Experten der Freiheit? Warum Christen eine besondere Ahnung vom großen Thema Freiheit haben. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zur Feier der Osternacht 2018 im Passauer Stephansdom.
Liebe Schwestern und Brüder,
eines der ganz großen Themen des heutigen Menschen ist: Freiheit. Und im Grunde ist es so: Wir, die wir an Christus glauben, wir wären eigentlich im Grunde die Experten der Freiheit. Die Frage ist nur: Glauben wir es selbst? Leben wir die Freiheit der Kinder Gottes? Oder leben wir den Glauben so, dass andere Menschen auf die Idee kommen, sie könnten mit dem Christentum genau das Gegenteil von Freiheit verbinden? Nämlich Unfreiheit, komische Gesetze, religiöse Gängelung und vor allem Moralpredigten?
Der Gott der Befreiung
Warum sind wir die Experten der Freiheit? Nun, wir haben es schon in der Lesung aus dem Alten Testament gehört: Christen und Juden deuten die Geschichte Gottes mit seinem Volk als eine Geschichte der Befreiung – und zwar ganz grundlegend. Gott befreit sein Volk aus der Knechtschaft der Ägypter. Das ist die Grundlage der Identität des Volkes Gottes – die von Gott Befreiten.
Auf den ersten Blick ist hier eine Freiheit von den äußeren Zwängen der ägyptischen Sklaverei gemeint, von Fronarbeit, von Willkür, Tod und Terror. Aber zugleich mit dieser äußeren Freiheit will Gott seinem Volk die Erfahrung eines Bundes, einer verbindlichen Beziehung schenken, der ebenfalls Freiheit meint.
Der Abfall von Gott führt in die Sklaverei
Das Volk, das wirklich mit Gott lebt, so sagt es die Schrift immer wieder, braucht nichts mehr zu fürchten: Keine fremde Macht, keine anderen Götter oder Götzen, so lautet die Verheißung. Es wird dir gut gehen. Und auch innerhalb des Volkes wird es gut werden: die Bindung an Gott, der Bund mit Ihm, hilft die Beziehungen zu meinen Mitmenschen und zu den Menschen innerhalb und außerhalb meines Volkes in Ordnung zu halten. Wo Gott wie in den Zehn Geboten die erste Stelle zukommt, da bekommt alles andere seine Ordnung.
Und tatsächlich: In den guten Zeiten, wenn Israel treu den Bund lebt, zum Beispiel unter den großen Gottesfreunden und Königen David und Salomo, da geht es zumeist gut, da ist Israel frei. Da stimmt diese Ansage: Die Treue zu Deinem Gott macht dein Leben gut und frei. Und umgekehrt gilt ebenso: der Abfall von Deinem Gott führt dich neu in die Sklaverei. Israel macht auch diese Erfahrung und deutet sie auch so.
Warum braucht es dann noch den Gekreuzigten?
Das Volk Israel weiß auch, dass es eine Berufung für alle Völker hat. Gott beruft ja nie einfach nur den Berufenen selbst für sich, sondern er beruft Menschen immer zugleich für die anderen, oft für die Vielen. So ist es die Berufung Israels allen Völkern zu zeigen, wie ein Volk lebt, das mit Gott lebt. Und so sind im Grunde alle Völker eingeladen, zum Zion zu wallfahren und dort den Gott kennenzulernen, der ein Gott der Befreiung ist.
Aber, liebe Schwestern und Brüder, wenn das so ist, warum braucht es dann immer noch den Messias, und warum die Qual des Kreuzes, die Qual des Leidens für Jesus?
Die Antwort der Schrift ist: Weil das Hauptproblem des Menschen die innere Entfernung von Gott ist und bleibt. Eine innere Haltung, ein Leben, das man führt als ob es Gott nicht gäbe, das ist für die Schrift die eigentliche Sünde. Auch für die Menschen Israels. Es war und blieb bei aller Befreiung dann doch schwer, die Gesetze und Gebote Gottes zu halten. Und sie führen noch nicht automatisch zu einem neuen, zu einem heileren Herzen, das Gott kennt und liebt, sondern allzu oft zu einer Erfahrung, die das Gesetz um des Gesetzes willen hält oder zur eigenen Selbstrechtfertigung – das am Ende aber wenig mit Gott selbst zu tun hat.
