauben.“
Ausdruck der Verfassung der Kirche?
Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht ist ein so formulierter Zweifel auch etwas vom Ausdruck der Verfassung unserer Kirche. Vielleicht gehen wir ja alle gleich auch ein wenig verschüchtert hinaus auf die Straßen unserer wunderbaren Stadt. Und hoffen, dass es nicht zu peinlich wird. Wir sind froh, wenn andere mitgehen, die man kennt, vielleicht auch ein paar Prominente, dann fokussiert sich die Aufmerksamkeit vielleicht auf sie.
Und nicht so sehr auf mich. „Hoffentlich begegne ich nicht zufällig einem meiner ungläubigen Arbeitskollegen, der das alles für Unsinn hält… “ und so weiter und so fort. Alles das, liebe Schwestern und Brüder, ist mir nur zu bekannt, aus dem eigenen Herzen und der Seelsorgserfahrung mit vielen Menschen.
Wir stärken uns gegenseitig im Glauben
Aber: Wir sind auch hier vereint in der Eucharistie, damit wir uns stärken lassen von der Zusage Jesu. „Ich bin da, egal was passiert. Du meinst mich zu tragen: Ich sage Dir: Ich trage Dich.“ Und wir sind miteinander da, um uns gegenseitig zu stärken. Schau der oder die ist auch da, geht auch mit, wie schön. Und liebe Schwestern und Brüder, ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich hoffe und bete intensiv dafür, dass sich dieser Glaube von uns allen vertieft in ein Getragensein, in ein persönliches Kennen und Berührtsein vom Herrn, in eine Sehnsucht aufzubrechen und andere einzuladen in diese Gemeinschaft.
Wir kommen auch, um unserer Stadt Passau Jesus neu zu zeigen, neu zu geben. Wir kommen, weil wir glauben dürfen, dass wir die Zeuginnen und Zeugen einer Wahrheit und Liebe sein dürfen, die nie vergeht. Liebe Schwestern, liebe Brüder, wie schön, dass Sie heute an diesem Festtag mitten in den Pfingstferien da sind und mitgehen und so mit uns allen zusammen bezeugen: Der Herr ist da, mitten unter uns und wir wollen der Welt und einander helfen, dies wieder neu zu sehen und zu vertrauen, damit auch wir gestärkt werden in der Erfahrung: Ich bin Kind Gottes, ich kann einfach da sein bei ihm. Gelassen und frei. Im Hier und Jetzt und in allem, was kommt. Amen.
Comments
Sehr geehrter Herr Bischof Dr. Oster,
zunächst herzlichen Dank für Ihren Blog und alles, was Sie posten! Gott vergelte Ihnen! Ihre Beiträge, vor allem Ihre Predigten, lassen mein Herz immer warm werden und werden somit zu geistigem „Lebensbrot“, das ich oft auf FB, in Bibelstunden etc. zu teilen versuche.
Als ev. gläubige Christin (evangelikal mit kath. Herzen 🙂 ) freute ich mich besonderes über Ihr Interview mit der IDEA und hoffe, dass viele ev. Verantwortliche dadurch gesegnet werden. Dass man über die Konfessionen eins sein kann, empfinde ich als ein ganz besonderes Gottesgeschenk und wie einen Vorschmack auf den Himmel, wo wir in herzlicher Gemeinschaft nur noch auf den HERRN blicken werden, weil ER allein unser einziger Mittelpunkt sein wird und wir nicht aufhören werden, IHN anzubeten und IHM unsere Liebe zu bezeugen. Auf der MEHR 2016 erlebte ich Sie life und die Gemeinschaft aus vielen Denominationen in diesen Tagen war auch schon ein kleiner Vorgeschmack von diesem Ziel!
Und nun auch Danke für Ihre heutige Predigt! Ich empfinde es als großes Geschenk, dass unsere kath. Geschwister an diesem Festtag mit dem HERRN durch unsere Städte und Dörfer ziehen und IHN als unseren alleinigen HERRN und König bezeugen und sich selbst und unser ganzes Umfeld IHM neu weihen. Im Geiste bin ich ganz dabei! Es erinnert mich an die JESUSmärsche, die oft von gläubigen ev., oft gemeinsam mit kath. Christen organisiert werden und zutiefst wohl das gleiche Anliegen haben, wenn auch in anderer Form.
Zu dem, was Sie von den „Zaungästen“ sagten, fände ich es wunderbar, wenn man den Zuschauern z.B. Pamphlets austeilen würde, in dem dieses besondere Fest erklärt wird und sie damit auch evtl. zu einer Veranstaltung einladen würde – evangelistische Veranstaltung, Glaubens-Freudenfest o.ä.
Leider wohne ich am anderen Ende von Deutschland (Mönchengladbach) sonst würde ich mich gerne praktisch einbringen.
