Über das Kultivieren und den Kult
Eine im September 2024 erschienene kirchennahe Studie „Ernährungssicherheit, Klimaschutz und Biodiversität“ einer Expertengruppe zur globalen Perspektive für Mensch und Natur nachhaltiger Landwirtschaft hatte für großen Unmut unter bayerischen Bauern gesorgt. Ein Informationstag mit Gottesdienst und Aussprache mit Bischof Oster hat dem nun erneut ein Ventil gegeben.
Ein vollständiger Artikel über den Tag ist auf der Bistumshomepage zu finden.
Liebe Bäuerinnen und Bauern, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
in der ersten Lesung, die wir heute gehört haben, nimmt der biblische Autor Bezug auf einen Psalm, genauer auf Psalm 8, einen der schönsten Psalmen überhaupt.
Der Psalmist wendet sich darin an Gott und sagt folgendes: „Was ist der Mensch, dass Du an ihn denkst? Was ist des Menschen Kind, dass Du Dich seiner annimmst? Du hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk Deiner Hände. Und Du hast ihm alles zu Füßen gelegt, all die Schafe, Ziegen und Rinder. Die Vögel des Himmels und die Fische im Meer. Und der Psalmist schließt diesen Lobpreis mit dem bewegten Wort: Wie gewaltig, Gott, ist Dein Name auf der ganzen Erde.“
Im Grunde, liebe Schwestern und Brüder, wird hier Gott gelobt dafür, dass er den Menschen zu einem gemacht hat, der sich mit ihm um die Schöpfung sorgt. Und der Psalmist sagt, dass die Würde des Menschen genau darin besteht. Er ist in Gottes Schöpfung hineingestellt und darf sie im Auftrag Gottes kultivieren. Und ist es dabei nicht interessant, dass unser so bedeutungsreiches Wort „kultivieren“ ursprünglich aus der Landpflege kommt. Ein Land kultivieren, es urbar machen. Pflanzen kultivieren: Sie pflegen, züchten, gut wachsen lassen. Und gleichzeitig hängt aber damit auch unser Wort Kultur zusammen, als etwas vom Menschen hervorgebrachtes, das sich auf seine eigene Natur bezieht. Aber das zugleich über die Natur hinausgeht. Zur Kultur gehört deshalb auch so vieles, von den Volksbräuchen und Traditionen der Völker bis hin zur hohen Kunst in so vielen Bereichen. Und um dann noch einen Schritt weiterzugehen: Im Wort „kultivieren“ steckt auch das Wort „Kult“ – ein Wort für die Art und Weise wie Menschen Gottesdienst, wie sie ihren Gott oder ihre höchsten Werte feiern.
Wenn wir weiter noch in die Schöpfungsgeschichte, ins allererste Buch der Bibel, hineinschauen, dann sehen wir noch mehr schöne Zusammenhänge. Gott selbst pflanzt, so erzählen die tiefen Worte auf den ersten Seiten der Schrift, Gott selbst pflanzt in Eden einen Garten, also einen paradiesischen Garten; man kann sagen: Gott lässt schon am Anfang an eine von ihm kultivierte Natur entstehen, also nicht einfach urwüchsige Natur, sondern schon für den Menschen gestaltete, eben kultivierte Natur. Und dahinein setzt er den Menschen, wie es heißt, damit er ihn bebaue und behüte (Gen 3,15). Und der Mensch darf den Tieren Namen geben, in der Schrift bezieht sich das auf ein Verhältnis des Menschen zu den Tieren, das sagt: Der Mensch kennt und erkennt, was die Tiere im Innersten sind und wozu sie da sind. Im biblischen Wort für Erkennen steckt auch das Mögen, das Lieben, das Miteinander-sein. Der Mensch weiß also um die Bedeutung der Schöpfung von Gott her und zu Gott hin.
Man kann im Grunde sagen: Zum Urbild vom Menschsein und seinem Auftrag gehört es, ein Bauer, eine Bäuerin zu sein. Mit Sinn für die Schöpfung, mit Liebe zum Land, mit Liebe zu den Pflanzen und ihren Kulturen, mit Liebe zu den Tiere. Und gleichzeitig in der Fürsorge für die Gemeinschaft.
Liebe Schwestern und Brüder, ich hab das heute sehr bewusst gesagt, weil wir natürlich in Zeiten leben, in denen ganz viel in Frage steht – auch von unseren ursprünglichen Werten her, von woher wir kommen. Und ich meine jetzt nicht alleine die Bauern, ich meine uns alle in dieser Gesellschaft und in unserer Kirche. Vor allem meine ich uns als gläubige Menschen. In unserer Zeit haben sich ja ganz viele Menschen vom Bewusstsein und vom Sinn für landwirtschaftliche Arbeit und landwirtschaftliche Kultur entfernt. Wir wissen heute, dass seit kurzer Zeit zum ersten Mal in unserer Geschichte die Mehrheit der Menschen in großen Städten wohnt und nicht mehr auf dem Land. Und deshalb ist es für uns alle immer neu wichtig zu verstehen und wach zu halten, was unsere Bäuerinnen und Bauern im Grunde für einen tiefen und wesentlichen Auftrag ausführen, wenn sie für uns alle das Land kultivieren, mit Pflanzen und Tieren Umgang haben, so dass diese uns, nicht nur aber auch, als Nahrung dienen können.