Die Freiheit, Gott nicht kennen zu wollen
So ist es bis heute vielfach geblieben. Oder vielmehr scheint sich gerade in unseren Gesellschaften des Westens eine Art generelles Klima der Entfernung von Gott breit zu machen. Es ist für viele Menschen von heute gar nicht mehr einsichtig, dass es möglich ist, ein Herz zu haben, das Gott kennt. Der moderne Mensch will ihn vielleicht auch gar nicht näher kennenlernen. Wer weiß, was das für unangenehme Änderungen mit sich brächte.
Denn: In unserer Wohlstandsgesellschaft geht es uns doch gut – wofür braucht es da Gott? Freiheit? Wir sind doch frei! Wir haben alles, wir können uns alles leisten und genießen, wir können tun und machen, was wir wollen. Das ist Freiheit. Wozu Gott, der uns am Ende doch nur gängelt? Wozu Jesus, einen Gekreuzigten?
Schein-Freiheit, die erst recht versklavt
Aber, liebe Schwestern und Brüder, wenn wir genau hinsehen, ist so eine Freiheit trügerisch und letztlich oberflächlich und gefährlich. Eine Freiheit des Genusses, eine Freiheit, die Bindung scheut. Eine Freiheit, die vor allem den vordergründigen eigenen Bedürfnissen folgt, lebt gefährlich.
Denn das Trügerische ist: Je mehr wir diesem Verständnis von Freiheit folgen, desto mehr werden wir hintergründig erst recht versklavt. Ein kleines Beispiel. Vor ein paar Tagen habe ich vor vielleicht 250 Jugendlichen über das Thema Gebet gesprochen – junge Menschen, für die ihr Smartphone das Instrument ihrer Freiheit schlechthin ist. Alles kann man damit machen, sofort in den hintersten Winkel der Welt schauen, sich auf der ganzen Welt verlinken und vernetzen, alles sofort haben, kaufen, nachschauen, wissen und vieles mehr.
Kleines Handy, große Freiheit?
Das haben wir kurz bedacht, auch dankbar für alles, was damit möglich ist. Aber dann habe ich gefragt: Und jetzt ganz ehrlich: Wer von euch fühlt sich manchmal handysüchtig? Ich glaube, von den 250 Jugendlichen hat sich deutlich über die Hälfte spontan gemeldet. Ist das nicht unheimlich? Die große Freiheit alles wissen, alles zu haben, führt schon in eine Abhängigkeit, eine subtile Form von Sklaverei.
Das ist hier im Kleinen zu sehen – und es ist im Großen oft nicht besser, sondern eher schlimmer. Mit unseren eigenen großen Lebenszielen und ehrgeizigen Projekten, denen wir fortwährend nachjagen – immer auf der Suche nach Mehr, nach dem neuen Kick, nach der neuen Bedürfnisbefriedigung, nach noch mehr Sicherheit, noch mehr Erfolg, was auch immer. Warum ist das so gefährlich? Aus meiner Sicht: Weil unsere fortwährende Jagd nach dem Mehr nicht gestillt werden kann, wenn sie nur in dieser Welt sucht und meint, nur aus den Dingen dieser Welt glücklich werden zu können.
Suchen wir den Unendlichen? Oder klammern wir uns unendlich fest an das Endliche?
Wir sind aber geschaffen für die Freundschaft mit Gott, mit dem Unendlichen. Aber weil wir oft so wenig glauben können, dass das wahr ist, klammern wir uns unendlich fest an das Endliche – und werden so seine Sklaven. Eine Freiheit, die doch nur in die Unfreiheit führt.
Es ist tatsächlich so, liebe Schwestern und Brüder: Wer sich alleine in dieser Welt festmachen will, der wird den Himmel und diese Welt verlieren. Wer dagegen wirklich nach dem Himmel strebt, dem fällt die ganze Welt auch noch in den Schoß.
Freiheit: Im Herzen eines anderen man selbst sein
Was ist Freiheit? Tun und lassen können, was man will? Liebe Schwestern, liebe Brüder, jeder, der mit Freundschaft beschenkt ist oder mit guten familiären Beziehungen oder Partnerschaften, der weiß um ein tieferes Geheimnis der Freiheit. Es heißt: Erst in wirklich vertrauensvollen Beziehungen kann ich mich fallen lassen, kann ich sein, wie ich bin.