Mit herzlichen und dankbaren Grüßen und der Bitte um Ihren priesterlichen Segen
Ulrike Schuldt
Sehr geehrte Frau Schuldt,
besten Dank für Ihre Nachricht und alles Mitgeteilte. In Sachen „Glaubensveranstaltung“ mit evangelisierenden Charakter können wir sicher von Ihnen und Ihren evangelischen Geschwistern lernen. Ja, der Austausch zwischen den Konfessionen ist wichtig. Danke auch Ihnen für Ihre Offenheit. Mit besten Segenswünschen SO
Ulrike Schuldt
Herzlichen Dank, verehrter Herr Bischof, für Ihre liebevolle Antwort, über die ich mich sehr freute – vergelt’s Gott!
Mit dankbaren Grüßen
Ulrike Schuld
Lieber Herr Bischof mein Herz ist durch diese heilsamen Segensworte wieder einmal zu Tränen berührt.
Ich habe mich so sehr auf den Frohnleichnamstag gefreut.
Leider konnte ich nicht mit hinaus gehen,da ein sehr verletzter Mensch der ,unseren Herrn und seine unendliche Barmherzigkeit aus Angst vor dem Berührt Sein in Christo noch nicht annehmen kann, für meinen Glauben verprügelt hat ,dass ich kaum gehen kann.
Das Wunder das ich dabei erleben darf,ist dass mein Herz trotz der Umstände voll Freude und Frieden ist.Erfüllt, über die anfangs menschliche Reaktion hinaus von Bereitschaft und tiefem Mitgefühl für den „wahren Verletzten „im Herzen und Vergebung.
So etwas kann nur der hl.Geist wirken,und dafür bin ich so dankbar.Dort wo alles aus ist kommt der Vater und sagt“Ist ja gut,ich bin da ich trage dich und deine eine Geschwister im Glauben auch wenn sie geographisch fern sind oder plötzlich zu Besuch kommen obwohl man sie lange nucht gesehen hat.
„Ich bin da,ich lasse Dich nicht allein“
fer Herr ist uns Bruder geworden,auch durch Sie lieber Herr Bischof ist Jesus in vielen Menschen zum Bruder geworden.
Ein „Bischof“der zu den Menschen geht und sie heilsam berührt welch eine Gnade unseres Herrn für Passau und darüber hinaus.
Schon Jahrzehnte bin ich Christ,doch als Sie auf offener Strasse zu mir sagten“Kommen sie zurück in die Kirche,der Herr Jesus wartet auf Sie,da ist mir der Auferstandene begegnet“
Ich bin wie ein Kind auf sie zugelaufen Gott hat mir die Scheu genommen ,weil ich einfach hingezogen wurde ohne zu denken.
Ich bin heute noch unendlich dankbar für diese kindliche Spontanität
Die Abschiedsreden Jesu im Joh.Brief zB
Joh.16,17
Joh.14,18 bis20
Joh.6,53
dieses Hingehen zum Vater um zu uns zu kommen,sind wohl die wunderbarsten Schriftstellen zu Fronleichnam.
Der hl.Geist ist als Person in uns,es ist unfassbar.
Die Himmelfahrt Christi und Christi Wiederkunft im hl.Geist
Sind wohl die ganz großen Geschenke des Lebens an uns.
„Lasset die Kinder zu mir kommen,ihnen ist das Himmelreich“
Die Kinder haben Jesus gesehen sie wollten ganz zu Jesus und niemand konnte sie daran hindern.
Wenn wir hinaus gehen. müssen wir einfach nur da sein,doch zuvor müssen auch wir „zum Vater gehen“damit fer Tröster zu den Menschen kommt.
Mir gefällt in Assisi ,wenn abends die Geistlichen und Gläubigen am Platz zusammen kommen und Lobpreis singen ,.
So eine Art Erntedank am Abend.
Die Menschen schauen einfach zu,die Obdachlosen,die Einsamen,und manchmal kommt jemand einfach in den Kreis und tanzt mit oder singt mit, weil Gott ihn gerufen hat.
Er wir zum Leben geweckt,weil da Leben ist.
Der Reihentanz der Kinder ,wo wir Glauben „spielen“
„Kommt macht mit oder seid einfach da !
Alles ist Gnade.
Mir Gottes Segen und Dank
GW
Nun habe ich bitte noch eine Frage, bezüglich der hl Kommunion in zweierlei Gestalt wäre es doch sinnvoll auch das hl.Blut Jesu zur Vergebung der Sünden zu empfangen?
Sehr geehrter Herr Bischof Oster,
Danke, für die Veröffentlichung ihrer Predigt – sie spricht mich sehr an. Gerade in den schweren Zeiten des persönlichen Verlust meines Mannes, haben wir als Familie die Kraft und das getragen sein durch den Glauben und der Pfarrgemeinde spüren dürfen.
Ich wünsche Ihnen noch eine gute Zeit in Leipzig
Christine Martin
Besten Dank für Ihren Kommentar. Wie schön, dass Sie in schweren Zeiten Kraft aus dem Glauben gewinnen können. Ich bin überzeugt, dass der Herr mit Ihnen geht. Gottes Segen SO