Und wenn die Menschen im Ursprung Bauern waren, so zeigt sich das im Bild des Paradieses zunächst noch als heile Welt. Aber dann kommt das, was wir im Glauben den Sündenfall nennen. Und man kann diesen Sündenfall beschreiben zunächst als einen Bruch der vertrauten Beziehung des Menschen zu Gott. Aber sofort sehen wir, wie als Konsequenz aus diesem Bruch auch die Beziehung des Menschen zum anderen Menschen verdreht wird. Mann und Frau schämen sich voreinander und beschuldigen einander. Und auch das Verhältnis des Menschen zur Schöpfung wird gebrochen: Sie sind nicht mehr wie selbstverständlich in einer paradiesischen Welt daheim und versorgt. Nein, sie müssen jetzt im Schweiße ihres Angesichts mühsam den Acker bebauen, auf dem nun auch Dornen und Disteln wachsen. Bauer und Bäuerin sein ist jetzt mühsam, aber immer noch wertvoll – und jetzt erst recht.
Und wenn wir als Folge des Ganzen auf den allerersten ersten Mord schauen, der in der Bibel geschildert wird, dann dreht es sich sogar auch dabei noch um den rechten Umgang mit landwirtschaftlichen Produkten. Kain ist neidisch auf den Abel und erschlägt ihn, weil dessen Tieropfer Gott offenbar wohlgefällig war und seines eigenes aus dem Ackerbau offenbar nicht. Dabei geht es allerdings nicht um eine Bewertung zwischen Tierhaltung und Ackerbau, sondern der Bibeltext lässt uns auf die Motive schauen: Mit welchem inneren Blick, mit welcher inneren Haltung bringen die beiden ihr Opfer vor Gott? Wie gehen sie mit dem vor Gott, was Gott ihnen anvertraut hat? Wann ist die Gabe gottgefällig?
Sie sehen, liebe Schwestern und Brüder, wie tief man zurückschauen kann, auch um über Fragen nachzudenken, die wir heute haben? Welche Weise, Landwirtschaft zu treiben, ist heute und in unserem Land hilfreich und zielführend für alle Beteiligten, also für die Bauern , ihre Familien und ihre Betriebe selbst, für die Menschen, denen sie Nahrung produzieren, für die Tiere, die Pflanzen und das Land, mit denen sie umgehen? Und ich bin überzeugt, Landwirt oder Landwirtin kann man heute gar nicht sein, wenn man nicht auch Liebe hat zu diesem Beruf und zur Schöpfung, die uns Wachstum und Gedeihen schenkt – bei Pflanzen und Tieren.
Doch kenne ich auch mein eigenes Herz und jeder und jede von Ihnen kennt das seine oder ihre. Und da ringen dann in uns vielleicht auch einerseits der Wunsch nach möglichst großem eigenen Ertrag oder Profit und zugleich ist da das Pflichtbewusstsein, der Verantwortung zu entsprechen, die uns gegeben ist; jener Verantwortung, die zumindest für einen gläubigen Menschen auch von Gott übertragen ist – und die sich manchmal auch wie aufgeladen anfühlt, oder biblisch gesprochen: wie ein Kreuz.
Ich wünsche mir, liebe Schwestern, eine ehrliche Debatte um solche großen Fragen: Wie bewahren wir das Kostbare unserer Landwirtschaft, und wie kann es gelingen, dass Landwirtschaft für unsere Bauernfamilien auskömmlich ist? Und welche Veränderungen sind andererseits nötig oder kommen sogar notgedrungen auf uns zu? Wie kann auch global die Ernährung aller Menschen in Zukunft gerecht gesichert werden. Und wie ringen wir um diese Fragen in Politik und Gesellschaft? Wie finden wir Wege, bei denen jeder Teilnehmer an diesem Diskurs, mit im Boot und im Gespräch bleiben kann? Unsere Welt ist sehr komplex geworden, einfache Lösungen sind eher seltene Ausnahmen, und das gilt auch für Ihren Dienst in der Landwirtschaft, der doch – wie gesehen – der älteste Beruf der Welt ist. Und der zurück reicht bis ins Paradies.
Daher möchte ich Ihnen allen zunächst von Herzen danken. Ich danke Ihnen, dass Sie heute hier sind, um mit mir gemeinsam zu beten und Gottesdienst zu feiern. Und ich bin gespannt, nachher von Ihnen zu hören, wie es geht, sich unter heutigen Bedingungen in diesen Beruf zu stellen – und dabei die Freude am Beruf und auch am Umgang mit Gottes Schöpfung zu bewahren. Und sich auch nicht von dem nötigen Schweiß dafür einschüchtern zu lassen und auch nicht von den Dornen und Disteln – die sich da im übertragenen Sinn zeigen. Bei der Formulierung dieses Anliegens habe ich auch an uns als Kirche gedacht: Auch wir spüren, wie uns der Wind ins Gesicht weht – und wie es angesichts so vieler Herausforderungen nicht leichter wird, die Freude am Glauben, die Freude an Christus in die Welt zu tragen. Aber unsere Fundamente, auf denen diese Freude gründet, sind doch bleibend da: Bei Euch ist es die Schönheit, der Reichtum und die Güte von Gottes Schöpfung – und in der Kirche ist es derjenige, der der Ursprung selbst ist von allem Reichtum, aller Schönheit und aller Güte, der Schöpfer selbst. Wir sehen: Kultur und Kult gehören zusammen.
Gott segne Sie alle und besonders Ihren Dienst in der Landwirtschaft. Amen.
Hier die Predigt auch zum Nachhören oder Downloaden:
Hören Sie auch die Predigt zu 30 Jahre Ländliche Familienberatung (LFB) im Bistum Passau: Was ist eigentlich das Reich Gottes?