Erst dort, wo ich mich geliebt weiß, lerne ich aus der Tiefe selbst Ja zu mir zu sagen. Und muss mich nicht fortwährend sorgen, was ich noch alles haben oder leisten muss, um endlich anerkannt zu sein, um endlich das Gefühl haben zu dürfen: Es ist gut, dass ich da bin.
Wer zum Beispiel heiraten möchte, der weiß ja, dass er sich eine intensive Bindung auferlegt. Lebenslang in Treue mit Dir allein. Aber im Grunde niemand, der aufrichtig so in eine Ehe geht, glaubt, dass er mit dieser starken Bindung in eine Art Sklaverei geht. Vielmehr hofft und sehnt sich jeder danach, dass er gerade in dieser Bindung auch innere Freiheit erfährt.
Und ja, liebe Schwestern und Brüder, das ist schon eine Vorahnung von der Freiheit, die wir als Christen meinen. Die Formulierung dafür heißt: Freiheit ist, im Herzen eines anderen, tief man selbst sein dürfen und man selbst werden dürfen. Und gelingende Freundschaften und Partnerschaften helfen uns solche Erfahrungen zu machen.
Die Zweideutigkeit nur endlicher Liebe
Aber auch sie sind wiederum so zweideutig – und auch das ahnen wir alle. Endlich, so meinen wir manchmal, haben wir in dieser Welt das Glück gefunden. Die Richtige, der Richtige ist da – der Mensch, der mich liebt, und den ich liebe – und jetzt sind wir zusammen, ein Bund und darin frei. Ja, stimmt irgendwie, aber zugleich: Wie gefährlich! Denn der andere Mensch ist ja auch wieder nur endlich. Auch er wird nie die Stelle des Unendlichen einnehmen können in meinem Herzen.
Und wenn ich ihm das zumute, mache ich auch ihn zu einer Art Götzen, an den ich mich klammere. So viele Beziehungen starten mit dem aufrichtigen Wunsch nach Liebe und enden im Beziehungsdesaster – wegen überzogener Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen. Nein, der andere ist nicht Gott, aber die Freundschaft mit dem anderen kann mir das Herz und den Blick öffnen auf den, der mein eigentlicher Freund und Vater sein will.
Das durchbohrte Herz des Auferstandenen
Freiheit heißt: im Herzen eines anderen man selbst sein dürfen und man selbst werden dürfen. Und Jesus hat sein Herz durchbohren lassen für mich. Damit ich mich darin einberge und frei werde. Nur Er kann Sünden wirklich vergeben, nur Er kann mir Gott als den Vater zeigen und mich zu ihm bringen, nur er ist der Bringer des neuen, des ewigen Lebens von Gott her, das hier und heute schon beginnt.
Nur er kann wirklich Herzen verwandeln, nur Er kann mir die Angst vor dem Tod nehmen; eine Angst, die mich so unruhig macht. Und Jesus tut alles das und wird es immer neu tun, wenn wir mit unserem Vertrauen und unserer Liebe antworten. C.S. Lewis, der große englische Schriftsteller und Philosoph, hat uns einen Satz hinterlassen, der mir immer neu deutlich macht, was wir heute eigentlich feiern. Er hat einmal gesagt: „Die Menschen, die bei der Frage stehen bleiben, ob man nicht auch ohne Jesus ein guter Mensch sein kann, die wissen noch nicht, was Leben ist.“
Neue und nicht bloß nette Menschen
Liebe Schwestern und Brüder: Christus hat für uns den Tod bezwungen und neues Leben gebracht – nicht, damit wir einfach gute oder nette oder rechtschaffene Menschen werden. Sondern damit wir neu werden, frei werden, Kinder Gottes werden, die wissen, zu wem sie gehören. Wenn wir mit Ihm gehen, wenn wir mit Jesus gehen, sind wir wirklich die Befreiten. Und dann sind wir zugleich berufen, der Welt und ausnahmslos allen Menschen zu zeigen, wo es wirkliche Freiheit gibt: Nur bei dem, der den Tod besiegt, der Sünden vergeben und uns den Weg zum Himmel geöffnet hat. Jesus lebt. Halleluja.
Hier der Link zum Nachhören der Predigt: